Meine Damen und Herren, damals, im 19. Jahrhundert, wur de durch die wirtschaftliche Nutzung von Erfindungen in Me chanik, Chemie und Elektrizität eine Ära geprägt, die wir heu te Gründerzeit nennen und die mit Namen wie Daimler, Benz, Bosch, BASF und vielen anderen aus dem deutschen Südwes ten verbunden ist. Die Wurzeln unserer starken verarbeiten den Industrie gehen auf deren unternehmerische und techni sche Basisinnovationen zurück.
Und wie ist es heute? Stehen wir heute nicht vor einer neuen Gründerzeit, einer Ära, deren Impulse und deren Drehmoment aus den Themen Nachhaltigkeit, Energie- und Rohstoffeffizi enz sowie Umweltverträglichkeit kommen werden? Sind das nicht die Themen, die überall auf der Welt rasch an Bedeu tung gewinnen und daher eine neue und tragfähige industri elle Basis für die Wirtschaft in Baden-Württemberg entstehen lassen? Das, meine Damen und Herren, ist d i e Heraus forderung der kommenden Jahre.
Als europäische Kernregion müssen wir Motor einer nachhal tigen Entwicklung und Motor der weiteren Integration Euro pas gerade auch in schwierigen Zeiten sein.
Nur mit ständiger Bereitschaft zur Erneuerung bleibt unser Land erfolgreich – so steht es im Koalitionsvertrag, und dies ist die Grundrichtung unserer Wirtschaftspolitik. Nachhaltig keit braucht Veränderung. Diese Regierungskoalition steht für eine neue Gründerzeit – als Weg, als Navigationsspur zu den Arbeitsplätzen der kommenden Jahrzehnte.
Die „Droschke“ wird nun – 100 Jahre nach den Pferden – Schritt für Schritt auch auf das Benzin verzichten. Diese Ver änderung wird wohl auf längere Sicht kaum weniger ein schneidend sein. Brauchte man damals keine Ställe, Tränken und Pferdegeschirre mehr, so wird das Auto der Zukunft auf Vergaser, Kühler und Auspuff verzichten. Das sind Produkte, auf denen im Augenblick in Baden-Württemberg noch Zehn tausende von Arbeitsplätzen basieren. Darin liegt zweifellos eine große Herausforderung.
Dennoch gibt es keinen Grund zur Panik. Der Verbrennungs motor wird bis weit in die kommenden Jahre hinein eine nach wie vor tragende Rolle spielen, allerdings mit neuen Motor generationen, deren Verbrauch und Emissionen nochmals drastisch zurückgehen werden. Klare gesetzliche Vorgaben mit verlässlichen Zeithorizonten, was Emissionen betrifft, müssen und werden diese Entwicklung beschleunigen.
In diesem Zusammenhang geht es auch darum, die Bedeutung der Elektromobilität besonnen und richtig einzuordnen. Wir haben in Deutschland 41 Millionen Pkws, die 14 % der CO2Emissionen verursachen. Wären davon eine Million Elektro fahrzeuge – das ist erst einmal das Ziel bis zum Jahr 2020 –, dann entspräche dies gerade einmal 2,5 % des Fahrzeugbe stands.
Der Einstieg in die Elektromobilität ist also wichtig und von herausragender Bedeutung. Aber ich zitiere auch den BoschChef Franz Fehrenbach, der uns den wichtigen Hinweis ge geben hat: „Wir müssen die Technologien, die wir heute be herrschen, weiter verbessern.“
Meine Damen und Herren, die spezielle Technologie des Elek troautos ist bereits verfügbar. Aber sie ist nicht viel weiter, als
es die Technologie des Autos im Jahr 1895 – zehn Jahre nach seiner Erfindung – war. In vielen Grundfragen, wie etwa bei der Batterieproblematik, steckt die Entwicklung noch in den Kinderschuhen. Es geht erst einmal um die Grundlagen.
Ich bin daher der Auffassung, dass in den nächsten Jahren die Forschung bei den Antriebstechniken, die Infrastruktur sowie die System- und Informationstechnik bei Mobilitätskonzep ten im Vordergrund auch der Förderpolitik stehen müssen.
Das Thema Mobilitätskonzepte wird in den rasch wachsen den Ballungsräumen der Schwellenländer mit im Zentrum ste hen. Umweltschonender Individualverkehr wird dabei eine Rolle spielen, aber nicht mehr die alleinige. Ich bin deswegen überzeugt: Um auf diesem Markt mit Systemprodukten welt weit erfolgreich zu sein, müssen wir Baden-Württemberg zu einem Schaufenster, zu einer „lebendigen Verkaufsmesse“ für neue, integrierte Mobilitätskonzepte machen.
Die rasche Verbreitung von Elektrofahrrädern, die vor fünf Jahren niemand erwartet hätte, zeigt doch, welche überra schenden Entwicklungen möglich sind.
Es wurde und wird zum Teil bis heute litaneiartig von man chen Leuten behauptet, man könne der Welt keine schnellen Autos verkaufen und zu Hause „Tempo 100“ verordnen. Ich sage nun: Wir können künftig der Welt keine innovativen und umweltfreundlichen Mobilitätskonzepte verkaufen, wenn wir diese in Baden-Württemberg nicht vorweisen können. Hier im vorwettbewerblichen Bereich sieht die neue Landesregie rung eine koordinierende und fördernde Aufgabe der Politik.
Nochmals: Niemand in dieser Landesregierung will den Men schen vorschreiben, welches Auto sie kaufen sollen.
(Widerspruch bei der CDU – Abg. Peter Hauk CDU: Das hat sich schon einmal anders angehört! – Gegen ruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)
Ich gebe aber zu bedenken, ob in künftigen Verkehrssystemen und bei steigenden Energiekosten schwere, spritfressende Fahrzeuge nicht schon bald ziemliche Ladenhüter sein wer den. Man kann sich auch die aktuellen Probleme der ameri kanischen Autoindustrie als warnendes Beispiel vor Augen halten.
Ich bin aber nicht der Ansicht, dass der Staat in erster Linie bestimmte Technologien fördern sollte, sondern ich meine, dass er klare Rahmenbedingungen dort setzen sollte, wo das Gemeinwohl im Sinne von Umwelt, Gesundheit und Nach haltigkeit tangiert ist. Stimulierende und nicht strangulieren de Grenzwerte, eine bessere Vernetzung der Verkehrsträger, fahrleistungsabhängige und nicht besitzabhängige Abgaben – das sind die Linien einer solchen Ordnungspolitik.
Welche Technologien und einzelnen Produkte dann zum Tra gen kommen, sollten der Markt und der Wettbewerb entschei den. Das verstehe ich unter ökosozialer Marktwirtschaft.
Ich bin ganz zuversichtlich: Unsere Tüftler und Erfinder wer den hier wieder einmal die Nase vorn haben. Pfiffige Ideen und unternehmerische Initiativen werden in Baden-Württem berg Unterstützung und Finanzierung finden. Dafür stehen wir.
Bedarf und Impulse für eine neue Gründerzeit sehen wir aber nicht nur im Bereich der klassischen Industrie und der wirt schaftsorientierten Dienstleistung. Vielmehr sehen wir diesen Bedarf und diese Impulse auch und gerade in den Bereichen, die bisher noch nicht zum produktiven Kern zählen, aber im mer mehr zur Arbeitsplatzbilanz beitragen, insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.
Alle Experten bescheinigen dem Gesundheitsstandort BadenWürttemberg große Wachstumschancen mit einem Wertschöp fungspotenzial von 15 bis 20 Milliarden € in den nächsten zehn Jahren. Und: Der Gesundheitssektor ist schon heute die beschäftigungsintensivste Branche im Land. Das Land hat im Gesundheitsbereich eine klare Zuständigkeit. An erster Stel le ist dabei die finanzielle Verantwortung für die Investitionen der Krankenhäuser zu nennen. Wir werden die Landesmittel für die Kliniken deutlich erhöhen und damit auch zur Schaf fung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen beitragen.
Auch in der Pflege müssen Antworten auf neue gesellschaft liche Herausforderungen gefunden werden. Bis zum Jahr 2031 wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg um mehr als 50 % steigen. Das heißt, der Bedarf an entspre chenden Wohn- und Betreuungsangeboten, aber auch an pro fessionellen Pflegekräften in ambulanten und stationären Ein richtungen nimmt stetig zu.
Ähnliches gilt für den Bereich der Kinderbetreuung. Der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie erhöht die Nach frage nach guten, verlässlichen und flexiblen Betreuungsan geboten, und er führt zu einem steigenden Bedarf an qualifi ziertem Personal. Allein für den Ausbau der Krippenbetreu ung brauchen wir bis 2013 rund 7 500 zusätzliche Erzieherin nen und Erzieher in Baden-Württemberg.
Auch jenseits des klassischen produktiven Bereichs stecken also in dieser Entwicklung Potenziale einer neuen Gründer zeit. Private Dienstleister bei Pflege, Gesundheit und Kinder betreuung konkurrieren fruchtbar mit der öffentlichen Hand, während aus der Bürgergesellschaft ergänzende Konzepte und Modelle kommen wie z. B. ehrenamtliche Pflegebegleiter oder sogenannte Leihgroßväter und -großmütter.
Der demografische Wandel und die neuen gesellschaftlichen Bedarfe führen auch im Sozialbereich zu einem enormen In vestitionsschub. Auch hier herrscht also Gründerzeit im bes ten Sinn. Lassen Sie mich noch hinzufügen: Die neue Grün derzeit ist nicht zuletzt auch eine Gründerinnenzeit.
Es sind erfreulicherweise immer mehr Frauen, die das Wag nis einer Firmengründung und einer selbstständigen Existenz eingehen. Warum sollten sie nicht auch da den Männern zei gen, wo es langgeht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vier zentrale Aufgaben wer den im Vordergrund unserer gemeinsamen Arbeit von Grünen und SPD stehen.
Die Brundtland-Kommission definierte im Jahr 1987 Nach haltigkeit – „Sustainable Development“ – folgendermaßen:
Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürf nisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht be friedigen können.
Mit anderen Worten: Wir dürfen unsere Ansprüche und Be dürfnisse nicht zulasten unserer Kinder und Kindeskinder re alisieren.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU – Abg. Winfried Mack CDU: Bravo! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)
Mehr noch: Wir müssen das global wachsende Verlangen nach Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen bei allen Pro dukten und Dienstleistungen berücksichtigen, die wir in der Welt anbieten.
Verantwortung für Nachhaltigkeit schließt allerdings den Er folg durch Nachhaltigkeit nicht aus, sondern sie wird ihn in Zukunft ermöglichen. Das heißt, beide Seiten werden sich im mer mehr ergänzen. Verantwortung für Nachhaltigkeit und Er folg durch Nachhaltigkeit – das ist für mich das Leitmotiv der Politik der grün-roten Landesregierung in den nächsten fünf Jahren.
Wir möchten Baden-Württemberg unter den Bundesländern zum Modell ökologisch orientierten Wirtschaftens machen. Wo, wenn nicht hier in diesem wirtschaftsstarken Land, kön nen wir zeigen, dass Ökonomie und Ökologie nicht nur kei ne Gegensätze sein dürfen, sondern auch keine Gegensätze sein müssen, und dass sie sich gegenseitig bedingen und be fruchten?
Wir werden in den nächsten Jahren einen wahren Nachfrage schub bei umwelt- und ressourcenschonenden Produkten er leben. Diese werden die Leitindustrien der Zukunft sein. Wir in Baden-Württemberg können zeigen, dass es geht und wie es geht.
Meine Damen und Herren, wir feiern in diesen Tagen das 125-Jahr-Jubiläum der Firma Bosch. Der Name Bosch ist eng mit der Entwicklung unseres Landes verbunden. Robert Bosch war einerseits ein Mann des technischen Fortschritts, anderer seits soll er ein großer Jäger, Heger und Landwirt gewesen sein. Theodor Heuss, sein berühmter Biograf, hat in Robert Bosch einen Menschen gesehen, der im Widerspiel der Kräf te eine Versöhnung fand.