Protocol of the Session on October 10, 2012

Zur Vermeidung von Parallelverfahren und divergierenden Entscheidungen soll die Landesverfassungsbeschwerde ge genüber der Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungs gericht subsidiär sein. Die bloße Möglichkeit, eine Verfas sungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben, schließt aber eine Landesverfassungsbeschwerde nicht aus. Vielmehr besteht beim Beschwerdeführer bzw. bei der Be schwerdeführerin die Wahlmöglichkeit, die Beschwerde ent weder beim Staatsgerichtshof oder beim Bundesverfassungs gericht einzulegen.

Wir haben geprüft, wie das in anderen Bundesländern von stattengeht, ob es dort Konfliktsituationen gibt. Es gibt in der Regel in der Praxis keine Konflikte in der Konkurrenz der bei den Gerichte.

Im Interesse eines möglichst einfachen Zugangs der Bürger zum Staatsgerichtshof ist für die Landesverfassungsbeschwer de auch kein Anwaltszwang vorgesehen, und das Verfahren ist grundsätzlich gebührenfrei.

Ich weiß, in der politischen Diskussion hat bisher die Frage des Missbrauchs dieses Rechtsinstruments eine große Rolle gespielt. Ich darf deshalb darauf verweisen, dass zur Entlas tung des Staatsgerichtshofs und zur Vermeidung querulatori scher Eingaben vorgesehen ist, dass der Staatsgerichtshof bei unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Verfassungs

beschwerden eine Gebühr von bis zu 2 000 € auferlegen und einen entsprechenden Vorschuss verlangen kann. Das ist eine hohe Hürde, wenn rechtsmissbräuchliche Beschwerden erho ben werden.

Eine unzulässige und offensichtlich unbegründete Beschwer de kann von einer Kammer des Staatsgerichtshofs mit drei Richtern einstimmig zurückgewiesen werden.

Dabei möchte ich, weil das in den Diskussionen auch ange sprochen wurde, darauf verweisen: Der Staatsgerichtshof bleibt in seiner Zusammensetzung wie bisher erhalten. Die Zahl der Richter wird nicht erhöht. Wir haben erst vor Kurzem die nö tige Nachwahl für Richter beim Staatsgerichtshof vorgenom men. Da ändert sich nichts.

Eine weitere Einschränkung: Die Landesverfassungsbeschwer de soll dem Individualrechtsschutz von Bürgerinnen und Bür gern dienen. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf ausdrücklich keine Popularklage bzw. Popularverfassungsbeschwerde und auch keine Verbandsklage vor. Das ist in Bayern anders. Dort gibt es auch bei der Landesverfassungsbeschwerde eine Po pularklagemöglichkeit. Diese wollen wir bewusst ausschlie ßen, um in unserem System des individuellen Rechtsschutzes zu bleiben.

Meine Damen und Herren, insgesamt bin ich überzeugt, dass die Einführung dieser Landesverfassungsbeschwerde den Rechts schutz der Bürger verbessert. Sie ist, wie ich meine, ein ver trauensbildendes Angebot, das zusätzlichen Rechtsfrieden schaffen kann. Sie eröffnet die Möglichkeit, über landesspe zifische Streitigkeiten auch das baden-württembergische Ver fassungsgericht, unseren Staatsgerichtshof, entscheiden zu las sen. Ich glaube, hierdurch wird die Bedeutung der Landesver fassung und des Staatsgerichtshofs deutlich gestärkt.

Ich weiß natürlich, dass auch die Kosten in diesem Zusam menhang zu thematisieren sein werden. Wir haben das in un serem Gesetzentwurf auch angesprochen. Wir rechnen im Mo ment mit Kosten von etwa 330 000 € pro Jahr. Wir gehen da von aus, dass wir mit diesem Betrag auskommen, und wir bli cken da auch nach Bayern, wo eine bestimmte Anzahl von Verfahren mit einem solchen Betrag abgewickelt werden kön nen. Er ist für zusätzliches Personal – nicht für Richter, son dern für die Zuarbeit – und für Sachmittel aufzuwenden.

So viel heute in der ersten Lesung. Ich möchte Sie zu einer Verfassungsdiskussion im Ausschuss und dann zur Diskussi on in der zweiten Lesung einladen. Ich bin auch für Anregun gen dankbar und würde mich freuen, wenn Sie, die Fraktio nen dieses Hauses, unserem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung geben könnten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hitzler.

Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Man hatte nicht den Eindruck, dass in Baden-Württemberg in den letzten 60 Jahren irgendein Instrument im Rechtsstaat fehlte.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Es gibt sehr viele Rechtsmittel, und die Grundrechte sind auch gut geschützt.

Inzwischen haben aber zehn Bundesländer eine Landesver fassungsbeschwerde eingeführt.

Baden-Württemberg ist ein starkes, ein souveränes Land. Des halb ist es der CDU-Fraktion auch wichtig, dass der Schutz der Landesgrundrechte optimal ausgestaltet wird.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Sehr gut!)

Wir haben seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 Kompe tenzen, die grundrechtssensibel sein können. Denken Sie z. B. an zahlreiche Landesnichtraucherschutzgesetze.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Deshalb ist es vielleicht ganz gut, wenn man einen landesin ternen Grundrechtsschutz hat. Es ist in der Gesetzesbegrün dung so schön formuliert. Darin heißt es fast wörtlich: Die grundrechtliche Substanz der Landesverfassung wird aktiviert, es steigt die Relevanz, und damit ist eine identitätsstiftende Wirkung gegeben. Das ist schön formuliert. Dem kann man sich eigentlich kaum entziehen.

Nachdem auch die Anhörungsergebnisse ungewöhnlich posi tiv waren, glaube ich, dass wir hier durchaus auf einem rich tigen Weg sind. Der Staatsgerichtshof als Gremium ist da, um unsere Verfassung zu schützen.

Die CDU-Fraktion glaubt nicht daran, dass es sehr viele Ver fassungsbeschwerden geben wird, da der Rechtsweg ausge schöpft sein muss, bevor eine Landesverfassungsbeschwerde möglich ist.

Herr Minister, hinsichtlich der Kosten zweifeln wir allerdings etwas daran, dass dies mit dem genannten Betrag zu machen ist. Wir bitten Sie: Überprüfen Sie das nochmals. Das würde der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit dienen.

Meine Damen und Herren, noch etwas zur Verankerung in der Verfassung selbst: Wenn die Angelegenheit so wichtig ist, dann spricht manches dafür, das auch in der Landesverfassung zu regeln. Sie ist hier im Land unsere höchste Rechtsnorm. Also müssen wir uns noch einmal intensiv darüber unterhal ten.

Die CDU-Fraktion wird dem Gesetzentwurf deshalb mehr heitlich zustimmen.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Mehrheitlich!)

Wir werden uns im Ständigen Ausschuss noch über einige De tails unterhalten, die im Anhörungsverfahren bekannt gewor den sind.

Bemerken möchte ich noch, dass schon der frühere Minister präsident Günther Oettinger mit einer Landesverfassungsbe schwerde liebäugelte,

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Aber keine Chance hatte!)

aber nach seinem Ausscheiden aus dem Amt die Sache nicht weiterverfolgt wurde.

Insgesamt glaubt unsere Fraktion aber, dass die Landesver fassungsbeschwerde wichtig und effektiv ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Filius das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Das in dem Entwurf der Landesregierung vorgesehe ne Gesetz zur Einführung einer Landesverfassungsbeschwer de sorgt dafür, dass auch den Bürgerinnen und Bürgern Ba den-Württembergs ein umfassender und effektiver Grund rechtsschutz gewährleistet wird.

Bereits zehn von 16 Bundesländern haben – wir haben es vor hin schon gehört – die Möglichkeit einer Landesverfassungs beschwerde in ihren Verfassungen verankert und somit einen Rechtsweg gegen Verletzungen der in der Landesverfassung gesicherten Grundrechte und persönlichen Rechte geschaffen.

Spätestens seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 ist die Einführung einer Landesverfassungsbeschwerde zur Gewäh rung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips unerlässlich. Die Län derkompetenzen wurden hier stark ausgeweitet, hiermit ein hergehend jedoch auch die Gefahr, dass Bürger und Bürgerin nen in ihren durch die Landesverfassung gewährten Grund rechten unmittelbar verletzt werden können.

Die Einführung der Landesverfassungsbeschwerde ist deshalb ein wichtiger und konsequenter Schritt der grün-roten Lan desregierung für mehr Bürgerrechte als elementarer Bestand teil einer Bürgergesellschaft. Die Landesrechte werden ge stärkt, treten aus dem Schatten des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes heraus und entfalten so auch eine identitäts stiftende Wirkung für alle Bürgerinnen und Bürger des Lan des Baden-Württemberg.

Die Ausgestaltung des Gesetzentwurfs schließt Popular- und damit Verbandsklagen aus. Der Minister hat darauf schon hin gewiesen. Dies ist auch für eine Verfassungsbeschwerde ge nau der konsequente Weg. Denn die Beschwerde dient der Ge währung des individuellen Rechtsschutzes aller Bürgerinnen und Bürger.

Der Entwurf sieht grundsätzlich eine vorherige Rechtsweg ausschöpfung vor. Zudem – das wurde von Herrn Minister Stickelberger auch schon angesprochen – ist darin eine Sub sidiaritätsregelung gegenüber der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht enthalten. Ein Missbrauch durch offensichtlich unbegründete und unzulässige Beschwer den wird durch eine Gebührenvorschussregelung ebenfalls vermieden.

Man kann natürlich nur schätzen, aber ich gehe ebenfalls da von aus, dass die Anzahl der Klagen durchaus in überschau barem Rahmen bleiben wird. Bislang geht man von 150 Fäl len pro Jahr aus. Ich glaube, das ist ein realistischer Wert.

Die Personal- und Sachkosten mit 300 000 € anzugeben ist dann ebenfalls als dieser Position angemessen einzuschätzen.

Trotz aller Haushaltszwänge – das ist mir wichtig – ist das Geld im Rahmen dieses Gesetzes für mehr Bürgerrechte gut investiert. Ein moderner Rechtsstaat hat seinen Preis. Hierauf wollen und werden wir nicht verzichten.

Der Gesetzentwurf lässt Baden-Württemberg auch an einer europäischen und internationalen Entwicklung mit dem Ziel, den Grundrechtsschutz auszubauen, teilnehmen. Hierzu ge hört die Möglichkeit der Gewährung von Prozesskostenhilfe und die sogenannte Verzögerungsbeschwerde dergestalt, dass, wenn ein Verfahren unangemessen lange dauert, sogar Ent schädigungsansprüche geltend gemacht werden können.

Setzen wir ein gemeinsames Zeichen bei dieser wichtigen An gelegenheit! Meine Fraktion und ich werben ganz besonders für eine breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Stoch das Wort.