Protocol of the Session on October 14, 2020

Weder die Landtagsfraktion der Grünen noch die der CDU ha ben auf ein Erinnerungsschreiben unseres Parlamentarischen Geschäftsführers Reinhold Gall von Dezember 2019 über haupt reagiert – übrigens hat auch die Landes-Behindertenbe auftragte nicht reagiert. Reagiert hat nur die FDP/DVP.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Vorbildlich! – Abg. Nico Weinmann FDP/DVP: So sind wir! Verlässlich!)

Deswegen haben wir mit ihr einen gemeinsamen Gesetzent wurf eingebracht.

Nun hätten die Fraktionen von Grünen und CDU die Gele genheit ergreifen können, unserem Gesetzentwurf beizutreten und die letzten Verbesserungen auch gemeinsam mit uns zu beschließen. Aber wie heißt es doch so schön bei Ihnen? „Re gieren ist eine Stilfrage.“ Jetzt gibt es eben zwei Gesetzent würfe, weil die Koalition aufgrund unseres Entwurfs aus ih rem Tiefschlaf erwacht ist und jetzt unbedingt einen eigenen Entwurf vorlegen musste.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Keck FDP/ DVP)

Natürlich werden wir heute unserem eigenen Gesetzentwurf zustimmen. Sollten wir dabei überraschenderweise nicht die Mehrheit erhalten, so stimmen wir gemäß der Beschlussemp fehlung des Innenausschusses in diesem Punkt dem Gesetz entwurf der Landesregierung zu. Inhaltlich nimmt er ja im We sentlichen unsere Vorschläge auf. Aber die Bürgermeisterre gelung haben Sie doch nur hineingeschrieben, damit Sie ir gendeine Unterscheidung zu unserem Gesetzentwurf haben; machen wir uns da doch bitte nichts vor.

(Beifall des Abg. Jürgen Keck FDP/DVP – Abg. Tho mas Poreski GRÜNE: Sie hätten es doch nachlegen können!)

Ansprechen möchte ich auch noch den Umgang mit der Lan des-Behindertenbeauftragten und dem Landes-Behinderten beirat im Gesetzgebungsverfahren. Liebe Ministerinnen und Minister – es sind kaum welche da –, wir haben dazu in der letzten Legislaturperiode einstimmig ein Gesetz beschlossen, wonach Vertreterinnen und Vertreter von Menschen mit Be hinderungen nach dem Grundsatz „Nicht ohne uns über uns“ zu ihren Belangen verpflichtend frühzeitig in die Gesetzesbe ratung einzubeziehen sind. „Frühzeitig“ heißt nicht, wenn der Gesetzentwurf schon im Kabinett beschlossen ist und seine Inhalte in der Zeitung stehen.

Noch ein Letztes: Lieber Herr Kollege Poreski, Sie haben in der Ersten Beratung behauptet, dass vieles aus meiner dama ligen Rede „Sabines Märchenstunde“ gewesen sei. Das unter stellt, dass ich in meinem Redebeitrag Unwahrheiten verbrei tet hätte.

(Abg. Anton Baron AfD: Die SPD erzählt oft Mär chen, aber sie merkt es nicht! – Zuruf des Abg. Tho mas Poreski GRÜNE)

Das weise ich entschieden zurück. Ich habe es gerade noch einmal aufgeführt, dass Sie hier einfach nicht die Wahrheit sa gen. Dass Sie entweder das Thema „Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen“ verschlafen und da gepennt haben oder sich einfach in der Koalition nicht durchsetzen konnten, das ist die Wahrheit, lieber Herr Kollege Poreski.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Keck FDP/ DVP – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Er geht jetzt in sich! – Abg. Anton Baron AfD: Da wird es ja rich tig emotional zwischen den Sozialisten!)

Nun spricht, wenn das Re depult freigegeben ist, Frau Abg. Wolle von der AfD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Bundesverfas sungsgericht erklärte mit dem Urteil vom Januar 2019 die Ab sätze 2 und 3 von § 13 des Bundeswahlgesetzes für verfas sungswidrig.

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Richtig!)

Dabei geht es im Grundsatz darum, dass seither zwei Perso nengruppen vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Zum ei nen handelt es sich um in allen Angelegenheiten betreute Er wachsene und zum anderen um wegen Schuldunfähigkeit un tergebrachte Straftäter.

Das Gericht spricht sich nicht generell für oder gegen einen Wahlrechtsausschluss aus, sondern kritisiert die unpräzise Be stimmung des bisher geltenden Gesetzes. So waren beispiel weise Personen, für die ein fremder Betreuer in allen Angele genheiten bestellt wurde, generell vom Wahlrecht ausge schlossen. Gehörte der bestellte Betreuer zur Familie, wurde das Wahlrecht nicht entzogen. Ebenso dürfen wegen Schuld unfähigkeit untergebrachte Straftäter nicht generell vom Wahl recht ausgeschlossen werden; denn laut Bundesverfassungs gericht lässt die Schuldunfähigkeit nicht den Rückschluss zu, dass der Straftäter nicht über die für die Ausübung des Wahl rechts erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt. Das kann man nicht einfach so rückschließen.

Der Bundestag hat auf das Urteil mit einer Anpassung des Bundeswahlgesetzes reagiert und die verfassungswidrigen Ab sätze des Bundeswahlgesetzes einfach gestrichen. Gleichzei tig wurden die Grenzen zulässiger Assistenz bei der Ausübung des Wahlrechts sowie die Strafbarkeit der Wahlfälschung bei zulässiger Assistenz eingeführt.

Wie bei den anderen Bundesländern, so setzt der hier vorlie gende Gesetzentwurf der Regierung diesen einfachen Lö sungsansatz der Bundesregierung im Landeswahlgesetz um. Dabei stellen sich aber folgende Fragen: Ist die Wahlassistenz eine Lösung, oder gibt das nicht das nächste Problem? Ist es im Sinne des Bundesverfassungsgerichts, dass vom komplet ten Wahlausschluss zum absoluten Wahlrecht gewechselt wird?

Einige Personen dieser Personengruppe sind sicherlich in der Lage, politische Zusammenhänge klar zu erkennen, eine dif ferenzierte Wahlentscheidung zu treffen und sich bei der Stimmabgabe der Hilfe einer anderen Person zu bedienen – manche wohl kaum. Hier beginnt das Problem der Assistenz lösung. Wie kann man Wahlmanipulation oder Wahlbetrug verhindern, und wie kann man diese nachweisen? An der Wahlkabine ist das sicherlich noch leicht möglich, doch bei der Briefwahl fehlt jegliche Kontrollmöglichkeit.

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Das gilt für alle! – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Wann begeht denn der Betreuer Wahlmanipulation? Ist die Frage „Sie haben doch schon immer CDU gewählt, machen wir da heute wieder unser Kreuzchen?“ oder „Sie sind doch für Umweltschutz, wählen wir die Grünen, oder?“ schon Wahlmanipulation? Es lohnt sich, die Begründung des Bun desverfassungsgerichts aufmerksam zu lesen. Das Gericht spricht sich nicht gegen einen begründeten Wahlausschluss aus, sondern vermisst die notwendige Differenzierung.

Hier haben es sich die Bundesregierung, aber auch die Regie rung in Baden-Württemberg wie auch die SPD sehr einfach gemacht. Wir können uns beispielsweise vorstellen, dass ein Richter auf der Grundlage eines ärztlichen oder eines psycho logischen Gutachtens über einen individuellen Wahlausschluss der einzelnen Personen entscheidet. Nur so kann die indivi duelle Wahlfähigkeit beurteilt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Bundesverfassungsge richt hat mit seinem Urteil zu Recht auf die Defizite in § 13 des Bundeswahlgesetzes hingewiesen. Es ist Aufgabe der Po litik, dem nachzukommen und die beanstandeten Defizite nachzubessern.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das ma chen die Gesetzentwürfe!)

Die im Bundeswahlgesetz gewählte und in den Landeswahl gesetzen nachvollzogene Assistenzlösung ist unserer Ansicht nach nicht dazu geeignet, im Gegenteil. Sie öffnet Wahlbetrug Tür und Tor. Die Versicherung an Eides statt zur Briefwahl ist mangels Kontrollmöglichkeit nicht mehr als ein Feigenblatt.

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Gilt für alle Brief wähler! – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Wollen Sie die Briefwahl abschaffen?)

Daher lehnen wir die hier vorliegenden Gesetzentwürfe ab.

(Beifall bei der AfD)

Jetzt hat für die FDP/ DVP-Fraktion Herr Abg. Keck das Wort.

Herzlichen Dank. – Sehr ge ehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu nächst einmal möchte ich ein bisschen Wasser in den Wein schütten.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Also panschen!)

Thomas Poreski hat sich über den weißen Klee gelobt; Ulli Hockenberger war ein Stück weit besser. Wenn man dem, was der Kollege Poreski gesagt hat, aufmerksam zugehört hat, weiß man: Am Anfang der Legislaturperiode hat man verein bart, dass man hier etwas tun will. Dann hat man abgewartet, was die Bundesregierung macht. Im Januar 2019 gab es tat sächlich einen Beschluss der Bundesregierung;

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Bundesverfassungs gericht!)

darauf komme ich gleich noch einmal zurück. Wir sind da ein bisschen gespalten.

Selten hat das Bild vom lachenden und weinenden Auge so zugetroffen wie heute hier in dieser Debatte. Das lachende Au ge auf der einen Seite, denn auf dem Weg zur gleichberech tigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kommen wir heute dauerhaft einen Schritt weiter. Die Aufhebung von Wahlrechtsausschlüssen galt bisher nur vorübergehend. Nun wird es endlich eine dauerhafte Aufhebung geben. Unser Lan desrecht ist dann stimmig mit dem Bundesrecht.

Meine Damen und Herren, das ist ein sehr wichtiges Signal für all die Menschen mit Behinderungen, für die eine Betreu ung in allen Angelegenheiten bestellt ist. Es tut sich also end lich etwas im Land. Diese Menschen können endlich ihr Wahl recht ausüben – aktiv und passiv. Das ist für uns Freie Demo kraten ein wichtiges Signal in Richtung der Rechte von Bür gerinnen und Bürgern mit Behinderungen und der Würde des Menschen.

Nun noch kurz zum weinenden Auge: Dieses Auge sieht, wie sich die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der CDU parla mentarischen Kooperationen entzogen haben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert auf den 29. Januar 2019. Seitdem sind fast zwei Jahre vergangen.

(Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Zwei Jahre sind es nicht!)

Erst nach der Einbringung unseres Gesetzentwurfs – Kolle gin Wölfle hat es angedeutet – wurde, würde ich sagen, der Hund zum Jagen getragen. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der SPD kam im Mai dieses Jahres Bewegung in die Causa Wahlrechtsausschlüsse. Statt mit uns gemeinsam einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, haben Sie sich lieber einen durch die Regierung erstellen lassen. Das ist eigentlich ein schwaches Zeichen für das parlamentarische Selbstver ständnis der Grünen und der CDU, wenn es um den Kernbe reich der Demokratie geht.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Sabine Wölf le SPD)

Ob es sonderlich elegant und vor allem auch erforderlich ist, bei Bürgermeisterwahlen hier das passive Wahlrecht auszu klammern, bleibt Ihr Geheimnis.

(Zuruf des Abg. Thomas Poreski GRÜNE)

Ich halte mich heute nicht mit Kleinigkeiten auf, die Sie be wusst gesucht haben. Man hätte bei der Frage des Wahlrechts eine parlamentarische Brücke über die Fraktionen hinweg bauen können. Sie wollten das nicht.

(Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Doch!)

War nichts zu erkennen. – Meine Damen und Herren, es ist schön, dass sich heute etwas bewegt. Auch wenn Sie unseren Gesetzentwurf ablehnen: Wir stimmen Ihrem Gesetzentwurf zu. Denn es geht um die Sache, die gleichberechtigte Teilha be von Menschen mit Behinderungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Nun darf ich das Wort Herrn Staatssekretär Klenk erteilen, der für die Regierung spricht.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich zu Be ginn sagen: Beim Gesetzentwurf zur Änderung wahlrechtli cher Vorschriften besteht erfreulicherweise weitgehende Ei nigkeit.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen – Zurufe, u. a.: „Eigentlich“! – Und jetzt?)