Dieser Antrag ist ein sehr be sonderer, weil er unglaublich viel darüber aussagt, wo die SPD gern stehen möchte. Hintergrund der Debatte ist ein echtes SPD-Anliegen: Das Land soll die Träger von Kindertagesein richtungen usw. unterstützen. Diese Unterstützung soll erfol gen, da die Beiträge der Eltern, also die Kosten, die für die El tern entstehen, gestrichen werden sollen. Das ist ein großes Ziel, wie auch immer man sich vielleicht inhaltlich dazu po sitioniert. Es ist ein Antrag, der Großes bewirken soll: große Ziele, große Worte, selbstbewusste Forderungen, ein echter Ansatz in der Tradition einer Volkspartei, wie es die SPD ein mal war.
Doch gehen wir einen Schritt weiter. Wie lautet der Titel der Debatte? „Grün-schwarze Landesregierung: Endstation direk te Demokratie“ – ein spannendes und wichtiges Thema. Es geht um das Verhältnis von Regierung und direkter Demokra tie. Aber ein bisschen rutscht vielleicht das soziale Thema in den Hintergrund. Es geht eigentlich nur darum, sich in Wahl kampfzeiten an der Landesregierung abzuarbeiten. Das kann man so machen, gerade in Wahlkampfzeiten; aber ob es die beste Idee ist, sei mal dahingestellt.
Aber es kommt noch schlimmer. Denn das eigentliche Thema dieser Debatte der SPD bzw. des Antrags ist ein ganz anderes. Es geht nicht um die Kosten im Bereich der Kindertagesstät ten, es geht auch nicht um direkte Demokratie, es geht noch nicht mal um das Abarbeiten an der Landesregierung, sondern
es geht – man höre und staune – um den Terminkalender des Ministerpräsidenten und seines Stellvertreters.
Denn in dem Antrag wird die Frage gestellt, inwiefern es zu trifft – das ist Ziffer 1 des Antrags –, dass es im Vorfeld der Entscheidung der Landesregierung über den Antrag der SPD auf Zulassung des Volksbegehrens ein Treffen zwischen dem Ministerpräsidenten, dem Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, also dem stellvertretenden Ministerpräsiden ten, und einem Vertreter des Ministeriums der Justiz und für Europa gab. Das ist die entscheidende Frage der SPD in die sem Antrag: Mit wem treffen sich der Ministerpräsident und sein Stellvertreter, und was wird dabei ohne die SPD bespro chen? Man sieht den Schmerz in den Augen der SPD, dass sie von den Grünen verlassen ist.
(Abg. Andreas Stoch SPD: Haben Sie den Sinn der Debatte überhaupt kapiert? – Gegenruf des Abg. Rein hold Gall SPD: Offensichtlich nicht!)
Ja, den habe ich sehr gut verstanden. – Herr Stoch fragte vorhin die Rednerin der Grünen, auf welcher Seite sie stehe.
Für mich zeigen dieser Antrag und diese Debatte vor allem ei nes: Aus einer ehemals sozialen Partei, der SPD, die große so ziale Fragen wälzt und an Lösungen denkt, ist eine immer noch staatstragende Partei geworden, die sich Gedanken macht über direkte Demokratie und die Begrenztheit oder Begren zung der Landesregierung; die Entwicklung geht aber dann hin zu einer Partei, die nur noch darüber trauert, dass sie am Katzentisch sitzt und darüber nachdenkt, wer wann von den großen Politikern mit wem redet, ohne dass sie selbst zuhö ren kann. Herr Stoch, wenn Sie am Pult so laut reden wie vor hin, frage ich mich, ob Sie so laut reden, weil Sie Angst ha ben, dass Ihnen niemand mehr zuhört.
Die SPD biedert sich bei den Grünen an. Sie ist frustriert, weil die das nicht erwidern – was ich in diesem Fall sehr gut ver stehen kann. Mein Beileid an die SPD!
(Beifall bei der AfD – Abg. Reinhold Gall SPD: Das war es nicht wert! – Abg. Winfried Mack CDU zur SPD: Einfach weitermachen! Energie sparen!)
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Um den Standpunkt unserer Fraktion zunächst einmal insgesamt zu umreißen: Wir würden zwar dieses Volksbegehren nicht unterschreiben, aber wir würden es zulassen.
„Nicht unterschreiben“ ist heute nicht Gegenstand. Nur ganz kurz dazu: Wir würden es lieber den Kommunen überlassen. Außerdem spielen Qualitätsüberlegungen eine Rolle. Dann geht einem auch der Gedanke durch den Kopf: Was nichts kostet, ist nichts wert.
Aber die inhaltliche Diskussion brauchen wir heute nicht zu führen. Es geht um die Frage der Zulassung, und in der Fra ge der Zulassung hat die Landesregierung natürlich schon wie der ein ganz erstaunliches Stück abgeliefert,
Schritt 1: Das Innenministerium entdeckt Bedenken gegen ei ne Abstimmung, die übrigens meines Erachtens auf ziemlich wackligen Füßen stehen. Da ist zunächst das Argument einer Bundeskompetenz und einer Sperrwirkung. Das nimmt sich schon im Ansatz ein wenig erstaunlich aus. Selbst wenn es ei ne solche Sperrwirkung wirklich gäbe, wäre noch immer die Frage, ob nicht das Volk eines Landes mal sagen kann, was es will, und anschließend zu schauen, ob in der Umsetzung ein tatsächliches Hindernis besteht. Viel ist von diesem Argument also nicht zu halten. Aber wahrscheinlich ist es, wenn man es beantragt, für das Innenministerium bereits Rebellion. Da müssen Sie, Herr Stoch, froh sein, wenn Sie nicht ins Gefäng nis kommen.
Die zweite Überlegung, die Überlegung zu den Finanzen, steht natürlich auch auf wackligen Füßen. Denn die Gefahr ist doch ganz klar: Wenn wir alle Gesetzesvorschläge, die finanzwirk sam werden, unter die Sperre „Abstimmung über den Staats haushaltsplan“ nehmen, dann ist das wirklich das Ende jedes Volksbegehrens.
(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Wo ist die Grenzziehung beim Umfang, Herr Kollege? – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD: Sonnenschein und Regen!)
Lieber Herr Kollege Wolfgang Reinhart, vorhin ist das Bei spiel doch genannt worden: Stuttgart 21. Da ging es um Mil liarden, und nicht einer hat gesagt: „Oh, das könnte ja den Staatshaushalt betreffen.“ Nicht einer! Damit ist im Grunde genommen alles geschwätzt.
(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Abge ordneten der AfD – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)
Bei dieser Sachlage hätte es zu Szenario 1 kommen können – ein Szenario im Sinne von Vernunft, Politikverständnis, Ko operationsbereitschaft. Die beiden zuständigen Minister hät ten sich mit dem Ministerpräsidenten verständigen können, sie hätten sagen können, die Juristen seien – wieder einmal – unterschiedlicher Ansicht. Das eröffnet natürlich Spielräume.
Ich muss dazusagen: Das Justizministerium, das sich dagegen ausgesprochen hat, hat keine unüberwindlichen Hindernisse gesehen. Das muss man natürlich dazusagen. Diesen Punkt habe ich jetzt etwas übergangen. Der zweite Schritt war die
Nun hätte man gemeinsam zum Ministerpräsidenten gehen können und sagen können: „Die Juristen sind unterschiedli cher Ansicht. Das eröffnet eigentlich einer politischen Ent scheidung den Weg,
einer völlig zulässigen politischen Entscheidung. Also win ken wir dieses Ding durch.“ Manch einer hätte sich damit trös ten können, dass es noch immer schwierig genug ist, 770 000 oder 660 000 Unterschriften in kurzer Zeit zu sammeln. Das wäre ein ganz schwieriges Unterfangen geworden. Das muss man sehen.
Stattdessen aber kam es zu Szenario 2: Der Innenminister er klärt den Juristen des Justizministeriums, dass sie nichts von der Sache verstünden, setzt seinen Standpunkt durch, legt dem Ministerpräsidenten einer schon arg gebeutelten Koalition wieder ein schwieriges Ding auf den Tisch und setzt sich am Ende dann auch noch dem Risiko aus, einen Prozess zu ver lieren. Diesem Risiko ist er nämlich jetzt hilflos ausgeliefert.
Wenn ich dieses Ergebnis – Szenario 2 – anschaue, dann muss ich sagen: Das ist ein erneutes Beispiel einer schlechten Per formance des Innenministers. Was ich dazu wirklich denke, liebe Frau Präsidentin, will ich nicht sagen,
weil Sie ja immer auf gute Umgangsformen achten. Ich drücke mich vorsichtig aus: Das Ergebnis, zu dem es dann kam, be findet sich in einer maximalen Distanz zu einem klugen Er gebnis.
(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Abge ordneten der AfD – Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wie immer!)
Heraus kommt übrigens auch ein veraltetes Stück Politik, ganz nach dem Strickmuster: Wenn irgendwo eine Abstimmung im Raum steht, müssen wir Vorschriften suchen, die wir mög lichst extensiv auslegen können, damit nicht abgestimmt wird. Ich dachte eigentlich, dass das von gestern ist, dass wir das überwunden haben. Aber die Landesregierung ist in letzter Zeit zwei Mal zurückgewichen, wenn es um die Beteiligung des Volkes ging: im Fall der Landkreise – da muss ich sagen, das finde ich besonders ängstlich – und auch in diesem Fall.
Jetzt muss ich am Schluss doch noch sagen: Die ehrenamtli che Staatsrätin war es, die ich beim letzten Mal angesprochen hatte.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wo ist die eigentlich? – Abg. Reinhold Gall SPD: Die war schon lange nicht mehr da!)
Sie war letztes Mal nicht da. Sie wurde bei diesem Verfahren nicht beteiligt. Sie ist auch heute nicht da.
Insofern muss man natürlich nicht nur den Innenminister, son dern auch die Fraktion GRÜNE fragen: Wie ernst meinen Sie es tatsächlich mit der direkten Demokratie?