Protocol of the Session on September 30, 2020

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Herr Fraktionsvorsitzen der Stoch, Sie sprechen jetzt für die SPD.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Sie sagen es! – Heiterkeit)

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Ich denke, Corona hat uns vieles beige bracht – über viele Defizite und Versäumnisse, über Fehlent wicklungen in unserer Gesellschaft. Corona hat uns aber auch beigebracht, wer dieses Land am Laufen hält, hat uns beige bracht, dass unser Land durch die große Vernunft einer über wältigenden Mehrheit der Menschen bisher besser mit dieser Krise klargekommen ist als fast jedes andere Land auf der Welt. Das sollten wir nicht vergessen.

Vergessen sollten wir auch nicht: Corona hat uns beigebracht, dass es am Ende immer auf das Gemeinwesen ankommt. Staat ist eben kein Schimpfwort, Staat sind wir alle. Auch diejeni gen, die sonst immer den schlanken, den ohnmächtigen Staat wollten, den Staat, der sich kleinmacht und den Privaten und den Märkten nicht im Wege steht, haben plötzlich ganz laut nach dem Staat gerufen, meine sehr geehrten Damen und Her ren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wenn der Ministerpräsident kürzlich gesagt hat, dass man ge gen die Krise nicht ansparen könne, dann hat er recht, und dann hat er auch unsere volle Unterstützung. Es ist richtig, dass wir viel Geld in die Hand nehmen müssen, um unsere Wirtschaft zu stützen, die Kommunen zu unterstützen und In vestitionen möglich zu machen.

Die Bundesregierung hat schon im Juni ihr Konjunkturpaket verabschiedet, ein Volumen von 130 Milliarden €, ein Paket, das maßgeblich auch von den Ministerinnen und Ministern der SPD geschnürt wurde. Dieses Paket wirkt, was wir schon jetzt an den Steuerschätzungen in Deutschland sehen können. Es ist gut möglich, dass Deutschland auch wirtschaftlich zu den Ländern gehört, die am besten durch die Krise kommen.

Was im Bund richtig ist, kann auch im Land nicht falsch sein. Im Gegenteil: Baden-Württemberg kämpft nicht nur mit dem Coronavirus. Die Wirtschaft in unserem Land kämpft auch mit der Krise an den weltweiten Märkten, mit dem Wandel in der Automobilität, mit den Herausforderungen der Digitali sierung.

Kollege Reinhart hat es vorhin angesprochen: Baden-Würt temberg steht vor besonderen Herausforderungen, gerade was die Wirtschaftsstruktur in unserem Land angeht. Deswegen haben wir auch besonders viel zu tun, weil wir besonders viel zu verlieren haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. Darum müssen wir besonders viel gegen die Krise unterneh men.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Wir haben jetzt September. Ich kann der Landesregierung die Feststellung nicht ersparen, dass es dem Bund offensichtlich schneller möglich war, zu helfen, und dass es ganz schön lan ge gedauert hat, bis wir heute in erster Lesung über diesen Nachtragshaushalt beraten können.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wir hätten auch ei ne Sondersitzung in den Sommerferien machen kön nen! – Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Und noch eine unschöne Wahrheit: Wenn etwas schon so lan ge gedauert hat, dann könnte es auch besser werden – viel bes ser.

Ich möchte mit dem Teil anfangen, der sehr viel mit Haus haltsgrundsätzen zu tun hat. Egal, was Sie mit dem Geld vor haben, meine sehr geehrten Damen und Herren: Sie sollten sich schon an die Regeln halten, die für das Land gelten und die wir vereinbart haben. Vor einer Schuldenaufnahme muss man erst einmal in den Haushalt schauen. Vor allem muss man auch einmal schauen, wie es denn in den Haushalten der Mi nisterien mit der Liquidität und den Ausgaberesten aussieht.

Das ist nicht nur meine politische Position, das ist schlicht ein faches Regierungshandwerk. Dass ich da nicht allein stehe, sondern auch der Rechnungshof deutlich darauf hinweist, deu tet doch darauf hin, dass Sie, die Landesregierung, hier gera de nicht von besonderer Transparenz oder finanzpolitischer Finesse reden können. Wir schieben einen Bug an Ausgabe resten vor uns her, die zumindest zu einem stattlichen Teil wohl nicht rechtlich gebunden sind. Deswegen, Frau Minis

terin, fordern wir Sie auf, in den weiteren Beratungen dieses Haushalts Klarheit zu schaffen.

(Der Redner hält ein Blatt Papier hoch.)

Diese Kurve hier besagt, dass das Volumen der Ausgabereste im Haushalt von 2,5 Milliarden € im Jahr 2015 auf aktuell 6,4 Milliarden € gestiegen ist.

Wenn Sie sich jetzt damit herausreden wollen, diese Reste sei en gebunden, sie unterlägen rechtlichen Verpflichtungen, dann hat auch dazu der Rechnungshof etwas zu sagen. Der Rech nungshof sagt nämlich, dass in fast der Hälfte der überprüf ten Fälle eben keine rechtliche Bindung besteht. Dies heißt schlicht und einfach, dass Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, vorrangig dieses Geld für die notwendigen Inves titionen verwenden müssen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der AfD so wie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Auch nicht einverstanden sind wir mit dem Versuch, jetzt durch Hin- und Herschieben unter die Frage „Konjunkturkom ponente oder zusätzliche Verschuldung?“ ein Stück weit auch die Mitwirkung des Landtags von Baden-Württemberg zu be einträchtigen. Wir haben – das hat die Finanzministerin vor hin ausgeführt – innerhalb der Schuldenbremse die sogenann te Konjunkturkomponente, die uns die Möglichkeit gibt, 6,4 Milliarden € auszugleichen – 6,4 Milliarden € neue Schulden innerhalb der Systematik der Schuldenbremse. Dazu kommen 4,4 Milliarden € geringere Einnahmen – Kollege Reinhart hat es beziffert. Dazu schieben Sie dann Ihr sogenanntes Investi tionspaket mit den Rücklagen von 2 Milliarden €, damit Sie das unter das Dach bringen, für das Ihnen eine einfache Par lamentsmehrheit reicht.

Und für das, was die Kommunen dringend benötigen – – Das war übrigens nicht Ihre Idee. Der Bund hat Sie durch das Kon junkturpaket – z. B. durch den Ausgleich der entgangenen Ge werbesteuer – dazu gezwungen, den Kommunen zu helfen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Schlüsselzuwei sungen, Herr Kollege! Da hat der Bund nichts ge macht! Vollkommen falsch! – Abg. Tobias Wald CDU: Falsch!)

Deswegen glaube ich, dass es ein Taschenspielertrick ist, wenn man in diesen Bereich die Hilfe für die Kommunen schiebt. Das ist keine solide Haushaltspolitik.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ebenso nicht solide ist Ihre Argumentation mit der Naturka tastrophe.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Sie haben hier gemeinsam mit uns im März zu Recht beschlos sen, dass wir unter dem Eindruck der damaligen Situation et was tun müssen, weil dringender Handlungsbedarf bestand – vor allem dringender Handlungsbedarf auch in dem Bereich, der zur Bekämpfung der unmittelbaren Folgen der Corona pandemie notwendig ist.

Die Stärkung unseres Gesundheitssystems, die Ausstattung der Kliniken und viele weitere Punkte kann ich als Jurist un ter den Begriff „Naturkatastrophe“ und seiner Folgen subsu mieren. Aber Sie können doch nicht glauben, dass Sie mit dem Ausbruch der Coronapandemie und der damaligen Feststel lung im März jetzt zeitlich unbegrenzt und vor allem, was die Zielrichtung der Ausgaben angeht, unbegrenzt alles an Ver schuldung aufnehmen können nur mit der Begründung, es lie ge eine Naturkatastrophe vor. Das ist ein Bruch unserer Ver fassung, meine sehr geehrten Damen und Herren, und das wird vor dem Verfassungsgerichtshof zu überprüfen sein.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/DVP sowie der Abg. Carola Wolle AfD)

Wenn Sie heute so treuherzig sagen, Sie hofften auf die Mit wirkung der anderen Fraktionen, dann frage ich Sie schon: Wo waren denn die Möglichkeiten zu Gesprächen, seit wir vielleicht im Mai/Juni hier im Land wieder einmal über not wendige weitere Konjunkturimpulse und Investitionspakete gesprochen haben? Ich glaube, Herr Kollege Rülke und ich haben vergeblich darauf gewartet, dass irgendwann einmal ein Anruf kommt.

Versuchen Sie also nicht, hier irgendwie zu simulieren, Sie wollten die Opposition einbinden. Das, was Sie in Ihrer Haus haltsstrukturkommission vorexerzieren, hier einfach abseg nen zu lassen, ist keine angemessene Beteiligung des Parla ments und der Oppositionsfraktionen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Aber vielleicht wollen Sie diese Milliarden ja ausschließlich in grün-schwarzes Geschenkpapier einwickeln. Oder Sie ver suchen durch diese Taschenspielertricks zu verbergen, dass sich Grüne und CDU in Wahrheit nicht annähernd so einig sind, wie Sie heute hier simulieren. Die ersten Pressemittei lungen, wonach das Investitionspaket mit einem Volumen von 1,2 Milliarden € von Grünen und CDU schiedlich-friedlich mit jeweils 600 Millionen € gefüllt werde, zeigt doch alles.

Das ist politischer Basar und keine Krisenbewältigung, die nach Priorität, nach Wichtigkeit von Aufgaben fragt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Vielleicht wollen Sie das Parlament auch deswegen nicht an ständig einbinden, weil Ihr Paket an vielen Stellen einfach we nig bis gar nichts mit Corona zu tun hat. Da soll es in der Rücklage z. B. Geld für „kalamitätsbedingte Ausfälle bei ForstBW“ geben. Ich kenne jetzt keinen Baum persönlich, der sich mit Covid-19 infiziert hätte.

(Lachen der Abg. Nicole Razavi CDU)

Was hat Geld für die „Post-EEG-Biogasanlage“ mit der Vor sorge für eine zweite Welle der Coronapandemie zu tun? Es bleibt ein Geschmäckle, dass hier manches politische Lieb lingsprojekt finanziert werden soll – bequem und am Parla ment vorbei unter dem Deckmantel der Coronahilfe.

(Beifall der Abg. Carola Wolle AfD)

Wir hatten schon einmal dubiose Nebenabsprachen in dieser Regierung. Wir werden auch hier juristisch prüfen. Wenn je mand nicht versteht, dass wir das schon aus Prinzip nicht ak zeptieren können, dann hat er die Rolle dieses Parlaments grundlegend falsch verstanden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Ich sage es noch einmal: Die SPD ist nicht gegen ein Hilfs programm. Wir sind für richtige und wichtige Investitionen. Die SPD weiß, dass Investitionen momentan wichtiger sind als schwarze Nullen. Die SPD wird jeden anständigen Weg zu sinnvollen und notwendigen Hilfen unterstützen und ihm zustimmen.

Aber kommen wir doch zum elementarsten Kritikpunkt: Wo in Ihren 147 Haushaltstiteln geht es eigentlich um die Leute, um die Menschen in diesem Land, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um Familien, um Schülerinnen und Schüler, um alte Menschen in Pflegeheimen, um Kulturschaffende, um Selbstständige, die um ihre Existenz fürchten?

Es ist wirklich nicht alles falsch, was Sie wollen, aber wo ist der große Wurf für die dringend notwendige und durch Coro na besonders wichtige Arbeitsplatzsicherung? Die IG Metall hat z. B. gute Ideen für die Qualifizierung in der Kurzarbeit, die das Land durch eine Art Transformationskurzarbeitergeld unterstützen könnte. Warum lassen Sie das links liegen?

Warum denken Sie bei Corona an Biogasanlagen und die Af rikanische Schweinepest, aber nicht an tausend zusätzliche Lehrer für unsere Schulen oder an ein Landesunterstützungs programm für die Schulen, um ein viel zu mickriges Lernbrü ckenprogramm der Kultusministerin endlich einmal mit Le ben zu füllen?

Wir brauchen jetzt Bildung und Weiterbildung in diesem Land, nicht nur Gefasel über technologischen Fortschritt. Die Men schen müssen diesen technologischen Fortschritt auch mitge hen können, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Vereinzelt Beifall bei der FDP/ DVP)

Deswegen ist unsere Botschaft klar: Nehmen Sie Geld in die Hand, aber tun Sie das sauber und transparent und in einer Art und Weise, die richtig ist. Es geht um ein Virus und nicht um Wahlkampf.

Binden Sie den Landtag ein, wie wir es im Zusammenhang mit der Schuldenbremse vor kurzer Zeit gemeinsam beschlos sen haben.