Darum ist es mir ein besonderes Anliegen, mich hier und heu te für das Wahlrecht der Behinderten einzusetzen. Dass bei Wahlen betrogen werden kann, ist uns allen bewusst. Das rechtfertigt jedoch nicht, Menschen das Wahlrecht vorzuent halten. Sowohl die Möglichkeit der eidesstattlichen Versiche rung als auch unser Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Bür ger sollten uns alle für ein inklusives Wahlrecht stimmen las sen.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin, verehrte Kol leginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzent wurf, mit dem das Kommunalwahlrecht in einigen Punkten an die Bedürfnisse der Praxis angepasst werden soll. Nach dem nun bei den Beratungen im Innenausschuss und auch hier im Plenum die Frage des Wahlrechtsausschlusses von betreu ten Personen breiten Raum eingenommen hat, möchte ich da zu ein paar Dinge klarstellen.
Unter diesem Tagesordnungspunkt wird ja auch der Antrag der Fraktion der SPD zum inklusiven Wahlrecht behandelt. Herr Kollege Stickelberger, vorweg die Klarstellung: Ich schätze Sie sehr, aber das, was Sie heute in den Raum gestellt
haben, nämlich dass die Landesregierung die Behinderten ver gessen hätte, weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Dann stellen Sie das heu te unter Beweis! In Ihrem Gesetzentwurf steht dazu aber nichts drin! – Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)
(Abg. Reinhold Gall SPD: Bei Ihnen steht dazu nichts drin! – Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)
Eingangs möchte ich – erstens – verdeutlichen, um welchen Personenkreis es hier geht. In den Diskussionen wird zuwei len der Eindruck erweckt, Menschen mit Behinderungen sei en generell vom Wahlrecht ausgeschlossen.
Davon kann keine Rede sein. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sind nach geltender Rechtslage nur diejenigen Personen, für die durch richterliche Entscheidung ein Betreuer für alle ihre Angelegenheiten bestellt ist. Für eine solch umfassende Be treuung sind die gesetzlichen Vorgaben äußerst streng. Dies kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn jemand auf grund einer psychischen Krankheit oder einer physischen, geistigen oder seelischen Behinderung seine gesamten Ange legenheiten nicht mehr selbst besorgen kann.
Nach einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2016 entspricht die Zahl der betroffenen Personen einem Anteil von etwa 0,8 % aller Menschen mit einer anerkannten Behinderung. Anders herum ausgedrückt: 99 % der Menschen mit Behinderungen können ihr Wahlrecht in gleicher Weise wie nicht behinderte Menschen ausüben. Dieses Faktum wollte ich einfach noch nennen.
Zweitens: Für die Landesregierung und für mich persönlich, aber auch im Namen des Kollegen Lucha möchte ich sagen: Uns ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Be hinderungen ein wichtiges Anliegen.
Wir stehen deshalb zu dem von der Vorgängerregierung erar beiteten Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behinderten rechtskonvention. Dort ist auch das Vorgehen bezüglich der genannten Wahlrechtsausschlüsse festgelegt. Danach sollen die für Menschen mit Behinderungen geltenden Wahlrechts ausschlüsse unter Berücksichtigung der Handlungsempfeh lungen einer vom Bund in Auftrag gegebenen Studie und der hierzu vom Bund zu treffenden Entscheidungen überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Das ist der beschlossene Ak tionsplan.
Die Studie liegt seit 2016 vor. Ein ersatzloser Wegfall des Aus schlussgrunds für betreute Menschen, wie ihn der vorliegen de Änderungsantrag der SPD vorsieht, wird dort ausdrücklich nicht empfohlen. Gerade diese Einschätzung zeigt, dass die Lösung nicht so einfach ist, wie manche es sich vorstellen. Das rechtlich schwierige Problem dabei ist, dass unter den Be treuten eben auch Personen sind, die aufgrund ihrer Behinde rung tatsächlich nicht in der Lage sind, eine eigene Wahlent scheidung zu treffen, z. B. wegen einer Altersdemenz in sehr weit fortgeschrittenem Zustand. Nicht zulässig wäre es, dass für solche Personen dann jemand anders die Wahlentschei dung trifft. Das wird auch von der UN-Behindertenrechtskon vention nicht verlangt.
Die Vorschläge der Studie zielen letztlich alle auf Änderun gen im Betreuungsrecht ab. Für das Betreuungsrecht ist letzt lich aber der Bund zuständig. Im Aktionsplan ist daher aus drücklich festgelegt, dass das Land die Handlungsempfehlun gen der Studie und die seitens des Bundes zu treffenden Ent scheidungen abwarten wird. Dieses Vorgehen erscheint auch sinnvoll.
Noch einmal, Herr Kollege Stickelberger: Wir haben das nicht vergessen, sondern halten uns an den Aktionsplan und die Empfehlungen, die in der Studie stehen. Die Landesregierung hält sich somit an die im Aktionsplan vorgesehene Verfahrens weise. Änderungen bezüglich des aktiven und passiven Wahl rechts sind deshalb in den vorliegenden Gesetzentwurf be wusst noch nicht aufgenommen worden – aber nicht etwa ver gessen worden, wie Sie von der Opposition es heute leider zu Unrecht dargestellt haben.
(Abg. Sabine Wölfle SPD: Nein! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Dazu ist in der Sitzung nichts gesagt worden!)
Ich habe Herrn Kollegen Stickelberger schon sehr genau zu gehört und habe auch gehört, dass er – sehr zum Ärger von Kollegen Lucha und mir – die Behauptung aufgestellt hat, die Landesregierung habe das einfach vergessen.
Vor diesem Hintergrund war eine Beteiligung der Landes-Be hindertenbeauftragten im Anhörungsverfahren zu diesem Ge setzentwurf auch nicht erforderlich. Die Landes-Behinderten beauftragte wird stets in den gesetzlich vorgesehenen Fällen – und zwar auch gern – beteiligt, und sie wurde hier auch kei nesfalls übergangen. Auch das weise ich entschieden zurück.
Zudem ist ihre Stellungnahme zu der Thematik in der Äuße rung der Landesregierung zu dem hier mit zu beratenden An trag der Fraktion der SPD auch enthalten.
Es ist richtig, dass einige wenige Bundesländer den Wahl rechtsausschluss von betreuten Personen in ihrem Landtags- und Kommunalwahlrecht bereits entgegen den Empfehlun gen der Studie gestrichen haben.
Ich möchte das, was andere Landesparlamente im Rahmen ih rer eigenen Gesetzgebungshoheit regeln, hier nicht bewerten. Es muss aber nicht von vornherein per se gut und richtig sein, nur weil es andere so gemacht haben. Es sind – das haben Sie auch nicht vorgetragen – auch keinerlei Erfahrungen aus der Praxis aus den betreffenden Bundesländern mit den dortigen Neuregelungen bekannt, die uns irgendeinen Grund geben würden, das jetzt auch entgegen den Empfehlungen zu ma chen.
Viel wichtiger als das, was andere Länder tun, ist in diesem Fall, was der Bund in seinem Wahlrecht – also für die Bun destags- und die Europawahl – regelt. Zum einen ist das schon wegen der erwähnten engen Verzahnung mit dem Betreuungs recht von Bedeutung, zum anderen werden häufig verschie dene Wahlen an einem Wahltag durchgeführt. So ist die ge meinsame Durchführung der Europawahl und der Kommu nalwahlen in diesem Land, in Baden-Württemberg, schon fast eine Tradition, und das Innenministerium beabsichtigt, die ge meinsame Durchführung auch für das Jahr 2019 festzulegen.
Aber auch zusammen mit der Bundestagswahl gab es bereits eine ganze Reihe von Bürgermeisterwahlen, Bürgerentschei den und anderes mehr. Es ist den betroffenen Personen, den Wahlorganen, den Wahlbehörden schwer zu vermitteln, war um der gleiche Personenkreis bei einer Wahl wählen darf und bei der anderen nicht.
Derzeit besteht im Bundestags- und im Europawahlrecht der gleiche Wahlrechtsausschluss von betreuten Personen wie in unserem Kommunalwahlrecht. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Bund ist vereinbart, diesen Wahl rechtsausschluss aufzugeben. Wann und auf welche Weise dies umgesetzt wird, sollten wir abwarten. Wenn der Bundestag das Europawahlgesetz noch vor der Europawahl im nächsten Jahr ändert, können wir das in unserem Kommunalwahlrecht übernehmen.
Wie in den Beratungen schon mehrfach erwähnt, ist außerdem im Laufe dieses Jahres noch eine grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten. Gegenstand ist eine Wahlprüfungsbeschwerde bezüglich der Verfassungsmä ßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse im Bundeswahlgesetz. Ich erwarte davon wichtige Hinweise des Bundesverfassungsge richts, vielleicht auch zu den Möglichkeiten für den Gesetz geber, diese durchaus schwierige Materie auch anders zu re geln. Es ist deshalb in jedem Fall vernünftig, diese Entschei dung aus Karlsruhe abzuwarten.
Aus meiner Sicht besteht daher überhaupt kein Anlass, bereits jetzt eine überhastete Regelung nur für die Kommunalwahlen zu treffen. Sollte sich aus der Entscheidung des Bundesver fassungsgerichts oder den Gesetzgebungsaktivitäten auf Bun desebene Änderungsbedarf ergeben, wird die Landesregie rung selbstverständlich unverzüglich die Konsequenzen prü fen und dem Landtag über die Ergebnisse der Prüfung berich ten und gegebenenfalls selbstverständlich einen weiteren Ge setzentwurf zur Änderung des Kommunalwahlrechts vorle gen.
Das Anliegen, das die Fraktionen der Grünen und der CDU mit ihrem Antrag heute zum Ausdruck bringen, unterstütze ich daher selbstverständlich.
Nun – ganz kurz, aber wir haben das ja bereits ausführlich be raten – möchte ich noch etwas zu dem eigentlichen Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs sagen. Die wesentlichen Punk te – wie die höhere Zahl von Kandidaten in den Wahlvorschlä gen und der Mandatsverlust bei einem Parteiverbot – hatte ich Ihnen bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs am 9. Mai dargestellt.
Wie die bisherigen Beratungen hier im Plenum und auch im Innenausschuss gezeigt haben, besteht bei den meisten Punk ten des Gesetzentwurfs Einvernehmen oder doch zumindest eine breite Zustimmung, für die ich mich herzlich bedanke. Das freut mich. Denn gerade beim Wahlrecht, das zum Kern unserer Demokratie gehört, halte ich es für wichtig, dass Än derungen von einer möglichst breiten partei- und fraktions übergreifenden Mehrheit, von einer breiten Mehrheit der de mokratischen Kräfte mitgetragen werden. Dass uns dies ge lingt, ist sehr schön, und dass auch von den kommunalen Lan desverbänden die vorgesehenen Änderungen befürwortet wer den, kommt erfreulicherweise ergänzend hinzu.
Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich darf Sie darauf hinweisen, dass bereits ab dem 20. August dieses Jah res mit der Aufstellung der Kandidatenlisten für die Kommu nalwahlen 2019 begonnen werden kann.
Wesentliche Teile des Gesetzes sind bereits für das Aufstel lungsverfahren relevant, und deswegen bitte ich Sie auch sehr darum, heute dem Gesetzentwurf der Landesregierung zuzu stimmen, um ein baldmöglichstes Inkrafttreten des Gesetzes zu ermöglichen.
Damit stehen die entscheidenden Spielregeln für die Kommu nalwahl weit vor dem Anpfiff des Spiels fest, und es ist gut, wenn alle über die Spielregeln Bescheid wissen, bevor das Spiel beginnt. So wollen wir es auch mit dem Wahlrecht hal ten, und durch Ihre Zustimmung ermöglichen Sie, dass das rechtzeitig geschieht.
Mir liegt jetzt eine Wort meldung aus den Reihen der SPD-Fraktion vor. Gibt es noch andere Wortmeldungen? – Nein.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Wenn wir hier in diesem Hohen Haus über die Umsetzung der einzelnen Schritte des Bundesteilhabege setzes sprechen, wenn wir einen Landes-Behindertenbeirat einsetzen, der die Interessen der Menschen mit Handicap wahrnehmen soll, wenn die Landesregierung eine unabhän gige Beauftragte ernennt, die seitens aller Ministerien einbe zogen werden soll, wenn es um Menschen mit Behinderun gen geht, und wenn dann noch vor dem Hintergrund eines Landesaktionsplans, der in der letzten Legislaturperiode durch den vormaligen Landes-Behindertenbeauftragten Gerd Wei mer mit großer Beteiligung aller Akteure 2012 entwickelt wur de, jetzt als zentrales Anliegen das Recht auf politische Betei ligung durch Wahlen im vorgelegten Gesetzentwurf zur Än derung kommunalrechtlicher Vorschriften nicht aufgegriffen wurde, dann dürfen wir als Opposition zu Recht fragen, wo
denn alle oben genannten Akteure beteiligt wurden und ob man nicht tatsächlich diesen Punkt schlicht und einfach ver gessen hat.
Wir, die SPD-Fraktion, haben Sie bereits vor Wochen auf die sen Punkt hingewiesen. Herr Minister Strobl, ich habe Ihnen hier damals in der ersten Lesung eine Zwischenfrage gestellt, und ich hatte – mit Verlaub – nicht den Eindruck, dass Sie die ses Thema wirklich auf dem Schirm hatten. Sie wirkten auf mich ziemlich überrascht.