Protocol of the Session on October 26, 2016

Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal etwas grundsätzlicher werden.

Das Grundgesetz regelt klar, dass das Aufkommen der wich tigsten Steuerarten, namentlich der Einkommen-, der Körper schaft- und der Umsatzsteuer, als sogenannte Gemeinschafts steuern Bund und Ländern einschließlich ihrer Kommunen

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

gemeinsam zusteht. Tatsächlich wird das Steueraufkommen, also der Wohlstand dieser Republik, in den deutschen Län dern erwirtschaftet. Dass dies nicht nur eine Floskel ist, zeigt sich ja gerade in der stark unterschiedlichen Steuerkraft der Länder, die wiederum Ergebnis einer ganz unterschiedlichen Politik ist. Die Frage der Verteilung dieser Mittel zwischen Bund und Ländern ist daher keine Frage einer milden Gabe des Bundes an die Länder. Das Grundgesetz formuliert in Ar tikel 106 Absatz 3 vielmehr klar, dass die Länder wie der Bund gleichmäßig Anspruch auf die Deckung ihrer notwendigen Ausgaben haben.

(Zuruf von der AfD)

Wie viel die Länder vom gemeinsamen Steuerkuchen dann tatsächlich beanspruchen können, soll im Rahmen von Ver handlungen mit dem Bund mit dem Ziel eines billigen Aus gleichs festgelegt werden. Wir haben aber in den vergange nen Jahren, ja Jahrzehnten feststellen müssen, dass sich der Bund ernsthaften Verhandlungen über eine angemessene De ckung der Bedürfnisse der Länder entzieht. Solche Verhand lungen haben seit Jahrzehnten nicht stattgefunden.

Ich sage klipp und klar: Dieser Praxis muss Einhalt geboten werden. Die Tatsache, dass sich in manchen Ländern öffent liche Einrichtungen in einem bisweilen erbarmungswürdigen Zustand befinden, liegt nicht daran, dass der Bund aufgrund des oft bemühten Kooperationsverbots daran gehindert wäre, Abhilfe zu schaffen. Der wahre Grund liegt darin, dass sich der Bund weigert, den Ländern den nach dem Grundgesetz geforderten auskömmlichen Anteil am gemeinsamen Steuer aufkommen zur Bewältigung ihrer Aufgaben zuzubilligen. Die Länder sind aber keine Bittsteller und schon gar keine Wege lagerer – wie es in bundespolitischen Kreisen öfter kolportiert wird –, die sich zum Schaden des Bundes unrechtmäßig be reichern würden.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall bei der AfD und der FDP/DVP)

Ich darf an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, dass es die Länder länger gibt als den Bund und dass die Länder die Bun desrepublik Deutschland gegründet haben.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD)

Mein geschätzter Vorgänger Erwin Teufel hat immer wieder zu Recht darauf hingewiesen: Es handelt sich dabei eben nicht um Bundesländer. Der Begriff „Bundesländer“ steht nirgend wo in unserer Verfassung.

(Zuruf von der CDU: Richtig! So ist es!)

Es handelt sich um Länder mit einer eigenen Staatlichkeit. Be dauerlicherweise hat sich aber der Begriff „Bundesländer“ eingebürgert, auch wenn er keineswegs korrekt ist. Das will ich hier noch einmal ausdrücklich feststellen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD)

Deswegen kommt den Ländern eine eigene Staatlichkeit mit eigenen Kompetenzen zu. Zur Erfüllung ihres verfassungs

mäßigen Auftrags haben sie damit auch den Anspruch, über ausreichend Finanzmittel zu verfügen.

Das Vorhaben des Landes Baden-Württemberg – ich erinne re mich noch gut; mein Kollege Drexler war dabei – in der Föderalismuskommission war – dafür haben wir plädiert –, dass die Länder eigene Steuererhebungsrechte bekommen. Damit konnten wir uns bisher leider nicht durchsetzen.

(Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: Versuchen!)

Hinzu kommt: Der Zweck des Solidaritätszuschlags wird spä testens mit dem Auslaufen des Solidarpakts II für Ostdeutsch land Ende 2019 entfallen. Seit Langem verwendet der Bund die Einnahmen aus dem Soli nur noch zu einem kleinen Teil für Zuweisungen an die neuen Länder. Vielmehr lässt er den Großteil des Aufkommens seinem allgemeinen Haushalt zu kommen.

Wenn der Bund den Soli dennoch behalten will – dafür spre chen durchaus gute Gründe –, dann ist der Soli faktisch be trachtet nichts anderes als ein Teil der Einkommensteuer. Die ses Steueraufkommen hat der Bund dann aber auch bitte schön entsprechend den Regeln des Grundgesetzes mit den Ländern zu teilen.

Auch das hat in den ganzen Verhandlungen eine große Rolle gespielt. Dass wir von einem solchen Teilen ausgegangen sind, können Sie an den Summen, um die es global geht, gut ablesen.

Nun aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum eigentlichen Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern: Grundlage der Verständigung vom 14. Ok tober 2016 mit der Kanzlerin ist die nahezu vollständige Über nahme des Ländermodells vom 3. Dezember 2015. Das war ein Erfolg an sich; denn das Modell des Bundes hätte gegen über der jetzigen Einigung eine deutliche finanzielle Ver schlechterung nicht nur für die Ländergesamtheit, sondern vor allem für Baden-Württemberg bedeutet. In Zahlen: minus 173 Millionen € im Vergleich zum jetzt mit dem Bund vereinbar ten Ländermodell. Baden-Württemberg wäre einer der größ ten Verlierer unter den Ländern gewesen, wenn wir das Bun desmodell übernommen hätten.

Die Länder sind gemeinsam standhaft geblieben. Die Eini gung ist damit auch ein Erfolg des Föderalismus insgesamt. Wir haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass die Län der dann handlungsfähig sind und Antworten auf die Heraus forderungen der Zukunft liefern können, wenn wir zusammen auf Augenhöhe mit dem Bund sprechen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Mein persönliches Fazit lautet deshalb: Wir haben eine wirk lich gute Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen er reicht. Kein Land wird 2020 schlechter dastehen als 2019, dem letzten Jahr des aktuellen Ausgleichssystems. Das gibt den Ländern Planungssicherheit und ermöglicht ihnen im Hin blick auf die ab 2020 greifende grundgesetzliche Schulden bremse eine nachhaltige Haushaltspolitik.

Natürlich ist der erzielte Kompromiss nicht perfekt; das sind Kompromisse wirklich selten. Aber er ist ein großer Fort schritt gegenüber dem Status quo. Er ist auch besser als das

Modell, das der Bund – besser gesagt: der Bundesfinanzmi nister – bis zuletzt eingefordert hat. Vor allem ist das neue Mo dell aus Sicht eines Geberlands wie Baden-Württemberg fai rer und leistungsgerechter, aus Sicht finanzschwacher Länder tragfähiger und solider und aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger transparenter. Für Baden-Württemberg ist das Ergeb nis nun ein großer Erfolg.

Mein Kollege Seehofer hat sogar gesagt, es sei in seiner po litischen Laufbahn sein wichtigster Erfolg für Bayern.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Für Seeho fer mag das stimmen! – Vereinzelt Heiterkeit)

Ich würde es für mich persönlich an die dritte Stelle setzen, wenn Sie das interessiert, Herr Kollege Rülke. Das Wichtigs te war für mich die Energiewende mit dem Atomausstieg und das Zweitwichtigste das Endlagersuchgesetz, da es hierbei um Stoffe geht, die uns über viele Jahrtausende belasten werden.

(Zuruf von der AfD: Millionen!)

Diese Einigung war mit Sicherheit nun der drittwichtigste bundespolitische Erfolg meiner persönlichen Regierungstä tigkeit – um dies noch einmal in den Kontext einzuordnen, Herr Kollege Rülke.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Wolf gang Reinhart CDU)

Durch eine Tarifabsenkung gegenüber dem bisherigen Sys tem wird die überdurchschnittliche Finanzkraft, wie sie neben Bayern vor allem Baden-Württemberg aufweist, weit weni ger stark berücksichtigt. Für uns lohnt es sich also ab 2020 wieder mehr, ökonomisch erfolgreicher als andere Länder zu sein.

So konnten wir letztendlich auch der bitteren Pille zustimmen, dass die Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft von 64 % auf nunmehr 75 % steigt. Es ist mir sehr schwer gefal len, diesem Kompromiss zuzustimmen. Das möchte ich nur einmal betonen. Denn dank unseres kommunalen Finanzaus gleichs stehen unsere Kommunen herausragend gut da.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Da ist es natürlich schmerzhaft, dass uns ausgerechnet das nun zu unseren Lasten angerechnet wird.

Auch haben wir eine wirkliche Entlastung für das Land er reicht. Konkret wird Baden-Württemberg ab 2020 brutto um rund 960 Millionen € insgesamt bzw. 90 € je Einwohner pro Jahr entlastet. Wir haben damit gigantische Einnahmeausfäl le verhindert. Das sind natürlich Zahlen, die auf der Steuer schätzung aus dem Mai 2016 beruhen. Diese Zahlen werden sich logischerweise bis 2019 ändern. Darauf muss ich noch einmal hinweisen.

(Zuruf: So ist es!)

Die Länder erhalten für Aufgaben wie weitere Verkehrsinves titionen, Hochschul- und sozialen Wohnungsbau, für die Ba den-Württemberg bisher sogenannte Entflechtungsmittel in Höhe von rund 310 Millionen € vom Bund erhalten hat, in Zu kunft vom Bund einen Festbetrag, der nicht dynamisiert wird. Die steigenden Kosten sind komplett vom Land zu tragen.

Damit bleiben unter dem Strich ab dem Jahr 2020 etwa 570 Millionen €. Ein großer Teil dieser Mittel fließt direkt an die Kommunen. Nach dem Finanzausgleichsgesetz des Landes wären dies ab 2020 rund 200 Millionen €. Beim Land verblie ben dann unter dem Strich also gut 360 Millionen € netto für unseren Landeshaushalt.

Von den 200 Millionen € an zusätzlichen Mitteln für die Kom munen entfielen allein 78 Millionen € auf den Umstand, dass die bisherigen Entflechtungsmittel von gut 310 Millionen € für das Land nunmehr direkt als Umsatzsteuermittel gewährt werden und damit 23 % davon automatisch an die Kommu nen fließen würden. Für die Kommunen ist bei der Entlastung also Brutto gleich Netto; für das Land leider nicht.

Wie die zusätzlichen Einnahmen ab 2020 tatsächlich zwischen Land und Kommunen verteilt werden, müssen wir zu gege bener Zeit mit den Kommunen klären.

Auf eines aber möchte ich gleich hinweisen: Die aufgrund der Neuregelung des Finanzausgleichs ab 2020 zu erwartenden Mittel entsprechen in etwa der Summe von 400 Millionen €, die im Vorgriff auf die erwartete Neuregelung in der mittel fristigen Finanzplanung des Landes ohnehin bereits als Ent lastung vorgesehen waren. Das zeigt, dass dadurch kein Spiel raum für weitere Ausgaben bestehen wird, zumal die finanzi ellen Berechnungen etwaiger Mehreinnahmen auf einer Pro gnose aus der Steuerschätzung im Mai 2016 für 2019 beru hen.

Der Finanzausgleich ist aber nicht nur gut für uns, sondern wir bleiben auch solidarisch. Der Grundsatz, dass die starken Länder für die schwächeren Verantwortung übernehmen, bleibt erhalten.

Etwaige Unwuchten können ausgeglichen werden, und zwar vor allem durch die neu geschaffene Bundesergänzungszu weisung zum Ausgleich unterdurchschnittlicher kommunaler Finanzkraft. Das war gerade für die finanzschwachen, insbe sondere ostdeutschen Länder ein wichtiger Punkt. Auch stel len die vereinbarten Zinshilfen für Bremen und das Saarland eine gute Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwor tung dar. Damit wurde auch für die gegenwärtigen Nehmer länder ein faires Ergebnis erzielt.

Außerdem ist das neue System transparenter als das bisheri ge. Denn der Länderfinanzausgleich in der jetzigen Form wird abgeschafft.

In Zukunft erfolgt der Finanzausgleich im Wesentlichen be reits im Rahmen der Verteilung des Länderanteils an der Um satzsteuer nach Köpfen mit Zu- und Abschlägen nach der Fi nanzkraft je Einwohner. Auch der Umsatzsteuervorwegabzug gehört der Vergangenheit an. Damit haben wir künftig ein zweistufiges Modell mit horizontaler und vertikaler Kompo nente.

Die Abschaffung des bisherigen Länderfinanzausgleichs ist auch aus einem weiteren Grund wichtig: Der ewige Streit da rum, wer Geberland und wer Nehmerland ist, findet damit ein Ende. Der Gegensatz zwischen Geber- und Nehmerländern wurde ständig politisch instrumentalisiert, es wurden Neidde batten geführt und gegenseitige Schuldzuweisungen vorge nommen. Dabei wurde oft ausgeblendet, dass es nur um ei

nen Ausgleich der Einnahmen geht, dass jedes Land aber selbst entscheidet, was es mit dem Geld macht.

Es ist einfach gut für den Zusammenhalt im Föderalismus, dass wir das hinter uns lassen. Denn wir dürfen nicht verges sen, dass der scharfe Gegensatz in der Größenordnung – we nige Geberländer und eine große Mehrheit von Nehmerlän dern – das Klima zwischen den Ländern immer stärker belas tet hat.