Das muss man einmal sehr deutlich sagen: Es geht nicht nur darum, ob jetzt Elektroautos oder Dieselautos hergestellt wer den, sondern darum, dass wir eine Umstellung auf Industrie 4.0 haben mit einer drastischen Veränderung der Arbeitswelt, mit einem deutlichen Abbau von Arbeitsplätzen einerseits und einer Leistungssteigerung mit neuen Technologien, mit weni gen, hoch qualifizierten Beschäftigen andererseits.
Wenn man sich die neuen Produktionsstätten für den Taycan bei Porsche oder für die S-Klasse bei Daimler in Sindelfingen anschaut, dann sieht man, dass da ganz neue Fabriken entstan den sind, übrigens klimaneutral aufgezogen, sehr innovativ, für neue Produkte, die auch ganz anders sind. Aber das ver ändert die Arbeitswelt, und da stellt sich natürlich die Frage: Was ist, wenn die Arbeitsplätze hier wegfallen? Wo können wir neue Arbeitsplätze gewinnen? Wie können wir die Arbeits plätze auch in dieser Branche halten?
Die zweite große Herausforderung, vor der wir stehen, ist, dass – abgesehen von der Partei hier am rechten Rand – in zwischen alle erkennen, dass natürlich die gesamte Wirtschaft dekarbonisiert werden muss und dass vor allem der Verkehr entfossilisiert werden muss,
also dass wir zukünftig ohne fossile Energieträger, ohne fos sile Kraftstoffe auskommen müssen. Das ist die Konsequenz des Pariser Klimaschutzabkommens. Wir müssen es bis zur Mitte des Jahrhunderts – das sind gerade noch 30 Jahre – schaffen, ein System, das zu über 90 % auf fossiler Verbren nung basiert und davon getrieben wird, in ein neues System zu verwandeln, das weitgehend klimaneutral ist.
Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Das sollten wir alle nicht kleinreden, vor allem nicht mit kleinli chen Debatten über die Frage: Bist du für oder gegen Diesel? Es ist überhaupt nicht zukunftsfähig, solche Fragen zu stel len.
Die Frage ist doch: Wie schaffen wir Klimaschutz und Mobi lität, wie schaffen wir es, Arbeitsplätze und veränderte Ar beitswelt zusammenzubringen, wie schaffen wir es,
die Qualifikation in Baden-Württemberg so voranzutreiben, dass die Menschen auch zukünftig die Arbeitsplätze besetzen können, weil sie als Arbeitskräfte qualifiziert sind?
Ich gebe dem Kollegen Stoch gern recht, dass in dieser De batte über die Zukunft der Technologie häufig nur über die Technologie gesprochen wird und nicht über die Arbeitsplät ze. Es ist eine Herausforderung, in Baden-Württemberg die se 470 000 Arbeitsplätze im Automotivesektor, die sichtbar weniger werden, auszugleichen. Was tun wir, um in anderen Sektoren entsprechende Arbeitsplätze zu schaffen, und was tun wir, damit die Arbeitskräfte, die in der Produktion nicht mehr gebraucht werden, im Dienstleistungssektor und im Be reich der Mobilität neue Arbeitsplätze finden?
Global ändert sich die Art der Mobilität, die Art, wie Men schen Autos nutzen, welche Rolle Autos im System spielen. Deswegen ist es uns absolut wichtig, dass wir diese Transfor mation mit vorantreiben.
Politik sollte sich in der Tat nicht aufschwingen und so tun, als wüsste sie besser, welche Autos produziert werden müs sen und was verkauft werden kann.
(Abg. Udo Stein AfD: Dann lassen Sie es doch end lich! – Abg. Anton Baron AfD: Sie haben doch dem EU-Flottenverbrauch zugestimmt! Das ist Planwirt schaft!)
Herr Abg. Baron, wenn die Automobilwirtschaft Ihren Re den folgen würde, würde sie glatt in die Katastrophe fahren.
Eines muss Politik natürlich in jedem Fall machen: Sie muss die Debatte führen; sie muss auch die gesellschaftliche De batte führen. Denn es geht auch darum, dass wir für diesen Transformationsprozess Menschen überzeugen und sie dafür gewinnen, dass sie in die neuen Technologien umsteigen. Was nützt das schönste Auto – egal, ob es elektrisch ist oder mit Brennstoffzelle betrieben –, wenn es nicht gekauft wird?
Herr Rülke, Sie mit Ihren Zitaten, Sie zitieren ja gern Texte, die Sie selbst nicht gelesen haben, beispielsweise mein Buch.
Das ist ja sozusagen Ihr Markenzeichen: von Zitaten aus Tex ten zu leben, die man selbst nicht gelesen hat.
In Ihren Reden haben Sie und auch einige andere Folgendes gemacht: Auf der einen Seite tun Sie so, als wüssten Sie, was die Zukunft ist, und auf der anderen Seite reden Sie das, was schon da ist und was auch zukunftsfähig ist, schlecht. Ich mei ne, wer heute batterieelektrische Fahrzeuge schlechtredet, wenn dieser Markt gerade am Kommen ist, wenn sich endlich die Automobilindustrie darauf umstellt, solche Fahrzeuge zu produzieren, und sagt: „Das ist doch eigentlich Mist; das ist doch höchstens Übergangstechnologie; die Brennstoffzelle und Wasserstoff, das ist die Zukunft“, der redet doch den Markt kaputt, und das ist verantwortungslos.
Die Krise, meine Damen und Herren, ist vielschichtig, und zwar ein bisschen tiefer gehend, als manche hier meinen. Ein Beispiel ist die Tatsache, dass sich im Automobilsektor die Automobilbranche in den letzten Jahren schon in hohem Maß in Länder Osteuropas oder nach China verlagert hat. Das hat natürlich damit etwas zu tun, dass man weltweit eigentlich dort produzieren muss, wo man verkaufen will. Das hat auch dazu geführt, dass in Deutschland weniger Produktionsstät ten entstanden sind und das Wachstum der Konzerne weitge
hend außerhalb Deutschlands stattgefunden hat. Aber trotz dem haben die Konzerne profitiert, weil sie anderswo gewach sen sind. Zunehmend sind hier also Forschung und Entwick lung – der Kopf –, das Marketing, die Entwicklung, der Ein satz, die Steuerung unser Bereich.
Aber – und das ist ganz wichtig – wir müssen es in Deutsch land und speziell in Baden-Württemberg auch schaffen, dass Baden-Württemberg das innovative Cluster der Automobili tät bleibt, und dabei noch stärker werden. Das schaffen wir nur, wenn wir hier auch Produktion haben und gleichzeitig viel Forschung und Entwicklung. Denn in der Schnittstelle dieser beiden Bereiche entstehen wirklich die Innovationen.
Meine Sorge ist: Wir sind innovativ, aber die Frage ist, ob wir schnell genug sind. Denn der Transformationsprozess verläuft weltweit ungeheuer schnell; da kann man in verschiedene Re gionen schauen. Da sind wir mit unseren Debatten oft hinter her und langsam. Also: Die Innovationen brauchen wir. Das kann Politik unterstützen. Das fördern wir. Politik hat eine Aufgabe.
Natürlich befindet sich die Automobilindustrie in gewisser Weise in einer Zwickmühle. Dieter Zetsche hat einmal gesagt: Das Elektroauto ist richtig gut fürs Klima, aber schlecht für die Rendite.
(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Noch! – Abg. Ca rola Wolle AfD: Der Strom kommt aus der Steckdo se, logisch!)
Da ist etwas Wahres dran; das ist ja nachweislich so. Das ist, ich würde sagen, eine Binsenweisheit. Aber was ist dann die Aufgabe der Politik? Die Aufgabe der Politik besteht darin, dafür zu sorgen, dass Klimaschutz nicht zum Nachteil der Rendite ist. Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das umwelt- und klimafreundlichste Auto auch die bes ten Marktchancen bekommt. Also: Änderung der Rahmenbe dingungen.
Die Landesregierung hat sehr früh erkannt, dass die Verände rungen gesteuert und diskutiert werden müssen. Deswegen hat der Ministerpräsident – anders als die Regierungen aller anderen Länder, die auch Automobilproduktion haben, anders als die Bundesregierung – schon sehr früh gesagt: Wir brau chen einen Strategiedialog, wo der Wandel, wo der Wechsel begleitet wird, wo die gesellschaftlichen Gruppen, Arbeitneh mer, Wissenschaftler, die Automobilindustrie, die Politik, al le zusammengeführt werden und darüber nachdenken: Wie können wir den Zukunftsprozess gestalten? Wie können wir sicherstellen, dass wir mit der Änderung im Automotive-Sek tor unseren Wohlstand erhalten und sichern können? Denn das steckt ja ganz offenkundig für alle von uns dahinter.
Deswegen gibt es das Handlungsfeld Verkehrslösungen, wo wir nicht nur über Antriebstechnologien sprechen, sondern auch über die Veränderungen im System. Denn es ist ja nicht
besonders effizient, dass man 1,2 Menschen mit 2 t Material transportiert – im Schnitt; das ist ja ein statistischer Wert.
Es ist entscheidend, dass wir insgesamt im System Verkehr weniger Energie verbrauchen, die Energieverbräuche effizi enter gestalten, z. B. durch bessere öffentliche Verkehrsange bote, z. B. indem wir dort zu Fuß gehen oder mit dem Fahr rad fahren, wo das Auto gar kein wirklicher Vorteil ist. Ich ha be noch nie gesagt: Alle Leute müssen Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen. Aber alle Leute können zu Fuß gehen, wenigstens ein paar Schritte, selbst Rülke.