Protocol of the Session on June 5, 2019

Meine Damen und Herren, wir sollten hier ein Mindestmaß an Leistungsgedanken und Leistungserwartung beibehalten.

Ich bezweifle – das wissen Sie ja, Frau Boser –, dass der Slo gan „Kein Kind zurücklassen“ uns wirklich immer genutzt hat. Auch Sie wissen ja: Was nichts kostet, ist nichts wert, und wofür man sich nicht anstrengen muss, das gilt – wir Lehr kräfte wissen das ganz genau – auch bei jungen Leuten als nicht besonders erstrebenswert.

Wir haben schon im Ausschuss auf die mangelnde Praktika bilität des FDP/DVP-Konzepts hingewiesen: Entfernungen, Organisation usw. Das brauchen wir hier nicht zu besprechen. Die Aussage bleibt aber: Mit einer weiteren Veränderung der Schulstrukturen kommen wir der Lösung schulischer Proble me nicht näher. Wir müssen an die Unterrichtsinhalte, nicht an die Schulstruktur denken.

Im Übrigen: Baden-Württemberg hatte in der vergangenen Legislaturperiode schon genug grün-rotes Schulartenchaos. Deswegen ist dieser Entwurf ein weiteres falsches Signal an die Eltern, an die Schüler und wahrscheinlich auch an die Leh rer. Er ist schlicht und ergreifend unnötig. Wir brauchen kei ne neuen Schulformen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Die allgemeinbildenden Schulen sollen Allgemeinbildung ver mitteln. Die beruflichen Schulen haben den Heranwachsen den neben der Praxis in der Ausbildungsstätte die notwendi ge theoretische Bildung zu geben. An diesem Grundprinzip wollen und sollten wir festhalten.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Vermitteln die be ruflichen Schulen aus Ihrer Sicht keine Allgemeinbil dung?)

Wir wollen dem Handwerk wieder einen hohen Stellenwert geben. Konkret – das wäre ein schöner Ansatz –: In BadenWürttemberg kommt das Fach Werken in der Grundschule nur in Verbindung mit dem Fach Kunst vor. Das ist dem Land der Tüftler und Erfinder nicht angemessen. Hier brauchte es eine Hinführung an das Handwerk.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wichtig ist die Anregung des Berufsschullehrerverbands. Die ser sagte, eine Kooperation der Werkrealschule mit der zwei jährigen Berufsfachschule – ich habe es vorhin schon mal auf gezählt – wäre grundsätzlich zu befürworten. Hier könnten eben entsprechende Begabungen frühzeitig erkannt und ge fördert werden.

Der Grundschulverband hat – das wissen Sie – bemängelt, das im Gesetzentwurf beschriebene Modell lasse assoziieren, dass der frühe Besuch einer beruflichen Schule vor allem für bil dungsschwache Schülerinnen und Schüler wichtig sei. Wie schon bemerkt, ist dagegen die Bedeutung der handwerkli chen Tätigkeit für alle Schüler gut und wichtig und daher wün schenswert. Deshalb ist das Etikett „Nur für die weniger in tellektuell Begabten“ – ich betone: natürlich in Gänsefüßchen – zu vermeiden. Junge Menschen haben ein feines Gespür da für, wenn sie nur instrumentalisiert werden.

Natürlich gehört zur Wahrheit in den Haupt- und Werkreal schulen – das wissen Sie so gut wie ich –, dass ein gewisser, zu hoher Prozentsatz von Schülern eher lustlos ist. Dafür gilt es die passenden Konzepte zu entwickeln. Das ist keine Fra ge neuer Schulstrukturen, sondern der Inhalte.

Wir sind aus den genannten Gründen vom Gesetzentwurf nicht überzeugt und werden denselben ablehnen.

Danke sehr.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Kleinböck.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und liebe Kollegen! Es ist jetzt schon vieles gesagt worden. Ich werde es auch nicht wiederholen. Einen Aspekt will ich aber mal einfließen lassen: Liebe FDP/DVP, warum traut ihr denn den Lehrerinnen und Lehrern an den Haupt- und Werkrealschulen nicht zu, die Kompetenz der beruflichen Be ratung zu haben? Warum soll diese an die beruflichen Schu len verlegt werden? Auf der einen Seite wollt ihr die Haupt- und Werkrealschulen mit so einem Gesetzentwurf retten, und auf der anderen Seite sprecht ihr den Lehrerinnen und Leh rern dort diese doch wichtige Kompetenz ab.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Nein! Unsinn!)

Ich sehe da schon einen gewissen Widerspruch.

Ich will anknüpfend an das, was mein Vorredner hier gesagt hat, auch noch mal eines deutlich machen: Das Handwerk ist heute auch darauf angewiesen, gut qualifizierte Schulabgän ger zu bekommen, weil auch die Handwerksberufe zuneh mend hoch technisiert sind.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Daher brauchen wir, denke ich, hier nicht über Gering- oder Höherqualifikationen zu reden und brauchen nicht so einen grundlegenden Ansatz, wie er in dem vorgelegten Gesetzent wurf vorgesehen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Aspekt zur Schü lerbeförderung. Wir haben insgesamt, glaube ich, etwa 285 berufliche Schulen in Baden-Württemberg – kaufmännisch, gewerblich, technisch –, wir haben sozialwissenschaftlich ori entierte Ausbildungsberufe. Mit wem sollen die denn dann diese Kooperationen schließen? Das ist mir völlig unklar. Es macht nach meinem Dafürhalten wenig Sinn, die Schüler der beruflichen Realschule schon von vornherein in eine bestimm te Richtung lenken zu wollen.

Jetzt verrate ich noch ein paar Überlegungen aus meiner ak tiven Zeit als Schulleiter. Sie wissen, ich war Schulleiter in Südhessen. Da gab es mal eine Kultusministerin aus Ihren Reihen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Gute Frau!)

Ja, gute Frau. Deshalb ist sie jetzt auch in Europa.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Daher ist das, was ich da jetzt lese, nicht ganz neu. Davon sind ja ein paar Ideen auch schon zu meiner Zeit als Schulleiter durch die Gegend gewabert. Wir hatten uns im Schulleiter sprengel damit auseinandergesetzt. Es war für uns auch klar: Das ist keine Lösung für die Probleme, die es in den Haupt- und Werkrealschulen gibt, sondern es ist ein Lösungsansatz von Kooperationen, der ohnehin mit unseren Info-Tagen an

den beruflichen Schulen bestand, wo wir diese Berufsorien tierung natürlich auch auf einer verbindlichen Ebene an die Abgänger der Haupt- und Werkrealschulen bzw. Realschulen vermitteln wollten.

Daher sage ich: Diese Kooperationsideen kann man unterstüt zen, aber in dieser Form, wie Sie es vorschlagen, ist es nach meinem Dafürhalten ungeeignet.

Ich darf Ihnen auch sagen: Die freundliche Rückmeldung, die von Verbänden kommt, kann man so bewerten, wie Sie es ma chen. Aber diese freundliche Rückmeldung ist nicht mit einer Zustimmung der Verbände zu verwechseln. Das sehe ich an dieser Stelle überhaupt nicht. Auch meine Gespräche mit Schulleiterinnen und Schulleitern zeigten mir eher, dass ab gewinkt und von dieser Idee abgeraten wird.

Mein Fazit: Die erste Debatte hier im Haus, die Debatte im Ausschuss und auch die Debatte heute zeigen, dass Bildungs politik nicht die zentrale Kompetenz der FDP ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Kern.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die heutigen Stellungnahmen der an deren Fraktionen zu unserem Gesetzentwurf überraschen uns nicht wirklich. Wenn es nur um die Befindlichkeiten der Frei en Demokraten gehen würde, wäre das heutige Abstimmungs verhalten der Regierungskoalition auch nicht weiter drama tisch. Dramatisch ist die Ablehnung unseres Gesetzentwurfs jedoch für diejenigen, denen die Haupt- und Werkrealschulen in unserem Land am Herzen liegen und die dieser Schulart da her auch eine echte Zukunftsperspektive geben wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Raimund Haser CDU: Das ist Unsinn!)

Im Gegensatz zur grün-schwarzen Koalition haben sich die Verbände im Anhörungsverfahren sehr differenziert mit unse rem Gesetzentwurf auseinandergesetzt.

Ich zitiere z. B. die Arbeitsgemeinschaft der Realschulrekto rinnen und Realschulrektoren Baden-Württemberg:

Wir begrüßen ausdrücklich die vorgeschlagene Koopera tion der bestehenden Haupt- und Werkrealschulen mit den beruflichen Schulen.

Auch die Arbeitgeber Baden-Württemberg äußern sich klar:

Besonders in der engen Kooperation der Haupt- und Werk realschulen mit den beruflichen Schulen mit den im Ge setzentwurf vorgeschlagenen berufsqualifizierenden Ele menten sehen wir große Chancen für mehr direkte Über gänge in eine duale Ausbildung.

Oder: Die IHK Region Stuttgart hält ausdrücklich fest – Zi tat –:

Diese frühe Heranführung an die duale Ausbildung ent spricht unseren langjährigen Forderungen.

Der BBW Beamtenbund Tarifunion bekennt klar:

Der BBW begrüßt den Grundsatz des Gesetzentwurfes der FDP/DVP-Fraktion, die Haupt- und Werkrealschulen zu stärken und das Schulsystem in Baden-Württemberg wei terzuentwickeln.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Natürlich gab es auch Kritik oder Änderungswünsche. Das will ich überhaupt nicht verschweigen. Aber einen entschei denden, einen wichtigen Aspekt hat dabei der Berufsschulleh rerverband betont – Zitat –:

Der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP/DVP steht am Anfang eines Diskussionsprozesses, die Bildungsangebo te für Hauptschüler und Hauptschülerinnen nach der siebten oder achten Klasse im Blick auf die Verwertbar keit des Abschlusses entscheidend zu verbessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich die Grünen einem Diskussionsprozess mit dem Ziel der Stärkung und der Zu kunftssicherung der Haupt- und Werkrealschulen verweigern, ist für uns Freie Demokraten nicht überraschend.

(Beifall bei der FDP/DVP)