Protocol of the Session on October 12, 2017

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Reinhold Gall SPD: So ein Unfug! Das ist innerhalb Europas und nicht außerhalb Europas!)

Unabhängig davon muss man feststellen, dass das rot-grüne Prostitutionsgesetz

(Abg. Reinhold Gall SPD: Einmal über den Teller rand schauen würde nicht schaden!)

von 2002 die Situation der Prostituierten enorm verschlech tert, die Machenschaften von Kriminellen erleichtert und die Arbeit der Polizei erschwert hatte, weshalb eine Änderung dieses Gesetzes grundsätzlich begrüßenswert ist, auch wenn es mit der Umsetzung des vom Bundestag beschlossenen Pro stituiertenschutzgesetzes nicht getan sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Deshalb muss ich Minister Lucha unbedingt recht geben: Es kann erst der Anfang sein.

Wir sprechen aber heute über das Ausführungsgesetz hier auf Landesebene. Dabei sollte es nicht nur um Zuständigkeiten gehen – diese können wir alle nachlesen –, sondern es sollten durchaus Möglichkeiten erwogen werden, dieses Ausfüh rungsgesetz zur Durchsetzung eigener Ziele zu nutzen. Uns, der AfD-Fraktion, geht es insbesondere um die Bekämpfung krimineller Strukturen im Zusammenhang mit Menschenhan del und Zwangsprostitution sowie um den Schutz der Frauen. Diese Bekämpfung wird nur gelingen, wenn wir die Polizei in unserem Land von Anfang an mit einbinden. Deshalb re gen wir eine Mitwirkung der Polizei bereits beim Anmelde prozess an. Denn letzten Endes wird keine andere Behörde besser einschätzen können, ob ein Verdacht oder ein Hinweis auf einen kriminellen Hintergrund vorliegt. Wir müssen der Polizei die Möglichkeit geben, einen umfassenden Überblick über die Strukturen in dieser Szene zu erlangen, um bereits bei ersten Anzeichen intervenieren zu können.

Es muss uns gelingen, dass die zumeist sehr jungen Frauen Vertrauen zu unserer Polizei entwickeln. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass es bei uns keine Korruption gibt und dass die Frauen bei unserer Polizei Schutz finden können. Nur dadurch kann ermöglicht werden – das ist zu hoffen –, dass Frauen den Mut finden, sich aus der Zwangsprostitution zu befreien und eventuell sogar gegen Kriminelle auszusagen. Nur so wird auch eine Bestrafung der Täter überhaupt mög lich sein.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wir plädieren außerdem dafür, dass die Anmeldebescheini gung auf den jeweiligen Stadt- und Landkreis beschränkt wird. Auch hiermit würde man der Polizei entgegenkommen und ihr endlich die Möglichkeit geben, einen Überblick über die Strukturen vor Ort zu erlangen.

Auf den Antrag der Fraktion der SPD und auf die Äußerun gen der Kollegin Wölfle in der Presse möchte ich ebenfalls eingehen.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Frau Wölfle, Sie werfen der Landesregierung mangelndes En gagement im Kampf gegen Menschenhandel vor und wün schen sich weniger Import der 18- und 19-jährigen jungen Mädchen, vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Das wün schen wir uns sicherlich alle. Doch der Adressat ist nicht der richtige. Denn ausnahmsweise sind die Grünen an den Män geln des aktuellen Gesetzes nicht schuld. Der CDU kann man höchstens mangelnde Standfestigkeit vorwerfen; denn das Eckpunktepapier der Union im Bund sah beispielsweise ein Mindestalter von 21 Jahren vor. Verhindert wurden weitrei chende Verbesserungen von der SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wenn Ihnen also der Kampf gegen den Menschenhandel wirk lich wichtig ist – das glaube ich Ihnen sofort –, dann wenden Sie sich doch bitte zuerst einmal an Ihre Kollegen und Partei freunde im Bundestag.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zurufe der Abg. Anton Baron AfD und Andreas Stoch SPD)

Dort hätte man die Möglichkeit, einen viel bedeutenderen Schritt gegen die Ausbeutung der Frauen zu unternehmen.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Sie wissen noch nicht ein mal, von was Sie reden! Jesses Gott!)

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos])

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Frau Abg. Wölfle.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Seit der EU-Osterweiterung können wir beobachten, wie jährlich Hunderte von jungen Frauen, über wiegend 18- bis 20-jährige Mädchen, hauptsächlich aus Bul garien und Rumänien, nach Deutschland in die Prostitution verbracht werden.

Die Methoden dieser mafiösen Strukturen sind uns aus den Medien, aus dem Fernsehen hinlänglich bekannt. Aber auch das Lagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamts be richtet von der häufigen Anwendung von physischer und psy chischer Gewalt, falschen Versprechungen über die Arbeit, die zu verrichten ist – die sogenannte Loverboy-Methode –, oder einfach dem Willen der jungen Frauen, aus Verschuldung und Armut zu fliehen. Letzteres geht sogar so weit, dass eine jun ge Frau die Schulden ihrer Familie in der Prostitution abar beiten kann.

Das Prostituiertenschutzgesetz zum Schutz dieser Frauen wur de im Oktober letzten Jahres im Bund beschlossen und ist am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten. Der Referentenentwurf wurde bereits am 29. Juli 2015 veröffentlicht, und vorher gab es eine lange, lange Diskussionsphase. Insofern hätte die Lan desregierung ausreichend Zeit gehabt, uns vor dem Inkraft treten des Bundesgesetzes einen Ausführungsgesetzentwurf vorzulegen. Andere Länder wie z. B. Nordrhein-Westfalen waren da deutlich schneller.

Die Landesregierung legt hier einen Gesetzentwurf vor, in dem die meisten Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden. Das halten wir auch für richtig, denn bei diesen Auf gaben geht es nicht ohne lokale Ansprechpartner und Kennt nisse, und auch die Gebührenfreiheit ist absolut in unserem Sinn.

Allerdings hat man sich mit den Kommunen über den Aus gleich der entstehenden Kosten nicht auch nur annähernd ei nigen können. Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag steht zu lesen – ich zitiere –:

Das Land versteht sich als fairer und verlässlicher Part ner der Kommunen.

Fragen Sie die Kommunen doch bitte einmal, ob sie sich in dieser Angelegenheit fair und verlässlich behandelt sehen. Ich glaube kaum.

(Beifall bei der SPD)

Für uns ist klar: Wenn das Land den Kommunen neue Aufga ben zuordnet, muss es die entstehenden Kosten auch ausrei chend ausgleichen. Die Kommunen fühlen sich jedoch mit Ih rer Kostenfolgenabschätzung völlig über den Tisch gezogen.

Jetzt sagen Sie vielleicht: „Wir machen doch nach den Absät zen 3 und 4 von § 4 des Ausführungsgesetzes einen nachträg lichen Ausgleich entsprechend der aufgrund des Gesetzes an fallenden Kosten.“ Aber, sehr geehrter Herr Minister, es ist doch schon jetzt absehbar, dass für die Informations- und Be ratungsgespräche Dolmetscher notwendig sind und sich da mit auch die Dauer der Gespräche verlängern wird. Warum also berücksichtigen Sie das nicht?

Ebenso wenig berücksichtigen Sie einen realistischen durch schnittlichen Zeitbedarf für die Anmeldung sowie auch für das Informations- und Beratungsgespräch. Auch das notwen dige Qualifikationsniveau der Mitarbeiter wird außer Acht ge lassen, und dies, obwohl der Hauptteil der Arbeit unzweifel haft von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen oder auf ver gleichbarem Ausbildungsniveau erledigt werden muss.

Für uns ist die massive Kritik seitens der Kommunen berech tigt. Denn sie befürchten zu Recht, dass sie auch nach einer Evaluation auf den erhöhten Kosten sitzen bleiben. Das wird auch durch Ihren Hinweis, dass Sie sich an der Kostenschät zung der Bundesregierung orientiert haben, nicht wirklich bes ser. Ich lese Ihnen dazu aus der Stellungnahme des Bundes rats zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vor – ich zi tiere –:

Der Bundesrat stellt fest, dass die Kosten, die mit dem Gesetzentwurf für die Haushalte der Länder und Kommu nen verbunden sein werden, im Gesetzentwurf nur unzu reichend spezifiziert und ausgewiesen sind. In der Berech nung des Erfüllungsaufwandes der Verwaltung sind bei spielsweise die Mehrkosten für Widerspruchsverfahren oder für Übersetzungen und Sprachmittlung nicht enthal ten.

Ich frage mich, warum Sie, Herr Minister Lucha, dann bei der entscheidenden Sitzung des Bundesrats am 23. September 2016 nicht der Ausschussempfehlung gefolgt sind. Dort gab es eine Ländermehrheit dafür, gerade aufgrund der nicht nach vollziehbaren Kostenschätzung den Vermittlungsausschuss anzurufen. Sie haben leider mit dazu beigetragen, dass diese Mehrheit im Plenum des Bundesrats nicht zustande kam.

Nordrhein-Westfalen hat anders gehandelt und aus den von mir vorhin genannten Gründen die eigene Kostenfolgenschät zung gegenüber der der Bundesregierung um 50 % – ich wie derhole: um 50 % – erhöht. Ich kündige schon jetzt an, dass wir entsprechende Änderungsanträge in die Ausschussbera tungen einbringen werden.

Außerdem fordern wir, dass im Gegensatz zu dem uns jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wieder eine Regelung zur Gültig keit der Anmeldebescheinigungen aufgenommen wird, näm lich so, wie sie auch im Anhörungsentwurf ursprünglich for muliert war – oder sogar noch schärfer. Denn die durch die Bordellbetreiber organisierten Ortswechsel der Prostituierten führen dazu, dass Prostituierte fortlaufend aus ihren sozialen Bezügen vor Ort gerissen werden. Eine erneute Anmeldung macht ihnen deutlich, wo sie vielleicht Hilfe bekommen kön nen. Ein Abdrängen der Prostitution in die Illegalität befürch ten wir dadurch nicht.

Ich glaube, ich muss anhand dieses Beispiels einmal erläu tern, warum wir eher mehr als weniger verpflichtende Hilfs

angebote fordern. Wir glauben nicht mehr an das Märchen von der selbstbestimmt arbeitenden Hure. Für Frauen und spezi ell auch für kaum 18-jährige Mädchen ist das kein Beruf. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch nicht von einem Be ruf sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU, der AfD und der FDP/DVP)

Ich habe in den letzten Jahren viele Gespräche mit Beratungs stellen und übrigens auch mit Frauen, die in der Prostitution sind, geführt. Ich habe die Berichte der Kriminalpolizei gele sen, die im Übrigen weiter gefasst und tiefer gehend sind als die Stellungnahmen der Landesregierung auf meine Anträge dazu.

Mein Bild von der Prostitution in Deutschland und speziell auch in Baden-Württemberg ist, dass nahezu alle Frauen nur unter großem physischen, psychischen und auch finanziellen Druck und ohne Ausweg in der Prostitution arbeiten. Das gilt besonders für die 18-jährigen Mädchen, die den Freiern im mer wieder als „neue, frische Ware“ aus Rumänien oder Bul garien in den Bordellen vorgestellt werden, in der Begleitung von Männern, denen ich niemals – wahrscheinlich ebenso we nig wie Sie – begegnen möchte.

Ich habe ein anderes Bild von der Prostitution; deshalb halte ich es für besser, die jungen Frauen erhalten mehr Informati onen und Beratung – besser einmal zu viel als einmal zu we nig. Dies sollte bitte schön in einer Sprache erfolgen, die sie auch verstehen; es bedarf also der Hilfe von Sprachmittlern.

Ich komme zu einem weiteren wichtigen Punkt: Mit dem neu en Prostituiertenschutzgesetz benötigt der Betreiber eines Pro stitutionsgewerbes eine Erlaubnis von der zuständigen Behör de, also künftig der Stadtverwaltung bzw. des Landratsamts. Diese Erlaubnis soll ihm insbesondere dann versagt werden, wenn er die dafür erforderliche Zuverlässigkeit offensichtlich nicht besitzt. Die allermeisten Informationen, die ein Kom munalbeamter für diese Entscheidung benötigt, sind aber in der Kommune in der Regel gar nicht vorhanden – abrufbar sind sie allerdings auf dem Polizeicomputer. Deshalb müssen künftig unsere Kommunen und die Polizei viel enger zusam menarbeiten.

Hierbei steht in der Tat eine Güterabwägung an. Es geht zum einen um den Schutz der Prostituierten und zum anderen um den Schutz von Daten – den ich in unserem Rechtsstaat auch Bordellbetreibern zugestehen muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie ahnen schon, in welche Richtung ich gehen möchte: Für mich ist der Schutz von vulnerablen Mädchen und jungen Frauen von deutlich höherer Bedeutung als der Schutz von Bordellbetreibern.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU, der AfD und der FDP/DVP)

Leider hat mir die Landesregierung auf meinen entsprechen den Berichtsantrag diese Priorität nicht bestätigt. Deshalb wer de ich diese äußerst wichtige Frage in den Ausschussberatun gen noch einmal zum Thema machen.

Zusammenfassend stelle ich fest: Die Landesregierung, in die sem Fall federführend die Herren Minister Lucha und Strobl, nutzt nicht die Chancen, ein auf der Bundesebene durchaus nicht unumstrittenes Gesetz auf der Ebene unseres Bundes

lands zu erweitern und damit den Schutz für die Prostituier ten zu verbessern. Sie haben es überdies nicht fertiggebracht, mit den Kommunen, die das Gesetz ja hauptsächlich ausfüh ren müssen und dies im Übrigen auch wollen, eine faire Ab sprache über die Finanzierung der wirklich notwendigen Kos ten zu treffen. Das ist kein Meisterstück.

Lassen Sie mich zum Schluss eines noch deutlich sagen: Es geht hier nicht um ein niederschwelliges Verwaltungsverfah ren. Das Gesetz bietet uns die Chance, die Notsituation der Frauen zu erkennen und ebenso vielleicht auch die dahinter liegenden kriminellen Strukturen zu sehen. So, wie Sie jetzt dieses Gesetz vorlegen, haben Sie dieses Ziel nicht im Blick. Ihr Gesetzentwurf ist unambitioniert und halbherzig; das ge setzte Ziel wird damit verfehlt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die gravie renden Mängel dieses Gesetzentwurfs gemeinsam in den Aus schussberatungen beheben, und lassen Sie uns vielleicht bei anderer Gelegenheit einmal generell über dieses Thema dis kutieren. Denn, wie Sie zu Recht erwähnt haben, Ihre Vorgän gerin war da sehr ambitioniert und mutig auf dem Weg.