Protocol of the Session on November 27, 2013

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf einige Bemerkungen möch te ich kurz eingehen. Was das von mir angesprochene Zitat angeht, kann ich Sie beruhigen, Herr Dr. Rülke. Am gleichen Tag, als Sie Ihre etwas verwirrende Stellungnahme abgege ben haben, ließ der Dachverband der baden-württembergi schen Arbeitgeberverbände verlauten – das ist ja nicht irgend wer –, er halte nichts vom Vorstoß des Ministers. Und dann wörtlich:

Die Absicht, bei krummen Machenschaften Unterneh mensgewinne abschöpfen zu wollen, ist für uns nicht nach vollziehbar.

Das sagte ein Sprecher des Dachverbands der baden-württem bergischen Arbeitgeberverbände. – Das kann es ja wohl nicht sein. Sie werden doch nicht ernsthaft glauben, dass das eine Linie der Landesregierung sein kann, die sich im rechtsstaat lichen Rahmen bewegt und die Straftaten aufklären muss.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Der Kollege Binder und der Kollege Filius haben zu Recht darauf hingewiesen: Mit unseren Vorstößen schützen wir den Mittelstand und das Handwerk in Baden-Württemberg. Wir schützen den Mittelstand und das Handwerk vor kriminellen Machenschaften.

Was das Bruttoprinzip angeht, also das Prinzip, alles aus die sen Taten Erlangte abschöpfen zu wollen, sind wir, glaube ich, auf dem richtigen Weg, wenn wir in diese Richtung denken. Das Unternehmensstrafrecht, das von Nordrhein-Westfalen angestrebt wird, ist eine Diskussionsgrundlage. Ich habe das beschrieben und den Beschluss der Justizministerkonferenz zitiert. Auch da gilt, was schon gesagt wurde: Denkverbote gibt es nicht. Wir werden Pro und Kontra eingehend erörtern, und dazu lassen wir uns auch Zeit, Herr Dr. Löffler.

Was die Anwendung des geltenden Rechts angeht, möchte ich nur darauf hinweisen, dass Bayern hier natürlich eine wesent lich höhere Ermittlungsintensität, viel mehr Verfahren, viel mehr Abschöpfungen hat. Das hängt natürlich auch mit Sie mens zusammen – Herr Dr. Goll, Sie haben darauf hingewie sen –, aber auch mit zahlreichen anderen Strafverfahren bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren, zu denen dort Ermittlungen laufen. Immerhin stehen die Bayerische Staatsregierung und der bis vor Kurzem dort amtierende Wirtschaftsminister, der der FDP angehört, nicht im Verdacht, rot-grüne Tendenzen zu verfolgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Mit liegen keine weiteren Wortmel dungen vor. Damit ist die Aktuelle Debatte unter Tagesord nungspunkt 1 beendet.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Neue Perspektiven für fast 10 000 ar beitslose Menschen – das Landesarbeitsmarktprogramm ist ein voller Erfolg! – beantragt von der Fraktion der SPD

Es gilt die übliche Redezeit bei einer Gesamtdauer von 40 Mi nuten. Ich bitte, die Aktuelle Debatte in freier Rede zu führen.

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hinderer.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Vor 14 Tagen durfte ich bei einem Podiumsgespräch des Netzwerks Teilzeitausbildung Gast sein. Kollege Lehmann saß mit auf dem Podium. CDU und FDP waren dort leider nicht vertreten. Das war schade. Denn dort hätten sie gehört, wie die Politik der Landesregie rung, wie das Landesarbeitsmarktprogramm gelobt wurde.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Wenn wir kei ne Einladung haben, können wir nicht kommen!)

Doch, ich glaube, Sie haben eine Einladung erhalten. Das müsste man überprüfen. Die CDU war zumindest entschul digt. – Es war schade, dass Sie nicht dabei waren. Denn das Lob kam nicht nur von den Verbänden, sondern das Lob kam auch von drei jungen Frauen, die mit uns auf dem Podium sa ßen, drei jungen Müttern, die Ausbildung und Kinderbetreu ung vereinbaren können, weil sie eine Teilzeitausbildung ma chen. Sie haben uns von den Problemen berichtet, die nach wie vor bestehen, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung geht, von den Problemen bei der Finanzie rung ihres Lebensunterhalts. Aber sie haben auch berichtet, wie toll sie mit Maßnahmen aus dem Landesarbeitsmarktpro gramm unterstützt werden und wie sich für sie eine neue be rufliche Perspektive eröffnet, und das ist wichtig.

Über 6 000 junge Menschen werden im Zeitraum 2012 bis 2014 von unserem Landesarbeitsmarktprogramm profitieren, indem sie einen der zusätzlichen Ausbildungsplätze erhalten. Dieses Angebot ist im Interesse der jungen Menschen drin gend geboten. Denn trotz einer Jugendarbeitslosenquote von nur 3 % in Baden-Württemberg sind nach wie vor über 20 000 junge Menschen nach dem Ende der Schulzeit nicht in einer Ausbildung, sondern im sogenannten Übergangssystem. Das ist eine unglaubliche Verschwendung von Ressourcen. BadenWürttemberg hat einen Fachkräftebedarf. Deshalb darf nie mand zurückgelassen werden. Jeder junge Mensch verdient die bestmögliche Förderung und Heranführung an den Beruf.

Deshalb ist es toll, dass der Baustein „Ausbildung für Benach teiligte, assistierte Ausbildung, Teilzeitausbildung“ in allen 44 Stadt- und Landkreisen des Landes angeboten wird.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Auch nahezu flächendeckend wird der Baustein „Sozialer Ar beitsmarkt“ angeboten, nämlich in 40 Stadt- und Landkreisen. Diesem liegt die Grundannahme zugrunde, dass es besser ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Dieser Passiv-Ak tiv-Transfer ist der richtige Ansatz. Über 500 langzeitarbeits lose Menschen haben eine sozialversicherungspflichtige Ar beit gefunden. Wichtig zu bedenken ist auch: 58 000 Men schen in Baden-Württemberg sind nach wie vor langzeitar beitslos,

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: 70 000!)

26 000 davon länger als zwei Jahre. Das ist die Zielgruppe für den sozialen Arbeitsmarkt.

Jetzt kann man natürlich sagen, 562 Plätze im Landesarbeits marktprogramm sind ein Tropfen auf den heißen Stein – ja si cher, aber ein Tropfen, der für jeden Einzelnen, für jede Ein zelne, die in einer solchen Maßnahme beschäftigt werden, ei ne unglaubliche Erfrischung nach einer langen Durststrecke der Arbeitslosigkeit ist. Die Menschen sind wieder in Arbeit statt in einem passiven Leistungsbezug. Sie haben einen eige nen Verdienst, und zwar in Höhe des Mindestlohns von 8,50 € pro Stunde, der ja jetzt flächendeckend eingeführt wird. Sie haben eine Tagesstruktur, sie haben ein soziales Umfeld, Kol leginnen und Kollegen, und sie haben eine Perspektive, über die Arbeit wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Das Tolle ist: Über die Hälfte dieser Plätze im sozialen Ar beitsmarkt sind in der Privatwirtschaft organisiert, der Rest in den Sozialbetrieben, in Verbänden der Wohlfahrtspflege oder Kirchen. Es ist ein Erfolgsfaktor im Hinblick auf den ersten Arbeitsmarkt, dass wir mit dem Passiv-Aktiv-Transfer auf die Voraussetzungen der Zusätzlichkeit und des öffentlichen In teresses verzichten und damit die Möglichkeit bieten, dass tat sächlich sinnvolle und produktive Arbeit angeboten werden kann.

Meine Damen und Herren, wir wissen sehr wohl, dass wir mit dem Landesarbeitsmarktprogramm die Fehlsteuerungen der Arbeitsmarktpolitik des Bundes in den vergangenen Jahren nicht korrigieren können. Aber wir haben mit dem Landesar beitsmarktprogramm, mit unserem Konzept „Gute und siche re Arbeit“ die Integrationschancen von langzeitarbeitslosen Menschen in vielen Einzelfällen deutlich verbessert.

Wir haben mit unseren Modellen auch gute Vorlagen für die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des Bundes geliefert, so zusagen auf dem Silbertablett.

Natürlich liegt die Zuständigkeit für die Arbeitsmarktpolitik beim Bund.

(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!)

Die Koalitionsverhandlungen bewirken da schon eine quali tative Entwicklung. Wir sehen einen Fortschritt im Bereich der Ausbildung. „Chancen der assistierten Ausbildung nut zen“, habe ich heute Morgen noch gelesen. Wir sehen, dass das Konzept „Zweite Chance“, die Förderung der Ausbildung von 25- bis 35-Jährigen, die bislang keine Ausbildung haben, einen Schwerpunkt bei den Alleinerziehenden setzt. Das ist ein Erfolg der SPD in den Koalitionsverhandlungen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Noch nicht ganz so groß ist der Durchbruch beim sozialen Ar beitsmarkt. Da bleibt es zunächst bei eher allgemeinen For mulierungen: Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit als Schwerpunkt der Arbeitsmarktpolitik, ein ESF-Bundespro gramm für Langzeitarbeitslose und die Gewinnung von Ar beitgebern für diese Zielgruppe. Da tut eine Präzisierung not. Die Formulierungen sind für mich persönlich zu vage. Der so ziale Arbeitsmarkt muss vordringliches Vorhaben der neuen Bundesregierung sein. Wir hoffen, dass die CDU an dieser Stelle noch beweglicher wird.

Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass da noch eine Kon kretisierung stattfindet, zumal wir auch prominente Unterstüt zer dieses Vorhabens haben. Vor der Wahl ist mir die Zeit schrift „Einblicke“ – das ist das Blatt des größten Heilbron ner Sozialbetriebs – in die Hände gefallen. Auf der ersten Sei te dieser Zeitschrift lacht mir Herr Strobl entgegen.

(Zurufe von der SPD: Oi!)

Strobl sagt – Herr Präsident, ich darf zitieren –:

Öffentlich geförderte Beschäftigung als Eingliederungs konzept von Langzeitarbeitslosen eröffnet neue Perspek tiven und unterstützt den Übergang in reguläre Beschäf tigung.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Oh!)

Da hat er ausnahmsweise einmal recht. Ich hoffe, dass das nicht nur ein Wahlkampfthema für Herrn Strobl war, sondern dass wir beim sozialen Arbeitsmarkt wirklich noch Fortschrit te im Bund erzielen können und die CDU dieses Thema noch höher hängt. Es wäre prima, wenn die Wahlkampftöne von Herrn Strobl auch nach der Wahl in Berlin Gehör finden und zu einer prägnanten Melodie im Orchester der arbeitsmarkt politischen Instrumente werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion spricht Kol lege Schreiner.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege Hinderer, das ist heute nicht die Fortsetzung von Podiumsdiskussionen. Ich war tatsächlich erkrankt und konnte deshalb nicht kommen. Darüber können Sie froh sein, denn sonst hätte ich schon bei dieser Gelegenheit Wasser in Ihren Lobeswein geschüttet.

Es gibt Debatten wie die heutige, bei denen man sich fragt, zu welchem Zeitpunkt sie geführt werden. Heute ist wieder so ein Tag. Herzlichen Glückwunsch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Erinnern wir uns an das Landesarbeitsmarktprogramm. 2012 hat Frau Sozialministerin Altpeter das Landesarbeitsmarkt programm vorgestellt und um Unterstützung bei der größten Fraktion im Landtag, der CDU, geworben. Was ist dann ge schehen? Egal, ob im Ausschuss, in den Haushaltsberatungen oder in der Plenardebatte am 8. Februar 2012: Wir haben die ses Programm stets unterstützt. Deshalb frage ich mich, war um wir heute in dieser Form darüber diskutieren. Denn die Bezeichnung „Aktuell“ hat diese Debatte nicht verdient, und für einen Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung reicht es eigentlich auch nicht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Aber die Bilanz, die Sie heute ziehen und die Sie vielleicht aufgrund des desaströsen Wahlergebnisses der SPD im Land, speziell bei der Bundestagswahl, auch ziehen müssen, ist aus unserer Sicht verfrüht. Deshalb möchte ich zum Landespro gramm „Gute und sichere Arbeit“ unsere Kritik vom Anfang wiederholen. Uns geht es dabei vor allem um das liebe Geld.

Sie haben ein Programm vorgelegt in einer Zeit, in der die Ar beitslosenquote auf einem sehr guten Stand ist. Ich bin heute schon gespannt, liebe Frau Ministerin Altpeter, wie Sie mit Finanzminister Schmid – aber vermutlich regieren Sie dann nicht mehr – im Ernst über eine Aufstockung dieser Mittel dis kutieren wollen, wenn die Zeiten einmal schlechter werden.

Wir, die CDU, setzen darauf, Arbeitsmarktpolitik nicht als kurzfristigen Erfolg zu feiern, sondern das Landesarbeits marktprogramm als langfristige Verbesserung der arbeits marktpolitischen Instrumente im Land zu sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)