Protocol of the Session on April 29, 2020

Für Friseurbetriebe haben wir ein strenges Hygienekonzept entwickelt, damit sie ab dem 4. Mai wieder öffnen können.

Kneipen, Restaurants und Tourismushotels bleiben vorerst ge schlossen. Das gebietet die Verantwortung, auch wenn es schmerzt. Denn hier besteht eine besondere Infektionsgefahr, weil die Kontaktdichte besonders hoch und die Nähe beson ders groß ist. Zudem treffen dort – anders als etwa im Büro – ständig unterschiedliche Menschen aufeinander. Das macht die anschließende Nachverfolgung schwierig.

Dabei ist mir natürlich die Not der Wirte und der Hoteliers sehr bewusst. Deshalb erarbeiten wir derzeit Hilfsprogramme mit einem Volumen, das im mittleren dreistelligen Millionen bereich liegt, für Branchen, die besonders unter der Krise lei den – so etwa für die Gastronomie, den Tourismus oder die ÖPNV-Branche und die Busunternehmen.

(Beifall)

Großveranstaltungen wird es für lange Zeit nicht geben kön nen, denn wir haben gesehen, dass dort das Virus besonders massiv um sich greifen kann.

Auch bei den Schulen gehen wir schrittweise vor. Ich danke der Kultusministerin. Sie muss eine außerordentlich schwie rige Situation administrieren.

Am 4. Mai starten nun die Schülerinnen und Schüler, bei de nen in diesem oder im nächsten Jahr Abschlussprüfungen an stehen, sowie die Abschlussklassen der beruflichen Schulen. Dadurch wollen wir sicherstellen, dass Prüfungsvorbereitun gen und Prüfungen wieder stattfinden können.

Allen Schülerinnen und Schülern können wir eine Sorge neh men: Sie werden alle am Ende des Schuljahrs versetzt. Denn die Leistungsbewertung wurde in den letzten Wochen ausge setzt, und sie wird auch in der kommenden Zeit nur einge schränkt möglich sein. Für die Kultusministerin und mich ist klar: Keine Schülerin und kein Schüler sollen durch die Co ronakrise in dieser Hinsicht benachteiligt werden.

(Beifall)

Deshalb ist mir auch eine weitere Entscheidung wichtig. Man che Schülerinnen und Schüler konnten wir mit dem Fernlern unterricht in den vergangenen Wochen nicht erreichen, ein fach weil sie keinen Zugang zu einem Computer haben oder die Lehrer die Familie telefonisch nicht erreicht haben. Für diese Schüler werden die Schulen nun gezielt Präsenzange bote machen, damit sie nicht benachteiligt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bekomme viele drama tische E-Mails von Eltern und Alleinerziehenden. Sie schil dern mir darin eindrücklich, wie die Krise ihren Alltag mit den Kindern völlig auf den Kopf gestellt hat, wie schwer es ist, die Kinder zu betreuen, wenn man nebenher noch arbeiten muss, oder dass den Kindern die Decke auf den Kopf fällt, weil sie nicht mal raus zum Spielplatz können.

Das ist ein großer Druck, der da auf ganz vielen Familien las tet; das zehrt an deren Nerven. Wir sehen das. Wir sehen auch die Situation der Kinder. Sie leiden besonders unter den Ein schränkungen. Von einem auf den anderen Tag dürfen sie nicht mehr in die Kita und in die Schule gehen, nicht mehr Freun de treffen, nicht mehr in den Sportverein oder in die Musik schule. Das ist schlimm für die Kinder, und es schmerzt auch mich als Ministerpräsident, aber auch als Großvater zweier kleiner Enkel.

Trotzdem können wir die Kitas leider nicht schon jetzt wie der öffnen. Das wäre nicht verantwortbar. Denn kleine Kin der sind spontan, und diese Spontaneität lässt sich nur be grenzt kontrollieren, beim Spiel oder in der Pause. Diese Spontaneität gehört ja zum Kindsein dazu. Aber sie stellt epi demiologisch ein mögliches Problem dar, weil sich Kinder noch nicht richtig an die Abstands- und Hygieneregeln halten können.

Deshalb haben wir drei Entscheidungen getroffen. Erstens: Die Kitas und die Grundschulen werden jetzt noch nicht ge öffnet. Zweitens: Die Notbetreuung wird auf Fälle erweitert, in denen beide Elternteile oder die Alleinerziehenden an ih rem Arbeitsplatz präsent sein müssen und als unabkömmlich gelten, und für Schüler auch der siebten Klasse.

Drittens führen wir gemeinsam mit den Unikliniken in unse rem Land eine Studie durch, um herauszufinden, in welchem Maß Kinder ansteckend sind und wie häufig sie das Virus übertragen, obwohl sie vielleicht gar keine Symptome haben.

Die Studie findet über die Landesgrenzen hinaus große Be achtung. Erste Ergebnisse sollen im Mai vorliegen. Dann se hen wir vielleicht klarer, was wir tun können oder auch nicht.

(Beifall)

Auch die Hochschulen fahren wir nun vorsichtig wieder hoch, und zwar digital. Ich wünsche der Wissenschaftsministerin viel Erfolg dabei. Das Sommersemester an unseren Hochschu len wird das erste Onlinesemester in der Geschichte unseres Landes. Dadurch wird es kein verlorenes Semester sein. Nach teile für Studierende wollen wir so gut es geht vermeiden. Stu dierende in Not unterstützen wir mit einem zinslosen Darle hen.

Dann noch ein Wort zu den Kirchen und Religionsgemein schaften: Der Eingriff in die Religionsfreiheit – sie ist ein wichtiges, verfassungsmäßiges Recht – ist sehr tief. Aber ein Blick ins Elsass zeigt auch, dass das gesundheitliche Risiko bei religiösen Feiern besonders hoch sein kann. Deshalb ha be ich in den letzten Tagen ausführliche Gespräche zusammen mit der Kultusministerin, den Kirchen und Religionsgemein schaften geführt, wie Gottesdienste unter Beachtung der Ab stands- und Hygieneregeln aussehen können.

Ich freue mich sehr über das Ergebnis: Ab kommender Wo che können die ersten Gottesdienste und Gebetsversammlun gen wieder stattfinden. Dabei gilt ein Mindestabstand von 1,5 m. Für die Gottesdienstorte müssen ein Infektionsschutz konzept vorgelegt und Hygienevorgaben eingehalten werden. Das Tragen von Alltagsmasken wird empfohlen. An Gottes dienstfeiern im Freien sollen maximal 100 Menschen unter Einhaltung der Abstandsregeln teilnehmen, an Bestattungen maximal 50 Personen. So haben wir uns mit den Religions gemeinschaften geeinigt.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Wochen wa ren wir auch deshalb so erfolgreich, weil wir ein unglaublich leistungsfähiges Gesundheitssystem haben, ein echtes Pfund in der Krise, das wir an den entscheidenden Stellen noch stär ker machen. Rehaeinrichtungen, Gebäude oder Hotels rüsten wir für Erkrankte mit milderem Verlauf um. Die Zahl der Be atmungsbetten steigern wir von 2 200 auf fast 3 300 Ende Ap ril. Die Zahl der normalen Intensivbetten haben wir schon jetzt um mehr als 50 % erhöht.

Daneben haben wir ein zentrales System für die Verteilung von Beatmungspatienten im Land geschaffen. Dadurch be kommt jeder schwer Erkrankte einen freien Behandlungsplatz, und zwar schnell und gezielt.

Daneben bauen wir unsere Kapazitäten zum Testen und Nach verfolgen aus. Unser Ziel ist es, künftig wieder jede Infekti on und jeden Verdachtsfall einzeln verfolgen zu können, bei jedem Verdacht unverzüglich zu testen und die Kontaktperso nen rasch zu ermitteln und sie zu isolieren. Denn je exakter sich Infektionsherde bestimmen lassen und je rascher wir Ver dachtsfälle und ihre Kontaktpersonen isolieren können, des to mehr können wir Beschränkungen für die gesamte Gesell schaft lockern und gezielt vorgehen.

(Beifall)

Mit unserer erweiterten Teststrategie schaffen wir die Voraus setzungen dafür. Diese sieht vor, die Testkapazität auf über

160 000 Tests pro Woche zu erhöhen. Es werden nun auch Menschen ohne Symptome getestet, die in engem Kontakt mit Infizierten stehen, also etwa Pflegekräfte in Pflegeheimen oder Kliniken. Zudem erhöhen wir den Personalbestand der Ge sundheitsämter, und wir setzen auf die vom Bund geplante Tracking-App, um die Kontakte besser nachvollziehen zu kön nen. Deshalb an dieser Stelle mein Appell an den Bund: Wir brauchen diese App jetzt!

(Vereinzelt Beifall)

Ein großes Problem, mit dem gerade fast alle Länder auf der Welt kämpfen, ist das Beschaffen von medizinischer Ausrüs tung und Schutzkleidung. Wir haben deshalb dafür im Sozi alministerium eine eigene Taskforce eingerichtet. Die schuf tet Tag und Nacht, um Schutzausrüstung zu besorgen. Das ist ein echter Knochenjob; denn die ganze Welt sucht derzeit nach Schutzausrüstung, und dies manchmal leider auch mit Wild westmethoden.

Trotzdem: Wir kommen voran. Wir haben in den letzten Wo chen fast 20 Millionen Schutzmasken, Schutzanzüge, Brillen und Handschuhe beschafft und verteilt. 90 Millionen OP-Mas ken und fast 30 Millionen FFP2-Masken sind bestellt. 400 Be atmungsgeräte kommen bis Ende des Monats, und anschlie ßend noch weitere 3 400.

Auch beim medizinischen Personal können wir auf Verstär kung zählen: auf über 2 000 pensionierte Ärztinnen und Ärz te und über 5 000 Studierende, die sich freiwillig gemeldet haben. Das nötigt mir – und ich glaube, uns allen hier – höchs ten Respekt ab. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall)

Corona ist nicht nur die schlimmste Pandemie seit der Spani schen Grippe. Das Virus erschüttert auch unsere Wirtschaft. Es zerreißt die Lieferketten, es vernichtet Aufträge, und es führt zu dramatisch sinkenden Erlösen. Das ist ein unglaubli cher wirtschaftlicher Einschnitt, ein größerer als durch die letzte Weltfinanzkrise. Er ist größer als durch jede andere Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Deshalb tut meine Landesregierung alles Notwendige, um die Folgen von Corona auf unsere Wirtschaft einzudämmen. Ich danke der Wirtschaftsministerin. Sie steht unter einem gewal tigen Druck. Viele Branchen, die die Pandemie bis ins Mark trifft, wenden sich natürlich hilfesuchend an sie.

Die Wirtschaftsministerin und die Finanzministerin haben ge meinsam einen Schutzschirm aufgespannt, wie es ihn in der Geschichte unseres Landes noch nie gab. Er besteht aus vier Teilen:

Erstens gibt es einen Härtefallfonds mit Direktzahlungen für die kleineren Betriebe bis hin zu den Soloselbstständigen, z. B. für den Gastwirt, der sein Geschäft noch nicht öffnen darf, den Taxiunternehmer, bei dem kaum jemand einsteigt, die Pianistin, die gerade keine Konzerte geben kann. Sie alle haben laufende Kosten, aber kaum oder gar keine Einnahmen. Da geht es um nicht weniger als ihre Existenz.

Den Betroffenen zahlen wir einen einmaligen Zuschuss aus, der nicht zurückgezahlt werden muss. Über 220 000 Anträge wurden bisher gestellt, und rund 200 000 Anträge in einer Ge

samthöhe von über 2 Milliarden € wurden inzwischen bewil ligt und zur Auszahlung angewiesen. So konnten wir eine Wel le von Insolvenzen verhindern.

(Beifall)

Zweitens haben wir steuerliche Erleichterungen beschlossen: Wer mit der Coronakrise zu kämpfen hat, braucht Liquidität und Flexibilität. Deswegen können Unternehmen die Voraus zahlungen anpassen, ihre Steuern zinslos stunden und die Frist zur Abgabe der Steuererklärung verlängern. Verluste können auch mit Steuervorauszahlungen aus dem Jahr 2019 verrech net werden.

Drittens haben wir unsere Förderprogramme und Liquiditäts hilfen massiv aufgestockt und den Geldfluss gesichert. Wir haben den Bürgschaftsrahmen verfünffacht und die Bürg schaftsquote von 50 auf 80 % erhöht. Damit unterstützen wir vor allem unseren Mittelstand.

Viertens haben wir einen finanziellen Schutzwall aufgebaut, um unsere Industrie zu schützen. Kein Hedgefonds, Staats fonds oder sonstiger ausländischer Investor soll glauben, dass er die jetzige Situation gegen uns ausnutzen kann. Wir wer den keinen Ausverkauf baden-württembergischer Schlüssel industrien zulassen.

(Beifall)

Sie sehen: Wir lassen niemanden im Stich und unterstützen alle: die Kleinen, den Mittelstand und die großen Schlüssel unternehmen. Ich danke der Finanzministerin, die durch eine kluge Haushaltspolitik vorgesorgt hat, sodass wir diese Hil fen auch gewähren können, und ich danke dem Parlament für die Öffnung der Schuldenbremse.

Meine Damen und Herren, wir helfen aber nicht nur den Un ternehmen, sondern auch den Familien im Land. Gemeinsam mit den Kommunen haben wir ein Hilfsnetz für die Familien geschaffen. Das Land beteiligt sich an den Kosten, wenn die Kommunen auf die Gebühren für Kitas, Horte oder Musik schulen verzichten. Dafür haben wir bereits Ende März 100 Millionen € zur Verfügung gestellt – ein Betrag, den wir jetzt noch einmal um weitere 100 Millionen € als Soforthilfen und Abschlagszahlungen aufstocken.

(Beifall)

Diese Entlastung der Familien ist mir besonders wichtig. Denn sie stehen gerade besonders unter Druck. Viele arbeiten und betreuen gleichzeitig ihre Kinder. Dazu haben manche Geld sorgen, weil sie in Kurzarbeit sind, oder haben Angst um ih ren Arbeitsplatz. Deshalb sage ich den Familien klar und deut lich: Wir sehen, was sie leisten, und wir erkennen es an, in dem wir sie mit einem Hilfspaket entlasten.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Epidemie ist auch eine fundamentale Herausforderung für uns als Gesellschaft und für unsere Demokratie. Noch nie in der Geschichte unseres Landes sind unsere Grundrechte und unsere Freiheiten so mas siv eingeschränkt worden wie in den letzten Wochen. Ich hät te mir nie träumen lassen, dass ich als Ministerpräsident ein mal solche Einschnitte verordnen müsste. Glauben Sie mir: Kein demokratisch gewählter Ministerpräsident will solche

Maßnahmen ergreifen, wenn er es nicht unbedingt muss. Aber wir haben das eben aus diesem Grund getan: weil es unbe dingt notwendig ist, um Menschenleben zu retten.

Dabei handeln wir auf der Grundlage des Grundgesetzes. An gesichts der akuten Bedrohung mussten wir zentrale Freiheits rechte massiv einschränken, um das Recht auf Leben und kör perliche Unversehrtheit unserer Bürger, wie es in Artikel 2 un seres Grundgesetzes verankert ist, zu schützen. Das ist ein Grundrecht! Dass eine solche Einschränkung einmal notwen dig werden könnte, ist in unserem Grundgesetz schon vorge sehen. So steht in Artikel 11 des Grundgesetzes, dass die Frei zügigkeit zur Bekämpfung von Seuchengefahr eingeschränkt werden kann.