Protocol of the Session on July 17, 2013

Dabei bestehen natürlich unterschiedliche Zuständigkeiten. Das sollten wir bei den Diskussionen nicht vergessen. Bei die ser Diskussion und bei dem Thema, das Anlass für diese Dis kussion war, waren in erster Linie die internationalen Verbin dungen gemeint. Da liegen die Zuständigkeiten nun einmal eindeutig beim Bundesamt für Verfassungsschutz, das heißt beim Bundesinnenminister, und, was den Bundesnachrichten dienst anlangt, beim Bundeskanzleramt – um das einmal ganz deutlich zu sagen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: So ist es! – Zu ruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Weil danach gefragt wurde, will ich Ihnen sagen: Wir haben bislang – Stand heute Morgen – trotz Nachfrage keine Infor mationen des Bundesinnenministeriums erhalten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aha!)

Gleichwohl halte ich – das will ich ausdrücklich sagen – die heutige Debatte für angemessen. Ich halte es für richtig, dass wir darüber diskutieren. Denn es will doch niemand ernsthaft ausschließen, dass auch baden-württembergische Bürgerin nen und Bürger sowie baden-württembergische Unternehmen von diesen Datenabgriffen und von der eventuellen Verwer tung der dadurch gewonnenen Informationen betroffen sein könnten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ja! – Abg. Karl Zim mermann CDU: Was tun Sie dafür? – Gegenruf von den Grünen: Dagegen! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Dafür hoffentlich gar nichts! Dagegen! – Wei tere Zurufe)

Es wird im Prinzip sehr deutlich, dass wir es tatsächlich mit einer Erosion von Privatsphäre in einer Dimension und in ei nem Umfang zu tun haben, die wir bisher nicht vermutet hät ten. Ich jedenfalls habe diese Dimension und diesen Umfang nicht vermutet.

Ich will die Gelegenheit schon nutzen, um deutlich zu sagen: Jeder hat natürlich auch selbst Möglichkeiten, dem entgegen zuwirken, Herr Kollege Zimmermann, wenn man die Frage stellt: Was tut man, wer tut etwas dagegen? Deshalb ist diese Diskussion auch wichtig. Ich will deutlich machen, dass die Menschen darüber nachdenken müssen: Was kann ich selbst, was können wir, was können die Wirtschaftsunternehmen des Landes dazu beitragen?

Herr Hitzler, Sie haben sich auch auf Landesbehörden bezo gen. Wir beschäftigen uns wohlgemerkt – das will ich aus drücklich sagen – nicht erst seit zwei Jahren mit dem Thema der IT-Infrastruktur unseres Landes. Da gibt es ständig etwas zu tun, und da positionieren wir uns besser, beispielsweise durch die Konzentrierung der IT zukünftig in unserem Haus, im Innenministerium Baden-Württemberg, wo die komplette IT-Architektur zusammengefasst wird. Wir messen auch der Beauftragung eines CIO, weil wir uns gerade dem Themen

bereich „Schutz der staatlichen Infrastruktur“ widmen, einen hohen Stellenwert bei.

Wir wissen es, glaube ich, alle: Das Internet vergisst wirklich nichts. Andererseits – auch das will ich deutlich sagen – gibt es keine Rechtfertigung zur Aushöhlung der Privatsphäre durch das weltweite anlasslose Abhören, Speichern, Absau gen und Verknüpfen von Daten, wie es offensichtlich gesche hen ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU)

Meine Damen und Herren, das, was ich für die Privatsphäre genannt habe, gilt natürlich in besonderem Maß auch für die Wirtschaft unseres Landes. Das macht uns in erheblichem Maß Sorge, gerade weil baden-württembergische Unterneh men weltweit führend sind, was Technologie und Innovation anbelangt. Baden-württembergische Hochschulen sind in der anwendungsorientierten Forschung tätig. Auch das ist eine kritische Infrastruktur für uns. Deshalb ist es natürlich von großem Interesse, zu erfahren, ob beispielsweise Daten von Unternehmen aus dem Fahrzeugbau und aus dem Maschinen bau durch Industriespionage abgegriffen worden sind.

Hierfür gibt es Ansätze. Wir haben darüber nicht erst in die sem Zusammenhang Erkenntnisse. Sie haben zur Kenntnis ge nommen, dass vor wenigen Wochen im Bereich der Spiona ge eine Verurteilung eines russischen Spionenehepaars statt gefunden hat, welches über zwei Jahrzehnte hinweg entspre chende Daten auch aus baden-württembergischen Unterneh men abgesaugt und nach Russland transportiert hat. Wir alle wissen, meine Damen und Herren: Gerade Kriminelle nutzen natürlich die Möglichkeiten der globalen, internationalen Ver netzung des Internets. Deshalb hat Cyberkriminalität – ich will es wirklich so sagen – Hochkonjunktur; Cyberkriminalität boomt.

Von Herrn Kollegen Zimmermann wurde gefragt, was wir vonseiten des Landes dagegen tun. Wir, unsere Sicherheitsbe hörden, widmen diesem Aufgabenfeld eine hohe Aufmerk samkeit. Wir setzen auch neue Schwerpunkte. Die Eckpunk te dabei sind Investitionen in Technik, das heißt in das Ver hindern und das Dahinterkommen, wo entsprechende Ausspä hungen stattfinden. Wir haben in unseren Sicherheitsbehör den die Fortbildung deutlich ausgeweitet. Wir haben beispiels weise im Bereich des Landeskriminalamts IT-Spezialisten ein gestellt, und wir haben eine neue Fachabteilung – das habe ich bei anderer Gelegenheit schon ausgeführt – beim LKA in stalliert. Dort haben wir jetzt die Fachkompetenz von immer hin 70 Ermittlern – von IT-Experten und Ingenieuren – zu sammengeführt, um professionell und kompetent auch gegen Cyberkriminalität vorgehen zu können.

Mit unserer Polizeireform – das will ich heute schon anfügen –, über die wir morgen hier debattieren werden,

(Abg. Thomas Blenke CDU: Ich habe es gewusst, dass das kommt!)

wird Baden-Württemberg das erste Bundesland in Deutsch land sein, das sich flächendeckend dem Thema Cyberkrimi nalität widmet, indem wir zur Bekämpfung dieser Kriminali tät bei den Kriminalpolizeidirektionen die sogenannte Krimi

nalinspektion K 5 einrichten werden; damit sind Spezialisten in der Fläche des Landes tätig. Wohlgemerkt: Wir sind damit bundesweit die Ersten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich bei der Diskussi on darum, dass wir nicht alles vermischen, was vermischt wer den kann.

An anderer Stelle diskutieren wir – zu Recht, will ich aus drücklich sagen –: Was darf der Staat, und wie balancieren wir Sicherheit einerseits sowie Bürger- und Freiheitsrechte ande rerseits sorgfältig aus? Wie tarieren wir diesen zum Teil wirk lich engen und schmalen Grat aus? Das halte ich für wichtig. Aber demgegenüber sind anlasslose und uferlose Datenerhe bungen durch Sicherheitsbehörden – durch unsere und durch die im Ausland –, wie wir sie zur Kenntnis nehmen mussten, völlig inakzeptabel. Das will ich eindeutig sagen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Vorgänge um PRISM und Tempora zeigen, dass unsere Forderungen – wir sind uns, glaube ich, jedenfalls hier sehr weit einig – nach eindeutigen und präzisen Ermächtigungs- und Ermittlungsgrundlagen für die Datenverarbeitung gerade der öffentlichen Stellen unerlässlich sind, und daran arbeiten wir. Andernfalls droht, dass die Erosion, wie Sie, Herr Dr. Goll, angedeutet haben, völlig ausufert.

Ich bin froh darüber und dankbar, dass sich das Parlament ins gesamt sehr darum bemüht, dass wir die Überwachungsme chanismen, die Kontrollmechanismen der Legislative stärken, damit hier nicht das passiert, was in den Vereinigten Staaten und offensichtlich auch in Großbritannien passiert ist. Ich will das ausdrücklich unterstreichen: Eine flächendeckende Über wachung der Kommunikation aller Bürger, meine Damen und Herren, so, wie sie in den USA offensichtlich betrieben wird, darf es auch im Interesse der inneren Sicherheit meines Er achtens nicht geben. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn man den Berichten über die Überwachungsprogramme der angelsächsischen Geheimdienste Glauben schenken darf, ist festzustellen, dass diese weit über ein akzeptables Maß hi nausgehen. Hier kann man in der Tat von einer Totalüberwa chung sprechen, die nichts mit den rechtsstaatlichen Prinzipi en unseres Landes gemein hat.

Im Übrigen sollten wir dies, so meine ich, in diesem verein ten Europa auch von unseren europäischen Partnern einfor dern dürfen. Deshalb gilt es, klare Ansagen in Richtung Groß britannien zu richten.

Zunächst ist es die Aufgabe der Bundesregierung, für die not wendige Aufklärung zu sorgen. Wir können das nicht; dazu sind wir nicht in der Lage. Es ist auch – Stand heute – noch nicht unsere Aufgabe; es wird dann zu unserer Aufgabe, wenn die Bundesregierung die Aufklärung entsprechend betreibt und Ansätze für die Ermittlung und Aufklärung in BadenWürttemberg deutlich werden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Meine Damen und Herren, diesen Anspruch haben die Bür gerinnen und Bürger unseres Landes. Er ist auch nur legitim. Die Aufgabe des Staates ist es nämlich, die Grundrechte der Bürger zu schützen. Im vorliegenden Fall sind die Grundrech te der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes offensichtlich verletzt worden.

Wenn die Grundrechte in Gefahr sind, dann gilt es, alle Maß nahmen für deren Schutz zu ergreifen. Ich habe angedeutet, inwieweit dies die Innenverwaltung anlangt. Ich habe ange deutet, dass wir, wenn es um den Schutz der Wirtschaftsun ternehmen in Baden-Württemberg geht, Ansprechpartner sind. Wir bieten Hilfe an. Dies gilt übrigens auch für das Landes amt für Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt.

In Deutschland gilt zwar der Grundsatz, dass die Wirtschaft ihre IT-Infrastruktur selbst schützt; gleichwohl stehen wir als Partner zur Verfügung, geben Hinweise und sind durchaus mehr als aufgeschlossen, zu kooperieren.

Ich erwarte von der Bundesregierung – wie gesagt, im Inter esse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, auch im In teresse der heimischen Wirtschaft –, dass sie alles tut, um das Vertrauen in unsere Partner nach Möglichkeit wiederherzu stellen und den ungehinderten Informations- und Wissensab fluss aus unserem Land zu verhindern. Denn nur dann werden die Menschen zum Schutz ihrer eigenen Sicherheit bereit sein, dem Staat und den Sicherheitsbehörden entsprechende Me chanismen an die Hand zu geben. Wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass es diese Grenzen, diese Sicher heit nicht mehr gibt, dann werden sie auch uns, den staatli chen Institutionen, kein Vertrauen mehr schenken. Deshalb ist die Aufklärung seitens der Bundesregierung dringend erfor derlich.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht noch einmal Herr Abg. Sakellariou.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich finde, dieser Tag hat sich gelohnt. Die Aktuelle Debatte war wichtig und gut. Die Argumente sind auf den Tisch gekommen

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Edith Sitzmann GRÜ NE: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Der Tag hat sich schon jetzt gelohnt! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wenn wir jetzt zuhören, wird sich die Debatte schon gelohnt haben! – Unruhe)

schon jetzt, genau, wegen dieser Aktuellen Debatte –; denn das, was wir heute unter diesem ersten Punkt der Tagesord nung besprochen haben, wird in Baden-Württemberg auch an den Küchentischen besprochen, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Schülern und Lehrern.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Hört ihr das auch ab? – Anhaltende Unruhe)

Insofern ist es wichtig, dieses Thema zu behandeln. Wir müs sen unser Verhalten ändern.

Die Debatte hat übrigens nichts mit Wahlkampf zu tun. Viel mehr muss der Bundesinnenminister – wie auch der Landes innenminister – diesen Balanceakt aushalten, weil er nicht nur Innenminister, sondern zugleich auch Verfassungsminister ist. Er muss die beiden genannten Ziele in einer Person in Über einstimmung bringen.

Die Beurteilung, lieber Kollege Hitzler, der rot-grünen Jahre und des damaligen Umgangs mit dem Internet

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: War berech tigt!)

ja – war vielleicht etwas voreilig. Denn zwischen 1998 und heute hat beim Internet eine explosionsartige Entwicklung stattgefunden. Damit haben sich auch die Verhältnisse geän dert. Die Bundeskanzlerin spricht im Zusammenhang mit den aktuellen Vorfällen davon, dass das Internet im Jahr 2013 „Neuland“ sei. Daran wird deutlich, dass sich hier wirklich einiges getan hat.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ja!)

Deswegen sind die Maßstäbe vom Jahr 2000 im Jahr 2013 nicht mehr unbedingt anwendbar, da die Entwicklung einfach explosionsartig vorangegangen ist. Es ist richtig: Wenn die NSA Daten über die Sauerlandgruppe geliefert hat, dann müs sen wir auch prüfen, auf welchem Weg dies geschah.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Man gibt noch Rauchzeichen!)

Sind dies tatsächlich Daten, die in der Cloud in Amerika ge landet sind und so abgegriffen wurden, oder nicht? Aus den Erkenntnissen müssen wir auch ermittlungstaktische Vorteile für die Zukunft erzielen können. Dies ist vernünftig und dient zur Vermeidung von Straftaten und Terrorakten.

Eins ist aber klar: Flächendeckende Überwachung ist mit un serer Rechtskultur nicht in Übereinstimmung zu bringen. Dies hat auch etwas mit unserer Geschichte zu tun, sowohl mit der Geschichte des Dritten Reiches als auch mit der Geschichte der DDR. Diese sind Teil unserer Geschichte und unseres Rechtssystems. Deswegen sind die Menschen zu Recht kri tisch, wenn sie großflächig überwacht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)