und welche Last ist auf Dauer nicht zu schultern? Denn sonst geht es uns wie Christophorus: Die Last wird während des Tragens immer schwerer.
Der Bundestag war nach der Unterzeichnung der UN-Behin dertenrechtskonvention zur Neuformulierung der betreffen den Gesetze gezwungen. Die UN-Behindertenrechtskonven tion formuliert den Anspruch auf die selbstbestimmte Teilha be von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensberei chen.
Wir haben in der Europäischen Union eine vom Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben getragene Entwicklung – in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg –, eine Entwicklung
zu überbordender Bürokratie und häufig hin zu einer Menta lität der finanziellen Selbstbedienung, eine Entwicklung, die den EU-Bürgern aktuell mehr schadet als nützt. Dieses Auf wachen danach, sozusagen, diese Katerstimmung sollte bei der 2007 unterschriebenen UN-Behindertenrechtskonvention vermieden werden.
Wir sollten uns nicht von einem hohen moralischen Impetus blenden lassen, sondern fragen, ob die Maßnahmen sinnvoll sind und ob sie zu unseren Verhältnissen in Deutschland pas sen oder nicht. Ist es sinnvoll, sich die Definition einer Behin derung vorgeben zu lassen? Wäre das tradierte deutsche Mo dell, auf das die Betreuung hier seit Jahrzehnten zugeschnit ten war, für unsere Politik nicht das richtigere?
Aufgrund der Neudefinition der Behinderungen wird es zu seltsamen Entwicklungen kommen. Ein Mensch mit Behin derungen muss in fünf von neun Feldern – vorhin ist es aus geführt worden – eine Behinderung vorweisen. Diese Rege lung wurde vorläufig ausgesetzt; das kann durch Einzelgut achten wieder abgefangen werden.
Am Anfang der von mir beschriebenen Entwicklung stand die faktische Entscheidung einer Einzelperson zur Hilfe, und das war gut. Offen ist, ob genügend finanzielle Mittel vorhanden sein werden, um die Entscheidung für die Betroffenen posi tiv zu gestalten. Die Solidarität einer Gesellschaft entscheidet sich danach, wie sie mit den Schwächsten umgeht.
Ich darf an dieser Stelle zitieren: Das Bundesteilhabegesetz soll „mögliche Benachteiligungen von Menschen mit Behin derungen... abbauen.“
... ganz speziell auf behinderte Menschen abgestimmte Richtlinien.... wobei es an einer genauen Definition von Behinderung fehlt.
Ganz allgemein ist in der Präambel erwähnt, dass „das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwi ckelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwi schen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstel lungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht“.
Tatsache ist, dass sich nach dem neuen Gesetz für Menschen mit Behinderungen möglicher weise sogar Verschlechterungen einstellen können.
... dann fasse ich mich kurz. – Fakt ist: Um helfen zu können, muss der Starke stark bleiben wie Christophorus. Deshalb: Bei diesem Gesetz wird es ein Erwachen geben – hoffentlich kein böses. Denn es bringt den Begabten nichts und den behinderten Menschen unerfüllte, ideologisch begründete, also postfaktische Forderungen.
Anregen möchte ich eine Debatte über die Förderung der Be gabten und Hochbegabten, damit diese die Last, die ihnen die Gesellschaft aufbürden will, auch tragen können.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Jetzt haben wir gerade gehört, die AfD stellt die UN-Behindertenrechtskonvention infrage. Vielleicht noch einen kleinen Hinweis an Herrn Balzer: Der Bundestag war nicht zur Ratifizierung gezwungen, sondern ich gehe da von aus, dass die Mehrheit der Abgeordneten das mit voller Überzeugung getan hat.
Weniger behindern, mehr möglich machen: Das Bundesteil habegesetz ist eines der größten sozialpolitischen Reformvor haben überhaupt und gleichzeitig ein wesentlicher Baustein in der Umsetzung der Ziele der UN-Behindertenrechtskon vention in Deutschland.
Die Konvention gilt seit dem Jahr 2009. Die Tragweite der Umsetzung – ja, sie war lange umstritten, und man hat viel leicht auch nicht ganz abgeschätzt, wie viele Bereiche mit ein geschlossen werden müssen. Durch die UN-Behindertenrechts konvention wurde eine Neufassung des Behindertenbegriffs unumgänglich; denn durch die freiwillige Ratifizierung hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu bekannt, deutsches Recht grundsätzlich in Übereinstimmung mit den UN-Men schenrechtsabkommen weiterzuentwickeln. Ziel der Reform war ein flexibles und passgenaues Unterstützungssystem für Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung von Men schen mit Beeinträchtigungen.
Die drei die Bundesregierung tragenden Parteien CDU, CSU und SPD haben sich in ihrem jetzigen Koalitionsvertrag dar auf geeinigt, genau dieses Vorhaben umzusetzen. Es war vor allem meine Partei, die SPD, die dieses Vorhaben in den Ko alitionsvertrag hineinverhandelt hat.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass es vor allem auch Bun dessozialministerin Andrea Nahles und ihre Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller waren, die diesen Beteiligungspro zess immer wieder vorangetrieben haben, die in die Umset zung gegangen sind und die immer wieder auch versucht ha ben, von allen Seiten Anregungen mitzunehmen. Am Ende gab es einen wunderbaren Kompromiss, auf hundert Seiten formuliert, in den man sehr, sehr viel mit breiter Beteiligung
Grundlage war vor allem, die betroffenen Menschen und Ver bände mit in diesen Prozess einzubeziehen. Das hat natürlich Hoffnungen geweckt. Die ehemalige Bundesgesundheitsmi nisterin und jetzige Vorsitzende der Bundesvereinigung Le benshilfe, Ulla Schmidt, hat einmal bei einem Treffen, bei dem ich dabei war, gesagt, für sie war das der erste wirkliche Be teiligungsprozess von Menschen mit Behinderungen – die auch gern und voller Enthusiasmus mitgewirkt haben. Aber es ist halt leider nicht so, dass, wenn ich mich beteiligen darf, am Ende alles, was ich mir vorstelle, auch umgesetzt werden kann.
Es gab natürlich auch Enttäuschungen, Frust und Kritik. Aber wir wissen, es ist auch in der Politik nicht immer möglich, al le Wünsche zu erfüllen.
Ich war selbst bei mehreren Verhandlungsrunden in Berlin da bei, u. a. auch bei der Vorstellung des Referentenentwurfs, und habe den dortigen Protest mitbekommen. Aktivisten demons trierten und riefen: „Nicht mein Gesetz!“ Kein Gesetz ist je denfalls auch keine Lösung; denn – ich habe es gerade schon gesagt – beim ersten Wurf kann nicht immer alles gleich ge lingen. Aber wenn man das Gesetz jetzt sozusagen auf Eis ge legt hätte, wäre überhaupt nichts gewonnen. Dies wäre ein Rückschritt gewesen.
Trotzdem: Wir haben etwas erreicht, und zwar auch einiges, was sich, wie ich finde, sehen lassen kann. Ich möchte das nur einmal an drei Punkten deutlich machen:
Die Freigrenze für eigenes Einkommen und Vermögen – der Kollege Poreski hat es schon angedeutet – war ein ganz wich tiger Punkt. Auch ein Mensch mit Behinderungen muss das Recht auf ein Sparbuch haben, er muss in der Lage sein, et was anzusparen, für was auch immer. Das war bis jetzt nicht möglich. Es gab eine Grenze für das Barvermögen von 2 600 €; alles darüber wurde angerechnet. Ab dem kommenden Jahr wird dieser Betrag in etwa verzehnfacht; er steigt auf 27 600 €. Ab 2020 erfolgt noch einmal eine Erhöhung auf dann 50 000 €.
Danach – auch das ist sehr wichtig – wird auch das Partner einkommen anrechnungsfrei sein. Viele Menschen mit Behin derungen, die heiraten wollten, haben das nicht getan, weil dies für die Partner ein schlechtes Geschäft gewesen wäre. Deren Einkommen wurde angerechnet und floss voll mit ein, und das war für die Lebensplanung der Menschen sehr hin derlich. Das ist jetzt Gott sei Dank bald vorbei.
Der zweite Punkt ist die Bürokratie. Die Bürokratie war für viele Menschen mit Behinderungen eine große Last. Wenn sie einen Leistungsantrag stellen wollten, mussten sie bei mehre ren Anträgen zu mehreren Stellen gehen. In Zukunft wird es so sein, dass die Leistungen aus einer Hand sind, und die Leis tungsträger müssen sich untereinander abstimmen und müs sen überlegen, wie es weitergeht. Dann kommen die Leistun gen aus einer Hand. Das halte ich für einen sehr, sehr großen Fortschritt.
Dritter Punkt: Es wird endlich ein Budget für Arbeit geben. Ich verfolge das Budget für Arbeit, das es bereits seit einigen
Jahren in Rheinland-Pfalz gibt, mit großem Interesse. Das ist also nichts Neues. Man hat auf den Erfahrungen in RheinlandPfalz wunderbar aufbauen können, und es hat mich sehr ge freut, dass dieses Budget für Arbeit sich jetzt auch im Gesetz wiederfindet.
Die Arbeitgeber werden mit 75 % des Lohnes entlastet. Das heißt, sie haben einen Anreiz, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Das ist ein ganz großer Fortschritt. Wir wissen, dass es viel zu wenige Arbeitsplätze für behinderte Menschen gibt, und die Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz zeigen: Man muss zunächst einmal eine Mauer herunterreißen, sodass dann die Bereitschaft und die Offenheit da sind, diesen Menschen eine Chance zu geben, sich auch auf dem ersten Arbeitsmarkt zu behaupten.
Gleichzeitig ist das Recht zur Rückkehr in die Werkstätten aufgenommen worden. Auch das war ein großes Problem. Bei meinen Besuchen in den Werkstätten wurde oft gesagt: Es gibt Mitarbeiter, die im ersten Arbeitsmarkt arbeiten könnten, aber man hat Angst, dass es vielleicht doch nicht klappt, und eine Rückkehr in den geschützten Bereich der Werkstätten ist sehr schwierig. – In Zukunft gibt es ein Rückkehrrecht. Man kann also ruhig auch einmal mutig sein und sagen: Wir probieren es einfach; wenn es schwierig wird, gibt es ja sozusagen auch noch einen doppelten Boden.
Die Menschen in den Werkstätten bekommen zukünftig auch ein bisschen mehr Lohn. Das ist für den Einzelnen nicht viel, aber es stellt doch einen entscheidenden Schritt in Richtung Teilhabe und Selbstbestimmtheit dar.
Das Bundesteilhabegesetz ist ein Artikelgesetz und musste mit vielen Fachministerien abgestimmt werden. Vor allem der Ge sundheitsbereich war ein sehr großer Bereich; denn die Hilfe zur Pflege war ein großer Baustein, weil da die Sozialgesetz bücher nicht miteinander korrespondierten. Da gab es einfach Probleme, dies in Einklang zu bringen. Aber das ist dank der Verhandlungen von Andrea Nahles mit Bundesminister Grö he gelungen.