Viele Menschen verbinden mit uns die Hoffnung auf einen neuen Politikstil. Die Zeit des Durchregierens von oben ist zu Ende.
Diese Regierung wird deswegen eine Politik des Gehörtwer dens praktizieren. Sie wird den Bürgerinnen und Bürgern im Dialog gegenübertreten, zuhören und dann entscheiden. Für mich ist die Einmischung der Bürgerinnen und Bürger keine Bedrohung oder Ausdruck einer „Dagegen-Haltung“, sondern eine Bereicherung.
Sie setzt im Übrigen eine Tradition aus dem 19. Jahrhundert fort: die Tradition des Vereinswesens, der Selbstorganisation der Bürgerinnen und Bürger, heute bereichert durch neue For men der Bürgerbeteiligung wie Bürgerinitiativen,
In einer Demokratie gibt es auch einmal scharfe Konflikte. Man muss wissen, damit umzugehen. Die Fairness ist dabei die Bringschuld der Institutionen. Die Bringschuld der Bür gergesellschaft heißt „zivilisierter Streit“.
Kunst und Kultur können ebenfalls Einspruch sein, Provoka tion und Stachel für eine lebendige Demokratie, aber auch ei ne Schule des genauen Hinsehens und Hinhörens.
Auch unter den Vorzeichen der Haushaltskonsolidierung ge nießen Kunst und Kultur für uns deshalb einen hohen Stellen wert.
Doch die zunehmende Distanz zwischen demokratischen In stitutionen und den Bürgerinnen und Bürgern können wir nicht länger ignorieren.
Unsere Demokratie ist stabil, gewiss. Aber Demokratie ver steht sich nie von selbst. Sie ist anstrengend und will gepflegt sein.
Ich hatte in den ersten Tagen meines Amtes zwei Termine, die mir eindrucksvoll vor Augen geführt haben, wie viele Men schen sich für unser Gemeinwesen, im Sozialbereich und für die Umwelt engagieren.
Beim Tag der deutschen Bürgerstiftungen und bei einem Ju biläum des Genossenschaftsverbands hat man gesehen, wel che Potenziale da in unserer Gesellschaft sind.
Es geht hier also um die eigenständige Gestaltungskraft der Zivilgesellschaft, um „Graswurzeldemokratie“, um Gemein sinn, um Subsidiarität und Solidarität. All das hat BadenWürttemberg immer ausgezeichnet.
Ich sage: Eine moderne, lebendige und starke Demokratie lebt vom Einspruch und von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Nicht dort, wo sich Menschen einmischen, ist die Demokra tie bedroht, sondern dort, wo sie sich von den öffentlichen An gelegenheiten, von der Res publica, abwenden. Mehr Bürger beteiligung stärkt auch die parlamentarische Demokratie. Das ist jedenfalls meine feste Überzeugung.
Die Themen Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung sind da her für mich und für diese Landesregierung kein verzierendes Beiwerk.
Sie sind eine zentrale Aufgabe für alle Ressorts. Dort werden transparente Verfahren und wegweisende Projekte für mehr Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen entwickelt und durch die Staatsrätin in meinem Haus gebündelt. Wir machen Ernst mit diesem Querschnittsthema.
Wir wollen Strukturen so verändern, dass Bürgerinnen und Bürger Gehör finden – auch außerhalb der Wahltage.
Wir werden auch denen neue Möglichkeiten geben, ihre Stim me zu erheben, die im politischen Konzert bislang viel zu lei se zu hören waren: z. B. Frauen, Migranten oder Jugendlichen.
Ebenso werden wir eine aktive Integrationspolitik betreiben. Baden-Württemberg ist ein buntes Land, das von seiner Viel falt lebt. Die Zuwanderer, ihre Kinder und Enkel leben mit ten unter uns und gehören dazu.
Das interkulturelle und interreligiöse Miteinander, die Parti zipation von Migrantinnen und Migranten in Wirtschaft und Gesellschaft sind Schlüssel für ein erfolgreiches und mensch liches Baden-Württemberg. Um diese politische Querschnitts aufgabe zu bewältigen, richten wir ein Integrationsministeri um ein. Es geht um neuen Schwung und neue Initiativen. Es geht hier darum, einiges nachzuholen, was von unseren Vor gängern doch nur mit halber Kraft angefasst und betrieben wurde.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Koalition wird von vielen inhaltlichen Übereinstimmungen, von gemeinsamen Zielen und Visionen für unser Land getragen. Doch Stutt gart 21 bleibt kontrovers. Wir haben uns jedoch auf ein ge meinsames Verfahren geeinigt. Beide Koalitionspartner wer den sich daran halten.
(Lachen des Abg. Manfred Groh CDU – Abg. Man fred Groh CDU: Auch der Finanzminister? – Abg. Tanja Gönner CDU: Akzeptieren Sie das Ergebnis der Schlichtung?)
Wir haben festgestellt: Die Schlichtung zum Projekt Stutt gart 21 taugt durchaus als Blaupause für eine Politik des Ge hörtwerdens. Sie hat auch gezeigt: Wir brauchen neue Forma te der Bürgerbeteiligung und des Dialogs. Vor allem bei Inf rastrukturmaßnahmen müssen die Bürger frühzeitig einbezo gen werden, indem Alternativen ernsthaft abgewogen und kei ne informellen Vorentscheidungen getroffen werden.