Protocol of the Session on March 20, 2019

Weil die CDU es nicht wollte.

Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen – hier sind alle Menschen mit Behinderungen gemeint – ihre politischen Rechte, insbe sondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit allen anderen tei len und wahrnehmen können. Jetzt hat es zehn Jahre gedau ert, bis diese Entscheidung endlich bei uns auf der Tagesord nung steht, und zu Recht kann man das kritisieren.

Zu kritisieren ist jedoch besonders die Haltung der CDU – so wohl hier im Land als auch im Bund –, weil die CDU mit al len Mitteln versucht, die Einführung des inklusiven Wahl rechts im Landtag wie auch im Bundestag aufzuhalten. Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Minister Strobl, den die Re gierungsfraktionen für die heutige Beratung eingebracht ha ben, hat nur ein einziges Ziel: für Ruhe bei diesem Thema im Rahmen der kommenden Kommunalwahl zu sorgen. Danach soll das Thema erneut auf die Agenda gesetzt werden.

Mit der Annahme dieses Gesetzes würden die Wahlrechtsaus schlüsse in unseren Kommunalwahlgesetzen bestehen blei

ben, und das, obwohl sie offensichtlich verfassungswidrig sind. Sie würden nach Ihrer Vorstellung nur vorübergehend nicht zur Anwendung kommen. Dafür gibt es nur einen Be griff, nämlich „Augenwischerei“.

(Beifall bei der SPD)

Der grüne Sozialminister stimmt in der Ressortabstimmung diesem Gesetzentwurf auch noch zu, und die grüne Landtags fraktion unterzeichnet ihn ohne schlechtes Gewissen.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Ja!)

So viel zur grünen Politik zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜ NE: Meine Güte! Selbst nichts hinkriegen!)

Das, was Sie hier vorlegen, ist nichts anderes als ein fauler Kompromiss und ein Einknicken vor der CDU.

Ich erinnere an die bisherige Diskussion. Die Rede von Herrn Minister Strobl bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung kommunalwahlrechtlicher Vorschriften am 9. Mai 2018 veranlasste mich damals, nachzufragen, ob man das in klusive Wahlrecht vergessen habe und ob die Landes-Behin dertenbeauftragte Stephanie Aeffner eingebunden worden sei. Der Innenminister war damals offensichtlich gar nicht im Bil de, worum es eigentlich bei diesem Thema ging.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Wie so oft!)

Im weiteren Verlauf der Debatte hat mein Kollege Stickelber ger auf das Fehlen des inklusiven Wahlrechts hingewiesen. Ich zitiere erneut. Er sagte:

... haben wir den Eindruck gewonnen, dass Sie

also der Innenminister –

vom Thema „Inklusives Wahlrecht“ so weit entfernt sind wie die Erde vom Mond oder vielleicht noch weiter.

(Zuruf der Abg. Gabi Rolland SPD)

Auffällig war schon damals, dass der Minister, der zuständig ist für Menschen mit Behinderungen, offenbar gar nichts zu diesem Thema zu sagen hatte. Es war schon damals klar: Die Regierungsfraktionen und die Landesregierung hatten schlicht weg vergessen,

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Davon kann über haupt keine Rede sein!)

über eine entsprechende Regelung zu beraten, obwohl genau das im geltenden Landesaktionsplan zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention festgehalten wurde. Da sollten Sie vielleicht ab und zu mal hineinschauen.

Um hier auszuhelfen oder, besser gesagt, der Regierung Bei ne zu machen – denn die Zeit wurde allmählich knapp –, ha ben wir damals einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, um das inklusive Wahlrecht rechtzeitig vor der anstehenden Kom munalwahl einzuführen. Dieser Gesetzentwurf wurde aber mit der fadenscheinigen Begründung abgelehnt, man müsse erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Genau! Das ha ben wir gemacht!)

Dabei haben Sie es damals schlichtweg verschlafen – nicht nur der Innenminister, auch der Sozialminister, die Fachspre cher für die Belange von Menschen mit Behinderungen erst recht.

Hinzu kommt, dass Minister Strobl in der Stellungnahme zu unserem Antrag sogar noch bestätigte, dass die Einbindung der Landes-Behindertenbeauftragten deshalb nicht erfolgte, weil es keine diesbezüglichen Regelungen im Gesetzentwurf gab. In der zweiten Lesung aber behauptete er, das inklusive Wahlrecht sei gar nicht übersehen worden. Was für ein Durch einander und was für Widersprüche.

(Beifall bei der SPD)

Frau Aeffner hat damals zu Recht gesagt, dass es nicht sein kann, dass Politik nur handelt, wenn ihr per Urteil attestiert wird, dass die bisherige Praxis verfassungswidrig sei.

Sie hätten das damals in Ihrem Gesetz regeln oder einfach nur unseren Änderungsantrag annehmen können. Aber Sie woll ten gar nichts ändern. Sie hatten das Thema nicht einmal an satzweise auf dem Schirm.

Dann wird in Ihren Presseverlautbarungen permanent behaup tet, man habe keine Insellösung gewollt und ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei eine Regelung nicht mög lich. Merkwürdig ist nur, dass es da offensichtlich mehrere In seln gibt. Ich nenne Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, das Saarland. Diese ha ben die Wahlrechtsausschlüsse entweder bereits ersatzlos ge strichen oder sind aktuell im parlamentarischen Verfahren.

Was wäre passiert, wenn die Entscheidung des Bundesverfas sungsgerichts im Februar nicht so ausgefallen wäre? Ich sage es Ihnen: Sie hätten gar nichts gemacht.

Sie haben vor wenigen Wochen nun erneut einen Gesetzent wurf eingebracht, um sozusagen auf den letzten Metern noch die Teilnahme an der Kommunalwahl möglich zu machen. Kurz nach Einbringung unseres Gesetzentwurfs kam dann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – und jetzt war die Aufregung bei Grünen und CDU riesengroß.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die hält sich sehr in Grenzen!)

Jetzt musste schnell etwas Eigenes her; auf keinen Fall woll te man unseren Entwurf annehmen. Es passt aber leider zur Historie des gesamten Ablaufs, dass jetzt erneut nichts Ge scheites dabei herausgekommen ist. Denn der vorliegende Ge setzentwurf aus dem Hause Strobl hebt die offensichtlich ver fassungswidrigen Passagen nicht auf; er setzt einfach nur ih re Anwendung aus. Man will es sich für einen späteren Zeit punkt offenhalten, Regelungen zu finden, um weiterhin be stimmte Menschen vom Wahlrecht auszuschließen.

Deshalb möchte ich noch einmal für unseren Gesetzentwurf werben. Denn nur unser Gesetzentwurf streicht offensichtlich verfassungswidrige Regelungen aus dem Kommunalwahl recht. Wer das nicht tut, hält Diskriminierungen aufrecht, auch wenn er die Anwendung dieser Regelungen – temporär – aus setzt.

Nur unser Gesetzentwurf bewahrt die Parallelität zu den im Bundestag vereinbarten Wahlrechtsänderungen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das stimmt ge rade nicht, Frau Kollegin! Das stimmt nicht!)

Und sollte man im Bundestag entgegen den dort getroffenen Vereinbarungen doch noch mehr ändern, dann könnte man im Nachgang die Gesetze bei uns auch noch mal ändern. Das muss man beim Gesetzentwurf aus dem Hause Strobl aber oh nehin tun.

Warum also eine Übergangslösung, wie sie jetzt vorliegt? Der Grund ist einfach: Wie im Bund, so auch hier sucht die CDU weiterhin nach Wegen, bestimmte Menschen in Zukunft aus zuschließen. Nichts weiter steckt dahinter. Die Lebenshilfe, die LAG Selbsthilfe und andere haben zum jetzt vorliegenden Entwurf aus dem Innenministerium eine klare Position: Man versteht ebenso wenig wie wir, warum es, anders als im SPDGesetzentwurf, keine dauerhafte Regelung geben soll. Sie von Grün und Schwarz bauen sich hier eine Hintertür mit dem Ziel, die Wahlrechtsausschlüsse zu erhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der grünen Fraktion, schauen Sie doch mal, was Minister Strobl Ihnen da auf Sei te 2 seines Gesetzentwurfs geschrieben hat. Da steht unter „Alternativen“ – der Annahme unseres Gesetzentwurfs; ich zitiere –:

... und ggf. spätere Neuschaffung von Wahlrechtsaus schlüssen...

Damit liefern Sie uns den wahren Grund für die Übergangs lösung sogar noch schriftlich.

Und wo bleibt die Intervention von Herrn Minister Lucha? Dröhnendes Schweigen.

Ich möchte abschließend feststellen: Es geht hier um die Rech te und um ein klares Zeichen für die betroffenen Menschen, dass wir Inklusion verstanden haben und endlich anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen nicht ausgeschlossen wer den dürfen und wir ihnen die gleichen Rechte zuzugestehen haben wie Nichtbehinderten. Es ist am Ende nicht entschei dend, ob das Recht, zu wählen, auch wahrgenommen wird; es geht hier um das Recht selbst – nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD – Abg. Andreas Stoch SPD: Sehr gut! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Sehr gut! Gu te Rede! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: In Re gierungsverantwortung nichts hinkriegen und hier die Backen aufblasen!)

Für die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Dr. Leidig, und ich darf Sie darauf auf merksam machen, dass es ihre erste Rede hier im Haus ist.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben gerade darauf hin gewiesen: Das ist meine erste Rede hier in diesem Haus. Ich freue mich, gerade in dieser Angelegenheit nun zu Ihnen zu sprechen.

Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um die Aufhe bung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung im Wahl

gesetz. Von dieser Ungleichbehandlung sind in Baden-Würt temberg 5 900 Menschen betroffen.

Hier im Landtag teilen wir das Ziel: Wir alle wollen die pau schalen Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinde rungen in Vollbetreuung aufheben.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Konrad Epple CDU)

Es gibt unterschiedliche Auffassungen über den Weg dorthin, aber im Ziel besteht Einigkeit. Das ist wichtig; das ist wich tig für die Inklusion, und es ist auch wichtig für unsere De mokratie.