Protocol of the Session on March 20, 2019

gegnung auf Augenhöhe. Das ist entscheidend. Ein Auftreten in paternalistischer Kolonialherrenmanier verbietet sich,

(Beifall bei den Grünen)

will man nicht die alte, überkommene Ungleichheit fortschrei ben. Solche Haltungen findet man in der Diskussion noch viel zu häufig und leider auch aufseiten mancher, bei denen man ein derart reaktionäres Gebaren nicht vermutet hätte.

Zweitens zeigt die Landesregierung mit dieser Aktion, wie die Kulturhoheit der Länder in verantwortungsvoller Weise prak tiziert wird.

Wenn wir uns aus Baden-Württemberg im Bund, in Europa und weltweit erfolgreich für die Stärkung der Regionen ein setzen, dann packen wir selbstverständlich auch ein schwie riges Thema wie die Restitution eigenverantwortlich an. Das Land hat hier – darauf dürfen wir stolz sein – eine Vorreiter rolle eingenommen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Es ist ein großer Erfolg, den Theresia Bauer letzte Woche auf der Kulturministerkonferenz mit dem Eckpunktepapier zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten erzielt hat.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Für uns können die Bemühungen auf Bundesebene aber nur eine Ergänzung für die Arbeit sein, die wir hier auf Landes ebene zu leisten haben. Dabei kam es für uns übrigens zu kei nem Zeitpunkt infrage, uns, wie einige Kolleginnen und Kol legen es vorgeschlagen hatten, auf juristische Besitzpositio nen zurückzuziehen und den Kampf für Gerechtigkeit ande ren zu überlassen.

Die Übernahme der Verantwortung für die deutsche Koloni algeschichte und ihre Folgen erfordert, dass wir die Herkunft der in Baden-Württemberg befindlichen Kulturgüter weitest gehend aufklären und den weiteren Verbleib der Gegenstän de im Einvernehmen mit den Herkunftsländern und betroffe nen Bevölkerungsgruppen regeln.

Deshalb steht für uns die Erforschung der Provenienz, der Herkunft der Gegenstände, an erster Stelle. Das Land geht hier mit seinen Hochschulen und Museen voran. Aber auch die kommunalen und privaten Museen und Sammlungen werden bei dieser wichtigen Aufgabe unterstützt. Mittelfristig wün schen wir uns eine zentrale Fachstelle im Land als Ansprech partner für alle betroffenen Einrichtungen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Thomas Blenke CDU)

Eines der wesentlichen Anliegen der wissenschaftlichen und politischen Vertreter der Herkunftsregionen der kolonialen Raubkunst ist Transparenz. Welche Kulturgüter befinden sich wo? Wo kommen sie her? Was ist ihre Geschichte? Wir set zen hier auf einen fairen Interessenausgleich mit den Her kunftsgesellschaften. Dieser kann im Einvernehmen mit den Berechtigten anstatt in der Rückführung beispielsweise im Rückkauf durch unsere Museen oder in einer Leihgabe im An

schluss an die Restitution bestehen, insbesondere dort, wo ei ne Rückgabe ohne Gefährdung der Kulturgüter nicht möglich erscheint.

Im Idealfall entwickeln sich aus den Restitutionsprozessen langfristige Kooperationen mit Museen und Institutionen in den Herkunftsländern. Dazu gehören z. B. Stipendienpro gramme für Kuratoren, die Finanzierung gemeinsamer Pro jekte für die Forschung oder der Auf- und Ausbau kultureller Infrastruktur.

Das Linden-Museum in Stuttgart, aus dessen Beständen die Witbooi-Bibel und -Peitsche stammen, unternimmt gerade mit der Ausstellung „Wo ist Afrika?“ den Versuch, sich mit der ei genen Sammlung unter Einbeziehung der Besucherinnen und Besucher kritisch auseinanderzusetzen.

Dabei zeigt sich die Notwendigkeit eines vertieften museums pädagogischen Ansatzes. Die Gegenstände müssen in ihrem Kontext gezeigt werden und eine Geschichte erzählen; andern falls sind sie nichts weiter als totes Material. Ein altes afrika nisches Musikinstrument anzuschauen kann nicht befriedigen, seinen Klang zu hören schon.

Zum Schluss möchte ich mich der Forderung des französi schen Präsidenten Emmanuel Macron anschließen, der 2017 im Anschluss an seinen Besuch in Ouagadougou in Burkina Faso – ehemals Französisch-Westafrika – formuliert hat:

(Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

Das kulturelle Erbe Afrikas kann nicht Gefangener der europäischen Museen sein.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die derzeit noch in unseren Museen und Archiven gefangen gehaltenen Artefak te zu befreien und ihnen ihre kulturelle Bedeutung zurückzu geben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Razavi das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer die Welt bereist, kann sich ihnen nicht entziehen: Der Kolonialismus, der Im perialismus haben ihre Spuren hinterlassen, haben Landkar ten gezeichnet und das Gesicht der Welt geprägt.

Aber ist das heute noch wichtig? Geht es uns etwas an? Müs sen wir uns damit beschäftigen? Ich meine: Ja, es geht uns et was an. Denn die Kolonialgeschichte wirkt bis in die heutige Zeit fort. Es ist Teil unserer historischen Verantwortung ge genüber den Menschen in den ehemaligen Kolonialgebieten, die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Es ist unsere histori sche Verantwortung, das Unrecht, das in dieser Zeit gesche hen ist, sichtbar zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Wenn wir das ernst meinen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir auch Antworten auf die Frage finden: Wie

gehen wir mit geraubten Kulturgütern aus früheren Kolonien um?

Der Kollege Kern hat es schon erwähnt: Der französische Prä sident Emmanuel Macron hat in Burkina Faso im November 2017 eine sehr wichtige Rede gehalten. Er hat damit nicht nur einen Kurswechsel in der Erinnerungskultur seines eigenen Landes ausgelöst, sondern er hat auch Deutschland in dieser Frage aufgerüttelt. Er hat eine europäische Debatte über den Umgang mit kolonialen Kulturgütern ausgelöst. Er hat seine Haltung konkretisiert und ein breites Spektrum von Hand lungsmöglichkeiten aufgezeigt – von Austausch und Leihga ben bis hin zur Restitution und anderen Kooperationsformen.

Diese Haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aus mei ner Sicht richtungweisend und beispielhaft. Wenn wir uns heu te mit Kolonialgeschichte beschäftigen, geht es darum, Brü cken, die vor weit über hundert Jahren eingerissen wurden, aufzubauen. Es geht darum, dort, wo Unrecht geschehen ist, die Hand zu reichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen sowie des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Deshalb geht es bei der Restitution um sehr viel mehr als um die Rückgabe von einst geraubten Gegenständen. Es geht da rum, bei allem, was wir jetzt tun, eng mit den Herkunftslän dern zusammenzuarbeiten, nicht zuletzt bei der Forschung. Denn jeder Gegenstand erzählt eine Geschichte, erzählt das Schicksal von Menschen. Ihre Nachfahren wollen das wissen, und ich meine, sie haben auch ein Recht und einen Anspruch darauf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP/DVP)

Diese Geschichten, meine Damen und Herren, lassen sich am besten gemeinsam erforschen.

Die nächste Frage ist: Wie gehen wir mit den einzelnen Ob jekten um? Auch dabei kann uns die Forschung helfen. Im besten Fall kann das sogar zu einer neuen Qualität in den Be ziehungen zu den jeweiligen Herkunftsländern führen – und das muss unser Ziel sein. Ich begrüße deswegen in diesem Zu sammenhang ausdrücklich das Engagement unserer Landes regierung hier in Baden-Württemberg, des Landes BadenWürttemberg in der Frage der Aufarbeitung unseres kolonia len Erbes. Ihre Reise nach Namibia, liebe Frau Bauer, und die Rückgabe von Bibel und Peitsche der Witbooi waren hier ganz sicher ein wichtiger erster Schritt.

Dennoch bleiben die Herausforderungen groß, und im Einzel fall können durchaus schwierige Fragen auftreten, z. B.: An wen soll überhaupt restituiert werden? Wer ist Rechtsnachfol ger der ehemaligen Eigentümer? Ist der Nationalstaat der rich tige Adressat und Empfänger für eine Restitution? Wie geht man mit Entschädigungsforderungen um?

Diese Fragen haben auch bei der Rückgabe der Witbooi-Bi bel und -Peitsche durch die Landesregierung an die Regierung in Namibia eine wichtige Rolle gespielt. Wir erinnern uns: Kurz vor knapp klagte eine Vereinigung der Nama-Stammes ältesten gegen die Rückgabe von Bibel und Peitsche an die Regierung von Namibia. Der SPIEGEL berichtete von – ich zitiere – „auflebenden Spannungen zwischen Teilen der Nama

und der Regierung in Windhoek“, die zeigen würden – ich zi tiere weiter –, „welches Konfliktpotenzial die Restitution von geraubten Kulturgütern aus der Kolonialzeit birgt“.

Aber auch ganz generell stellt sich die Frage, z. B. aufgewor fen von Andreas Kilb in der „Frankfurter Allgemeinen Sonn tagszeitung“ vom 10. März, ob wir uns bei der Rückgabe von geraubter Kunst aus der Kolonialzeit die Empfänger der Ob jekte in Afrika nicht zu sehr nach dem Muster unserer eige nen Gesellschaften vorstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, dass es für all diese Fragen keine pauschalen Antworten und keine pauschalen Lösungen gibt. Wir müssen vielmehr von Fall zu Fall und mit viel Fingerspitzengefühl entscheiden. Deswegen ist es richtig, dass sich Kulturstaatsministerin Grütters, die Kulturminister der Länder und die kommunalen Spitzenver bände vor gut einer Woche auf erste Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten geeinigt haben.

Diese Eckpunkte benennen eines ganz klar: Die Provenienz forschung ist die Grundlage, um die Erwerbsumstände von Sammlungsgut beurteilen zu können. Das klingt zunächst, auf den ersten Blick, trivial, ist es aber, meine ich, nicht. Denn oh ne Provenienzforschung lässt sich gar nicht beurteilen, ob das Wie und das Woher Gründe für eine Rückgabe sind.

Dies muss im einzelnen Fall gründlich aufgearbeitet werden; diese Mühe müssen wir uns machen. Sogenannte postkoloni ale Aktivisten liegen falsch, meine ich, wenn sie sich für eine pauschale Eigentumsübertragung aussprechen und hier einen – vermeintlichen – Zeitdruck vorschieben. Diesen Zeitdruck gibt es nach so langer Zeit gewiss nicht,

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sehr rich tig!)

und er würde den einzelnen Objektgeschichten ganz bestimmt auch nicht gerecht werden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])

Dies würde uns auch die Chance nehmen, die Geschichte der Sammlungsgüter zusammen mit den betroffenen Herkunfts gesellschaften zu erforschen.

Ich freue mich aber auch aus einem anderen Grund über die neuen Eckpunkte. Rückgaben durch ein Land oder eine Kom mune werden im Ausland häufig als Handeln des Gesamtstaats Deutschland wahrgenommen. Umso wichtiger ist es deswe gen, dass Bund, Länder und Kommunen an einem Strang zie hen, sich eng abstimmen, faire Lösungen entwickeln und von einer gemeinsamen Grundlage aus handeln.

Wir dürfen aus der Aufarbeitung der Kolonialzeit keinen Wett lauf mit dem Bund oder unter den Ländern machen. Es geht nicht um den ersten Platz auf dem Podium. Dafür ist das The ma viel zu sensibel und viel zu wichtig.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Vereinzelt Beifall bei der SPD)