Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Die Werbung im Einzelhandel kennt immer noch den Be griff „preiswert“, und damit ist gemeint, dass eine Ware oder Dienstleistung so gut ist, dass sie einen bestimmten Preis rechtfertigt. Dieser Begriff nimmt auf eine Erfahrung Bezug, die wohl jeder von uns in seinem Privatleben schon gemacht hat: Das billigste Angebot ist nicht immer das beste oder wirt schaftlichste. Das trifft besonders bei Gütern zu, die wir län ger nutzen. Es ist oft vorteilhafter, etwas mehr auszugeben, als in jedem Nutzungsjahr teuren Unterhalt zu bezahlen.
Dieser Grundgedanke gilt besonders für das Land und die Kommunen. Denn der öffentliche Sektor hat große Bedarfe und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das Land und die Kommunen bauen z. B. Schulen, Straßen, kaufen Computer und Verbrauchsmaterial, beschaffen teure Spezialgeräte für Wissenschaft und Forschung.
Die Nachfrage des Staates – Herr Schwarz hat es schon deut lich gemacht – hat Einfluss auf das Angebot. Wir können wirk same Standards setzen. Der öffentliche Sektor hat als Nach frager Macht und kann das Handeln von vielen Anbietern be einflussen. Dies bedeutet für uns eine Chance, aber auch ei nen Auftrag, mit dem wir sorgfältig umgehen müssen. Denn unser Handeln bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hat Aus wirkungen auf die Wirtschaft und die Arbeitsplätze im Land.
Deswegen bin ich dankbar, wie es auch meine Vorredner deut lich gemacht haben, dass wir heute über das Vergaberecht dis kutieren. Ich finde, die Stellungnahme des Ministeriums bie tet eine gute Grundlage. Halten wir einige Aspekte fest:
Erstens: Durch die Ausschreibung öffentlicher Aufträge wol len wir die Vorteile des Wettbewerbs für den öffentlichen Be reich nutzen. Wir wollen Güter und Dienste günstig beschaf fen. Das Vergaberecht fordert daher von den öffentlichen Auf traggebern, dem wirtschaftlichsten Anbieter den Zuschlag zu geben. Es fordert nicht, den billigsten zu berücksichtigen. Der Preis allein entscheidet nicht. Es kommt auf das optimale Ver hältnis von Preis und geforderter Leistung an. Dabei ist für uns wichtig: Land und Kommunen müssen als Nachfrager nicht nur wirtschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich ver nünftig handeln.
Zweitens: Die öffentliche Hand darf von Anbietern verlangen, dass ihre Leistungen sowohl soziale als auch ökologische Kri terien erfüllen. Dies gilt nicht nur für die Leistungen, die wir einkaufen, sondern auch für die Herstellungsbedingungen.
Der Landtag hat mit dem Beschluss für das Tariftreuegesetz klargemacht: Wir wollen, dass nur die Unternehmen öffentli che Aufträge erhalten, die die Regeln des Wettbewerbs ach ten und ihre Mitarbeiter anständig bezahlen. Wir beenden so den unerträglichen Zustand, dass Ausbeutung auch noch durch öffentliche Aufträge belohnt wird, während der faire Arbeit geber leer ausgeht.
Andere Länder waren weiter als Baden-Württemberg. Diese Lücke haben wir geschlossen. Das wurde auch höchste Zeit.
Bei dem Tariftreuegesetz wollten wir bewusst ein schlankes Gesetz machen. Andere Länder sind beim Tariftreuegesetz weiter gegangen. So hat Nordrhein-Westfalen in seinem Ta riftreue- und Vergabegesetz konkrete Vorgaben dazu gemacht, welche sozialen und ökologischen Kriterien bei den öffentli chen Aufträgen besonders relevant sind. Im sozialen Bereich sind dies die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeits organisation ILO. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich nicht um Luxus. Die Kernarbeitsnormen beziehen sich auf das Verbot von Zwangsarbeit, auf die Verhinderung von Kinder arbeit oder auf das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Nordrhein-Westfalen betont ausdrücklich den Sinn von As pekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz als Be schaffungskriterien.
Das ist alles kein „Klimbim“, sondern das sind Grundsätze, denen das ganze Haus hier zustimmen wird und die es als ver nünftig ansieht.
Die Landesregierung macht in ihrer Stellungnahme darauf aufmerksam, dass das Vergaberecht komplexer geworden ist. Das hat auch damit zu tun, dass das Land und die Kommunen heute andere Güter benötigen als noch vor 20 Jahren. Einkäu fer müssen andere, komplexere Sachverhalte berücksichtigen, sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in der Wirt schaft. Dies macht die Vergabe aufwendiger und auch teurer.
Steigende Kosten braucht man nicht einfach hinzunehmen, sondern man kann ihnen mit verbesserten Verfahren und neu en Serviceleistungen begegnen. Kleinere Nachfrager und klei nere Anbieter brauchen Unterstützung durch Servicestellen oder durch Auftragsberatungsstellen. Dieser Bedarf besteht nicht nur im Vergabewesen, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Es ist also bekannt, dass nicht nur der Staat gefor dert ist, sondern auch die Kammern und Verbände der Wirt schaft ihre Aufgaben erfüllen müssen und das Dienstleistungs- und Beratungsangebot für Unternehmen weiterentwickeln müssen.
Nicht nur im Privaten gilt: Wer soziale und ökologische Kri terien im Einkauf berücksichtigt, schafft keineswegs nur Ver waltungsaufwand. Es geht um volkswirtschaftlich sinnvolles Agieren auf dem Markt. In Baden-Württemberg sind wir dank unserer grün-roten Wirtschaftspolitik auf einem guten Weg.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin, zunächst ein mal möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie den Doktortitel gern weglassen können. So etwas ist in der Poli tik äußerst gefährlich.
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich hoffe, für Sie nicht, Herr Kollege! – Zuruf des Abg. Alexander Sa lomon GRÜNE)
Werte Kolleginnen und Kollegen, in einer globalen Welt ist es schwierig, zu erkennen, unter welchen Bedingungen Güter oder Bauteile von Gütern gefertigt wurden. Mit zunehmender Komplexität nimmt auch die Verpflichtung zu, genauer hin zuschauen, woher die Güter kommen. Wenn die Güter kom plexer werden, muss auch das Hinterfragen komplexer wer den.
Bereits im Dezember 2007 wurde mit der Beschaffungsanord nung durch die alte Landesregierung der Umweltschutz als allgemein verbindlicher Beschaffungs- und Vergabegrundsatz eingeführt. Wie man sieht, hat auch die alte Landesregierung auf diesem Gebiet bereits gute Arbeit geleistet.
Auch bei der Beschaffung von Gütern aus Behindertenwerk stätten oder Vollzugsanstalten gibt es spezielle Regelungen. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge gibt es eine Verwal tungsvorschrift zur Vermeidung des Erwerbs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit.
Fair gehandelte Produkte... werden in den Kantinen, Mensen, Cafeterien und beim Catering der Landesein richtungen unter Beachtung der Grundsätze der Sparsam keit und Wirtschaftlichkeit beschafft,...
Herr Minister Hermann, möglicherweise wurden die Äpfel, die es im MVI für das Treppensteigen gibt, auch unter beson deren Bedingungen eingekauft, sodass man sicher sein kann, dass es sich um gute Äpfel handelt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, darüber hinaus ist die verantwortungsvolle öffentliche Beschaffung auch Ziel der Entwicklungspolitischen Leitlinien, denen wir, die FDP/ DVP-Fraktion, mit allen anderen Fraktionen zugestimmt ha ben.
Der Stellungnahme ist auch zu entnehmen, dass „die Mög lichkeit der Berücksichtigung der Grundsätze eines fairen Be schaffungswesens“ im öffentlichen Auftragswesen „bereits weitgehend anerkannt“ sei. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie wir sehen, hat sich schon in der Vergangenheit ei niges getan.
Jetzt kommen wir jedoch zur kritischen Seite. Wer bestimmt denn z. B., was fairer Handel und was nicht fairer Handel ist? Wer kontrolliert die Einhaltung der Kriterien des fairen Han dels?
Ich höre gerade das Stichwort Siegel. Wenn sich der Verbrau cher nur allzu gern auf ein Siegel, ein Gütezeichen oder ein Label einlässt, so stellt dies bei der Vergabe doch ein großes Problem dar. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu ein Ge richtsurteil erlassen, nach dem ein Label oder Gütezeichen nicht Gegenstand einer Vergabe oder Ausschreibung sein darf. Das bereitet Probleme. Es ist so, dass nicht mehr die Zertifi kate als solche gefordert werden dürfen, sondern nur noch die zugrunde liegenden Spezifikationen. Wie Sie sehen, können Sie sich nicht auf Siegel verlassen, sondern müssen viel ge
nauer im Detail hinschauen. Das kann problematisch sein. Die Stellungnahme legt dies auch tatsächlich so dar.
An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass ich die Stel lungnahme für hervorragend halte, weil sie wirklich kritisch ist und sowohl Pro- als auch Kontraseiten anführt.
Herr Schwarz, Ihnen möchte ich sagen: Sie haben die positi ven Punkte der Stellungnahme herausgezogen. Alles, was in der Stellungnahme kritisch gesehen wurde, haben Sie jedoch verschwiegen. Als Beispiel nenne ich den Mehraufwand für den Vergebenden. In der Stellungnahme ist zu lesen:
Erkennbar führt jedoch die Berücksichtigung von Nach haltigkeitsaspekten zu einem gewissen Prüf-Mehraufwand bei den öffentlichen Auftraggebern,...
Die Berücksichtigung sozialer, ökologischer und innova tiver Aspekte bei der Beschaffung dürfte zu einer Über frachtung der bisher schon als zu bürokratisch und zu kompliziert geltenden Vergabeverfahren führen,...
Herr Schwarz, dies bezog sich auf die Erfahrungen in ande ren Bundesländern. Das steht so in der Stellungnahme. Ich würde Sie ermuntern, auch den kritischen Punkten in der Stel lungnahme zu Ihrem Antrag Glauben zu schenken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Berücksichti gung dieser Aspekte bedeutet auch Mehraufwand für die Lie feranten. Es kann nicht sein, dass sich im Zweifelsfall nur noch wenige an einer Vergabe beteiligen. Das würde zu einer Preissteigerung führen.
Wir müssen auch aufpassen, dass die Berücksichtigung der geforderten Aspekte nicht gegenläufig zu anderen Kriterien ist, die für Anforderungen im Hinblick auf die bisher von der Landesregierung vorgegebenen Ziele gelten. Es darf z. B. nicht gegen die Förderung des Wettbewerbs gerichtet sein, und es darf nicht zur Benachteiligung von kleinen und mittel ständischen Unternehmen kommen. Genauso wenig darf es nicht zu einer Benachteiligung von regionalen Angeboten kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sehen zunächst einmal keinen akuten Anlass, etwas am Vergaberecht zu än dern, allenfalls nur ganz geringfügig. Es ist keineswegs so, dass das Vergaberecht auf dem Prinzip beruht: Je mehr, desto besser; je komplexer, desto besser. Die Vergabeentscheidun gen fallen vielmehr auf Messers Schneide: Zu viel in die ei ne Richtung ist genauso schlecht wie zu viel in die andere Richtung.
Zum Schluss möchte ich noch eine durchaus selbstkritische und gegenüber den Parlamentariern insgesamt kritische Be merkung machen: Wir Abgeordnete müssen aufpassen; denn wir wissen nicht, unter welchen Bedingungen und wo unsere Handys oder Tablet-PCs gefertigt wurden, und nun diskutie ren wir im Parlament öffentlich und medienwirksam über ein noch korrekteres, ökologisch und sozial gerechteres Vergabe recht.
Damit möchte ich sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir wirklich etwas Gutes tun möchten, müssen
wir unser Gehirn einschalten und unser eigenes Kaufverhal ten hinterfragen und dafür auch bei den Bürgerinnen und Bür gern werben. Möglicherweise bringt das viel mehr als eine Änderung des Vergaberechts.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar für diese Debatte und auch für die Sachlichkeit, mit der diese Debatte geführt wurde. Von allen Fraktionen kam Dank für die Beant wortung dieser Großen Anfrage. Ich gebe umgekehrt den Dank zurück an die Fraktion GRÜNE, die uns Gelegenheit gegeben hat, ausführlich über das zu berichten, was die Lan desregierung im Bereich des Vergabewesens und der Beschaf fung tut. Wir haben es durchaus differenziert dargestellt. Denn man muss bei diesem Thema, Herr Glück, sehr vorsichtig und be hutsam vorgehen. Doch das ist genau das, was Herr Schwarz vorgeschlagen hat, nämlich vorsichtig und behutsam vorzu gehen.
Das Beschaffungswesen rückt überall zunehmend in das Blick feld der Öffentlichkeit und auch der politischen Diskussionen, aus meiner Sicht zu Recht. Denn Beschaffungen gerade der öffentlichen Hand sind ein wichtiges Handlungsfeld im Be reich der Nachhaltigkeit. Das gilt vor allem deshalb, weil öf fentliche Aufträge bei uns im Land einen der wichtigsten Wirt schaftsfaktoren darstellen. Allein in Baden-Württemberg – um einmal eine Zahl zu nennen – betrug das jährliche öffentliche Beschaffungsvolumen 50 Milliarden €. Wenn ich alle Bereiche der öffentlichen Hand zusammenzähle, nicht nur das Land, sondern auch die Kommunen und Bundeseinrichtungen im Land, dann ergibt sich der Betrag von 50 Milliarden € – eine ordentliche Summe, die für uns wichtig ist.
Für uns, die Landesregierung, steht deshalb fest: Alle öffent lichen Stellen müssen beim Einkauf neben der Beachtung von Wirtschaftlichkeitsaspekten – diese dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren – auch ihrer Vorbildfunktion im ökologischen und sozialen Bereich gerecht werden.