Protocol of the Session on July 15, 2020

Sie würden sich jetzt nicht kulant zeigen und sagen, wir ma chen mit Punkt 4 weiter?

(Abg. Emil Sänze AfD: Eigentlich wollte ich zu TOP 4 gar nicht viel sagen! – Weitere Zurufe)

Ja, dann tauschen – – Herr Abg. Dr. Goll, bitte. Sie haben einen Antrag zur Geschäftsordnung.

(Zurufe – Unruhe)

Entschuldigung, Frau Abg. Razavi, das habe ich jetzt – –

Ich darf Herrn Abg. Dr. Goll das Wort geben.

Frau Präsidentin, vielleicht wäre es eine Möglichkeit, Tagesordnungspunkt 3 und Tages ordnungspunkt 4 zusammenzufassen;

(Zurufe, u. a.: Genau! – Damit wäre ich einverstan den!)

denn die haben einen engen Zusammenhang.

(Unruhe)

Gut. – Das wirkt sich auf die Redezeit aus. Jetzt muss ich Frau Abg. Erikli fragen, ob sie damit einverstanden ist, weil die Redezeit dann ja verkürzt wäre.

(Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Ja, das ist doch beides das Gleiche! – Anhaltende Unruhe)

War das eine Wortmeldung?

Wir würden den Vorschlag auf Zu sammenlegung gern ablehnen, weil bei uns zwei verschiede ne Redner reden und weil ich glaube, man sollte die beiden Themen schon trennen.

(Vereinzelt Beifall)

Gut, okay. – Dann stelle ich jetzt zur Abstimmung: Wer ist dafür, dass wir außerhalb der Reihenfolge mit Tagesordnungspunkt 4 fortfahren? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Mehrheit da für, dass wir Punkt 4 vorziehen vor Punkt 3 und die beiden Punkte tauschen.

(Abg. Anton Baron AfD: Laut Geschäftsordnung, Frau Präsidentin, braucht es hierfür Einstimmigkeit! Oder? – Gegenrufe: Nein!)

Nein.

(Zurufe, u. a.: Um die Tagesordnung zu ändern!)

Ich würde sagen, wir machen es jetzt so wie mehrheitlich ab gestimmt.

Ich rufe also Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Staatsministeriums – Beteiligungsportal des Landes Ba den-Württemberg – Drucksache 16/2197

Das Präsidium hat hierzu für die Begründung eine Redezeit von fünf Minuten und für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minute je Fraktion vorgesehen.

Als Nächsten darf ich Herrn Abg. von Eyb an das Redepult bitten.

(Zurufe – Unruhe)

Herr Abg. von Eyb, Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsi dentin, verehrte Kolleginnen und geehrte Kollegen! Frau Kol legin Erikli, Sie haben mich jetzt tatsächlich gerade etwas ir ritiert, aber so charmant – alles gut.

(Heiterkeit)

Schon dem Württemberger-Lied ist zu entnehmen, dass die reiche Quelle des Landes seine Bürger sind. Dieser Schatz soll mit dem Beteiligungsportal gehoben werden, so die Idee. Die Erfahrungen und das Wissen der Menschen sollen genutzt werden, um in erster Linie vor Verabschiedung eines Geset zes die Möglichkeit der Mitarbeit zu geben.

Der Gedanke ist einfach: im Vorfeld mitmachen, dem interes sierten Bürger ermöglichen, eigene Gedanken einzubringen. Wir sind uns wohl alle darin einig, dass unsere Demokratie vom Wettstreit der verschiedenen Ideen lebt und einer Ent scheidung ein Abwägungsprozess vorausgeht. Insoweit ist das Beteiligungsportal grundsätzlich eine gute Idee. Allerdings bleiben Zweifel, ob wir damit diejenigen Kräfte erreichen, die von dem Vorhaben tatsächlich betroffen sind, sich jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht einmischen.

Soweit wir übersehen, wird das Portal sehr unterschiedlich genutzt. Sind die Nutzer repräsentativ? Wo stecken die Ju gendlichen, die Unternehmer, die Rentner, Menschen, die nicht in Verbänden und Organisationen engagiert sind und vielleicht das Tagesgeschehen nicht aktuell verfolgen? Wer den wir Abgeordneten möglicherweise in ein schiefes Bild ge setzt? Ja, sogar dann, wenn es so sein sollte, darf man die po sitive Wirkung nicht einfach ignorieren. Es bleibt dabei wich tig, die Beiträge kritisch zu würdigen.

Mir scheint der Gedankenaustausch durch den persönlichen Kontakt, quasi von Gesicht zu Gesicht, am geeignetsten zu sein, um zu einer Meinungsbildung zu gelangen. Insofern hat das Portal ein Defizit auszugleichen.

Dennoch: Auch wenn die Ergebnisse kritisch zu betrachten sind, kann das Portal eine wichtige Aufgabe übernehmen, nämlich kostenfrei an Fachwissen zu gelangen und Menschen in eine Aufgabe einzubinden, die in erster Linie die Aufgabe der Abgeordneten ist.

Der persönliche Gedankenaustausch ist vorzugswürdig, ohne Zweifel. Der Kontakt über das Portal kann aber eine sinnvol le Ergänzung sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall)

Nun darf ich das Wort Herrn Kollegen Weber von der SPD geben.

(Zuruf: Bitte die richtige Rede!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Mit der richtigen Rede ausge stattet möchte ich anfangen. Unbestritten ist der Weg, den schon die grün-rote Landesregierung geöffnet hat, richtig. Ei ne moderne Demokratie braucht Akzeptanz und muss immer wieder aufs Neue Vertrauen schaffen. Ein Schlüssel hierfür ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in einem Ge setzgebungsprozess und darüber hinaus.

Ihr selbst erklärtes Ziel ist es, Baden-Württemberg zum Mus terland für Bürgerbeteiligung zu machen. Der Ausgangspunkt war das Schieneninfrastrukturprojekt S 21, das in BadenWürttemberg – Sie alle wissen das – heftig diskutiert wurde. Es war richtig, dass Grün-Rot eine Volksabstimmung über S 21 durchgeführt hat und 2013 mit dem Beteiligungsportal Menschen wieder näher an Entscheidungen und politische Prozesse herangeführt hat.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte 2012 – ich zi tiere –:

Mit der heutigen Volksabstimmung haben wir einen gro ßen Schritt in die Bürgergesellschaft gemacht, dem wei tere folgen werden.

Doch wo stehen wir heute, acht Jahre später, liebe Kollegin nen und Kollegen? Neben der Möglichkeit zur Beteiligung ist doch entscheidend, was am Ende dabei herumkommt. Ein Be teiligungsprozess ist immer nur so gut wie sein Ergebnis. Während in der letzten Legislaturperiode in neun von 25 Fäl len tatsächlich Änderungen von Gesetzentwürfen vorgenom men wurden, sind es in der aktuellen Legislaturperiode gera de einmal drei Änderungen. Ein insgesamt geringeres Auf kommen von Gesetzentwürfen, nämlich insgesamt nur 15, wird im Beteiligungsportal diskutiert. Wir haben also ein zah lenmäßiges Abfallen von Beteiligungsprozessen.

Aber auch der Ministerpräsident äußert sich heute ganz an ders als damals. Zu Volksbegehren sagt er heute:

Meine Skepsis ist da generell gestiegen.

Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass sich diese eingetrüb te Sicht nicht in den Antworten des vorliegenden Antrags fin det. Zum einen hat die Fraktion GRÜNE ja nur nach Potenzi alen und Möglichkeiten gefragt, zum anderen passt es nicht ganz zur eigenen Erzählung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Werfen wir einen Blick auf ein konkretes Projekt und die Be teiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Ich will ganz bewusst ein Projekt thematisieren, das in meinem Wahlkreis derzeit heftig diskutiert wird. Entlang der Bundesstraße 462 werden gerade elektrische Oberleitungen gebaut, um später E-Lkws zu testen, ein Lieblingsprojekt des grünen Verkehrsministers. Auch dazu gibt es einen Beteiligungsprozess. Es gab Hoch glanzbroschüren, eine digitale Konferenz und verschiedene Besprechungen. Die Broschüren, die eigentlich an alle Ge meinden an der betroffenen Strecke – so die Aussage von Ver kehrsminister Hermann – verteilt worden seien, kamen nur in einigen Gemeinden an. Auch andere Hinweise aus den betrof fenen Gemeinden wurden eher ungern gesehen. Bürgermeis ter Robert Wein aus Bischweier sagt dazu: „Ich vermisse ei nen offenen und ehrlichen Umgang mit unseren Bedenken.“

Im Gaggenauer Gemeinderat empört man sich über die Arro ganz, mit der das Verkehrsministerium die Bürgerinnen und Bürger sowie politische Instanzen im Murgtal behandelt. Ganz unabhängig davon, wie man zu diesem oder anderen Projek ten steht – so ein Beteiligungsprozess ist meilenweit von dem entfernt, was man einen guten Beteiligungsprozess nennt.

Auch im besten Beteiligungsprozess kann man es nicht allen recht machen. Läuft der Beteiligungsprozess jedoch wie hier beschrieben, so schafft er weder Akzeptanz noch Vertrauen. Vielmehr wird es immer schwieriger, wenn der Eindruck ent steht, man entscheide über die Köpfe von Menschen hinweg und nehme Beteiligung nicht ernst.

Das selbst erklärte Ziel, zum Musterland zu werden, ist da mit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in wei te Ferne gerückt. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Ministerpräsident und seine Regierung die Lust an einer Be teiligung, die auch Änderungen zulässt, verloren haben. Wir würden diesen Veränderungsprozess gern wieder anstoßen und freuen uns auf Ihre Beiträge. Bisher sehen wir leider keine.

Vielen Dank.