Protocol of the Session on November 13, 2019

(Beifall bei der SPD)

Ich sage es noch einmal: Es ist nicht falsch, Rücklagen zu bil den. Es ist nicht falsch, in guten Zeiten auch Geld einzuspa ren. Aber in den beiden kommenden Jahren – über diese spre chen wir hier bei diesem Doppelhaushalt – kommen ganz an dere Aufgaben auf dieses Land, auf Baden-Württemberg, zu.

Stellen Sie sich vor, wie verheerend es wäre, wenn allein die Automobilindustrie in unserem Land den Anschluss an die Weltspitze verlöre, wenn die Standorte bei uns von anderen Standorten überholt würden, an denen die dortigen Regierun gen mehr in die Zukunft investieren. Was tun Sie dann? Stel len Sie sich dann vor Tausende von Menschen, die ihren Ar beitsplatz verloren haben, halten Ihr „Sparbüchle“ hoch und sagen: „Wir haben aber ein paar Milliarden in der Rücklage“?

(Abg. Raimund Haser CDU: Ah ja, jetzt komm!)

Das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen – das ist keine Er findung von mir – trägt den Titel „Den Strukturwandel meis tern“. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Christoph Schmidt, sagt dazu – Zitat –:

Um die Chancen des Strukturwandels zu ergreifen,

es stecken auch erhebliche Chancen darin –

muss Deutschland seine Wirtschafts- und Industriepolitik nicht neu erfinden, sondern weiterentwickeln.

Die digitale Infrastruktur – das ist dort ein Beispiel – muss weiterentwickelt werden. Die explizite Aussage der Experten, Herr Kollege Reinhart, ist:

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Ich habe es ge lesen!)

Die schwarze Null darf angesichts der enormen Herausforde rungen nicht als Selbstzweck behandelt werden.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: So ist es!)

Dieser Staat hat Verantwortung für die Zukunft. Wenn er die se Verantwortung nur durch Investitionen meistern kann, dann brauchen wir hier nicht über Rücklagen zu diskutieren, dann brauchen wir auch nicht über ein Verbot der Schuldenaufnah me zu diskutieren. Dann ist die allein entscheidende Frage: Was braucht dieses Land für eine gute Zukunft? Das sind In vestitionen in die Menschen und in die Technik dieses Lan des.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das eine tun und das andere nicht lassen!)

Zur Schuldenuhr noch einmal – das fällt mir dann immer ganz spontan ein, Herr Kollege Reinhart –: Wenn Sie den Schul

denstand des Landes anschauen, fällt Ihnen sicher auf, dass die CDU hier ein paar Jahrzehnte regiert hat. In der Zeit, in der die Schulden ganz besonders zugenommen haben, hat die CDU in diesem Land regiert.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Absolut richtig!)

Wir müssen also immer aufpassen, dass wir historisch bei der Wahrheit bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Ich nehme jetzt einmal die Aussagen der Regierung auf, in diesem Fall insbesondere der Grünen. Die Regierung behaup tet, sie investiere dort, wo sie es für nötig halte, und dort, wo es nötig sei, nehme sie auch genug Geld in die Hand. Schau en wir doch einmal, ob das so ist.

Schauen wir einmal auf den Klimaschutz. Der grüne Frakti onsvorsitzende Schwarz hat angekündigt: „Wir werden alle Ausgaben im Haushalt auch unter klimapolitischen Aspekten betrachten.“ Die Frage ist: Werden Sie diesem Anspruch ge recht? Frau Finanzministerin Sitzmann sagt: „Wir investieren in diesem Doppelhaushalt 20 % der zusätzlichen Mehrausga ben für den Klimaschutz.“ Das wären bei 1,35 Milliarden € – mal 0,2 – etwa 0,27 Milliarden € oder 270 Millionen €, und dies bei einem Volumen des Doppelhaushalts von 103 Milli arden €.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ankündigung und Wirklichkeit klaffen auseinander. Wenn wir uns mit der Fra ge der Erfolgsbilanz dieser grün-schwarzen Landesregierung im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes befassen, dann verwundert es einen doch ein bisschen – vielleicht auch nicht –, wenn inzwischen bei gleichen bundespolitischen Rahmen bedingungen Länder wie Bayern, aber auch wie NordrheinWestfalen Baden-Württemberg z. B. beim Ausbau der erneu erbaren Energien hinter sich lassen.

(Zuruf des Ministers Franz Untersteller)

Ich glaube, das ist keine besondere Leistungsbilanz für eine grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg. Kli maschutz sollte man nicht nur im Munde führen, man sollte auch etwas dafür tun, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich sage an dieser Stelle auch sehr deutlich: Umwelt schutz und Klimaschutz sind brandheiße Themen. Man kann gerade den Grünen nicht vorwerfen, dass sie das nicht erkannt hätten. Aber wenn das Haus brennt, dann reicht es nicht, zu pusten. Da müssen schon andere Werkzeuge her. Es besteht aber kein Grund zur Häme, sondern zu grundsätzlicher Sor ge. Die Grünen wissen sicher, dass es beim Klimaschutz den großen Wurf braucht. Dennoch reicht das, was wir bisher im Haushalt erkennen können, nicht. Wir sehen auch, dass ande re Länder ohne grüne Regierungsbeteiligung weiter sind. Es liegt nicht an der Einsicht, aber aus der Einsicht muss offen bar Handeln werden. Das ist das Problem.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Bereich des Ar tenschutzes – ich bleibe in diesem Bereich – gab es zuletzt die Initiative der Landesregierung, um das Volksbegehren – ich sage es jetzt einmal so – weiterzuentwickeln und aufzufan gen.

Herr Kollege Reinhart, Sie brauchen sich aber über die Sor gen der Menschen nicht zu wundern. Sie haben vorhin gesagt, der CDU sei der Begriff der Schöpfung ganz besonders wich tig. Wenn aber der Landwirtschaftsminister in dieser Landes regierung auch für den Verbraucherschutz zuständig ist und mit der Aussage geglänzt hat: „Es geht den Verbraucher schlicht und einfach nichts an, was auf den Feldern ausgebracht wird“, dann frage ich schon: Meinen Sie Schöpfung, die Ihnen wich tig ist, oder meinen Sie allein die Wertschöpfung, liebe Kol leginnen, liebe Kollegen?

(Beifall bei der SPD)

Beim Klimaschutz sind wir bei einem auch für Baden-Würt temberg wichtigen politischen Thema, das gestaltet werden muss. Aber es ist eben nicht das einzige Thema, mit dem wir uns beschäftigen sollten. Ich spreche ganz konkret die Trans formation im Bereich der Wirtschaft und der Arbeitswelt an. Wenn die anderen Parteien vielleicht bei Umwelt und Klima durchaus den Grünen einmal zuhören sollten, kommt jetzt ein Thema, bei dem man vielleicht auch einmal auf die SPD hö ren sollte. Die Konjunktur deutet nämlich einen Abschwung an. So wäre doch jetzt – das ist keine Erfindung von mir, son dern von namhaften Wirtschaftswissenschaftlern – der richti ge Zeitpunkt erreicht, um mit Investitionen antizyklisch ge gen diesen Abschwung zu arbeiten und nicht der Konjunktur zuzuschauen wie der Frosch dem Wetter, sondern zu handeln. Das muss die Devise sein.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Wir alle haben in den letzten Wochen die Pressemeldungen gesehen, beispielsweise des SPIEGEL, der in einer Über schrift von „Musterländle ade?“ spricht. Diese Überschrift darf keine Wahrheit werden. Baden-Württemberg darf eben gerade nicht seine Stärke aufs Spiel setzen; Baden-Württem berg darf nicht die Boomregion von gestern sein. Das Ruhr gebiet ist ein abschreckendes Beispiel, wie der Verlust von Kohle und Stahl dazu geführt hat, dass eine ganze Region in ein Loch fiel. Diese Region arbeitet sich jetzt mit vielen In vestitionen und Mühen aus diesem Loch heraus. Ich will, dass Baden-Württemberg gar nicht erst in ein Loch fällt, sondern dass wir diese Transformation gerade in den Bereichen Ma schinenbau und Automobil durch Investitionen in die For schung, vor allem auch in die Mitarbeiterinnen und Mitarbei ter bewältigen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht – ich sage es ganz deutlich – nicht darum, Panik zu schüren; denn wenn wir Panik schüren, dann profitieren allein diejenigen, die die Verunsicherung in der Gesellschaft für ih re politischen Zwecke nutzen und diese Ängste auch noch ver stärken wollen. Es geht darum, dass wir in diesen Bereichen den Menschen die Zuversicht geben, die Transformation ge stalten und bestehen zu können.

Bei Transformation, würde ich sagen, sollten wir nicht kon servativ auf das Vergangene blicken, sondern wir müssen nach vorn blicken. Wir müssen bereit sein zur Veränderung, gera de weil wir es zu einem guten Teil selbst in der Hand haben, diese Veränderungen zum Guten zu gestalten. Und das geht. Das hat dieses Land in der Geschichte mehrfach bewiesen.

Vor der industriellen Revolution – ich erinnere daran –, vor über 150 Jahren waren Baden und Württemberg beileibe kei ne reichen Länder und keine reichen Regionen. Damals hat der Staat eingegriffen. Er hat die Eisenbahn gebaut, die Was serversorgung errichtet, später Elektrizitätsnetze geschaffen und nicht auf die Privatwirtschaft gewartet.

Der Staat hat eine zentrale Aufgabe in diesem Bereich, um z. B. durch ein funktionierendes Bildungssystem die Voraus setzungen zu schaffen, dass wir auch zukünftig erfolgreich sind. Das heißt: ein Eingreifen nicht gegen, sondern für die Wirtschaft, für Arbeitsplätze durch den Staat, eine gute Part nerschaft zwischen Staat und freier Wirtschaft.

Transformation bedeutet eben, dass der Staat wieder echte Wirtschaftspolitik machen muss. Die Wirtschaft allein wird diese Umbruchprozesse, Transformationsprozesse nicht be wältigen. Sich hinzusetzen und auf die Wirtschaft zu hoffen ist zu wenig. Der Ministerpräsident hat, auf die Transforma tion und die Veränderungen angesprochen, in der Regierungs pressekonferenz gesagt, er könne die dunklen Wolken nicht beiseiteschieben. Das stimmt.

(Zuruf: Wer hat das gesagt?)

Der Herr Ministerpräsident. – Aber der Ministerpräsident kann mithelfen, dass wir beizeiten im Trockenen sind, oder zumindest dafür sorgen, dass wir einen Regenschirm haben.

Die Digitalisierung fordert – das sind Aussagen von Wirt schaftswissenschaftlern – in den nächsten Jahren voraussicht lich etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland. Gleich zeitig werden, wenn man es richtig macht, durch die Digita lisierung 2,5 Millionen Arbeitsplätze entstehen. Das klingt im Saldo sehr erfreulich. Das klingt auch durchaus ermutigend. Aber die entscheidende Frage – das bewegt die Menschen im Land – ist doch nicht, ob das Land ein paar Millionen Euro in eine Initiative wie das Cyber Valley investiert. Die Menschen wollen wissen: Falls ich einer der 1,5 Millionen bin, die ihren Arbeitsplatz verlieren, werde ich dann in der Lage sein, einen dieser neu entstehenden Arbeitsplätze haben zu können?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das entsteht nicht von allein. Das entsteht auch nicht durch die Wirtschaft allein. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass dieser Transfor mationsprozess nicht auf Kosten von Hunderttausenden Ar beitsplätzen in Baden-Württemberg geht. Deswegen müssen wir in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Land, in die Weiterbildung, die Weiterqualifizierung investieren. Das ist das Zeichen der Zeit in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD)

Da fällt es mir, offen gesagt, auch schwer, nachzuvollziehen, wofür im Haushalt des Staatsministeriums 26 Millionen € im Bereich des Strategiedialogs Automobilwirtschaft geparkt werden. Wenn wir doch gerade in der Automobilindustrie die sen Umbruch besonders stark erleben, wenn jetzt bereits Pres semitteilungen kommen, wonach Hunderte, teilweise Tausen de Arbeitsplätze abgebaut werden, dann brauchen Sie doch dieses Geld nicht für den Strategiedialog zu parken, wenn Sie wissen, dass es dringend in die Weiterbildung und die Weiter qualifizierung investiert werden sollte. Vor allem die kleinen

und mittleren Unternehmen, vor allem die Zulieferindustrie werden große Probleme haben, diesen Wandel insbesondere auf der Produktseite, aber auch auf der Qualifikationsseite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bestehen.

Deswegen ist es aus meiner Sicht dringend notwendig, wie es die SPD schon bei den letzten beiden Haushaltsberatungen gefordert hat, endlich einen Weiterbildungsfonds in BadenWürttemberg aufzulegen, aus dem kleine und mittlere Unter nehmen Mittel bekommen, um ihre Mitarbeiterinnen und Mit arbeiter gut auf die Zukunft vorbereiten zu können.

(Beifall bei der SPD)

Und ja, der Wandel in der Automobilindustrie – vor allem, wenn es um die Frage der Technik, des Antriebsstrangs geht – kann in Deutschland Hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Deshalb ist es wichtig, dass wir in diesem Bereich nicht nur auf ein Pferd – möglicherweise auf ein weiteres falsches Pferd – setzen, sondern verschiedene Innovationen zulassen. Wich tig ist dabei, dass der Staat mitmischt.

Wir haben eigentlich alle verstanden – und darum zu Recht Empörung gezeigt –, dass die Entscheidung der Bundesbil dungsministerin Karliczek für Münster, was das Thema Bat teriezellenforschung angeht, falsch war. Es war nicht nur für Baden-Württemberg, sondern für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt bei diesem wichtigen Thema Spei chertechnik eine falsche Entscheidung. Aber dann werden wir eben andere Bemühungen an den Tag legen müssen und dür fen dabei nicht nur die Frage problematisieren, ob es jetzt Bat terie, Wasserstoff oder künstliche Kraftstoffe sind. Wir brau chen eine Situation, in der wir technisch hoch innovativ sind durch die Zusammenarbeit mit Hochschulen, auch unter Ver knüpfung zur mittelständischen Wirtschaft.

Wir brauchen vor allem auch endlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Veränderung schaffen und ihr standhal ten können. Wir müssen, genauso wie vor 150 Jahren schlaue Firmen ihre Mitarbeiter freiwillig gegen Krankheit versichert haben, heute eine Pflicht zur Weiterbildung einführen. Die Un ternehmen müssen ihren Teil dazu beitragen, dass die Mitar beiterinnen und Mitarbeiter nicht auf der Straße landen, son dern ihre Arbeitsplätze in den Unternehmen behalten können.