Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In steter Regelmä ßigkeit ist das Thema Rettungsdienst Gegenstand von Anträ gen und Debatten. Mindestens ebenso oft berichten Medien über offensichtliche Defizite. Eine Reform oder, besser ge sagt, eine Korrektur folgt der anderen.
Glaubt man der Landesregierung, wird immer alles besser. Doch der Tenor der Presseberichte wie auch der Parlaments anfragen ist stets derselbe: Die Hilfsfristen im Rettungsdienst werden nicht eingehalten. Dies scheint sich trotz aller Be schwichtigungen der Landesregierung nicht zu ändern.
Die landesweite Recherche des SWR hat bereits 2018 für Auf sehen gesorgt. Demnach wohnen ca. 40 % der Bevölkerung in Baden-Württemberg in Gebieten, die bei Notarzteinsätzen nicht innerhalb der vorgeschriebenen Hilfsfrist erreicht wer den. Bei der Aktualisierung der letztjährigen Studie hat sich gezeigt, dass sich die damals ermittelten Einsatzzeiten vieler orts sogar noch verschlechtert haben.
Um den betroffenen Rettungsdienstbedürftigen rechtzeitig wirksame Hilfe leisten zu können, halten Notärzte eine Hilfs frist von maximal zehn Minuten für unabdingbar. Im Gesetz über den Rettungsdienst wird diese Frist blumig formuliert: möglichst nicht mehr als zehn, höchstens aber 15 Minuten.
Aber noch nicht einmal diese 15 Minuten werden in Teilen unseres Landes eingehalten. Der von der FDP/DVP angereg te Blick über die Landesgrenzen macht daher durchaus Sinn.
Trotz aller Unterschiede im Detail scheint die Notfallversor gung dort deutlich besser zu funktionieren.
In Hessen gilt beispielsweise eine Hilfsfrist von zehn Minu ten. Zwar hat auch Hessen Schwierigkeiten, diese zehn Mi nuten einzuhalten,
aber es sind eben zehn Minuten. Kann es daran liegen, dass die Aufgaben der Zentralen Leitstellen in Hessen an die kreis freien Städte und Landkreise übertragen wurden? Haben wir in Baden-Württemberg ein grundsätzliches, ein strukturelles Problem?
Auf Druck der Öffentlichkeit geht die Landesregierung end lich diese Missstände im Rettungswesen an. Doch während in Baden-Württemberg notleidende Patienten vergeblich auf Ret tungswagen warten, beginnt die Landesregierung, über eine Reform des Rettungswesens nachzudenken, welche frühes tens in den nächsten Jahren zu Verbesserungen führen wird. Diese Maßnahmen kommen für viele Betroffene deutlich zu spät. So musste der Bruder unseres geschätzten Kollegen Tho mas Palka 23 Minuten auf den Rettungswagen warten. Sein Sohn führte 23 Minuten eine Herzdruckmassage aus. Eine Woche später starb der Bruder von Thomas Palka.
Ob eine Reform des Rettungswesens tatsächlich gelingt, hängt insbesondere von den Rahmenbedingungen ab. Schon in der erwähnten Studie des SWR wurde deutlich, dass es im Ret tungsdienst nicht nur an Personal mangelt, sondern insbeson dere daran, dass das vorhandene Personal überlastet, mäßig bezahlt und daher frustriert ist. Für Neueinsteiger ist dieser Beruf zunehmend sehr unattraktiv. Wenn sich im Rettungs wesen nicht Wesentliches ändert, wird auch die Aufwertung dieses Berufs zum Notfallsanitäter daran nichts ändern, außer dass sie eine Verlängerung der Ausbildungszeit mit sich bringt.
Die Pläne zur Schließung von Krankenhäusern im ländlichen Raum verschärfen die Situation voraussichtlich noch. Schon jetzt haben die Rettungsdienste auf dem Land tendenziell län gere Anfahrtswege. Werden Abteilungen und Kliniken ge schlossen, sind die Hilfsfristen dort keinesfalls mehr einzu halten.
Der Rettungsdienst ist Bestandteil der medizinischen Grund versorgung. Die Landesregierung hat sicherzustellen, dass die se bestmöglich und reibungslos funktioniert – und das mög lichst schnell und nicht erst in ferner Zukunft; denn in letzter Konsequenz geht es, wie man an dem Tod des Bruders von Thomas Palka gesehen hat, um Menschenleben. Daher: Han deln Sie!
Frau Präsidentin, meine werten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schwarz, Herr Kol lege Hockenberger, Sie haben jetzt beide noch mal darauf hin gewiesen, dass diese Anfrage und die Antwort zwei Jahre alt sind. Sie haben auch noch mal die Probleme aufgefächert, die wir im Rettungsdienst haben. Aber Sie haben uns nicht ge sagt, warum eigentlich nichts passiert und was passieren soll
te. Wir müssen einfach festhalten: In den letzten zwei Jahren ist substanziell nichts Erkennbares geschehen.
Dabei ist die Versorgung der Bevölkerung mit dem Rettungs dienst in einem Notfall natürlich ein wichtiges Thema, das vor Ort eine große Rolle spielt. Es wird in vielen Fällen sehr emo tional diskutiert. Aber wir wissen um die Probleme im Ret tungsdienst sowohl in Strukturfragen – Leitstellenstruktur, Trennung von Notfallrettung und Krankentransport – als auch bei der Einhaltung der gesetzlichen Hilfsfristen oder auch bei der Bearbeitung eines Notrufs. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auch heute wieder im Landtag mit diesem Thema be fassen.
Herr Professor Dr. Goll, auch wenn die Anfrage von Ihrer Fraktion ist: Für uns ist die Privatisierung nicht das Mittel der Wahl; denn wir haben unter Innenminister Gall in der letzten Legislaturperiode mit der Novellierung des Rettungsdienst gesetzes schon den Grundstein für die Verbesserung der Not fallversorgung gelegt. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass zukünftig der gesamte Einsatzablauf, also die Rettungs kette, berücksichtigt werden soll.
Das war kein Fehler. – Wir haben ein Qualitätssicherungs system landeseinheitlich gesetzlich verankert, wir haben das Helfer-vor-Ort-System, das ja bereits mehrfach gelobt wurde, gesetzlich verankert, wir haben die Rechtsaufsicht der unte ren Verwaltungsbehörden über den Bereichsausschuss gestärkt und insofern durchaus erste Schritte in die Wege geleitet.
Auch Grün-Schwarz hat erkannt, dass im Rettungsdienstbe reich weitere Veränderungen erforderlich sind. Sie haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass es notwendig ist, die Leit stellenlandschaft der integrierten Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst zu überprüfen, und Sie haben angekün digt, Möglichkeiten einer landesweiten Leitstellenkonzeption zu entwickeln.
Der Prozess hat begonnen – das ist ja auch gut so –, allerdings liegen die Eckpunkte der Lenkungsgruppe Leitstellenstruktur nun schon seit dem 6. Dezember 2017 vor. Doch bis heute ist nicht klar, ob und, wenn ja, wann das Rettungsdienstgesetz novelliert wird oder ob es ein eigenes Leitstellengesetz gibt und welche Vorschläge umgesetzt werden.
Gestern haben wir von Minister Lucha schon die Antwort auf die Frage nach der Verordnung für den Drogenkonsumraum bekommen: „Gut Ding will Weile haben.“ Vielleicht ist es auch beim Rettungsdienstgesetz oder beim Leitstellengesetz so. Allerdings wäre es schon hilfreich, wenn wir einmal einen Zeitplan auf den Tisch bekommen würden. Wir meinen: Es tut sich zu wenig, und es dauert zu lange.
Ich kann es eigentlich auch nicht so richtig nachvollziehen, dass der Innenminister an dieser Stelle nicht richtig Gas gibt. Die Reform des Rettungsdienstes wäre doch auch ein Thema, bei dem sich im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Themen, die wir jetzt auch in den letzten Tagen gehört haben – Diesel fahrverbot, Klimaschutz, gerade auch Tierschutz –, die Koa litionäre einmal einig sein könnten. Oder täusche ich mich? Die Eckpunkte, wie gesagt, liegen auf dem Tisch, und ich den
ke, sie sollten auch nicht an den Widerständen einzelner Inte ressengruppen und Verbandsvertreter scheitern.
Letzter Satz noch zum Thema Luftrettung. Auch da ist man sich im Grundsatz einig, dass es im Land mehr Standorte für Rettungshubschrauber geben muss. Aber auch hier sind die Ergebnisse eines Strukturgutachtens erst Ende 2019 zu erwar ten. Wir gehen davon aus, dass die Umsetzung dann auch hier wieder viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich befürchte, des halb wird sich im Jahr 2019 im Rettungsdienstbereich nicht mehr viel tun, lasse mich aber gern positiv überraschen.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dr. Goll, es ist kein schlechtes Omen. Sie wissen ja, ich war vor meiner Zeit im Innenministerium mal Sozialpolitiker. Deshalb bin ich daran gewöhnt, dass solche Themen immer am Ende der Tagesord nung aufgerufen werden.
Aber ich sage Ihnen: Das Thema Rettungsdienst – egal, was wir verändern, auch in Zukunft – unterliegt nicht nur in Ba den-Württemberg, sondern überhaupt einer ständigen Opti mierung. Auf der anderen Seite sage ich auch in aller Deut lichkeit: Wir können nicht immer von Selbstverwaltung re den, doch dann immer wieder hoffen, dass von staatlicher Sei te alles reguliert wird.
Ich glaube, wir sind uns aber in einem Punkt einig: Im Mit telpunkt unserer Diskussion, der Entwicklung sollte immer der Patient stehen. Deswegen ist auch die Hilfsfristdiskussi on nicht alles. Ich sage Ihnen auch: Ich habe keine Lust – das habe ich im Herbst 2018 einmal mitgemacht –, mich mit ir gendwelchen Fristen aus dem Vorjahr auseinanderzusetzen.
Deshalb habe ich gesagt: Ich möchte, dass wir über die Ein haltung dieser Fristen – darüber diskutieren wir schon ein paar Tage; das wissen wir – künftig monatlich unterrichtet werden, ohne dass wir im Ministerium die Arbeit derjenigen machen, die dafür verantwortlich sind. Aber wir müssen es trotzdem mal tun. Denn mit der monatlichen Vorlage erkenne ich: Han delt es sich um strukturelle Probleme – das sehe ich nicht, wenn ich einen Wert über das ganze Jahr bekomme –, oder habe ich in einem Monat einen guten Wert und in einem an deren Monat einen nicht akzeptablen Wert? Im letztgenann ten Fall geht es an die Ursachenforschung: Warum hatte ich in diesem Monat einen schlechten Wert?
Jetzt sollte man eines nicht tun, nämlich diese Hilfsfristen – ich sage es noch einmal; sie sind nicht alles – mit denen in an deren Ländern mit einer anderen Rettungsdienstgesetzgebung zu vergleichen. Hessen wurde angesprochen. Dort hat man zehn Minuten, das ist schon richtig – aber nicht in 95 % der Fälle, sondern in 90 %.
Andere wiederum nennen die Durchschnittswerte. Wollen Sie einmal die Durchschnittswerte für Baden-Württemberg hö
ren? Sie liegen zwischen sieben und acht Minuten. Wir sagen: In 95 % der Fälle müssen wir diese Fristen einhalten.
Nun bin ich aber auch ehrlich zu Ihnen: Das haben unsere Kol legen vor Jahrzehnten einmal als Gesetzgeber geregelt, indem sie gesagt haben: Wir schaffen für die Hilfsfrist eine Band breite von zehn bis maximal 15 Minuten. Ob wir das in Zu kunft so halten werden, dessen bin ich mir nicht sicher. Ich bin jetzt auch kein Freund mehr davon; denn unsere Kolle gen, die dies damals beschlossen haben, haben gedacht: In Ballungsräumen muss das oberste Ziel sein, diese zehn Mi nuten einzuhalten. Es gibt aber auch Bereiche, in denen ich Glück haben muss, wenn ich die 15 Minuten einhalten kann.
Nur: Insbesondere auch die Kostenträgerseite hat die ZehnMinuten-Frist nie interessiert. Sie sagten immer: „Man darf unterm Strich 15 Minuten brauchen.“ Deshalb sage ich: Las sen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, ob wir das so beibehalten.
Nun haben wir – das will ich aber heute nicht zur Diskussion stellen – in Baden-Württemberg eine doppelte Hilfsfrist: für den Rettungswagen und den Notarzt. In Deutschland haben 14 der 16 Länder keine doppelte Hilfsfrist. Sie haben eine Frist. Auch darüber könnte man vielleicht einmal diskutieren.
Weiter wurde angesprochen, man müsse die gesamte Ret tungskette betrachten, die sogenannte Golden Hour. Dabei lie gen wir in Baden-Württemberg bei 46 Minuten, also eine Vier telstunde darunter.
46 Minuten, bis der Patient einer adäquaten, qualifizierten Versorgung in einer – der Sozial- und Gesundheitsminister ist hier – entsprechenden Klinik zugeführt worden ist. Ich den ke, darauf können wir stolz sein.
Ihre Fristen gehen nicht in die Hilfsfrist ein; aber wenn wir sie nicht hätten, dann wäre die Reanimation tatsächlich ein Riesenproblem.