Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kolle gen! Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg – das ist wahr – steht vor großen Herausforderungen. Es ist auch sehr in Ord nung, dass wir das gemeinsam beraten, auch kritisch beraten und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Nur – das will ich der AfD-Fraktion sagen –: Vetterleswirtschaft, Korruption –
Damit diskreditieren Sie die Arbeit von Hunderten, von Tau senden Menschen, die beim Deutschen Roten Kreuz und in der Rettung tätig sind.
Ich fordere Sie auf: Belegen Sie Ihre ungeheuerlichen Vor würfe – Vetterleswirtschaft, Korruption –, oder schämen Sie sich. Belegen oder schämen!
(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Nicole Ra zavi CDU: Entschuldigen! – Vereinzelt Lachen bei der AfD)
Die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung wird der zeit gewährleistet durch 170 Notarztstandorte mit etwa 180 Notarztfahrzeugen, 270 Rettungswachen mit bis zu 400 Ret tungswagen sowie, Herr Kollege Dr. Goll, acht im Land sta tionierte Hubschrauber.
Wir leiden aber zweifelsfrei unter einem Phänomen – das möchte ich schon ansprechen; das ist vielleicht nicht der ein zige Punkt, aber jedenfalls mit eine Ursache; unter diesem Problem leiden Notärzte, Notfallpraxen, Krankenhäuser –: Die Einsatzzahlen steigen sehr stark an, und zwar Jahr für Jahr und immer weiter. Die Notärzte kamen 2015 in über 280 000 Fällen zum Einsatz, damit allein 27 600 Mal mehr als im Jahr zuvor; das ist ein Anstieg um 10 %. Ich will das einmal her unterbrechen und Ihnen eine Zahl sagen, die ich gestern für mich selbst ausgerechnet habe: jeden Tag 79 Notfalleinsätze in Baden-Württemberg. Und die Zahlen steigen sehr, sehr stark an, im Grunde genommen mit einer dramatischen Ten denz.
Noch extremer ist es bei den Einsätzen mit Rettungswagen. Die Rettungskräfte mit Rettungswagen wurden deutlich über eine Million Mal zum Einsatz gerufen. Hier stieg die Zahl in nerhalb eines Jahres um über 75 000 Einsätze an – 75 000 Ein sätze mehr innerhalb von einem Jahr. Dies entspricht bei den RTWs einem Zuwachs um 7 %.
Auch im Krankentransport stiegen die Einsatzzahlen, nämlich um knapp über 50 000 Einsätze auf über 800 000 Kranken transportfahrten – 50 000 mehr als im Jahr zuvor.
Jeder Rettungsdienst muss mit diesen explodierenden Zahlen fertig werden, und das ist unsere eigentliche Herausforderung.
Nein. – Daher ist es mir wichtig, den im Ret tungsdienst tätigen Menschen – ganz im Gegensatz zu der Fraktion der AfD – zu danken, die rund um die Uhr Tag für Tag dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Hilfe bekommen, die sie im Notfall brauchen. Ih re Arbeit wird immer schwieriger, der Druck wird immer grö ßer, und denjenigen, die diese Arbeit machen – 365 Tage im Jahr, 7 Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag, unter immen sem Druck –, gilt Respekt, Anerkennung und Dank.
Um einen leistungsstarken Rettungsdienst im Land sicherzu stellen, sind folgende drei Punkte von Bedeutung:
Erstens: Die gesamte Rettungskette muss beleuchtet werden. Im Mittelpunkt der Diskussion steht oftmals nur die gesetzli che Hilfsfrist. Sie ist im Rettungsdienst eine wichtige, aber nicht die allein selig machende Größe, und sie ist vor allem eine rein planerische Größe, die im Rückblick zeigt, ob bei der Planung der Rettungsmittel nachgebessert werden muss. Entscheidend ist aber die Rettungskette. Dies ist für den Ret tungsdienst der Zeitraum vom Eingang des Telefonats eines Hilfesuchenden in der Leitstelle bis zur Übergabe des Patien ten an das geeignete Krankenhaus – ein komplexes System, das wir kontinuierlich optimieren müssen.
(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Er hat Angst vor der AfD! – Oh-Rufe von den Grünen und der CDU – Lachen des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE – Abg. Nicole Razavi CDU: Oje, oje, oje!)
dann geht es auch wieder über das parlamentarisch zwingend Notwendige hinaus. Aber diese Kraft haben Sie nicht. Dafür sind Sie zu schwach.
Zweitens: Wir werden zusammen mit der Stelle zur Qualitäts sicherung im Rettungsdienst jede Stellschraube im gesamten Versorgungsablauf beleuchten. Dies wird uns Verbesserungs potenziale aufzeigen, die wir dann konsequent umsetzen. Ein weiteres Augenmerk legen wir auf die ehrenamtlichen Erst helfer sowie die Erste-Hilfe-Behandlung auch durch Laien. Hier arbeiten wir derzeit an einer entsprechenden Rechtsver ordnung für die Helfer vor Ort zur Festlegung von Ausbil dung, Ausstattung und Alarmierungsstichworten.
Drittens: Was braucht der Patient wirklich? Angesichts der ex trem hohen Zunahme der Zahl der Einsätze im Rettungsdienst bedarf es dringend einer Ordnung der Einsatzfelder des Ret tungsdienstes nach Patientenbedürfnissen. Dabei kommt den Leitstellen die entscheidende Schnittstellenfunktion zu. Ne ben einer noch besseren Qualifizierung der Leitstellendispo nenten prüfen wir auch die Möglichkeiten der Einführung von Telemedizin und der standardisierten Notrufabfrage.
Zentrales Thema ist dennoch für mich in dieser Legislaturpe riode die Entwicklung einer neuen, landesweiten Leitstellen konzeption. Ich werde dieses Projekt zeitnah mit allen Part nern auf Landes- und kommunaler Ebene starten. Das ist ein entscheidender Punkt.
Viertens: Die Hilfsfrist für die Einsätze der Rettungswagen und Notarzteinsätze im Jahr 2015 zeigt leider keine Verbes
serungen, und dies trotz zahlreicher neuer Notarztstandorte und Rettungswachen sowie zusätzlicher Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeuge. Der extrem hohe Anstieg der Ein satzzahlen im Jahr 2015 hat die erzielten Verbesserungen schnell wieder aufgezehrt. Das ist unser Problem. Dies zeigt uns, dass Vorhalteerweiterungen allein auch angesichts der begrenzt verfügbaren Personalressourcen keine Trendwende herbeiführen können. Wir müssen ob der Zunahme der Ein satzfahrten die Spreu vom Weizen trennen. Der öffentlichrechtliche Rettungsdienst kann nicht alle Einsparungen im Ge sundheitswesen auffangen. Unser Rettungsdienst ist zu lange gebunden, in ländlichen Räumen bis zu vier Stunden.
Im Fokus stehen zudem die Fahrten zur Verlegung von Pati enten von einer Klinik in die andere oder die missbräuchliche Nutzung des Rettungsdienstes für reine Krankentransportfahr ten. Wir werden unseren Blick daher auch auf den Kranken transport richten. Hier liegt ein Teil des Übels. Wenn die Men schen vier bis acht Stunden auf einen Krankentransport war ten müssen, ist es doch nur logisch, dass sie im Zweifel 110 oder 112 wählen, und dann kommt der Rettungswagen inner halb von Minuten.
Das ist im Übrigen auch ein Problem, das viele Krankenhäu ser, viele Notfallärzte, viele Notfallpraxen kennen. Da kommt die ganze Familie mit Schnupfen und Heiserkeit in die Not fallsprechstunde, und wenn man sie fragt: „Warum kommt ihr hierher?“, dann sagen sie: „Weil man hier nicht so lange war ten muss wie beim Hausarzt.“ Dieses Problem haben wir, und das müssen wir in allen seinen Schattierungen lösen, und auch darüber müssen wir, auch wenn es unangenehm ist, sprechen.
Wenn 110 oder 112 gewählt wird, was soll denn der arme Dis ponent machen, außer den Rettungswagen hinzuschicken?
Wir müssen auch für ausreichend Fachkräfte sorgen. Mit der Umstellung der zweijährigen Rettungsassistentenausbildung auf die dreijährige Ausbildung zu Notfallsanitätern bzw. Not fallsanitäterinnen im Jahr 2014 fehlt ein kompletter Ausbil dungsjahrgang, und das macht sich jetzt eben auch bemerk bar. Ich bin überzeugt, dass der neue Beruf die Attraktivität des Rettungsdienstes enorm steigern und einem drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken wird.
Gemeinsam mit unseren Partnern setzen wir alles daran, dass der Rettungsdienst auch in Zukunft gut funktioniert. Vieles wurde getan; vieles bleibt freilich zu tun. Wir nehmen diese Herausforderung an. Wir sind uns unserer Verantwortung be wusst. Wir machen das total transparent, indem wir auch dar stellen, wo es Probleme gibt.
Um die Herausforderungen im Rettungsdienst zu bewältigen, ist ein gemeinsames Miteinander wichtig. Das hat, wie ich ge lesen habe, im baden-württembergischen Landtag eine Tradi tion, oder es hatte zumindest eine Tradition. Nicht alle sind wichtig, aber an die meisten von Ihnen möchte ich appellie ren, dass wir dieses Problem in der guten Tradition des Land tags von Baden-Württemberg gemeinsam, miteinander einer Lösung zuführen.
Meine Damen und Her ren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Große Anfrage besprochen und Punkt 6 der Tagesordnung erledigt.
AfD – Einsetzung einer Enquetekommission „Bedro hung durch Islamismus, Scharia-Recht, organisierte Kriminalität und Einfluss fremder Staaten – BadenWürttemberg als freiheitliches, demokratisches und rechtsstaatliches Land bewahren“ – Drucksache 16/639