Protocol of the Session on January 31, 2019

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Rückwärtsgewandte Politik bedeutet nicht Fortschritt, son dern Rückschritt und Zukunftsverweigerung. Wir stehen vor tief greifenden Veränderungen in Europa und auch weltweit. Die zentralen Fragestellungen und Herausforderungen, um die es dabei geht, hat die EU-Kommission in ihrem Weißbuch zu sammengefasst und dabei fünf mögliche Szenarien für die Zu kunft Europas entwickelt.

Die Europäische Union hat sich aus Jahrhunderten voller Aus einandersetzungen und Kriege entwickelt, und der europäi sche Einigungsprozess war gewiss alles andere als einfach. Heute umfasst die EU 508 Millionen Menschen auf einer Flä che von 4 Millionen km2, nach China und Indien die drittgröß te Bevölkerung der Welt. Dies macht die Bedeutung Europas deutlich. Diese Position darf nicht einem Rückfall in alte, ver meintlich bessere Zeiten der Kleinstaaterei geopfert werden.

Europa hat Schwächen und Defizite. Deshalb ist es wichtig, zu reflektieren, was gut ist und wo wir dringend handeln müs sen,

(Abg. Anton Baron AfD: Dann handeln Sie endlich!)

um die Weichen für eine weitere gute Entwicklung zu stellen.

Das Weißbuch und die fünf Szenarien sind eine Orientierungs hilfe zur Kursbestimmung mit höchst unterschiedlichen Kon sequenzen. Ein „Weiter so wie bisher“ – Szenario 1 – wäre das Ende der Europäischen Union, denn wir hätten keine Ant worten auf die globalen Herausforderungen.

Auch als Bundesland braucht Baden-Württemberg hierzu ei ne klare Haltung, und wir sollten wissen, wie sich die Landes regierung dazu positioniert. Ganz klar ist das aber nicht. Dem aktuellen Europaleitbild nach zu schließen, bewegt sich die

Landesregierung jedoch irgendwo zwischen den Szenarien „Wer mehr will, tut mehr“ und „Weniger, aber effizient“.

Doch welche Gestaltungsspielräume sieht denn die Landes regierung für sich? Ist es nicht so, dass sie mit staatstragen den Bekenntnissen zwar verbal mehr Europa einfordert, gleich zeitig aber mit geradezu inflatorisch verwendeten und im Kern abweisenden Schlagwörtern der Subsidiarität den Rückwärts gang einlegt? Wie sonst ist es zu verstehen, wenn Sie beim Thema Subsidiarität beklagen, die Vorschläge der Kommissi on griffen zu kurz, und verlangen, man möge sich verpflich ten, bevorzugt auf das Instrument der unverbindlicheren Richt linie anstelle der unmittelbar wirksamen Verordnung zurück zugreifen? Wer vergeblich Gas gibt, gleichzeitig jedoch die politische Handbremse zieht, bringt Europa in Wahrheit nicht voran.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Da niel Karrais FDP/DVP)

Auch zu konkreten Projekten der europäischen Zusammenar beit und Integration haben wir nicht allzu viel gehört. Wer es mit dem Motto bzw. Szenario 3 – „Wer mehr will, tut mehr“ – ernst meint, muss Schwerpunkte setzen, um genau hier auch mehr zu tun. Spielräume, um eigene Akzente zu setzen, gäbe es genug, beispielsweise die Donauraumstrategie, laut Staats ministerium ein zentraler Baustein der Europapolitik der Lan desregierung. Doch wo bleibt hier das Mehr? Bis jetzt haben wir es nicht gesehen.

Genauso die „Vier Motoren“ bzw. die vier Regionen für ein starkes Europa – ein gutes und zukunftweisendes Projekt, das EU-weit beispielgebend sein kann, wie man länderübergrei fend gut zusammenarbeitet. Auch hier wäre mehr Engagement sicherlich gut. Denn Baden-Württemberg ist eine zutiefst eu ropäische Region mit einer langen Binnengrenze zu Frank reich, mit vielen zukunftweisenden, grenzüberschreitenden Projekten, gelebter europäischer Partnerschaft und obendrein mit einer EU-Außengrenze zur Schweiz.

Aus all diesen Gründen müssen wir ein starkes Interesse da ran haben, dass sich die EU in einem ambitionierten politi schen Reformprozess weiterentwickelt. Dies gilt aufgrund der vielseitigen ökonomischen Verflechtungen gerade für unser exportabhängiges Land.

Für uns, die SPD-Fraktion, ist daher klar: Das Leitbild ist Sa che der Landesregierung, bzw. es ist Regierungshandeln. Un abhängig davon muss sich aber auch das Parlament von Ba den-Württemberg zum Weißbuch positionieren und auf Basis dieser Szenarien auch eine eigene Kursbestimmung vorneh men. Diese Diskussion könnte z. B. in eine gemeinsame Re solution des Landtags einmünden, die die Landesregierung im europäischen Reformprozess unterstützt oder auch eigene Ak zente setzt.

Deswegen begrüßen wir, dass wir heute die Entschließungs anträge zurück an den Europaausschuss geben und dort viel leicht zu einer gemeinsamen Positionierung kommen. Ein sol ches Papier oder eine solche Resolution wäre ein Signal an die Menschen in unserem Land, dass wir es wirklich ernst meinen mit Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Nese Erikli GRÜNE und Daniel Karrais FDP/DVP)

Nun spricht für die FDP/ DVP-Fraktion Herr Abg. Karrais.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Weißbuch zur Zu kunft Europas ist definitiv ein wichtiger Beitrag zu der Debat te, wie es mit der Europäischen Union weitergehen kann. Das ist eine gute Diskussionsgrundlage. Es ist schade, dass das Weißbuch im öffentlichen Diskurs etwas aus dem Fokus ge raten ist. Aber umso wichtiger ist es, dass wir heute auch hier darüber sprechen. Denn genau jetzt brauchen wir die Ideen, wie es in der Europäischen Union weitergehen kann. Wenn ich dann von den Kollegen der AfD hier höre, dass die EU eventuell abgeschafft werden soll – –

(Abg. Udo Stein AfD: Reformiert werden soll!)

Ja, reformiert. Es wurde auch „aufgelöst“ gesagt. Das habe ich selbst gehört.

(Zuruf des Abg. Udo Stein AfD)

Jetzt hören Sie mir erst einmal zu. – Das, was Sie hier for dern, ist ein Verrat an der nachfolgenden Generation. Denn Sie setzen mit Ihren Forderungen die Zukunft, den Frieden, die Freiheit und den Wohlstand in der Europäischen Union und in Europa ganz klar aufs Spiel.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen, der CDU und der SPD – Zuruf von der AfD: Quatsch!)

Die AfD hat Angst vor dem Satz: „Deutschland schafft sich ab.“ Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Wenn die AfD ans Ruder kommt, wird sie es sein, die Deutschland abschafft.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der Grünen)

Herr Abg. Karrais, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stein?

(Abg. Udo Stein AfD: War ja klar!)

Für uns Freie Demokraten ist eines klar: Wir brauchen mehr Europa.

(Beifall des Abg. Andreas Glück FDP/DVP)

Das heißt für uns: Wir brauchen einen klaren Schutz der Au ßengrenzen. Denn nur wenn wir die Außengrenzen absichern können, können wir auch den Schengen-Raum als Grundlage für unseren Wohlstand halten.

(Abg. Emil Sänze AfD: Wie wollen Sie das machen? Die anderen bevormunden, oder was?)

Das geht, indem man z. B. die Grenzschutzagentur Frontex stärkt, Herr Sänze.

(Abg. Emil Sänze AfD: Die anderen lassen es zu!)

Wir brauchen mehr ein gemeinsames Auftreten in der Außen politik. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel: Chinas Bevöl kerung wird auf 1,41 oder 1,42 Milliarden Einwohner ge

schätzt. Wenn Sie aufgepasst haben: Die zweite Nachkom mastelle entspricht ungefähr der Bevölkerung von Deutsch land. Das heißt: eigentlich nur ein Rundungsfehler. Wenn wir also auf der Weltbühne irgendwas erreichen wollen, können wir das nur gemeinsam mit unseren europäischen Freundin nen und Freunden. Denn allein werden wir nichts erreichen können, weil wir in der Welt nicht ins Gewicht fallen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Abge ordneten der Grünen und der CDU – Zurufe von der AfD)

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Ihre Zwischenfragen nicht zugelassen wurden. Sie müssen das nicht durch Zwischenrufe ersetzen. Und las sen Sie jetzt bitte den Redner aussprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Da geht es auch um das The ma Handelspolitik. Der Kollege Gramling hat es dankenswer terweise schon angesprochen und ausgeführt.

Aber wir müssen auch im Bereich der Verteidigung gemein sam denken und gemeinsam agieren. Wir treten hier für das gemeinsame langfristige Ziel einer europäischen Armee ein. Denn das steigert nicht nur die Effizienz, es stärkt auch die Identifikation mit der Europäischen Union, und vor allem wä re es auch ein Beitrag zur weiteren Verständigung der Mit gliedsstaaten in der Europäischen Union.

(Beifall der Abg. Nico Weinmann und Andreas Glück FDP/DVP)

Auch hinsichtlich der Energiewende als dem wichtigsten The ma unserer Zeit müssen wir gemeinsam denken. Denn Allein gänge eines Staates oder eines Bundeslands

(Zuruf des Abg. Dr. Heiner Merz AfD)

führen nicht weiter, weil sich das Weltklima letztendlich nicht dafür interessiert, wo CO2 eingespart wird. Es interessiert sich nur dafür, dass CO2 eingespart wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der SPD)

Wenn wir hier Kohlekraftwerke abschalten und dann den Koh lestrom aus Polen importieren, wird uns das auch nicht wei terhelfen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Die AfD will die Europäische Union reformieren. Sie will sie vielleicht auch auflösen. So ganz klar haben Sie sich da jetzt nicht geäußert. Aber irgendwie wollen Sie sie doch auflösen.

(Abg. Dr. Bernd Grimmer AfD: Nicht abschaffen! Neu formieren, habe ich gesagt!)