Protocol of the Session on April 25, 2018

635 Lehrerstellen waren zu Beginn des Schuljahrs 2017/2018 nicht besetzt, und 455 Lehrerstellen konnten gar nicht besetzt werden. Der Unterrichtsausfall beläuft sich laut Stichprobe auf durchschnittlich 3,6 %. Vor allem in Gebieten abseits der großen Ballungszentren und Universitätsstädte hat der Leh rermangel für manche Schulen mittlerweile ein besorgniser regendes Ausmaß angenommen.

Wie auch schon an anderer Stelle betont, halten wir zusätzli che Anstrengungen und viel mehr Kreativität bei der Lehrer gewinnung für dringend erforderlich. Wir unterstützen die Maßnahmen der Kultusministerin, wie beispielsweise bei Pen sionären für eine Rückkehr zu werben oder die Übernahme zusage für ausgebildete Gymnasiallehrer, die bereit sind, mit einer entsprechenden Nachqualifizierung an den Grundschu len einzuspringen.

Das sind aber in erster Linie Notfallmaßnahmen. Wenn wir einen ausreichenden und qualifizierten Lehrernachwuchs auf Dauer sicherstellen wollen, müssen wir an der Perspektive des Lehrerberufs insgesamt arbeiten. Der Kollege Dr. Fulst-Blei von der SPD sagte in der Presse gestern – Zitat –:

Statt kreativer Buchführung des Kultusministeriums braucht es eine schonungslose Analyse der aktuellen Situation.

Diese schonungslose Analyse kann ich Ihnen und den Kolle gen der Grünen sehr gern geben. Sie saßen in Ihrer Regie rungszeit im Finanz- und im Kultusressort und haben das Pro blem des Lehrermangels vollkommen verschlafen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Dr. Kern, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Räpple zu?

Nein. Wenn Herr Räpple sich an die allgemeinen Gepflogenheiten hier im Parlament hält, dann vielleicht zukünftig mal wieder, aber momentan se he ich dafür keine Notwendigkeit.

(Vereinzelt Beifall)

Zweitens: Sie wollten die Lehrer in unserem Land zu Lernbe gleitern degradieren. Sie jagten ferner eine bildungspolitische Sau nach der anderen durchs Dorf und nahmen vielen Leh rern Motivation und Freude an ihrem Beruf, und Sie schreck ten mit Ihrem Beschluss, 11 600 Lehrerstellen zu streichen, viele Interessierte von diesem Berufsziel ab. Der grüne Mi

nisterpräsident trug damals wie heute die Gesamtverantwor tung, aber davon möchte er nur wenig wissen.

Stattdessen brauchen wir aber konkrete Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Lehrer, u. a. folgende:

Erstens: Die Sommerferienarbeitslosigkeit von befristet an gestellten Lehrern und Referendaren muss angegangen wer den.

Zweitens: Der Beförderungsstau bei den Fachlehrern muss abgebaut werden.

Und drittens: Schulleiter wie Lehrer müssen dringend von bü rokratischen Aufgaben entlastet werden.

Insbesondere brauchen die Schulen in unserem Land aber mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsfreiheit bei der Per sonalauswahl und Personalentwicklung. Eine Schule sollte ihr Personal weitgehend selbst auswählen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schulscharfe Stel lenausschreibungen!)

ihren Lehrern interessante Beschäftigungs- und Aufstiegsper spektiven bieten und bei drohendem Unterrichtsausfall auf ei ne eigene Vertretungsreserve zurückgreifen können. Auch der Vorsitzende des Berufsschullehrerverbands Herbert Huber hat am Montag deutlich gemacht, dass mehr Eigenverantwortung nicht nur für die beruflichen Schulen von großem Nutzen ist.

Damit jede Schule über eine auskömmliche sowie transparent und fair berechnete Personal- und Finanzausstattung verfügt, brauchen wir zuerst eine fundierte Erhebung des Lehrerstel lenbedarfs. Wir warten deshalb mit großem Interesse auf den Bericht des Rechnungshofs.

Schließlich möchte ich der baden-württembergischen Kultus ministerin die Schulfreiheitsinitiative der nordrhein-westfäli schen Schulministerin anempfehlen. Mehr Schulfreiheit geht dort mit leistungsbezogenen Zielen und verbindlichen Quali tätsstandards einher. Qualität durch Schulfreiheit und verbind liche Standards statt Zentralismus, das wäre das richtige Zu kunftsprogramm für Baden-Württemberg. Denn eines ist doch klar: Nur mit besten Rahmenbedingungen und ebensolchen Entwicklungsmöglichkeiten können wir die fähigsten Persön lichkeiten für den Lehrerberuf gewinnen, und die brauchen wir.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Ganz genau! So ist es!)

Lieber Kollege Balzer, Sie haben uns ja „Max und Moritz“ zum Lesen anempfohlen. Ich hätte auch eine Lektüreempfeh lung, und zwar an die ganze AfD-Fraktion. Wie wäre es mit „Struwwelpeter“? Da empfehle ich Ihnen insbesondere „Die Geschichte von den schwarzen Buben“. Wenn Sie sie einmal durchgelesen haben, fragen Sie sich, warum ich ausgerechnet die AfD-Fraktion gebeten habe, diese Geschichte einmal zu lesen, und sie ihr empfohlen habe.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der Grünen – Abg. Nicole Razavi CDU: Es ist einfach gut, wenn Menschen belesen sind!)

Für die Landesregierung er teile ich Frau Ministerin Dr. Eisenmann das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es sehr sinnvoll ist, dass wir uns heute mit ei nem Thema befassen, das uns natürlich am Herzen liegt, das uns auch am Herzen liegen muss.

Ich kann an den Antragsteller gerichtet sagen: Der Antrag stammt vom Dezember 2016.

(Abg. Anton Baron AfD: Ja! So ist es!)

Es zeugt nicht von einem Höchstmaß an Aktualität, heute da rüber zu debattieren. Deshalb sind wir schon ein Stück wei ter – wie es auch bei anderen Themen häufig der Fall ist.

(Abg. Anton Baron AfD: Geschäftsordnung!)

Aber vielen Dank.

Dass wir im Bereich der Grundschulen, der Sonderpädago gik, im Bereich der Naturwissenschaften stärker als im Be reich der Geisteswissenschaften Handlungsbedarf haben, dass wir zu wenig Bewerberinnen und Bewerber haben, ist bekannt und ist auch nicht zu bestreiten. Das unterscheidet sich in Be zug auf die Regionen Baden-Württembergs. In manchen Re gionen ist die Unterrichtsversorgung – ich spreche vom Pflicht unterricht und nicht vom Ergänzungsunterricht, der ja auch wichtig ist; das muss man ehrlich sagen – auf Kante genäht.

Und ja, seien wir einfach einmal ehrlich: Ein Teil des Prob lems ist natürlich hausgemacht. Natürlich hätte man die gro ße Zahl der Pensionierungen, die in den letzten vier Jahren wie eine Bugwelle über uns hereingebrochen ist, vorhersehen können. Die Altersstruktur der rund 117 000 Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land fällt nicht vom Himmel; das ist kei ne Überraschung, sondern das kann man natürlich in dieser Hinsicht feststellen. Da wurden natürlich einfach dementspre chende Handlungsansätze nicht genutzt, und es wurde schlicht und einfach versäumt, darauf vorbereitet zu sein.

Natürlich hätte man in dem Moment, in dem man die Erwei terung der Stundentafel in den Grundschulen für die Fächer Mathematik und Deutsch beschließt und auch die entsprechen den Stellen schafft, was im Sinne der Qualitätsdebatte inhalt lich sinnvoll und wichtig ist, auch genauso berücksichtigen müssen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der Bewerbermangel absehbar war.

Ferner wurde nicht berücksichtigt – das wurde schon ange sprochen –, dass die Verlängerung der Studiendauer im Be reich des Grundschulstudiums mit einem zeitlichen Versatz eine Bewerberlücke auslöst, wo ein ganzer Absolventenjahr gang gar nicht auf den Markt kommt.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Genau!)

Das ist keine Stärkung, das ist kein Gewinnen von Fachkräf ten, sondern es handelt sich um einen Mangel, der dadurch manifestiert wird, dass man – was halt immer schwierig ist – Beschlüsse fasst, ohne zu berücksichtigen, wie man sie dann umsetzt.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Das nennt man Kurzsich tigkeit!)

Auch der Zuzug zahlreicher Menschen gerade im Jahr 2015 war natürlich in dieser Form nicht zu berücksichtigen und wurde nicht berücksichtigt. Es wurde nicht berücksichtigt, dass wir in der Folge gerade in dem Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ und im Bereich Sprachförderung insgesamt einen hohen Bedarf haben, den wir dankenswerterweise in vielen Bereichen durch Pensionäre, die bereit sind und Lust haben, hier zu helfen und hier mitzuarbeiten, abdecken kön nen. Das ist gleichsam ein Faktor, der zusätzlich hinzukam.

Berücksichtigt werden muss natürlich auch die Entwicklung insgesamt. Dass wir seit vier Jahren wieder einen Anstieg bei den Schülerzahlen haben, wurde ebenfalls nicht berücksich tigt bzw. kalkuliert. Das war nicht nur eine Frage der Kultus ministerkonferenz. Ich verweise mit Genuss auf Studien der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2009, die ja einen Lehrer überschuss konstatiert haben, weil scheinbar die Kultusminis ter nicht rechnen können und die Schülerzahlen deutlich zu rückgehen. Daran erinnert sich die Bertelsmann Stiftung be kanntlich momentan nicht. Auch das sollte man bei dieser Ge legenheit einmal sagen.

Es gab also verschiedene Faktoren, zum Teil ausgelöst durch politische Entscheidungen, aber natürlich auch durch Umstän de, die einen höheren Bedarf auslösen.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage des Herrn Abg. Räpple zu?

Nein.

Wir, die Landesregierung, haben inzwischen reagiert. Wir neh men das Thema ernst, weil – ich zitiere, was einer meiner Vor redner zu Recht gesagt hat; Herr Kern, Sie waren es, glaube ich – guter Unterricht, qualitätsvoller Unterricht, den wir ha ben, eine Grundvoraussetzung erfüllen sollte: Er sollte statt finden.

Deswegen nehmen wir das Thema ernst. Sie wissen: Wir ha ben die Zahl der Plätze für die Grundschulen erhöht. Wir ha ben jetzt erstmals wieder den Ausbildungsstand an Studien plätzen aus dem Jahr 2011. Deren Zahl wurde ja kontinuier lich abgesenkt. Wir werden uns auch – das ist etwas, was ich mit der Kollegin Theresia Bauer sehr eng bespreche – zutrau en, wenn wir einen höheren Bedarf erkennen, dies auch an den Landtag mit einer Bitte heranzutragen, weil wir wollen, dass die Lehrerinnen und Lehrer in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Deswegen müssen wir sie dementspre chend auch ausbilden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Natürlich ist es so, dass wir in manchen Bereichen, gerade im ländlichen Raum, einen größeren Bedarf haben oder zum Teil aus unverständlichen Gründen eine mangelnde Attraktivität des Lehrerberufs bei potenziellen Bewerberinnen und Bewer bern feststellen können.

Herr Kern, wenn Sie davon reden, dass es doch sinnvoll wä re, die Personalhoheit bei den Schulen zu belassen, damit sie Spielraum haben, sich ihre Lehrerinnen und Lehrer zu suchen, stimme ich Ihnen zum Teil zu. Wir haben auch darauf reagiert, dass wir inzwischen gerade für ländliche Regionen im De

zember des Vorjahrs für das Schuljahr, das im September des folgenden Jahres beginnt, schulscharfe Ausschreibungen zu lassen, um frühzeitig Bewerberinnen und Bewerber zu gene rieren und zu binden. Wir haben im ländlichen Raum die Mög lichkeiten von schulscharfen Ausschreibungen in manchen Teilen auf bis zu 100 % erhöht. Es ist aber trotzdem schwie rig. Bei Personalhoheit an den Schulen stellt sich die Frage: Was mache ich mit den Schulen im ländlichen Raum, wo kei ner hinmöchte? Die haben dann keine Lehrerinnen und Leh rer.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Wenn Sie so weiterma chen, wird sich nichts ändern!)