Protocol of the Session on April 25, 2012

chung zugleich „Geburtshilfe“ für das Land leisten durfte. Denn es war sein allererstes Urteil im Oktober 1951, mit dem das Bundesverfassungsgericht den Weg frei machte für die Volksabstimmung, die die Voraussetzung für die Landesgrün dung heute vor 60 Jahren war. Auch wenn es sicher zu weit gehend wäre, das Bundesverfassungsgericht deswegen als „Hebamme“ Baden-Württembergs zu bezeichnen, so ist man doch in Karlsruhe auch ein wenig stolz darauf, dass sich das auf die Welt gebrachte Kind nach seiner Geburt so rundum prächtig entwickelt hat.

Baden-Württemberg ist heute eine Region, die weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus vor allem für ihre sympathi schen, fleißigen und innovativen Menschen bekannt ist und hierfür von vielen bewundert wird. Ihrem Innovationstrieb freien Lauf lassen die Baden-Württemberger dabei nicht nur auf den Gebieten der Wirtschaft und der Wissenschaft. Auch hinsichtlich des Themas des heutigen Tages, der „Rolle der Länderparlamente im europäischen Integrationsprozess“, be weist das Erfinderland Baden-Württemberg seinen Pionier geist.

Der Landtag von Baden-Württemberg trat vor 60 Jahren zu seiner ersten Sitzung zusammen und ersetzte die drei bis da hin in Freiburg, Bebenhausen und Stuttgart tagenden Landta ge von Baden, Württemberg-Hohenzollern und WürttembergBaden. Die Gesetzgebungskompetenzen dieser Landtage wur den damals im Zuge der Landesgründung gewissermaßen auf den neuen Landtag übertragen.

Heute wandern die Gesetzgebungskompetenzen der Landta ge zunehmend nach Brüssel ab. Das ist eine Entwicklung, die von vielen mit Sorge beobachtet wird. Mein Amtsvorgänger Hans-Jürgen Papier etwa sieht den bereits seit Längerem di agnostizierten schleichenden „Bedeutungsverlust“ der Lan desparlamente durch Verlagerung immer weiterer Kompeten zen auf die Europäische Union mittlerweile an einem Punkt angekommen, der ihn um die „Staatsqualität“ der deutschen Länder bangen lässt. Es gehe, so Papier vor gut zwei Jahren hier in Stuttgart, um nicht weniger als „die Existenz der par lamentarischen Demokratie auf der Ebene der deutschen Bun desländer“ und damit „um unverzichtbare Existenzbedingun gen der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik Deutsch land überhaupt“.

In der Tat könnte eine spontane Antwort auf die Frage, wel che Rolle die Landesparlamente im europäischen Integrations- und Rechtsetzungsprozess spielen, schlicht lauten: überhaupt keine! Führt man sich weiter vor Augen, dass immer mehr von den früher in den Landesparlamenten verhandelten gesell schaftspolitischen Fragen heute auf europäischer Ebene ent schieden werden, so drängt sich zunehmend die Frage auf, was in Zukunft – würde diese Entwicklung anhalten – aus den Landesparlamenten werden soll. In der Theorie verhandelt das Parlament die wesentlichen Strukturfragen eines Gemeinwe sens und legt in Gesetzesform den allgemeinverbindlichen Rahmen fest, an den auch die anderen Staatsgewalten – die vollziehende ebenso wie die rechtsprechende Gewalt – gebun den sind. Ein Parlament, welches dieser Gesetzgebungsfunk tion vollständig oder auch nur weitgehend beraubt wäre, müsste zumindest in eine tiefe Existenzkrise stürzen.

Die Gesetzgebungsfunktion eines Parlaments entspricht weit gehend seiner Gesetzgebungskompetenz. Gerade die Gesetz

gebungskompetenzen sind es aber, die den Landesparlamen ten zunehmend abhandenkommen, ohne dass dieser Entwick lung – zumindest bis in jüngste Zeit – Nennenswertes entge gengesetzt worden wäre.

Der Grund hierfür liegt letztlich weniger auf europäischer Ebene als vielmehr im Bauplan des bundesdeutschen Födera lismus: Wie jede föderale Struktur ermöglicht auch die bun desdeutsche das Herauf- und Herunterwandern von Gesetz gebungskompetenzen. Während dies in der Anfangszeit der Bundesrepublik vor allem eine Verlagerung von Landeskom petenzen auf Bundesebene bedeutete, kam später die Verlage rung nationaler Kompetenzen – das heißt sowohl von Bun deskompetenzen als auch von Landeskompetenzen – auf die europäische Ebene hinzu. Gesteuert wird diese Wanderung der Gesetzgebungskompetenzen ausschließlich durch die Bun desverfassung, also durch unser Grundgesetz. Dieses Grund gesetz anerkennt zwar, dass es in den Ländern demokratisch gewählte Volksvertretungen geben muss, sieht aber für diese Volksvertretungen im Rahmen der Bundesgesetzgebung kei ne Rolle vor.

Im Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung des Grundgeset zes in den Jahren 1948/49 war intensiv über die Frage disku tiert worden, ob Vertreter der Landesparlamente im Rahmen einer zu schaffenden zweiten Kammer an der Bundesgesetz gebung beteiligt werden sollten. Die Befürworter der „Senats lösung“ setzten sich für eine Entsendung von Landtagsvertre tern in eine zweite Kammer ein. Die Vertreter der „Bundes ratslösung“ sprachen sich für eine aus Gesandten der Landes regierungen zusammengesetzte Kammer aus. Andere, wie der damalige württemberg-badische Landtagsabgeordnete Theo dor Heuss, hielten eine Kombination von Landesregierungs vertretern und Landtagsvertretern für vorzugswürdig.

Bekanntlich setzte sich die „Bundesratslösung“ durch, sodass die Vertretung der Länderinteressen im Rahmen der Bundes gesetzgebung seit dem Jahr 1949 über ein Organ erfolgt, das nur aus Vertretern der jeweiligen Landesregierungen zusam mengesetzt ist.

Diese Struktur des bundesdeutschen Föderalismus wäre für die Landesparlamente so lange kein Grund zur Klage gewe sen, wie es im Wesentlichen bei den ihnen im Grundgesetz des Jahres 1949 zugewiesenen Kompetenzen geblieben wäre. Indes kam es – Sie alle in diesem Raum wissen das – anders: Von gewissen Rückverlagerungsversuchen im Rahmen der jüngsten Föderalismusreform abgesehen war die Geschichte der Änderungen der Kompetenzartikel des Grundgesetzes vor allem von einem geprägt: von einer immer weiter gehenden Akkumulation von – ehemals den Landesparlamenten zuste henden – Gesetzgebungskompetenzen beim Bund.

Nachdem insoweit irgendwann gewisse Sättigungserscheinun gen auftraten, wurde demgegenüber die Verschiebung von na tionalen Gesetzgebungskompetenzen auf die europäische Ebe ne immer bedeutsamer. Verlierer waren dabei wiederum die Landesparlamente: Weder kam ihnen ein Mitspracherecht bei der Frage zu, ob ihnen zustehende Gesetzgebungskompeten zen auf eine höhere Ebene transferiert werden sollten, noch erhielten sie kompensatorische Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Ausübung der ursprünglich ihnen zustehenden Kompeten zen auf der höheren Ebene.

Dass diese Entmachtung der Landesparlamente im Rahmen föderaler Kompetenzverschiebungen keine Selbstverständ lichkeit ist, zeigt der vergleichende Blick auf den Deutschen Bundestag: Der Deutsche Bundestag kann bei der Frage, ob eine Gesetzgebungskompetenz nach Brüssel übertragen wer den soll, sein Veto einlegen. Denn jede Kompetenzverlage rung erfordert eine Änderung der europäischen Verträge, die zuvor vom Deutschen Bundestag sowie vor allem vom – aus den Landesregierungen zusammengesetzten – Bundesrat ra tifiziert werden muss.

Ganz anders ist die Situation der Landesparlamente: Sie ste hen einer Abwanderung ihrer Kompetenzen sowohl nach Eu ropa als auch zum Bund weitgehend schutzlos gegenüber. Ih nen bleibt allein die – in ihrer praktischen Wirksamkeit frei lich auch nicht gering zu schätzende – Möglichkeit, auf das Stimmverhalten ihrer jeweiligen Landesregierung im Bundes rat politisch einzuwirken. Eine rechtliche Handhabe steht ih nen indes nicht zu. Schon seit Langem wird deswegen, wenn auch ohne Erfolg, gefordert, Kompetenzübertragungen von der Landesebene auf Bundes- oder Unionsebene von einer Zu stimmung der hiervon zuallererst betroffenen Landesparla mente abhängig zu machen.

Über sein Vetorecht hinaus hat der Bundestag zudem seit dem Vertrag von Lissabon gewisse Beteiligungsrechte im Rahmen der Ausübung der ihm vormals zustehenden Kompetenzen auf europäischer Ebene. Vor den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon ähnelte die Rolle des Bundestags nach einer ein mal erfolgten Kompetenzverlagerung nach Europa derjenigen der Landesparlamente. Zwar wurde die nationale Kompetenz abwanderung teilweise durch die nationale Beteiligung im eu ropäischen Rechtsetzungsverfahren über den Rat kompensiert, dieser setzte sich aber – insoweit dem deutschen Bundesrat vergleichbar – ausschließlich aus Vertretern der nationalen Regierungen zusammen, ohne den nationalen Parlamenten ei ne Stimme zu verleihen. Bislang galt also bei Verlagerungen nationaler Kompetenzen auf die Europäische Union das Glei che wie bei Kompetenzverlagerungen von den Ländern auf den Bund: Entscheidungsmacht verschob sich nicht nur von einer Ebene auf die andere, sondern zugleich von der Legis lative zur Exekutive.

Dass die mit der zunehmenden Verlagerung von Kompeten zen auf EU-Ebene verbundene teilweise „Entparlamentarisie rung“ der Entscheidungsprozesse ein Problem darstellt, wur de auf europäischer Ebene aber nach und nach erkannt. Im Vertrag von Lissabon schuf man Regelungen dafür, wie die nationalen Parlamente sowie ihre Parlamentskammern in ge wissem Umfang in den europäischen Rechtsetzungsprozess einzubinden sind. Die Mitwirkungsmöglichkeit bezieht sich dabei in erster Linie auf die Frage, ob die Europäische Union bei der Ausübung der ihr übertragenen Gesetzgebungskom petenzen das sogenannte Subsidiaritätsprinzip beachtet hat.

Die Europäische Union darf, außer im Bereich ihrer aus schließlichen Gesetzgebungskompetenz, eben nur dann tätig werden, wenn die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnah men auf Unionsebene besser als auf mitgliedsstaatlicher Ebe ne zu verwirklichen sind. Zu einem Hüter dieses Subsidiari tätsprinzips sind seit dem Vertrag von Lissabon die nationa len Parlamente sowie ihre Parlamentskammern berufen.

Die auch als „Frühwarnmechanismus“ bezeichnete Einbezie hung der nationalen Parlamente sowie ihrer Parlamentskam

mern vollzieht sich dabei auf verschiedenen Stufen, die den Prozess, der Ihnen weitgehend bekannt ist, strukturieren.

Mit den in den europäischen Rechtsetzungsprozess einbezo genen nationalen Parlamenten und ihren jeweiligen Kammern verleiht das Unionsrecht allerdings Rechte nur dem Bundes tag sowie – als Parlamentskammer – dem Bundesrat, nicht aber den Landesparlamenten, die aus europäischer Sicht Re gionalparlamente sind. Ob und, wenn ja, inwieweit diese Re gionalparlamente von den nationalen Parlamenten und ihren Kammern an ihrem Willensbildungsprozess beteiligt werden, überantwortet das europäische dem nationalen Recht.

Den ihm so aus Europa zugespielten Ball hat das deutsche Bundesrecht bislang allerdings nicht angenommen. Vielmehr bleibt es in alten bundesstaatlichen Strukturen verhaftet. Da nach erfolgt eine Beteiligung der Länder im europäischen Rechtsetzungsprozess weiterhin ausschließlich über den Bun desrat. Das heißt, die Landesparlamente sind in zweifacher Hinsicht vom Wohlwollen ihrer jeweiligen Landesregierung abhängig.

Diese Abhängigkeit betrifft zum einen den Informationsfluss von den europäischen Institutionen zu den Landesparlamen ten. Die EU-Organe informieren möglichst frühzeitig und um fassend die jeweiligen nationalen Parlamente und ihre Kam mern, also auch den Bundesrat, über alle europäischen Recht setzungsaktivitäten. Optimiert wird die Informationslage des Bundesrats weiter dadurch, dass zudem die Bundesregierung kraft Bundesgesetz verpflichtet ist, den Bundesrat zum frü hestmöglichen Zeitpunkt über alle Vorhaben zu unterrichten, die für die Länder von Interesse sein könnten.

Die Landesparlamente haben aber zu der beim Bundesrat vor handenen Informationsfülle grundsätzlich keinen Zugang und sind darauf angewiesen, von ihrer Landesregierung informiert zu werden. Damit sind sie im Ergebnis von frühzeitigen und umfassenden Informationen über Gesetzgebungsentwicklun gen im Rahmen der Europäischen Union bislang „weitgehend abgeschnitten“.

Die zweite Abhängigkeit der Landesparlamente von ihrer je weiligen Regierung betrifft die Möglichkeit der Einspeisung des Willens der Landesparlamente in den europäischen Recht setzungsprozess. Denn auch dies kann wiederum nur über den Transmissionsriemen des Bundesrats, also über die Landes regierungen, erfolgen.

Erwähnt sei schließlich, dass bislang auch der an der europä ischen Rechtsetzung beteiligte europäische Ausschuss der Re gionen den Landesparlamenten kein Forum bietet, welches den Verlust ihrer Gesetzgebungskompetenzen kompensieren könnte. Zwar bestehen im Ausschuss der Regionen, etwa in Gestalt des dortigen „Subsidiaritätsnetzwerks“, durchaus an erkennenswerte Bestrebungen, auch den Landesparlamenten als Vertreter der Regionen mehr Gehör zu verschaffen, aber auch hier gilt: Zuständig für die Entsendung der 24 deutschen Vertreter im Ausschuss sind letztlich nicht die Landtage, son dern die Landesregierungen. Nur vereinzelt existieren dane ben Vereinbarungen auf Landesebene, nach denen auch dem jeweiligen Landtag ein Mitspracherecht bei der Benennung der Landesvertreter zukommt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die gute Stimmung sollten wir uns von dem aus Landtagssicht noch verbesse

rungsfähigen Status quo aber nicht verderben lassen. Denn die Lage ist vielleicht doch gar nicht so entmutigend, wie sie auf den ersten Blick scheint. Es sind nämlich erste Silberstreifen am Horizont sichtbar. Wen könnte es an einem Festtag wie diesem überraschen, dass es gerade das „Musterländle“ Ba den-Württemberg bzw. – noch etwas genauer – gerade der hie sige Landtag ist, der den Keim der Hoffnung sprießen lässt?

Im Jahr 2010 trafen sich die Landtagspräsidenten zu ihrer jähr lichen Konferenz hier in der schönen baden-württembergi schen Landeshauptstadt und verabschiedeten zur Stärkung der Landesparlamente im europäischen Integrationsprozess eine „Stuttgarter Erklärung“, deren Forderungen in beiden oben beschriebenen Aspekten die Abhängigkeit der Landtage von den Landesregierungen beseitigen oder doch zumindest ab mildern sollen.

Erstens wurde eine Verbesserung der Informationslage der Landesparlamente gefordert. Diesen solle ein unmittelbarer bundesgesetzlicher Informationsanspruch gegenüber dem Bundesrat auf umfassenden Zugang zu allen beim Bundesrat vorhandenen landesrelevanten EU-Informationen eingeräumt werden.

Zweitens solle die Stellung des Landtags gegenüber der je weiligen Landesregierung gestärkt werden. Es solle vorzugs weise im Landesverfassungsrecht dem Landtag neben Infor mationsrechten die Möglichkeit gegeben werden, „landesver fassungsrechtlich eine Bindung der Landesregierung beim Stimmverhalten im Bundesrat und bei der Erhebung von Ver fassungsklagen auf Bundesebene“ zu erreichen.

Auf die Erfüllung der ersten Forderung nach einem eigenstän digen Informationsrecht gegenüber dem Bundesrat warten die Landesparlamente bislang vergeblich. So waren es wiederum die findigen Baden-Württemberger, die bereits im Jahr 2007 eine weitere Idee zur Verbesserung der Informationslage ih res Landtags hatten und als erstes deutsches Landesparlament eigene Mitarbeiter nach Brüssel entsandten. Mittlerweile sind diesem Vorbild andere Landtage, beispielsweise derjenige von Bayern, der von Hessen und seit wenigen Wochen derjenige von Nordrhein-Westfalen, gefolgt.

Freilich kann ein Verbindungsbüro in Brüssel angesichts der Fülle der die Länder betreffenden EU-Vorhaben und der enor men Bandbreite, Komplexität und Geschwindigkeit der EUGesetzgebung allenfalls eine ergänzende Funktion überneh men. Vorzugswürdig bleibt aus Landtagssicht der Zugang zu dem umfassenden Informationspool des Bundesrats.

Nachdem ein direkter Zugang hierzu bislang verweigert wird, hat Baden-Württemberg – wiederum als erstes Land – dem Landtag den mittelbaren Zugang hierzu über die Landesregie rung eröffnet. Das im Februar letzten Jahres verabschiedete Landesgesetz über die Beteiligung des Landtags in Angele genheiten der Europäischen Union regelt detailliert und denk bar umfassend nicht nur die unverzügliche Weiterleitung al ler der Landesregierung vom Bundesrat zur Verfügung gestell ten Informationen in EU-Angelegenheiten, sondern sieht auch eine routinemäßige und vollständige Unterrichtung des Land tags durch die Landesregierung über alle möglichen Aktivitä ten auf europäischer Ebene vor. In den anderen Ländern exis tieren, soweit ersichtlich, bisher keine vergleichbar weitrei chenden Gesetze.

Ein optimaler – über den Bundesrat und die Landesregierun gen vermittelter – Informationsfluss von den EU-Institutionen zu den Landtagen ist aber nur ein erster Schritt für eine Stär kung der Rolle der Landesparlamente im europäischen Inte grationsprozess. In einem zweiten Schritt müssen die akqui rierten, sehr umfangreichen Informationen von den Landta gen möglichst schnell verarbeitet werden. Hier haben mittler weile alle Landtage in mehr oder weniger großem Umfang Vorsorge getroffen und spezielle Europaausschüsse eingerich tet, in denen die Informationen für das Plenum des Landtags gebündelt und aufbereitet und entsprechende Beschlussent würfe vorbereitet werden können.

In einem dritten Schritt schließlich muss gewährleistet sein, dass die vom Landtag gebildete Meinung zu bestimmten EUVorhaben ihren Weg auf die EU-Ebene findet.

Auch insoweit geht der baden-württembergische Landtag vo ran: Er hat als erster deutscher Landtag die Forderung der „Stuttgarter Erklärung“ nach möglichst landesverfassungs rechtlicher Bindung der Landesregierung an bestimmte Be schlüsse des Landtags in EU-Angelegenheiten umgesetzt.

Der vor etwas mehr als einem Jahr neu gefasste Artikel 34 a Absatz 2 der Landesverfassung stellt ein Novum im deutschen Landesverfassungsrecht dar. Er statuiert erstmals eine Bin dung des Abstimmungsverhaltens der Landesregierung im Bundesrat an Stellungnahmen des Landtags, soweit aus schließliche Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder an die Europäische Union übertragen werden sollen oder durch ein Vorhaben der Europäischen Union im Schwerpunkt aus schließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder unmit telbar betroffen werden. Ebenfalls gebunden ist die Landes regierung an Beschlüsse des Landtags, mit denen die Landes regierung ersucht wird, im Bundesrat auf die Erhebung einer Subsidiaritätsklage hinzuwirken.

Diese landesverfassungsrechtlichen Regelungen haben das Potenzial, meine Damen und Herren, den Bedeutungsverlust des Landtags nicht nur zu stoppen, sondern teilweise sogar rückgängig zu machen. Sie räumen nicht nur dem Landtag – zusammen mit den anderen Landtagen – bei der Abwande rung seiner Gesetzgebungskompetenzen nach Europa ein Ve to ein, sondern sie beteiligen darüber hinaus den Landtag über den Transmissionsriemen des Bundesrats an der Ausübung der bereits früher nach Europa übertragenen Gesetzgebungs kompetenzen.

Wie wirksam diese Regelungen in der Praxis sein werden, hängt freilich davon ab, dass entsprechend der Forderung der „Stuttgarter Erklärung“ solche oder ähnliche Regelungen auch in den anderen Ländern erlassen werden und die Stimme des baden-württembergischen, vom Landtag angewiesenen Re gierungsvertreters im Konzert des Bundesrats nicht allein bleibt.

Ob dies gelingt, wird letztlich vielleicht zu einem gewissen Grad auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigten. Dis kutiert wird nämlich die Frage, ob die Einführung vergleich barer landesverfassungsrechtlicher Regelungen in allen Län dern durch das Grundgesetz geboten oder ob sie im Gegenteil nicht vielmehr sogar verboten ist. Für beide Seiten gibt es gu te Argumente; wir alle sind sehr gespannt, wie das Gericht im Zweifel entscheiden wird.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ihnen und den Menschen in Baden-Württemberg wünsche ich zum 60. Geburtstag unseres Landes von ganzem Herzen alles Gute und Gottes Segen. Möge Baden-Württem berg auch in Zukunft über eine starke und handlungsfähige Volksvertretung verfügen, damit Demokratie, wie es einmal der große Baden-Württemberger Theodor Heuss gesagt hat, nicht bloß ein Wort, sondern ein „lebensgestaltender Wert“ bleibt.

Bewahren Sie sich auch in den nächsten 60 Jahren den Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues zu wagen, und be wahren wir alle uns die unnachahmliche Mischung aus Schaf fenskraft und „Savoir-vivre“, die unser Land zu einer der le benswertesten und liebenswertesten Regionen Europas macht.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall)

Das Bläsertrio Ockert/Hueber/Eberhardt spielt die Sonate in a-Moll für drei Posaunen von Georg Daniel

(Beifall)

Gedanken von jungen Menschen zu „60 Jahre BadenWürttemberg“

Lisa Schell: Sehr geehrter Herr Präsident des Landtags, sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, werte Damen und Herren! Ich freue mich, heute hier zu sein und vor Ihnen allen spre chen zu dürfen.

Mein Name ist Lisa Schell. Ursprünglich komme ich aus Weinsberg bei Heilbronn. Seit Herbst studiere ich nun Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mann heim.