Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aussprache ist damit beendet.
Ich schlage vor, die Gesetzentwürfe Drucksachen 15/4411 und 15/4353 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Finan zen und Wirtschaft zu überweisen. – Es erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist so beschlossen und Punkt 2 der Tagesord nung erledigt.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesver band Baden-Württemberg e. V. – Drucksache 15/4401
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Ihnen heute einen Vertrag vorlegen zu dürfen, den die Landesregierung, vertreten durch Herrn Staatssekretär Klaus-Peter Murawski, und der Landesverband der Deutschen Sinti und Roma ge meinsam ausgearbeitet haben. Ich danke allen Beteiligten für diesen Erfolg.
18 Jahre lang gab es oft schwierige Verhandlungen, und die se sind innerhalb der ersten zwei Regierungsjahre dieser Lan desregierung abgeschlossen worden. Zugleich ist es ein star kes Signal, dass sich für den vorliegenden Staatsvertrag des Landes Baden-Württemberg mit dem Landesverband der Deut schen Sinti und Roma nun eine breite überparteiliche Zustim mung abzeichnet.
Auch das Parlament hat sich aktiv in die Beratungen einge bracht. In den Vertragstext wurden Vorschläge aus den Regie rungs- und den Oppositionsfraktionen eingearbeitet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war höchste Zeit, mit dem Staatsvertrag die Planungssicherheit für eine gute Zu sammenarbeit zwischen dem Landesverband und dem Land zu schaffen. Wir bilden dazu gemeinsame Institutionen wie den Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Ro ma. Mit der festen Fördersumme von 500 000 € pro Jahr bie ten wir erstmals ein verlässliches finanzielles Fundament, das nicht durch jährliche Projektanträge erneuert werden muss. Gleichzeitig werden Mittelverwendung und gemeinsame Pro jekte auch gemeinsam beraten und umgesetzt.
Ich denke, dass diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe das ei gentlich Neue ist, mit dem Baden-Württemberg ein deutliches
Zeichen in Deutschland setzt, aber auch in die Europäische Union hinein sendet. Dieses klare Bekenntnis ist umso wich tiger, als sowohl die Europäische Union als auch der Europa rat von den Mitgliedsstaaten Verbesserungen im Umgang mit ihren Minderheiten, insbesondere den europäischen Roma, einfordern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Vertrag steht aber auch in einem historischen Kontext, den wir nicht ver gessen dürfen. Am kommenden Montag, den 16. Dezember, jährt sich der berüchtigte Auschwitz-Erlass, mit dem 1942 reichsweit die Deportation aller der damals so genannten Zi geuner in die Vernichtungslager angeordnet wurde. Eine hal be Million Menschen wurden allein aufgrund ihrer ethnischen Herkunft ermordet. Wie tief der rassistische Hass der Natio nalsozialisten reichte, ist auch daran zu erkennen, dass sogar Soldaten der deutschen Armee von der Front in Russland in die Konzentrationslager gebracht wurden, allein weil sie Sin ti und Roma waren.
Inzwischen sind die Sinti und Roma endlich als nationale Min derheit anerkannt. Wie die dänische, die friesische oder die sorbische Minderheit leben sie seit Jahrhunderten in Deutsch land und besitzen aufgrund ihrer eigenen Sprache, Identität und Kultur eine besondere Stellung und bedürfen daher auch einer besonderen Anerkennung. Baden-Württemberg ist seit über 600 Jahren die Heimat von Sinti und Roma. Dieses Land, unsere gemeinsame Heimat, bekennt sich mit dem Staatsver trag zu seiner Minderheit und zur Stärkung der baden-würt tembergischen Minderheitenkultur.
Sinti und Roma sind Teil unserer Gesellschaft und wirken auch erfolgreich in den verschiedensten Berufen. Sie entspre chen in keiner Weise den Pauschalurteilen, die teils aus Un wissenheit, teils aber auch aus Rassismus noch immer weiter getragen werden. Wir müssen weiterhin achtsam sein, dass die öffentliche Debatte nicht von Vereinfachungen und Kli schees geprägt wird. Ein respektvolles, freundschaftliches Miteinander erfordert vielmehr, die Sinti und Roma selbst zu Wort kommen zu lassen und aktiv zu beteiligen.
Mit dem Staatsvertrag stellen wir uns gegen den Antiziganis mus und helfen den deutschen Sinti und Roma, ihre Identität, Kultur und Sprache zu pflegen. Wir bereiten auch den Weg für neue Initiativen in der Wissenschaft und der Bildungsar beit.
Bestandteil des Vertrags ist zudem, dass jährlich 50 000 € aus der Fördersumme für die Integration bleibeberechtigter nicht deutscher Sinti und Roma aufgewendet werden. Wir ver schweigen keine Probleme, wollen aber bleibeberechtigten Menschen und ihren Kindern eine Brücke in eine gemeinsa me gute Zukunft bauen.
Meine Damen und Herren, mit diesem Staatsvertrag bekennt sich das Land Baden-Württemberg zu den Sinti und Roma in
unserem Land. Wir möchten gemeinsam mit den Abgeordne ten des Landtags diesen Staatsvertrag mit Leben erfüllen. Erst mit Ihrer Zustimmung im Landtag erlangt der Vertrag Wirk samkeit.
Am Umgang mit Minderheiten zeigt sich das Selbstverständ nis einer Gesellschaft. Demokratie, Recht und Sozialstaatlich keit müssen sich immer wieder von Neuem beweisen und be währen.
Mit dem Staatsvertrag schlagen wir ein neues Kapitel auf, in dem wir das gesellschaftliche Miteinander und die Beachtung der kulturellen Identität von Sinti und Roma sichern. Dadurch erhalten die Sinti und Roma in Baden-Württemberg endlich die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die ihnen als nationa ler Minderheit auch vor dem Hintergrund unserer gemeinsa men Geschichte zustehen.
Frau Präsidentin, meine werten Kolleginnen und Kollegen! Die Unterzeichnung des Staatsvertrags im Marmorsaal des Neuen Schlosses am Don nerstag, den 28. November 2013, war wirklich ein historisches Ereignis. Alle, die dabei waren, haben die Offenheit, den Re spekt und den Umgang auf Augenhöhe gespürt. Deswegen möchte ich insbesondere Herrn Daniel Strauß vom Landes verband der Deutschen Sinti und Roma dafür danken, dass er mit seinem Humor und seiner Hartnäckigkeit dazu beigetra gen hat, in den Verhandlungen ein wirklich gutes Ergebnis hinzubekommen.
Sinti und Roma gehören seit Jahrhunderten zu unserem Land; ihre Kultur hat uns bereichert, Baden-Württemberg ist ihre Heimat. In ihrer Geschichte gab es Ausgrenzung, Ablehnung, Diskriminierung, Hass, Unrecht, Verfolgung. Ministerpräsi dent Kretschmann ist auf die schlimmen Ermordungen in der nationalsozialistischen Diktatur, den Völkermord, die Gewalt und die Unrechtstaten eingegangen. Diese wurden viel zu spät politisch aufbereitet, ausreichend aufgearbeitet und anerkannt. Bis heute gibt es Vorurteile und Diskriminierung. Dabei sind die Sinti und Roma als nationale ethnische Minderheit aner kannt.
Seit 18 Jahren hat es Verhandlungen zwischen dem Landes verband sowie dem Landtag und der Landesregierung gege ben. Auch das Parlament hat seinen Anteil an diesen Entwick lungen. Bereits unter Ministerpräsident Günther Oettinger ha ben zahlreiche Entwicklungen und Verhandlungen stattgefun den. Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende hat wichtige Impulse gegeben, die heute in die Präambel des Vertrags Ein gang gefunden haben. Es ist wichtig, diesen Weg gemeinsam zu gestalten.
Uns, der CDU-Landtagsfraktion, ist wichtig, den Schutz von Minderheiten als Teil unserer Rechts- und Werteordnung zu
dokumentieren und uns öffentlich dazu zu bekennen. Ohne diesen Schutz wäre es nicht unsere Rechtsordnung. Deswe gen kämpfen wir jeden Tag für das Erreichen dieser Ziele.
Andere Länder gehen andere Wege, indem sie den Schutz der Minderheiten in der Landesverfassung verankert haben. Wir gehen mit diesem Staatsvertrag einen neuen Weg und legen die Rechts- und Finanzbeziehungen zwischen dem Land Ba den-Württemberg und den Sinti und Roma fest.
Wichtige Inhalte sind die Anerkennung des Unrechts, die Fest schreibung des Willens, die Geschichte aufzuarbeiten, die Be kämpfung des Antiziganismus, die Bekämpfung des Rassis mus gegenüber einer ethnischen Minderheit, die diskriminie rend als „Zigeuner“ stigmatisiert wird.
Wir müssen als Gesellschaft mit Klischees und Vorurteilen aufräumen, diese bekämpfen und damit auch die Geschichte und die Kultur stärker im gesellschaftlichen Denken veran kern. In diesem Staatsvertrag sind wichtige Impulse enthal ten. In den Bildungsplänen sollen Geschichte und Gegenwart verankert werden, und die Forschung soll unterstützt werden, um die kulturelle Beteiligung von Sinti und Roma in unserer Gesellschaft aufzuzeigen, weiterzuentwickeln und ihre kultu relle Identität zu erhalten. Wir brauchen bessere Bildungser folge der Angehörigen dieser Minderheit und wollen auch bei der Integration bleibeberechtigter nicht deutscher Angehöri ger dieser Minderheit unterstützend tätig sein.
Ich möchte der Landesregierung, Ihnen, Herr Kretschmann, herzlich danken, dass Sie den Vorschlag der CDU-Landtags fraktion aufgegriffen haben, auch das Parlament und die kom munalen Landesverbände am gemeinsamen Rat zu beteiligen. Wir sind der Auffassung, dass wir die Belange der Sinti und Roma noch breiter in der Bevölkerung verankern können, in dem das Parlament beteiligt ist, indem diejenigen, die in den Städten und Gemeinden in unserem Land die Integrationsbe mühungen, das gemeinsame Arbeiten an einem gesellschaft lichen Miteinander voranbringen, nämlich die kommunalen Landesverbände als Vertreter der Städte und Gemeinden, auch im gemeinsamen Rat verankert sind. Das war uns ein wichti ges Anliegen. Vielen Dank, dass Sie diesen Vorschlag aufge griffen haben.
Enden möchte ich mit einem Zitat von Daniel Strauß. Er hat am 28. November gesagt: „Wir öffnen gemeinsam eine Tür in eine bessere Zukunft.“ Mögen wir alle daran mitarbeiten kön nen.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Donnerstag, der 28. November 2013, war ein guter Tag für Baden-Württemberg, ein guter Tag für den Landtag von Baden-Württemberg und vor allem ein gu ter Tag für den Verband der Sinti und Roma. Wir haben an die sem Tag im Marmorsaal des Neuen Schlosses die feierliche
Vertragsunterzeichnung erleben können, die Herr Minister präsident Kretschmann für das Land und Herr Strauß für den Verband der Sinti und Roma vorgenommen haben. Wir haben uns sehr gefreut, dass es nach 18-jährigen Gesprächen und Bemühungen endlich zu dieser feierlichen Unterschrift unter einen Staatsvertrag gekommen ist.
Es ist wichtig, dass den vielen Gesprächen, die geführt wor den sind, die sicherlich nicht vergebens waren, jetzt Taten fol gen können und dass es vor allem verbindliche Regelungen und Rahmenbedingungen für die Anerkennung und Förderung der Sinti und Roma in Baden-Württemberg gibt. Sie gehören seit mehr als 600 Jahren zu unserer Gesellschaft in BadenWürttemberg. Ihre Kultur und Sprache sind durch deutsches und europäisches Recht geschützt. Wir wollen aber auch auf Landesebene diesen Schutz in einer Vereinbarung, die das Land Baden-Württemberg mit dem Verband der Sinti und Ro ma knüpft, darstellen.
Wichtig ist natürlich, dass dieser Vertrag dann gelebtes Ver fassungsrecht wird, dass wir alle gemeinsam in diesem Haus, aber auch viele Menschen außerhalb des Landtags diese Ver einbarung mit Leben füllen und wir auf Augenhöhe mit dem Verband der Sinti und Roma daran arbeiten können, dass Dis kriminierung, Antiziganismus, Vorurteile – diese Vorurteile gibt es leider auch heute immer noch – hoffentlich sehr bald der Vergangenheit angehören werden.
Wir haben natürlich auch eine historische Verpflichtung. Der Ministerpräsident hat auf die brutale Verfolgung der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus und auf den Ausch witz-Erlass vom Dezember 1942 hingewiesen. Diese brutale, menschenverachtende Verfolgung darf sich nie wiederholen. Dazu ist dieser Staatsvertrag ein wichtiger Beitrag.
Es gilt aber auch im heutigen Leben – das ist schon angeklun gen –, Vorurteile, die es leider noch gibt, weiter abzubauen. Leider ist es immer noch so, dass Sinti und Roma als Nach barn, als Mieter, als Beschäftigte Vorurteilen begegnen. Das führt dazu, dass sich nicht alle Sinti und Roma dazu beken nen, dass sie dieser Minderheit angehören. Auch das, meine Damen und Herren, muss ein Ende haben. Dazu soll dieser Staatsvertrag seinen Beitrag leisten.