Protocol of the Session on March 11, 2020

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kol legen Abgeordnete! 450 Jahre – so lange kann es dauern, bis eine Plastikflasche in der Umwelt zerkleinert ist.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Woher wissen Sie das?)

Abgebaut wird sie ohnehin auch nach 450 Jahren noch nicht sein.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Gab es vor 450 Jahren schon Plastikflaschen?)

Plastik ist Segen, aber zugleich auch Fluch. Plastik ist lange haltbar, vielseitig verwendbar, aber, einmal in der Umwelt, durchaus mit fataler Langzeitwirkung: Plastik im Meer, Plas tik in Flüssen, Mikroplastik in Tierkörpern – Sie kennen die Debatte –, und letztendlich landet natürlich über die Nah rungskette Mikroplastik in unserer Nahrung und dadurch im menschlichen Körper.

Das Bewusstsein dafür, dass wir hier ein Problem haben – das hat diese Debatte auch deutlich gemacht –, ist so groß wie noch nie. Trotzdem steigt bei uns der Verbrauch von Kunst stoffen weiter an. Dabei sind Kunststoffe – das will ich aus drücklich sagen – nicht per se schlecht; denn derzeit sind die meisten Alternativen ökologisch nicht zwangsläufig besser. Wir müssen allerdings unseren Umgang mit Kunststoffen än dern, Stichwort: Mehrweg statt Einweg. Auch hierzu wurde schon einiges gesagt.

Vor allem brauchen wir bei den Kunststoffen endlich eine ech te Kreislaufwirtschaft. Schnelle Verbote sind dabei aus mei ner Sicht jedenfalls nur scheinbar eine gute Lösung. Ein Bei spiel – Sie haben vorhin die Frau Kollegin Bundesumweltmi nisterin angesprochen; da bin ich ausdrücklich anderer Mei nung als sie –: das Verbot von Plastiktüten. Das ist zwar in der Öffentlichkeit durchaus werbewirksam und stieß auch auf ei ne große Resonanz in den Medien. Aber wenn man eine Plas tiktüte durch eine Papiertüte ersetzt, die auch nur ein Mal ge nutzt wird, ist zunächst mal nichts gewonnen. Deshalb ist das aus meiner Sicht wirklich eine Symboldebatte.

Zu dem, was Sie angesprochen haben, Frau Kollegin Rolland – „Wie ist das mit dem Export von gemischten Abfällen?“ –: Es ist nicht ganz so, wie Sie sagen. Die gemischten Abfälle können auch weiterhin exportiert werden, weil sie keine Ab fälle zur Beseitigung sind – dann müssten sie nämlich im In land bleiben –, sondern Abfälle zur Verwertung. Es sind Wert stoffe und damit handelbar wie jegliches Gut. Was sich durch das sogenannte Baseler Übereinkommen von Mai letzten Jah res, unterschrieben von 180 Staaten,

(Abg. Gabi Rolland SPD: 187!)

geändert hat, ist, dass ein Annehmerland erst einmal erklären muss, dass es diese gemischten Abfälle annimmt und dass sie verwertet werden können. Aber es kann weiterhin exportiert werden. Größenordnung übrigens in der Vergangenheit: nach China 560 000 t allein aus Deutschland – gemischte Abfälle.

(Abg. Gabi Rolland SPD: So ist es!)

Nachdem China nicht mehr angenommen hat, haben dann Ma laysia, Indonesien, Vietnam und Kambodscha angenommen.

Was ist die Aufgabe von Baden-Württemberg als Land? Sie haben es kurz angesprochen: Das ist auch Kontrolle. Was wir machen können, sind stichprobenartige Kontrollen, aber na türlich nicht durchgängige Kontrollen – alles, was recht ist; das wissen Sie auch. Diese Stichprobenkontrollen machen wir gemeinsam mit den Zollbehörden und gemeinsam mit der Po lizei. Wir haben dazu einen Kontrollplan, den Sie übrigens im Internet finden und wo Sie nachsehen können, was wir hier in welchem Umfang kontrollieren.

Es kommt letztendlich – ich habe es eben schon anzudeuten versucht – darauf an, dass wir zukünftig Verpackungen nicht

nur einmal verwenden – das ist eines der Kernübel –, sondern dass wir sie möglichst mehrfach verwenden. Plakativ gesagt: Wir müssen wegkommen von einer Wegwerfgesellschaft, und wir müssen hinkommen zu einer Mehrweggesellschaft. Wir, das Land, haben den Vorschlag gemacht, Einwegtüten – egal, aus welchem Material, ob Kunststoff oder Papier – so teuer zu machen, dass die Menschen sie automatisch mehrfach nut zen, sie also zu Mehrweg machen. Dieser Vorschlag ist im Umweltausschuss des Bundesrats auf Einstimmigkeit gesto ßen. Auch von der Wirtschaft wurde dieser Vorschlag durch aus begrüßt. Allerdings fand dieser Vorschlag beim Bund – leider Gottes, sage ich dazu – bislang kein Gehör.

Übrigens fand auch das kein Gehör, was Frau Reich-Gutjahr zu Recht, fand ich, angesprochen hat, nämlich die folgende Problematik: Auf der einen Seite haben wir Verpackungsab fälle, die unter die Verpackungsverordnung – jetzt Verpa ckungsgesetz – fallen und dann von den dualen Systemen er fasst werden. Zu dem, wie viel da verwertet wurde, hat der Kollege Walter ja einiges gesagt. Auf der anderen Seite wer den aber stoffgleiche Nichtverpackungen nicht erfasst. Ein Beispiel: Eine Verpackungsfolie wird vom Dualen System er fasst und sollte dann optimalerweise den Weg des Recyclings gehen. Auf der anderen Seite geht die gleiche Folie, wenn sie eine Frischhaltefolie ist, in den Restmüll und landet dann im besten Fall in einer Müllverbrennungsanlage. Da muss man sich fragen: Worin besteht denn da die Sinnhaftigkeit? Das ist ja nur ein Beispiel von vielen, die man erwähnen könnte.

Das ist der Grund, warum wir in den letzten Jahren mehrfach darauf gedrängt haben, dass wir ein echtes Wertstoffgesetz be kommen, sodass wir die Wertstoffe – seien es Verpackungen oder Nichtverpackungen – gemeinsam erfassen und dann ei ner sinnvollen Verwertung zuführen können.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Anton Baron AfD: Dann sagen Sie auch, was das kostet, Herr Untersteller!)

Für diesen Weg hatten wir eine breite Mehrheit im Bundes rat. Allerdings wurde er bislang von der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Ich glaube, es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns Gedanken

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

über einen neuen Vorstoß in diese Richtung machen müssen.

Denn jemandem die Sinnhaftigkeit dieser getrennten Erfas sung zu erklären, das kann machen, wer will – ich kann es nicht. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen erst recht nicht, dass eine Nichtverpackung völlig andere Wege als eine stoff gleiche Verpackung gehen soll und dass wir hier nicht einen gemeinsamen richtigen Weg finden, diese Stoffe möglichst im Kreislauf zu führen.

Vielleicht ist die „Circular Economy“, die sich die Europäi sche Union für diese Legislaturperiode auf die Fahnen ge schrieben hat, durchaus ein Ansatz, auf dessen Grundlage ei ne Debatte über ein Wertstoffgesetz in Deutschland nochmals neu geführt werden sollte und bei dem dann hoffentlich ein positives Ergebnis erzielt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Das Umweltministerium, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat Ende letzten Jahres eine eigene Projektgruppe „Kunststof fe und Verpackungen“ eingerichtet, die als Scharnier zwischen der Verwaltung, der Bürgerschaft, den Verbänden, der Indus trie und auch der Wissenschaft fungieren wird. Seither sind in dieser kurzen Zeit bereits eine Reihe von Projekten, Initiati ven, Ideen und Aktivitäten auf den Weg gebracht worden.

Beispiele: Wir streben eine plastikarme Landesverwaltung an. Wir wollen zukünftig den umweltgerechten Neubau und Be trieb von Kunstrasenplätzen – das hat Kollege Walter vorhin angesprochen – in enger Abstimmung mit Kommunen und Sportvereinen vorantreiben. Dies ist mit ein relevanter Ein trag von Mikroplastik in die Umwelt; das ist mittlerweile deut lich geworden. Daher, glaube ich, ist es richtig, dass wir im Neubau künftig nur noch solche Plätze fördern, die nicht mit Problemen verbunden sind. Wir brauchen aber auch vernünf tige Sanierungsstrategien für die bestehenden Kunstrasenplät ze.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen – Abg. Gabi Rol land SPD: So ist es! Und die sind nicht vorhanden!)

Wir sehen uns derzeit auch – das hat vorhin jemand von Ih nen angesprochen; ich glaube, Sie, Frau Kollegin Rolland, oder Sie, Frau Reich-Gutjahr, waren es – das Thema „Chemi sches Recycling“ an. Dabei geht es um die werkstofflich nicht recycelbaren Kunststoffe. Bisher wurden diese verbrannt, oder sie wurden deponiert. Wir sind heute – das will ich auch sa gen – unter Kostengesichtspunkten noch immer ein gutes Stück davon weg, zu sagen: Das chemische Recycling ist jetzt der richtige Weg. Wenn sich aber chemisches Recycling wirt schaftlich, technisch und ökologisch tatsächlich als sinnvoll erweisen sollte, macht es Sinn, hier die Forschung voranzu treiben. Das machen wir in Baden-Württemberg. Insbesonde re am KIT gibt es hierzu eine Reihe von Forschungsaktivitä ten. Daher verspreche ich mir hier durchaus eine zusätzliche Möglichkeit, sinnvoll mit Kunststoffabfällen umzugehen.

Besonders wichtig finde ich aber, liebe Kolleginnen und Kol legen, die Diskussion um eine Rezyklatquote. Wir müssen den Einstieg in eine echte Kreislaufwirtschaft schaffen und den bereits technisch weit fortgeschrittenen Rezyklaten bessere Absatzchancen ermöglichen.

Ich habe im letzten Jahr die neue Sortieranlage im Enzkreis, die dort von dem Suez-Konzern betrieben wird, einweihen dürfen. Mit 100 000 t Durchsatz ist das eine der modernsten Anlagen in Europa. Sie ist in der Lage, zehn Kunststoffsorten sortenrein zu sortieren. Das Problem ist: Für diese hochwer tigen Rezyklate finden sie keinen Absatz.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: So ist es!)

Das heißt, wir haben ein Henne-Ei-Problem. Auf der einen Seite habe ich keinen Absatz, keine Abnehmer für hochwer tige Rezyklate. Wenn ich aber keine Abnehmer habe, weshalb soll dann auf der anderen Seite ein Sortierer zusätzliche Mil lionen in eine hochwertige Sortiertechnik reinstecken?

Das wiederum bedeutet: Wenn wir das ernst meinen, dann brauchen wir meines Erachtens Mindestrezyklatanteile in un seren Produkten. Dass dies möglich ist, das kann jeder von uns sehen, wenn er in einen Drogeriemarkt geht und sich das

eine oder andere Reinigungsmittelprodukt – ich will hier jetzt keine Werbung machen – anschaut, dessen Verpackung schon heute auf der Basis von 100 % Rezyklat hergestellt wird. Jetzt muss man nicht gleich auf 100 % gehen. Wenn wir aber – ins besondere auf europäischer Ebene im Rahmen der ÖkodesignRichtlinie – einen Stufenplan erstellen würden und bei be stimmten Produktgruppen bei 20 %, 30 % anfangen und den Anteil dann Stück für Stück erhöhen würden, sodass sich die Wirtschaft darauf einstellen kann, dann wäre das der richtige Weg, um zu einer wirklichen Kreislaufwirtschaft in diesem Segment zu kommen.

Übrigens: Es wäre nicht zum Nachteil des baden-württember gischen Wirtschaftsstandorts, sondern ganz im Gegenteil. Denn die ganzen Technologieentwicklungen in der Sortier technik werden nicht unwesentlich hier in Baden-Württem berg von verschiedenen Firmen vorangetrieben. Daher wäre es auch im Hinblick hierauf ein Vorteil für den baden-würt tembergischen Wirtschaftsstandort.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen Kunststoffe in Zukunft besser recyceln. Dafür brauchen wir faire Marktbe dingungen, und dafür brauchen wir, wie gesagt, einen vorge gebenen Rahmen mit Mindestrezyklatanteilen.

Das waren jetzt ein paar Beispiele, mit denen ich versucht ha be, hier deutlich zu machen, in welche Richtung es gehen muss. Entscheidend wird aber sein, dass wir insgesamt mehr Anreize für Mehrweg setzen. Dafür braucht es mehr Bewusst sein bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber natürlich auch entsprechende politische Rahmenbedingungen. Einweg muss verteuert werden – ich habe es gesagt –, Mehrweg muss sich mehr lohnen.

Mut machen mir übrigens die vielfältigen gesellschaftlichen Initiativen, Plastik zu vermeiden, beispielsweise die sogenann ten Unverpackt-Läden, die in den letzten ein, zwei Jahren überall, in allen möglichen Städten wie Pilze aus dem Boden geschossen sind – und die übrigens sehr gut angenommen werden, was man sieht, wenn man da einmal hineingeht. Ich war selbst überrascht, wie groß das Interesse in der Bevölke rung an diesen Läden ist.

Ebenso macht mir Mut, dass auch der Handel Kunststoffver packungen reduzieren will und dies auch in einem wachsen den Maß tut. Denn Plastik in der Umwelt ist eine Hinterlas senschaft unserer Konsumgesellschaft, die noch lange in der Umwelt nachwirkt. Auf diese Hinterlassenschaft sollten wir zukünftig, so weit es nur irgendwie geht, wirklich verzichten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der CDU, Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Stefan Herre und Harald Pfeiffer [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall bei der FDP/DVP)

In der zweiten Runde erteile ich das Wort Herrn Abg. Walter für die Fraktion GRÜNE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann es sehr kurz machen.

Es ist erfreulich, dass es hier sozusagen ein breites Bündnis gegen Plastik gibt, dass wir alle der Meinung sind, wir müs sen da endlich handeln. Deswegen hoffe ich doch, dass wir in den nächsten Jahren da wirklich vorankommen, auch in dem Sinn, wie es Herr Umweltminister Untersteller gerade be schrieben hat.

Nur eines, Kollege Rapp, muss ich klarstellen. Sie haben die Einführung des Gelben Sackes bzw. der Gelben Tonne mit dem früheren Bundesumweltminister Trittin in Verbindung gebracht. Das ist völlig falsch. Vielleicht erinnern Sie sich: Wir waren gegen die Einführung des Dualen Systems. Wir wollten damals eine Verpackungsabgabe. Dagegen hat sich insbesondere der damalige Bundeswirtschaftsminister Lambs dorff gewehrt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Graf! – Abg. Anton Baron AfD: Gängelung, Verbote und Sonstiges!)

Deshalb hieß die Gelbe Tonne auch die „Lambsdorff-Tonne“. Die Einführung des Dualen Systems hat die Umweltbewe gung als eine ihrer größten Niederlagen in den letzten Jahr zehnten erachtet.

(Zuruf des Abg. Dr. Patrick Rapp CDU)

Aber Sie wissen ja: All die Probleme, die wir jetzt auch mit dem Scheinrecycling haben, sind daraus entstanden. Eine Ver packungsabgabe hätte sicherlich mehr dazu beigetragen,

(Abg. Anton Baron AfD: Sie holen noch den letzten Euro aus den Bürgern heraus! Unglaublich!)