Ich bin froh, dass Minister Wolf und sein Ministerium als Ers te unter den 16 Bundesländern eine umfangreiche Folgenab schätzung zum Brexit vorgenommen haben, in die zudem al le Ressorts eingebunden waren.
Es ist richtig, dass Baden-Württemberg auf der Europaminis terkonferenz einen Antrag für die frühzeitige Beteiligung der Länder gestellt hat. Wir, die Bundesländer, müssen umfassend und regelmäßig informiert werden, weil es u n s angeht, wie es mit Europa weitergeht, weil es auch u n s e r e Zu kunft ist, die durch den Brexit ins Schlingern geraten kann.
Ein zweites Thema beschäftigt uns: Die Kommission hat mit dem sogenannten Weißbuch Thesen zur Weiterentwicklung Europas vorgelegt. Das Fanal des Brexits hat bewirkt, dass ei ne Debatte um die Zukunft Europas in Gang kommt.
Wir hatten einen Tunnelblick aus Verordnungen, Regelwer ken und Freihandelsdebatten, aber dabei hatten wir das Fun damentale aus den Augen verloren. Es war am 9. Mai 1950, als Robert Schuman nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Paris den Vorschlag zur Errichtung der Europäischen Ge meinschaft für Kohle und Stahl gemacht hat. Ich zitiere – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – aus seinem Text:
Der Friede in der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Gefah ren entsprechen, die den Frieden bedrohen.
Die Gründung Europas ist also ein Instrument des Friedens. Das erklärt, warum die Europäische Union 2012 den Friedens nobelpreis in Empfang nehmen durfte: nicht nur als Würdi gung der Geschichte, sondern als Aufruf an alle Verantwort lichen, dass Europa mehr ist als ein gemeinsamer Marktplatz und eine geschlossene Bastion, mehr als der bloße Wegfall von Roaminggebühren.
(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP und des Abg. Andreas Kenner SPD)
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Daher ist es schmerzlich, zu sehen, dass die Briten nicht mehr Teil die ser EU sein wollen. Daher ist es, meine Damen und Herren, auch gänzlich ausgeschlossen, dass jemand dazugehören könnte, der etwa für die Todesstrafe ist und der Gewaltentei lung und Meinungsfreiheit torpediert.
Europa, meine Damen und Herren, ist nicht die Alternative für Deutschland, Europa ist die Haltung, die den Staaten die ses Kontinents gemeinsam ist und diese eint: Freiheit, Men schenwürde und Demokratie.
Meine Damen und Herren, das von Kommissionspräsident Juncker Anfang März vorgestellte Weißbuch zur Zukunft Eu ropas bildet eine gute Grundlage, um den Kern Europas, das Fundament aus Solidarität, Versöhnung und Freiheit, wieder mit einem Leuchten zu versehen. Auch hier in diesem Haus sollten wir dies für einen intensiven Diskussionsprozess nut zen und den europäischen Reformprozess aktiv begleiten.
In diesen breit angelegten Dialog- und Konsultationsprozess müssen wir selbstverständlich auch die Menschen in unserem Land mit einschließen. Deshalb begrüßen wir, die CDU-Land tagsfraktion, sehr, dass die Landesregierung mit den Bürge rinnen und Bürgern bei vielen Veranstaltungen im ganzen Land in einen Dialog über Europa tritt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Brexit zeigt, was auf dem Spiel steht. Es wird Zeit, dass wir darüber reden, wel ches Europa wir in Zukunft wollen.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Dr. Gerhard Aden und Gabriele Reich- Gutjahr FDP/DVP)
Vielen Dank. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigen Sie mein ver spätetes Eintreffen. Die Aufgaben des Präsidenten des Ober rheinrats zwingen manchmal zu Randgesprächen mit unserer tüchtigen Verwaltung, der auch mein Dank in diesem Zusam menhang gilt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung zeigt mit dem vorgelegten Bericht, dass auch heute noch Schumans Regel vom 9. Mai 1950 gilt: „Europa... wird durch konkrete Tatsachen entstehen“ und durch ständige Beziehungspflege auf der Basis gemeinsamer Werte und nicht nur durch Worte.
Auch wenn die Wahlergebnisse in Österreich, den Niederlan den und zuletzt in Frankreich zu begrüßen sind, hallt der Don nerschlag des Brexits doch noch nach. Die Zweifel der Be völkerung, was die Handlungsfähigkeit der Europäischen Uni on angeht, müssen wir auf jeden Fall ernst nehmen.
Das Weißbuch zur Zukunft der Europäischen Union und die Erklärung von Rom der Staats- und Regierungschefs sollen einen transparenten und bürgernahen Diskussionsprozess an stoßen. Das zunehmende Interesse der Zivilgesellschaft und die Bemühungen auf institutioneller Ebene begrüßen wir da her sehr. Wir unterstützen auch die Landesregierung darin, den Dialog- und Reformprozess zur Zukunft der Europäischen Union noch zu intensivieren.
Die neuen Bürgerdialoge, die auch Frau Staatsrätin Erler an geregt hat, sind nun ein erster Schritt in diese Richtung. Sie geben der Zivilgesellschaft in den Grenzregionen einen Raum und eine Stimme, mit denen sie ihre Vorstellung zum Zusam menleben im Zentrum eines friedlichen Europas artikulieren kann. Herzlichen Dank dafür.
Eines wissen wir heute mit Sicherheit: Die Gestaltung der Zu kunft unserer europäischen Werte- und Wirtschaftsgemein schaft ist Angelegenheit aller Bürgerinnen und Bürger und darf nicht nur den Eliten überlassen bleiben.
Die Zusammenarbeit entlang der Grenzen zu unseren Nach barländern bringt viele wichtige Erfahrungen für die europä ische Integration. Dort werden frühzeitig Hemmnisse hinsicht lich der Kooperationsmöglichkeiten durch nationale Grenzen wahrgenommen und diese Hemmnisse beseitigt. Dort werden aber auch Chancen der Kooperation mit dem ausländischen Nachbarn schnell erkannt und oft auch die nationalen Gren zen in den Köpfen abgebaut. Wenn wir dies nutzen, dann führt das zu einem spürbaren Mehrwert für die Bevölkerung und kann das auch für andere Grenzregionen in der Europäischen Union als Erfahrungswert verwendet werden. Wir brauchen also noch mehr Straßenbahnen und Brücken wie die zwischen Straßburg und Kehl, damit Menschen zweier Nationen sich in Europa begegnen können.
Herzlichen Dank auch in diesem Punkt an die Landesregie rung, verbunden mit dem Appell, diese Entwicklung zu för dern und auch diesen vorhandenen Wissensschatz in diesen Grenzregionen zu sichern.
Mit diesen Erkenntnissen muss sich das Land Baden-Würt temberg in den von Präsident Juncker angestoßenen Entwick lungsprozess der Europäischen Union einmischen, und zwar auch unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips. Si cherheitspolitik, Klimapolitik, Wirtschafts- und Steuerpolitik, Flüchtlingspolitik und die ökologische Transformation der Wirtschaft können nur europäisch und solidarisch angegan gen werden. Viele Dinge der kommunalen Daseinsvorsorge hingegen lassen sich auf der kommunalen und regionalen Ebe ne besser regeln.
Doch nicht nur der Europäische Rat und die Europäische Kommission müssen transparenter agieren; auch die Informa tionsrechte der nationalen und regionalen Parlamente müssen gestärkt werden.
Herzlichen Dank auch an dieser Stelle für die Bundesratsini tiative der Landesregierung im Hinblick auf die Brexit-Ver handlungen. Denn die Bundesregierung hatte zuerst versucht, die Bundesländer in Bezug auf diese Verhandlungen außen vor zu halten. Nicht nur die Intransparenz in den EU-Abläu fen erbost die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Hin terzimmerpolitik der Bundesregierung in Europafragen trägt dazu bei, dass das Image der Europäischen Union schlecht ist.
Deshalb ist es auch gut, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem vor fünf Jahren ergangenen Urteil die Bundesregie rung dazu verpflichtet hat, Parlamente so früh wie möglich über internationale Verhandlungen zu informieren. Seit dem Vertrag von Lissabon 2009 wäre das eigentlich selbstverständ lich.
Baden-Württemberg als Bundesland wird deswegen selbstbe wusst dieses Informations- und Mitwirkungsrecht immer wie der einfordern. Nur so können wir uns erfolgreich für eine de mokratischere, transparentere und sozial gerechtere Europäi sche Union einsetzen. Lassen Sie uns diese Verantwortung auch hier in diesem Haus übernehmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Damen und Her ren! Es sollte jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass es bei einem solch großen und jahrzehntelangen Projekt wie der EU immer wieder auch Rückwärtsoptionen geben muss, näm lich immer dann, wenn man einen falschen Weg eingeschla gen hat. Das ist im Übrigen auch völlig selbstverständlich; denn wenn man von etwas wirklich überzeugt ist, dann könn te man ja auch selbstbewusst eigene Fehler eingestehen und korrigieren.
Doch diese Erkenntnis kann man bei Vertretern der EU nicht erkennen. Dass die Menschen aus Europa bei diesem Projekt mitgenommen werden oder das Wie und Ob einer Integration bestimmen sollen, sofern diese Menschen das überhaupt wol len, das kommt in der Gedankenwelt von Brüssel gar nicht vor.
Das Weißbuch zur Zukunft Europas stellt zwar verschiedene Szenarien vor, mit begrüßenswerten Ansätzen wie Szenario 2 oder Szenario 4. Die Option 6, nämlich ein Referendum über den Verbleib Deutschlands in dieser EU, fehlt jedoch erwar tungsgemäß leider völlig.
Künftig sind auch Bürgerdialoge vorgesehen. Das hört sich zunächst einmal positiv an. Aber wir wissen heuristisch, dass solche Bürgerdialoge zur EU eben keine ergebnisoffenen De batten sein werden. Wir werden damit rechnen können, dass EU-Kritiker oder EU-Skeptiker keinen großen Stellenwert ha ben werden. Es soll und wird bei diesen sogenannten Dialo gen wohl lediglich darum gehen, beim vermeintlich dialog bereiten Bürger für Akzeptanz für ohnehin schon Beschlosse nes zu sorgen. Solche Veranstaltungen haben die Menschen in unserem Land nicht nötig.
Wenn Sie schon Bürgerbeteiligung suggerieren, dann muss diese auch bindend sein und ergebnisoffen stattfinden.
Die Erklärung der derzeit Herrschenden vom 25. März 2017 unterstreicht das Ansinnen der EU, „noch mehr Einheit“ an zustreben. Dies sei übrigens – so heißt es darin auch – „unse re freie Entscheidung“. Aha! Wessen Entscheidung? „Unse re“ und „wir“ sind die Mehrheit der Bürger in Deutschland wohl jedenfalls nicht.
Weiter steht dort, dass „unsere Union... ungeteilt und unteil bar“ sei. Aha! Man hätte doch eigentlich erwarten können, dass angesichts des Brexits etwas mehr Realismus und Demut in die Reihen der EU-Hochlober einkehrt.