Aktuelle Debatte – Grün-schwarzer Kompromiss bei Lehrerstellen: Mogelpackung für die Schulen im Land – beantragt von der Fraktion der SPD
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.
Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Um zunächst etwaigen Verwechslungen vorzubeugen, weise ich darauf hin: Ich stehe heute hier als Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion und möchte zu die sem für Baden-Württemberg, glaube ich, zentral wichtigen Thema sprechen.
(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Mit was sollte man das denn verwechseln? – Gegenruf des Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Mit dem ehemaligen Kultus minister!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Mit was sollte man das verwech seln?)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich glaube, eine Debatte könnte im Moment nicht aktueller sein als die zum Haushalt des Landes Baden-Württemberg für das Jahr 2017. Bei all dem, was wir von diesem Haushalt bisher wissen, auch bei dem, was gestern von der Landesregierung in der Regierungs pressekonferenz verkündet wurde, stellen wir Folgendes fest: Dieser Haushalt ist letztlich von einer ausgesprochen guten Situation geprägt, was die Einnahmen angeht. Er ist auch da von geprägt, dass die Landesregierung über erhebliche Rück lagen verfügt und selbst keine erheblichen Sparanstrengun
gen erbringt. So sind z. B. von den 370 Millionen € angeblich erbrachter Ersparnisse ca. 160 Millionen € allein Zinserspar nisse.
Letztlich rücken zwei Sparbereiche ins Zentrum, nämlich die Kommunen, die durch einen Sparbeitrag von 300 Millionen € in ihren finanziellen Möglichkeiten deutlich geschwächt wer den, und zu einem ganz wesentlichen Teil auch der Bereich Bildung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind genau die falschen Bereiche. In diesen Bereichen sollte in Ba den-Württemberg nicht gespart werden.
Ich möchte Ihnen das einmal am Beispiel des Bereichs Bil dung durchrechnen. Wir haben in Baden-Württemberg vor ei nigen Jahren angenommen, dass erhebliche Schülerzahlen rückgänge zu erwarten sind. Damals war davon die Rede, dass man 11 600 Lehrerstellen streichen könne. Sie erinnern sich an diese Debatte. Der Rechnungshof hatte damals im Übrigen – kleine Nebenbemerkung – von 14 400 Lehrerstellen gespro chen, die gestrichen werden könnten.
Als auf der Strecke erkennbar wurde, dass die Schülerzahlen nicht so stark zurückgehen, hat die damalige, grün-rote Lan desregierung – ich sage ausdrücklich: auf erheblichen Druck der SPD –
erreicht, dass dieser Abbaupfad von 11 600 Stellen nahezu ge strichen, jedenfalls deutlich reduziert wurde – auf dann noch 1 700 Stellen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, so sieht verantwortliche Bildungs- und Haushaltspolitik in Ba den-Württemberg aus.
Diese Vorbemerkung mache ich deswegen, weil wir damals, im Herbst 2014, nicht nur den Abbaupfad deutlich reduziert haben; der Herr Ministerpräsident wird sich noch sehr gut da ran erinnern. Vielmehr haben wir zum damaligen Zeitpunkt gesagt – der Herr Ministerpräsident hat das Wort geprägt: „Wir müssen auf Sicht fahren“ –, dass aktuelle Veränderun gen, gerade wenn es um die Schülerzahlen geht, wenn es da rum geht, die Lehrerversorgung für die kommenden Schul jahre zu planen, berücksichtigt werden müssen.
Wir wissen heute, dass unsere Annahmen vom Herbst 2014, als wir noch immer von zurückgehenden Schülerzahlen aus gegangen sind, sich nicht bewahrheiten. Wir wissen nämlich, dass die Schülerzahlen in Baden-Württemberg zum kommen den Schuljahr sogar steigen werden.
Wer vor diesem Hintergrund über Lehrerstellenstreichungen nachdenkt, schwächt Bildung in Baden-Württemberg und lässt unsere Lehrerinnen und Lehrer im Stich.
Deswegen, Frau Kultusministerin, dürfen die 633 Lehrerstel len, die noch in diesem Abbaupfad stehen, nicht in den neu
en Haushalt übernommen werden. Sie wären auch von uns nicht als zu streichende Stellen übernommen worden, weil dies nicht mit einer steigenden Schülerzahl in Einklang zu bringen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann müssen Sie uns nämlich auch ganz deutlich sagen, wo Sie die 1 074 Stellen – so viele sind es nämlich insgesamt – aus dem Schulsystem he rausnehmen wollen. Wir sprechen von steigenden Schülerzah len. Wir sprechen davon, dass wir eine Krankheitsvertretungs reserve haben, die jeweils am Beginn des Schuljahrs bereits voll im Einsatz ist, weil Lehrerinnen und Lehrer erkrankt sind oder aufgrund von Schwangerschaft oder Erziehungszeit nicht in der Schule sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer jetzt 1 074 Lehrerstel len streicht, versündigt sich an den Kindern in Baden-Würt temberg, der versündigt sich daran, dass wir dann keine gute Bildung in Baden-Württemberg gewinnen können.
Geradezu zynisch wird es aus meiner Sicht dann, wenn die Landesregierung verkündet, sie würde doch in Bildung inves tieren. Ja, die frühere Landesregierung hat entschieden, dass wir die Grundschulen durch eine Ausweitung des Mathema tik- und des Deutschunterrichts mit insgesamt 640 Deputaten stärken müssen.
Herr Röhm, sogar Sie müssten wissen, dass eine Finanzie rung erst dann, wenn der Haushalt aufgestellt wird, erfolgt und nicht vorher.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, ja! – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das machen wir! – Weite re Zurufe)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausweitung der Stun dentafel statten Sie mit 320 Deputaten aus. Wenn Sie aber gleichzeitig 1 074 Deputate streichen, führt das nicht zu einer Stärkung von Bildung, sondern zu einer Schwächung unserer Schulen. Das ist eine Schwächung der Qualität der Bildung in Baden-Württemberg.
Vor zwei Wochen ging die Kultusministerin – offensichtlich in großer Not – an die Öffentlichkeit und drohte an, im nächs ten Schuljahr die Ganztagsschulen und die Inklusion nicht weiter auszubauen sowie den Informatikunterricht nicht ein zuführen. Das zeigt doch nur, wie die Verhältnisse innerhalb dieser Regierung offensichtlich sind.
Der stellvertretende Ministerpräsident Strobl hat am 22. Ok tober wohl im Odenwald erzählt, dass die Regierung gerade zu höflich und liebevoll miteinander umgehe. Meine sehr ge ehrten Damen und Herren, wenn das der Fall wäre, müsste die
Nein. – Die Regierung geht also höflich, geradezu liebevoll miteinander um. Ich habe am ei genen Leib verspürt, wie hart die Verhandlungen sind, wenn es um Ressourcen geht, wenn es um die notwendigen Depu tate geht, um unsere Schulen gut auszustatten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren vor allem von der CDU, was glauben Sie denn, bei wem der Protest ankommen wird, wenn zum nächsten Schuljahr 1 074 Lehrer fehlen? Dann brauchen Sie sich nicht mehr die Frage zu stellen: Wie sieht guter Unterricht und wie sieht schlechter Unterricht aus? Wenn kein Lehrer da ist und kein Unterricht stattfindet, dann möchte ich einmal sehen, was die CDU-Landtagsfraktion tut und ihrer Kultusministerin sagt, wenn sie nicht für eine aus kömmliche Unterrichtsversorgung sorgen kann.
Auch der jetzt gefundene Kompromiss ist nicht wirklich ein Kompromiss. Denn die angeblich vorhandenen zusätzlichen 320 Deputate, die jetzt für die Ganztagsschulen und die In klusion sowie den Informatikunterricht zur Verfügung gestellt werden, sind, zumindest was die Informatik angeht, eine Schmalspurlösung. Wir hatten errechnet, dass für das Ange bot des Informatikunterrichts in Klasse 7 für alle Schüler ins gesamt 150 Deputate notwendig sind. Unter der früheren Lan desregierung bestand die Übereinkunft, dass wir den entspre chenden Betrag auch für diese Maßnahme einsetzen. Das, was jetzt kommt, nämlich 60 Deputate, ist deswegen eine Schmal spurlösung.
Wer in jeder Sonntagsrede das Wort „Bildungsgerechtigkeit“ und das Wort „Digitalisierung“ in den Mund nimmt und so agiert, der lügt die Menschen an, der sagt ihnen nicht die Wahrheit. Denn wer auf dem Rücken der Bildung spart, der spart an der völlig falschen Stelle.