Protocol of the Session on May 24, 2012

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Heiler.

Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Ich habe mir schon Gedanken ge macht, als ich den Gesetzentwurf der FDP/DVP las, und über legt: Was will die FDP/DVP damit eigentlich? Sie war zusam men mit der CDU ewig an der Regierung. Da ist kein solcher Gesetzentwurf gekommen. Ich weiß auch nicht, ob die FDP/ DVP mit der CDU darüber überhaupt einmal gesprochen hat. Davon hat man nie etwas gelesen.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Deshalb denke ich: Es ist blanker Populismus, das in diesem Moment zu bringen. Das macht sich wahrscheinlich gut, und man will sich ein fortschrittliches Image geben, wenn man den Koalitionsvertrag abschreibt, meine sehr verehrten Da men und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Bernd Hitzler CDU)

Natürlich steht im Koalitionsvertrag, dass Grün-Rot die Di rektwahl der Landrätinnen und Landräte will. Das hat der Kol lege Schwarz deutlich gesagt, und das werden wir – allerdings in einem Gesamtpaket – auch umsetzen. Wir wollen das nicht als Einzelmaßnahme sehen, denn dann hätten wir in zwei Wo chen wieder eine Initiative der FDP/DVP, und dann käme wie der eine Initiative usw. So geht es natürlich nicht, denn die Überschrift im Koalitionsvertrag lautet: „Mehr Demokratie in den Kommunen“, und da ist u. a. die Direktwahl der Landrä tinnen und Landräte ein Punkt.

Zum Paket gehören das Bürgerbegehren – das wurde ange sprochen –, Bürgerentscheide, die Erweiterung des Themen katalogs – übrigens auch auf Landkreisebene. Wir wollen Ju gendgemeinderäte stärken. Wir wollen bei Kommunalwahlen das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Wir wollen uns übrigens auch dafür starkmachen, dass ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nicht EU-Bürgerinnen und -Bürger sind, unter bestimmten Voraussetzungen das aktive und das passi ve Kommunalwahlrecht erhalten. Wir wollen einen anderen, gerechteren Modus beim Auszählverfahren, und wir wollen auch die Direktwahl der Landrätinnen und Landräte.

Das ist der Kontext, und so liest sich das auch im Koalitions vertrag – wie gesagt, nicht als Einzelmaßnahme, sondern als Gesamtpaket, das wir Ihnen in absehbarer Zeit vorlegen wer den. Dann werden wir sehen, Herr Professor Goll, ob Sie die sen Punkten auch allesamt zustimmen.

Sie haben zu Beginn Ihrer Rede erwähnt, dass Sie uns helfen möchten. Aber wenn man jemandem hilft, dann bitte gescheit und nicht mit einem solchen Gesetzentwurf, der viele hand werkliche Fehler beinhaltet.

(Abg. Ingo Rust SPD: Die herkömmlichen Fehler!)

Das hat mich schon erstaunt. Herr Professor Goll, ich schät ze Sie sehr – das wissen Sie –, wir kennen uns schon lange. Dass Sie als Professor Dr. jur. hier so etwas vorlegen, das ist unglaublich.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grünen)

Kommen wir zum Punkt. Es fehlen sämtliche Regelungen zum Wahlverfahren, zum Bewerbungsverfahren. Nirgends steht etwas über Frist und Form. Bedarf es Unterstützungsun terschriften oder nicht? Wie sieht es mit der Wählbarkeitsbe scheinigung aus? Wie funktionieren Prüfung und Zulassung durch den Kreiswahlausschuss?

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Das ist Sache der Bürokratie!)

Es fehlt jeder Hinweis auf die Stimmabgabe. Bei Bürgermeis terwahlen wird ohne Stimmzettelumschlag gewählt, bei den übrigen Kommunalwahlen mit Stimmzettelumschlag.

(Abg. Winfried Mack CDU: Sind das Bemerkungen aus dem Innenministerium, die Sie da vorlesen? – Zu ruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Nein. Warten Sie doch einmal ab. In Ihrem Gesetzentwurf weisen Sie darauf hin, dass solche gesetzlichen Regelungen

im Kommunalwahlgesetz auf später verschoben werden sol len. Und genau das ist der Punkt. Man bringt jetzt diesen po pulistischen Gesetzentwurf ein, und alles andere verschiebt man auf später. Das bedeutet, dass wir die Landräte noch gar nicht direkt wählen können, wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden. Entschuldigung, so funktioniert es natürlich nicht.

Im Übrigen bedürfen Landratswahlen einer gewissen Vorlauf zeit. Die Stellenausschreibung hat spätestens drei Monate vor Ablauf der Amtszeit zu erfolgen. Deshalb sind besondere Re gelungen zum Inkrafttreten bzw. Übergangsregelungen erfor derlich. Es kann z. B. nicht sein, dass zum Zeitpunkt der Stel lenausschreibung noch altes Recht gilt und dann, wenn der Landrat gewählt wird, neues Recht. Das alles fehlt im Gesetz.

Ferner fehlt jede Regelung darüber, wie die Rechtsstellung der derzeit im Amt befindlichen Landräte ist. Bleiben diese bis zum Ablauf ihrer regulären Amtszeit, und erhalten sie dann dieselben Rechte wie vom Volk gewählte Landräte, nämlich das Stimmrecht im Kreistag? Etwas verwegen erscheint uns auch die in Ihrem Gesetzentwurf so bezeichnete demokrati sche Legitimation. Landräte sollen nach dem Gesetzentwurf ein Quorum von mindestens 15 % der wahlberechtigten Per sonen erreichen. Wenn das nicht erreicht wird, dann wählt wieder der Kreistag. Frage: Wollen Sie das später auch bei Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen so einführen?

Natürlich stellt sich auch die Frage, ob der Landrat in diesem Fall, ohne dass er eine demokratische Legitimation hat – weil ihn, wenn er das 15-%-Quorum nicht erreicht hat, wieder der Kreistag wählt –, im Ausschuss und im Kreistag Stimmrecht hat oder nicht. Wird es Ihrem Gesetzentwurf zufolge künftig Landrätinnen und Landräte erster und zweiter Klasse geben? Wie soll das aussehen? Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Das trifft in diesem Fall auf Ihren Gesetzentwurf besonders zu.

Im Ziel sind wir uns einig. Überlassen Sie es aber uns, einen gescheiten Gesetzentwurf vorzulegen,

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch: Wann kommt der?)

dem Sie dann alle zustimmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Gall.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greift die FDP/DVP-Fraktion – das will ich gern nochmals festhalten – ein Thema auf, das sie in all den langen Jahren ihrer Regierungsbeteiligung nicht ein einziges Mal aufs Ta pet, also ins Plenum oder in die zuständigen Ausschüsse, ge bracht hatte. Mir ist dieses Thema in den zurückliegenden zehn Jahren von Ihrer Seite aus nicht ein einziges Mal unter gekommen.

Das Unterfangen stellt deshalb – das sollte man schon einmal sagen – den offensichtlichen Versuch dar, die neue Landesre

gierung öffentlich unter Zugzwang zu bringen. Jetzt, da die Wählerinnen und Wähler Sie schlicht und ergreifend aus der Koalition mit der CDU befreit haben, wollen Sie offenbar deutlich machen, wie Sie bei diesem Thema eigentlich aufge stellt sind.

Seien Sie aber versichert, werte Kollegen von der CDU: Auch diese Amtsperiode dauert in Baden-Württemberg fünf Jahre. Die grün-rote Landesregierung wird sich intensiv damit be schäftigen, die Inhalte des Koalitionsvertrags entsprechend umzusetzen. Wir sind da richtig gut unterwegs, und zwar auf allen politischen Ebenen. Falls es bei Ihnen noch nicht ange kommen sein sollte: Die Bewertung der Bürgerinnen und Bür ger ein Jahr nach der Amtsübernahme durch Grün-Rot ist au ßerordentlich positiv ausgefallen; da brauchen wir uns gar nichts vorzuwerfen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Diet rich Birk CDU: Die SPD wird immer kleiner! – Abg. Winfried Mack CDU: Ihr liegt bald nicht mal mehr bei 10 %!)

Die Bürgerinnen und Bürger haben gemerkt, dass wir inten siv daran arbeiten, das umzusetzen, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen haben, und dass wir nicht das ma chen, was Sie in den zurückliegenden Jahren immer gemacht haben, nämlich viel zu versprechen und nichts zu halten. Bei Grün-Rot wird das gemacht, was wir versprochen haben, auch, was diesen Themenkomplex anbelangt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

In dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, Herr Dr. Goll, wird, wie ich finde, schon deutlich, dass dies kein Thema ist, das man gemeinhin einmal innerhalb von ein paar Monaten aus dem Ärmel schüttelt. Dieses Thema ist außerordentlich komplex und umfangreich. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Ihnen schon auch klar ist, dass da eine ganze Reihe von anderen Regelungen diskutiert werden müssen. Vor allem muss beachtet werden, was dies für Folgen haben würde. Über die Folgeveränderungen, die dadurch entstehen können, soll te tatsächlich zunächst einmal diskutiert werden. Wir sollten fragen: Reden wir dann über eine Vollkommunalisierung der Landratsämter? Haben wir nach wie vor das Interesse, dass Landesbedienstete in den Landratsämtern tätig sind, oder nicht? All das sind Fragen, über die man, denke ich, erst ein mal in Ruhe und auf der sachlichen Ebene diskutieren sollte.

(Zurufe von der CDU: Richtig!)

Dass Sie dies bislang nicht getan haben, wird schon aus der Begründung Ihres Gesetzentwurfs selbst deutlich. Dort steht:

Die Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung sind in einem weiteren Verfah ren...

ich ergänze: irgendwie, auch wenn das so nicht in der Be gründung steht –

anzupassen...

So kann man, glaube ich, nicht solide über einen Gesetzent wurf diskutieren; man kann so keinen Gesetzentwurf vorle gen, man kann so nicht darüber diskutieren, und man kann ihn so schon gar nicht verabschieden. Deswegen gehe ich davon

aus, dass das klare Votum der Fraktion GRÜNE und der Frak tion der SPD sein wird, dass der Gesetzentwurf in dieser Form abgelehnt werden muss.

Natürlich weiß ich, Herr Goll und meine Herren von der FDP/ DVP, dass die Ressourcen der Opposition in der Tat zumeist beschränkt sind. Das mussten auch wir in leidvoller Weise selbst erfahren. Aber ich hatte immer den Eindruck, Sie ha ben in Ihrer Fraktion gute Mitarbeiter. Deshalb hätte ich, wenn Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, schon eine etwas gerade re Linie erwartet.

Sie schlagen beispielsweise ausweislich Ihrer Begründung vor, die Wahlmodalitäten zur Wahl des Landrats entsprechend den Regelungen zur Wahl des Bürgermeisters zu ändern. Im gleichen Atemzug aber soll es ein Zustimmungsquorum ge ben. Das ist dann nicht mit bisherigen Bürgermeisterwahlen vergleichbar. In der Begründung wird zu der Frage, warum Sie dies so wollen, auch gar nichts ausgeführt. Sie sollten es wissen: Bei Bürgermeisterwahlen hat man dieses Quorum be reits 1971 abgeschafft.

Mit dem Anzweifeln, dass die Direktwahl des Landrats auch wirklich funktioniert, machen Sie meines Erachtens ebenfalls deutlich, dass Sie gar nicht richtig dahinter stehen. Denn sonst hätten Sie das Quorum gar nicht eingeführt. Oder bedeutet dies tatsächlich, dass auch bei Bürgermeisterwahlen zukünf tig ein Quorum eingeführt werden soll, wenn wir uns an den Regelungen für die Bürgermeisterwahl orientieren sollen? Der Gesetzentwurf beinhaltet also handwerkliche Fehler.

Ich möchte auch noch einen zweiten inhaltlichen Punkt an sprechen. Sie möchten bei der Wahl der Landräte eine Stich wahl einführen – jetzt kommt es –, die Sie auch beim zweiten Wahlgang der Bürgermeisterwahlen einführen wollen. Auch dies ist etwas komplett Neues, über das meiner Meinung nach vorher ausführlich und intensiv diskutiert werden sollte.

Das heißt, Sie lösen sich mit einem Federstrich in der Begrün dung des Gesetzentwurfs von einer in Baden-Württemberg bisher bewährten Praxis. Ich sehe bislang nicht, warum man dies bei Bürgermeisterwahlen ändern sollte. Wir können dar über gern diskutieren. Vielleicht haben Sie Argumente, die uns bzw. mich überzeugen.

Das sind, meine Damen und Herren, nur zwei Punkte, die ich herausgegriffen habe, an denen deutlich wird, dass der Ge setzentwurf der FDP/DVP-Fraktion aus unserer, aus meiner Sicht unvollkommen, unzureichend und letztendlich unaus gegoren ist.

Ich will mich meinen Vorrednern der Fraktion GRÜNE und der SPD-Fraktion anschließen. Wir arbeiten an dem Thema. Wir möchten natürlich ein Gesamtpaket vorlegen, mit dem wir die demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger insgesamt verbessern. Das soll aber nicht über einzelne Ge setze, sondern so weit wie möglich zusammengefasst erfol gen, um dem gerecht zu werden, was wir im Koalitionsver trag geäußert haben. Bürgerbegehren, Bürgerentscheide ge hören natürlich auch dazu.

Ich lade Sie als Oppositionsfraktionen ausdrücklich ein, an diesem Diskussionsprozess mitzuwirken und da, wo vorhan den, Ihren fachlichen Sachverstand einzubringen.

(Heiterkeit des Abg. Claus Schmiedel SPD)