Sie dürfen ihre Wohnungen nur noch verlassen, wenn sie zur Arbeit oder in die Schule gehen oder wenn sie sich um kran ke und bedürftige Menschen kümmern. Parks und Spielplät ze werden wieder abgeriegelt. Das, meine Damen und Her ren, sind wirklich schwerwiegende Einschränkungen.
Davon sind wir in Deutschland und in Baden-Württemberg zum Glück weit entfernt. Wir handeln mit Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land vorsorgend, beson nen und verhältnismäßig. Wenn sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder andere Hinweise ergeben, werden die Maß
nahmen entsprechend korrigiert, die Corona-Verordnung wird angepasst, und sie wird – die Frau Staatssekretärin hat es dar gestellt: einmalig in der Bundesrepublik – von unserer Regie rung hier offen zur Debatte gestellt. Das müsste sie nicht tun.
Die Landesregierung und die Landespolitik insgesamt sind ebenso wie die Wissenschaft ein lernendes System. Sie han deln jeweils nach bestem Wissen und Gewissen. Die Bürge rinnen und Bürger unseres Landes verstehen und schätzen das. Wir halten Maß und Mitte.
Meine zweite Botschaft ist: Wir haben einen Plan für den Fall eines Anstiegs der Infektionszahlen. Bereits im Juni hat die Landesregierung ein Ampelsystem etabliert. Es ermöglicht ein zielgerichtetes Vorgehen mit regionalen Beschränkungen dort, wo die Zahl der Neuinfektionen stark ansteigt. Liegt die Sie ben-Tage-Inzidenz bei 35 Neuinfektionen, dann springt die Ampel auf gelb. Weitere Maßnahmen werden ergriffen, wenn die Ampel rot ist, wenn der Inzidenzwert von 50 überschrit ten ist.
Mit dem Konzept der drei Pandemiestufen haben wir ein kla res Verfahren festgelegt und sind auch bundesweit beispiel gebend. Die Ressorts haben für die verschiedenen Lebensbe reiche Maßnahmen vorbereitet, die unverzüglich eingeleitet und umgesetzt werden können. Damit hat die Landesregie rung entschlossen und zugleich besonnen gehandelt, um die Krise zu meistern.
Nein. – Die dritte Botschaft ist: Die Änderungen, die zum heutigen Tag in Kraft treten, sind angemessen. Die Zahl der Neuinfektionen liegt in Ba den-Württemberg wieder auf dem Niveau vom April. Ich ha be Verständnis dafür, dass viele Menschen nach sechs Mona ten Pandemie müde sind, dass sie nach Angst und Unsicher heit wieder den Drang haben, unbeschwert zu leben. Aber das Virus ist noch da, die Pandemie ist leider nicht vorbei. Des wegen müssen wir Vorsorge treffen, damit uns im Winter kei ne weitere schwere Welle trifft.
Es ist deshalb wichtig, dass die Maskenpflicht auf weitere Be reiche ausgedehnt wird. Mit Maske in ein Restaurant zu ge hen ist besser, als in gar kein Restaurant gehen zu können, auch für die vielen Gastronomiebetriebe im Land. Wir wollen und werden vieles in verantwortbarer Weise ermöglichen, auch Weihnachtsmärkte, wenn die Kommunen dies nach der Situation vor Ort für verantwortbar halten. Aber ob es Alko holausschank auf Weihnachtsmärkten geben kann, muss sorg fältig anhand des jeweiligen Infektionsgeschehens geprüft werden. Den Alkoholausschank pauschal und undifferenziert zu bejahen, wie es die FDP/DVP verlangt, ist aus unserer Sicht fahrlässig. Das lehnen wir ab.
Das Gleiche gilt für Ihre Forderung, dass Gruppen von bis zu zehn Personen in Reisebussen ohne Mindestabstand auf Mas ken verzichten können sollten. Ihre Analogie zu Restaurants ist fachlich schlichtweg unhaltbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits im Mai habe ich hier im Plenum gesagt, dass Kinder, Jugendliche und ihre Famili en Anspruch auf unsere Solidarität und auf gezielte Unterstüt zung haben. Wir haben bezüglich der sozialen und emotiona len Folgen der Maßnahmen im März und April Bilanz gezo gen, und wir sind uns einig: Für viele Kinder, Jugendliche und deren Eltern war die Belastungsgrenze oft erreicht oder über schritten. Es gilt daher, größere oder gar flächendeckende Ki ta- und Schulschließungen zu verhindern.
Das ist im Pandemiestufenkonzept auch so vorgesehen. Kin der unter 14 Jahren sind zwar weniger infektiös – das hat ei ne große Metastudie mit Daten aus 32 Studien gezeigt; die „Süddeutsche Zeitung“ hat am Montag darüber berichtet –, aber Kinder und vor allem Jugendliche sind eben als Überträ ger nicht ausgeschlossen. Das RKI hat darauf hingewiesen, dass es bewiesene Übertragungen in den Schulen gibt. Die ersten Wochen seit den Ferien in Baden-Württemberg haben genau dies bestätigt.
Ich begrüße es deswegen, dass das Sozial- und das Wissen schaftsministerium einen multidisziplinären Arbeitskreis ein berufen, der sich mit den neuesten Erkenntnissen über die Ver breitung von Aerosolen beschäftigen und auch kurzfristig Handlungsempfehlungen geben wird. Dabei wird wie schon bisher immer aktuell überprüft, was möglich ist. Wenn ver antwortbar und mit einem guten Hygienekonzept, wird es auch wieder jahrgangsübergreifende AGs geben. Der betref fende Antrag der FDP/DVP ist somit überflüssig.
Vor dem Hintergrund der steigenden Infektionszahlen dürfen wir nichts unversucht lassen, die Ansteckungsgefahr in unse ren Kitas und Schulen zu verringern. Deshalb braucht es jetzt auch schnell einen wissenschaftlich begleiteten Modellver such, der untersucht, ob und wie Luftreiniger geeignet sind, in Klassenzimmern und Kitaräumen für eine effektive Verbes serung der Luft zu sorgen. Denn aus den Schulen kommen Rückmeldungen, dass die Empfehlungen zum regelmäßigen Lüften oft baulich nicht umsetzbar sind.
Meine fünfte und abschließende Botschaft: Wir sind und wir bleiben im Dialog mit der Bürgerschaft. Viele konstruktive und auch kritische Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bür gern haben uns in den vergangenen Wochen und Monaten er reicht. Wir bügeln diese Hinweise nicht einfach ab, sondern wir nehmen sie ernst. Sie haben an vielen Stellen dazu geführt, dass wir Maßnahmen besser begründet haben oder gemein sam mit der Wissenschaft und engagierten Bürgerinnen und Bürgern neue und dritte Lösungen gefunden werden. Die Po litik des Gehörtwerdens gilt auch in der Pandemie. Darauf können Sie sich verlassen.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Wie sehr das Coronavirus und seine Fol gen auf unser Leben und auch auf unsere Arbeit einwirken, haben wir heute auch in der Parlamentsdebatte gehört und er
Das Virus hat unser Zusammenleben in seinen Grundfesten erschüttert und unser Leben gewissermaßen auf den Kopf ge stellt. Nur langsam tasten wir uns in ein normales Leben mit dem Virus zurück, aber es ist halt ein anderes Normal.
Einschneidende Maßnahmen mussten rasch getroffen werden. Sie haben alle Bereiche betroffen und betreffen alle Bereiche: die sozialen, die kulturellen Bereiche und unser wirtschaftli ches Leben. Warum musste dies sein? Weil der Staat das Not wendigste tun muss, um seine Bürger zu schützen; weil das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ein hohes Verfassungsgut ist; weil wir dazu verpflichtet sind, die Men schen unseres Landes vor Ansteckung, vor Krankheit und vor dem Tod durch das Coronavirus zu bewahren.
Wir erleben allerdings auch, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in einem Spannungsverhältnis zu anderen Grundrechten steht: zur Glaubensfreiheit, zur Ver sammlungsfreiheit, zur Berufsfreiheit und zum Recht auf Frei zügigkeit. Genau in diesem Spannungsverhältnis müssen wir die richtige Balance finden.
Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der nicht nur der Landes regierung, sondern auch diesem Parlament und uns Abgeord neten obliegt. Das haben wir ja auch eingefordert. Das Parla ment hat am 22. Juli mit der Verabschiedung des Pandemie gesetzes entschieden, dass wir uns mit den Corona-Verord nungen beschäftigen, über sie diskutieren und auch abstim men. Wir haben uns selbst in die Pflicht genommen, selbst ab zuwägen und zu entscheiden, welche Einschränkungen not wendig sind und welche Beschränkungen aufgehoben werden können.
Wir haben das bewusst und mit großer Mehrheit getan, weil wir wollen, dass das Parlament in diesen Prozess besser ein gebunden und an diesem Prozess beteiligt wird, weil wir ei ne stärkere Balance zwischen Regierung und Parlament wol len und weil wir hier im Parlament oder in den Ausschüssen über Gebote und Verbote, über Beschränkungen und Locke rungen beraten wollen, und zwar bevor sie in Kraft treten. Ge nau das tun wir heute. Das ist richtig, und das ist gut so; denn die Diskussion und die Abstimmung über die Corona-Verord nungen in diesem Parlament stärken die demokratische Legi timation.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Landtag als Ver tretung des Volkes ist die Herzkammer unserer Demokratie. Diese Mitbestimmung des Parlaments ist unser Recht, aber auch unsere Pflicht. Hier in diesem Hohen Haus ist auch der rechte Platz für die Debatte über eine Pandemie, die so um fassend um sich greift und die Maßnahmen erforderlich macht, die einen jeden von uns ganz spürbar im Alltag betreffen.
Wir werden künftig auch in den Ausschüssen öffentlich über die Corona-Verordnungen beraten. Dafür hat der Ständige Ausschuss heute früh einstimmig den Weg frei gemacht. Wir werden jetzt auch die Geschäftsordnung in diesem Punkt än dern. Das zeigt, wie wichtig es uns ist, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mitzunehmen. Alle Interessierten kön nen künftig über einen Livestream ein ungefiltertes Bild da
von bekommen, wie das Parlament über die Corona-Verord nung diskutiert, das Für und Wider abwägt und dann entschei det.
Wir, die CDU-Fraktion, sind bereit, diese Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu übernehmen und für unser Land zu tragen. Wir wollen eben nicht, dass, wie wir es zurzeit in den USA sehen können, ein Teil der Be völkerung aus wahltaktischen Gründen zurückgelassen wird. Wir wollen nicht, dass die Erfolge der bisherigen Pandemie bekämpfung, die durch Disziplin, durch Fürsorge, durch Zu sammenhalt und durch Achtsamkeit der Menschen unseres Landes erreicht wurden, leichtfertig aufs Spiel gesetzt wer den. Wir wollen nicht populistisch und schnell ein Ende aller Maßnahmen fordern, weil wir wissen, dass dies nicht nur die Dynamik der Infektion beschleunigt, sondern auch den Tod von Menschen bedeuten würde.
Ohne Zweifel: Die Einschränkungen und Beschränkungen sind für jeden und für jede von uns belastend, aber sie sind notwendig und erforderlich. Für die CDU gilt weiterhin: So wenig Beschränkungen wie möglich und so viel Freiheit und so viele Lockerungen wie möglich.
Wohin aber Unvernunft und übereilte Lockerungen führen, sehen wir an punktuell steigenden Infektionszahlen hier im Land, in Europa, aber auch weltweit.
Deswegen sage ich an die FDP/DVP gerichtet: Ihre Anträge sind gut gemeint, und es wäre auch uns am liebsten, wenn wir sie mittragen und damit auch einen Schritt mehr hin zur Nor malität gehen könnten. Wir tun aber, glaube ich, den Busun ternehmen, den Schaustellern, den Weihnachtsmärkten, den Schulen gerade in der jetzigen Zeit, in der die Zahlen wieder steigen, keinen Gefallen, wenn wir jetzt lockern und leicht sinnig werden. Das hilft niemandem. Deswegen müssen wir die Anträge jetzt leider ablehnen. Wenn die Zahlen besser sind, sind wir die Ersten, die diesen Weg zu mehr Lockerungen mit gehen werden.
Es ist eben, wie es ist. Das Virus ist nicht weg. Wir müssen jetzt alle gemeinsam verhindern, dass das Coronavirus einen nicht mehr beherrschbaren Verlauf nimmt. Dem trägt die neue Corona-Verordnung, die uns vorliegt, mit maßvollen Ände rungen Rechnung.
Dass wir bislang besser als andere durch die Krise gekommen sind, hat ganz klare Gründe. Wir waren vorausschauender, wir waren mit unseren Maßnahmen rechtzeitiger dran,
und wir haben verantwortungsvoll gehandelt. Unser Staat hat eben in dieser Krise gezeigt, wie handlungsfähig er ist, und unser Gesundheitssystem war zu keinem Zeitpunkt überfor dert. Wir verzichten auf vieles, was uns Freude macht. Wir schränken uns ein, wir halten Ängste aus, und wir sind diszi pliniert. Dass wir deswegen so gut dastehen, ist vor allem ein Verdienst der Menschen in diesem Land.
Dieser Erfolg, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, gibt uns Zeit zum Luftholen. Wir dürfen ihn jetzt nicht aufs Spiel setzen. Deswegen wird die CDU-Fraktion der Corona-Ver ordnung zustimmen.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Hast du das nur den lieben Kolleginnen und Kollegen gewidmet? – Ge genruf: Nur den demokratischen!)
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute hier im Landtag nicht zum ersten Mal über Corona. Aber die Be ratung heute hat nicht nur für den Landtag von Baden-Würt temberg eine besondere Bedeutung, sondern setzt bundesweit parlamentarische Maßstäbe.
Wir sind nicht nur das erste, sondern auch das einzige Bun desland, in dem eine Corona-Verordnung unter Parlaments vorbehalt steht.