Protocol of the Session on October 30, 2020

Wenn es um den Einsatz von Luftfiltern geht, ist Frau Eisen mann nicht einmal bereit, deren Wirksamkeit und Einsatz zu prüfen oder zumindest ab Klassenstufe 8 andere Unterrichts formen wie z. B. ein rollierendes System, wie es unisono auch viele Schulpraktiker und Lehrerverbände fordern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bildungsbereich ist für mich ein beispielhafter Bereich, wo wir zwar den heh ren Anspruch formulieren, dass wir diese Einrichtungen offen halten wollen. Aber sind wir in der Lage, dieses hehre Ver sprechen auch zu erfüllen, wenn sich die Infektionszahlen nicht verringern, wenn dieses Infektionsgeschehen eventuell auch stärker in unsere Bildungseinrichtungen hineinschwappt, weil z. B. Lehrerinnen und Lehrer infiziert sind oder in Qua rantäne müssen oder auch ältere Schülerinnen und Schüler be troffen sind? Wo sind denn die Antworten der Landesregie rung? Es droht, dass wir vielleicht irgendwann wieder gegen den Baum fahren, weil wir zu lange gewartet haben, um Kon zepte zu entwickeln.

Herr Abg. Stoch, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Haser zu?

Kollege Haser, gern.

Herr Stoch, vielen Dank. – Ich habe eine kleine Nachfrage zu dem Thema Lüften. Ich möch te fragen, ob Sie erstens den Unterschied zwischen Stoßlüf ten und Unterricht bei offenem Fenster erläutern können.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Ja, das kann er! – Heiter keit)

Zweitens: Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie es für richtig er achteten, dass die Schulen offen bleiben und der Unterricht stattfindet. Ich möchte Sie fragen, für wie viele Tage Sie das für richtig halten und wann die SPD damit beginnen wird, wie die GEW auch, irgendwann zu sagen, dass das unverantwort bar sei, oder ob wir uns wirklich darauf verlassen können, dass Sie, wie Sie gerade gesagt haben, es für richtig erachten, die Schulen so, wie dies jetzt der Fall ist, offen zu lassen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und den Grünen)

Herr Kollege Haser, fangen wir einmal mit dem technischen Vorgang des Stoßlüftens an. Nach den Vorgaben, die vom Kultusministerium kamen, muss das Stoßlüften alle 20 Minuten in Form eines Querlüftens durch geführt werden, das etwa fünf Minuten andauern soll, um ei nen Luftaustausch zu gewährleisten. Ich sage Ihnen hierzu, dass sich z. B. an der Schule meiner Tochter ein Lehrer wei gert, Unterricht zu halten, wenn nicht alle Fenster geöffnet sind.

(Abg. Raimund Haser CDU: Das liegt aber nicht am Ministerium!)

Es mag sein, dass es nicht an Ihnen liegt, Herr Haser. Es geht nur darum, dass viele Lehrkräfte schon bei Außentemperatu ren von vielleicht 8 Grad Celsius sagen: „Es wird in den Klas senzimmern nicht mehr warm.“ Auch ist es ein Fakt, dass im mer mehr Kinder mit Erkältungskrankheiten zu Hause blei ben, weil sie in den Klassenzimmern in der Nähe der geöff neten Fenster sitzen.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Deswegen, Herr Kollege Haser: Man sollte es sich nicht so leicht machen. Wir brauchen für die Schulen Lösungen, die über das Lüften und Tragen von Masken hinausgehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Wenn Sie mir zugehört haben, wissen Sie auch: Ich bin dafür, dass wir Präsenzunterricht haben, solange wir das verantwor ten können. Ich habe aber auch gesagt: Ich kann mir auch Sze narien vorstellen, in denen das nicht möglich ist, weil das In fektionsgeschehen eine derartige Dramatik annimmt, dass z. B. Lehrkräfte in einem größeren Umfang ausfallen. Wie wollen Sie dann Unterricht machen? Vielleicht mit 60 Kin dern in einer Klasse?

(Abg. Sascha Binder SPD: Sie haben schon jetzt zu wenig Lehrer!)

Ich habe gesagt: Wenn vermehrt ältere Schülerinnen und Schüler von Infektionen betroffen sind, dann brauchen Sie Lö sungen. Vielleicht müssen Sie – wie es manche Lehrerverbän de tun oder von Schulpraktikern getan wird – dann auch über Lösungen wie ein rollierendes System nachdenken, das viel leicht die zweitbeste oder gar die fünftbeste Lösung ist. Da mit wurden gute Erfahrungen gemacht, weil so der Abstand in den Klassenzimmern eingehalten werden kann. Womöglich kann die Maske, die nach sieben oder acht Stunden lästig wird, abgesetzt werden.

Wir müssen über Alternativen zum jetzigen Unterricht nach denken, und zwar nicht erst dann, wenn eine entsprechende Situation eintritt. Das ist meine Rede. Wir dürfen nicht erst damit anfangen, wenn wir gegen den Baum fahren, liebe Kol leginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Überall dort, wo wir seit dem Frühjahr nicht das allermeiste Lehrgeld gezahlt haben, gehen wieder schnelle Lösungen an den Start. Auch in den Hochschulen fallen wir wieder auf die Lösung Lockdown zurück. Für den Amateursport gilt das Gleiche. Auch hier müssen wir Fragen zulassen, z. B.: War um sollen Sportarten im Freien und Sportarten, bei denen kein Körperkontakt stattfindet, verboten werden?

In der Schule sitzen die Kinder und Jugendlichen eng beiein ander. Gemeinsames Training ist allerdings verboten. Frau Kultusministerin Eisenmann hat wohl heute erklärt, dass Schulsport natürlich möglich sei; sie gehe jedenfalls davon aus. Wenn ein Mitglied der Landesregierung erklärt, es gehe davon aus, dann habe ich ein erhebliches Problem zu glauben, dass die Landesregierung weiß, was sie aus den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz überhaupt zu machen hat, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dann komme ich auf ein anderes Mitglied der Landesregie rung zu sprechen. Er steht leider gerade vor der Tür oder wo auch immer. In bestimmten Kreisen kursieren schon wieder bizarre Stammtischideen aus dem Frühjahr: „Das Virus ist ein Ausländer, also schließen wir die Grenzen.“ An einem dieser Stammtische scheint auch der Innenminister dieses Landes,

Herr Strobl, regelmäßig zu Gast zu sein. Aus Profilierungs sucht hat er am Anfang dieser Woche als Maßnahme Grenz schließungen ins Spiel gebracht und damit vor allem die Men schen in der badischen Grenzregion verunsichert. Das ist völ liger Unsinn und aus meiner Sicht unverantwortlich, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Deswegen sind wir wieder bei dem Punkt, wo das Problem liegt, nämlich bei der Kakophonie, der Uneinheitlichkeit der Landesregierung, was die Umsetzung der Maßnahmen angeht. Deswegen halte ich es für richtig, dass wir heute über diese Maßnahmen diskutieren. Letztlich brauchen wir einen Ver ordnungsvorschlag, auf dessen Basis wir entscheiden können.

Herr Kollege Schwarz, wir nehmen Ihr Angebot dankend und gern an, dass wir auf der Basis der Verordnung diskutieren werden.

Wir wissen heute noch nicht konkret, was in der Verordnung steht. Wir erhalten heute viele Fragen: Was passiert eigentlich im Konkreten? Nächsten Mittwoch müssen wir im Landtag darüber sprechen.

Ich nenne Ihnen einmal Fragen, die mir ein Schulleiter zum Thema Bildung zugeschickt hat; die sind nicht ganz unmaß geblich:

Ist Schulsport trotzdem möglich, und warum soll es da mit anders sein als im Verein?

Das ist eine gute Frage.

Es ist noch nicht geklärt, ob Elterngespräche stattfinden dürfen. Können Elternbeiratssitzungen mit oft über 50 Teilnehmern unter Hygienestandards stattfinden, obwohl dringend von solchen Kontakten abgeraten wird? Dürfen Lehrkräfte der Kooperation die Kindertagesstätten wei terhin besuchen? Was ist mit den Praktika, die am Mon tag vor 14 Tagen zuerst abgesagt, dann zwei Tage später wieder genehmigt wurden, obwohl den Betrieben jetzt dringend Homeoffice angeraten wird? Dürfen außerschu lische Organisationen weiterhin die Schulräume nutzen? Auch das wurde vor zwei Wochen zugesagt, zwei Tage später wurde es wieder abgesagt und zwei Tage später wieder zugelassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Menschen in die sem Land, die von diesen Regelungen betroffen sind, haben Fragen, die weit über die Punkte, die der Ministerpräsident heute vorgelesen hat, hinausgehen. Es ist Ihre Verantwortung als Landesregierung, diese Fragen zu beantworten, und zwar nicht erst am Sonntagabend, wenn die Regelungen am Mon tagfrüh gelten sollen, sondern so schnell wie möglich. Das ge hört aus Respekt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern des Landes dazu.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Noch einmal, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Wir müssen bremsen, wir müssen diese Infektionswelle bre chen. Wir müssen etwas tun. Es darf in diesen Zeiten keinen Normalzustand geben. Das müssen alle in diesem Land be greifen – alle Menschen, nicht nur die Politik.

Das bedeutet eben auch Verantwortung und Rücksichtnahme statt dümmlichem Egoismus. Das bedeutet, dass es wenig Sinn macht, sich mit Maske und Abstand in einem Restaurant zu treffen und sich nach dem Essen auf dem Parkplatz ohne Mas ke mit Küsschen und Umarmung zu verabschieden. Das muss man den Leuten auch klarmachen. Die Vorsicht gegenüber dem Virus ist keine Arbeitsschutzmaßnahme, die man nach Feierabend und in der Freizeit getrost vergessen kann.

Ich sage das gerade vor dem kommenden Wochenende. Das Wetter soll da nämlich gut werden. Wer meint, er müsse vor dem Lockdown am Montag jetzt noch Abschiedspartys feiern und noch einmal auf die Piste gehen, hat leider überhaupt nichts verstanden. Lassen Sie das sein! Wir brauchen jetzt so fort eine Verhaltensänderung bei vielen Menschen. Wir dür fen dieses Wochenende nicht auch noch zuwarten. Bitte hal ten Sie sich an die Abstands- und Kontaktbeschränkungen, meine sehr geehrten Damen und Herren in diesem Land.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Es darf auch nicht sein, dass sich Anordnungen gegen die Pan demie nur in Appellen erschöpfen, und wenn die Wirkung aus bleibt, werden die Anordnungen und Appelle noch schärfer formuliert. Man wird manche Regeln eben auch durchsetzen müssen. Das gehört zur Frage der Akzeptanz elementar dazu.

Wenn Menschen diese Regelungen befolgen sollen, müssen sie auch das Gefühl haben, dass der Ehrliche nicht der Dum me ist. Das heißt, diejenigen, die sich nicht um diese Rege lungen kümmern, müssen auch zur Verantwortung gezogen werden. Denn sie sind nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Gemeinwohl verantwortlich. Und manchen muss man das wohl deutlicher ins Stammbuch schreiben, liebe Kolle ginnen und Kollegen.

Klar ist auch, dass unser Freizeitvergnügen in diesen Zeiten der Not nicht die oberste Priorität haben kann, erst recht nicht, wenn dieses Freizeitvergnügen uns daran hindert, die Pande mie zu bremsen. All das müssen sich auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sagen lassen. Aber all die Men schen, die durch Corona nicht nur in ihrer Gesundheit, son dern eben auch in ihrer Existenz bedroht sind, haben ein Recht darauf, dass die Politik ganz genau überlegt, welche Schritte sie wo unternimmt

(Abg. Tobias Wald CDU unterhält sich mit Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU. – Glocke der Präsidentin)

Kollege Wald hat etwas zu tun –, dass sie so genau wie mög lich nachweisen kann, dass jeder dieser Schritte berechtigt ist

(Zuruf des Abg. Tobias Wald CDU)

hör zu, dann kannst du etwas lernen – und tatsächlich zu ei nem Nachlassen des Infektionsgeschehens beiträgt. Deswe gen machen meine Fraktion und ich uns Sorgen um diejeni gen Betriebe, die durch die nun beschlossenen Maßnahmen in noch größere Not gebracht werden. Was ist denn die Pers pektive für die Veranstaltungsbranche,

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

für Künstlerinnen und Künstler oder für die Schausteller in unserem Land? Und was gibt uns, gibt Ihnen und vor allem den Betroffenen die Sicherheit, dass die Maßnahmen Ende November wieder aufgehoben werden können? Deshalb bin ich Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der Bundesregie rung sehr dankbar, dass sie den nun betroffenen Branchen ei nen Ersatz ihrer Umsätze zugesagt haben. Aber wir brauchen Antworten, die über den November hinausgehen.

(Abg. Udo Stein AfD: Bei den Umsätzen! Da fängt es doch schon an!)

Hier ist auch und gerade die Landesregierung gefordert. Wel che zusätzlichen Hilfsmaßnahmen für die betroffenen Unter nehmen und Beschäftigten sind neben den Maßnahmen des Bundes notwendig, und wie gehen wir in die nächsten Mona te? Sich nur auf den Zahlungen des Bundes auszuruhen, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, ist zu wenig. Und die Menschen haben ein Recht darauf, dass alle Schritte und Maß nahmen bestens begründet sind und einer medizinischen wie juristischen Überprüfung standhalten. Sie haben ein Recht da rauf, dass wir die Pandemie so gut wie möglich bremsen, oh ne dieses Land und ganze Branchen an die Wand zu fahren. Ich möchte nicht noch einmal Entscheidungen wie zum Be herbergungsverbot oder zur Begrenzung auf 800 m2 Verkaufs fläche.

(Abg. Anton Baron AfD: Sperrstunde auch!)

Die Gefahr besteht ganz konkret darin, dass durch Pauscha lierungen bei den Verboten ohne einen konkreten Nachweis der Gefährlichkeit der jeweiligen Tätigkeit diese Einzelmaß nahmen vor den Verwaltungsgerichten und eventuell auch vor den Verfassungsgerichten nicht Bestand haben können.