Sehr geehrter Herr Präsident des Bun desverfassungsgerichts, lieber Professor Dr. Voßkuhle, ver ehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann, liebe Kollegin nen und Kollegen des Landtags von Baden-Württemberg, lie be Mitglieder der Landesregierung, Herr Präsident des Staats gerichtshofs Stilz, Herr Ministerpräsident a. D. Erwin Teufel, meine Herren ehemalige Landtagspräsidenten Dr. Gaa und Schneider, verehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Schuster!
Herr Erzbischof Dr. Zollitsch, Herr Bischof Dr. Fürst und mei ne Herren Landesbischöfe Dr. Fischer und July! Wenn ich Sie begrüße, dann ist es mir ein aufrichtiges Anliegen, mich für den soeben abgehaltenen, gemeinsam gefeierten Gottesdienst mit vielen tiefgründigen Worten, die Sie uns dabei mit auf den Weg gegeben haben, auch mit der „Einnordung“ von uns als Politikern, der Erdung von uns als Politikern an dieser Stelle herzlich zu bedanken. Ein ganz herzliches Dankeschön dafür! Das war ein wertvoller Start in den Jubiläumstag.
Sehr geehrte Mitglieder des Konsularischen Korps, Herr Lan desvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Land graf, Herr stellvertretender Vorsitzender des Landesbeamten bunds Stutz, Frau Schell, Herr Wiest und Herr Rapp als Mit wirkende an dieser Jubiläumsveranstaltung, sehr geehrte Ver treter der Medien, sehr geehrte Gäste, meine Damen und Her ren!
„60 Jahre Baden-Württemberg“ – natürlich möchte ich unse re festliche Freude nicht schmälern. Trotzdem sei mir die Fra ge gestattet: Was ist heute gleich wie bei „50 Jahren BadenWürttemberg“, bei „40 Jahren“, bei „30“ usw.? Antwort: Auch jetzt, nach zwei Generationen, können wir uns absolut gewiss sein, dass uns sicher trägt, was am 25. April 1952 ins Werk gesetzt worden ist.
Bei allen seitherigen Landesjubiläen durften wir – durch har te Fakten untermauert – mit Fug und Recht Stolz empfinden auf das bis dahin jeweils Geschaffene: auf das ökonomisch
Und heute? Heute sehen und spüren wir wieder: Als BadenWürttemberger haben wir einen stabilen Platz in Deutschland, in Europa, ja in der ganzen Welt, und als Baden-Württember ger sind wir, neudeutsch formuliert, richtig „aufgestellt“ für die Zukunft.
Auch mit dem Slogan auf dem Logo dieses Landesjubiläums – „Wir feiern in die Zukunft rein!“ – treiben wir also keinen Etikettenschwindel. Die Zukunft ist der Raum unserer Mög lichkeiten, wenn wir es, wie bisher, wirklich wollen und wenn wir, wie bisher, politisch mit der richtigen Kombination aus Begeisterung und Bedachtsamkeit handeln.
Das wichtigste Wort in diesen Feststellungen hatte nach mei ner festen und tiefen Überzeugung übrigens nur drei Buchsta ben: „wir“! Baden-Württemberg ist eine große Gemein schaftsleistung, und es soll eine große Gemeinschaftsleistung bleiben. Speziell in diesem Sinn begrüße ich Sie zu unserer Festsitzung an unserem 60. Landesgeburtstag.
„Wir“ heißt: „60 Jahre Baden-Württemberg“ sind zuvörderst ein Anlass, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern ausdrück lich zu danken, dass sie durch ihr im Alltag ganz selbstver ständlich von Rechtschaffenheit, Fleiß, Pflichtgefühl und Ge wissenhaftigkeit geprägtes Leben den Erfolg unseres Landes zustande gebracht haben. Herzlichen Dank dafür den Mitbür gerinnen und Mitbürgern unseres Landes!
Dieser Dank gilt gleichermaßen allen, ob alteingessen, ob ir gendwann zu uns gekommen. Wir sind Baden-Württemberg.
Stellvertretend und zur Versinnbildlichung haben wir zwei Mitbürgerinnen eingeladen, die am 25. April 1952 geboren worden sind und denen man ihr Alter noch weniger ansieht als unserem Land.
Ich begrüße ebenso Frau Selbmann und Herrn Heumann, bei de Jahrgang 1952, die ihr Jubiläumsjahr mit dem Land teilen. Wir freuen uns, dass wir Ihren Geburtstag zu unserem machen können, und wir hoffen, das gilt auch umgekehrt, weil auch
Sie sagen: Es ist nicht das schlechteste Schicksal, BadenWürttembergerin oder Baden-Württemberger zu sein.
Die gärende Unzufriedenheit mit den zufälligen Grenzen der Besatzungszonen bereits ab 1946; die exklusive Weichenstel lung für die Neugliederung bei der Schaffung des Grundge setzes durch den berühmten Artikel 118, sozusagen die „Lex Südweststaat“; das windungsreiche, leidenschaftliche, strate gisch geschickte Ringen um die tatsächliche Verwirklichung der eigentlich alten Vereinigungsidee; die hart umkämpfte Volksabstimmung am 9. Dezember 1951; die turbulente „Sturzgeburt“ in der Sitzung der Verfassunggebenden Lan desversammlung heute vor 60 Jahren um exakt 12:30 Uhr – das liest sich für Jüngere wie für Ältere gleichermaßen span nend. Die entscheidenden Worte Reinhold Maiers zu hören, das berührt „ewig“:
Gemäß § 14 Absatz 4 Satz 2 wird hiermit der Zeitpunkt der Bildung der vorläufigen Regierung auf den gegenwär tigen Augenblick, nämlich auf Freitag, 25. April 1952, 12 Uhr 30 Minuten, festgestellt.
Mit dieser Erklärung sind gemäß § 11 des Zweiten Neu gliederungsgesetzes die Länder Baden, Württemberg-Ba den und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundesland vereinigt.
Die maßgeblichen Politiker waren profilierte, hoch respekta ble Persönlichkeiten – wohlgemerkt die Protagonisten der Dreierfusion ebenso wie deren Gegner. Ich nenne stellvertre tend – mit einem beträchtlichen Mut zur Lücke – nur: einer seits neben Reinhold Maier, Gebhard Müller, Walter Krause, Heinrich Köhler, Lorenz Bock, Hermann Veit, natürlich Theo dor Heuss sowie Carlo Schmid und Theodor Eschenburg, oh ne die es den Artikel 118 des Grundgesetzes kaum gegeben hätte, aber andererseits eben auch Leo Wohleb und seine tra ditionsliebenden Mitstreiter.
Das politische Leben wogte. Es bewegte die Menschen. Man cher und manches ist geradezu legendär geworden. Trotzdem können wir Baden-Württemberger nicht von einem Grün dungsmythos zehren, jedenfalls nicht so ausgeprägt wie z. B. unsere Schweizer Nachbarn. Aber als „kollektives Schlüssel erlebnis“ darf man das Geschehen der Jahre 1951/52 durch aus bezeichnen.
Oder, um es angelehnt an die ersten Worte des Johannesevan geliums auf den Punkt zu bringen: „Im Anfang war“ die po litische Anstrengung. Unsere Landesgründung bestätigt gera de in der Rückschau eine unverrückbare Wahrheit, die leider zu oft verdrängt wird, nämlich dass wir Mühen – politische Mühen – in Kauf nehmen müssen, wenn wir unser Dasein tief greifend gestalten wollen.
Viele große Zukunftsentwürfe sind zunächst heftig umstrit ten. Nicht selten sind es die am Start am heftigsten umstritte nen, die später zu den größten werden. Aber das gehört zu ei ner Demokratie. Die wahre Staatskunst liegt darin, nachdem die Entscheidung gefallen ist, die Argumente und die Ängste
der Gegner als zusätzlichen Ansporn zu sehen und alles für eine überzeugende Umsetzung des Vorhabens zu tun.
Die stürmische Auseinandersetzung um den Südweststaat wandelte sich schnell in eine feine Sensibilität für eine ausge wogene Entwicklung des neuen Gemeinwesens.
Die innere Einheit Baden-Württembergs ist nicht zuletzt durch den nachhaltigen Abbau des Stadt-Land-Gefälles hergestellt worden. Nirgends in Deutschland, ja in Europa, sind die Le bensqualität und die Lebenschancen in der gesamten Fläche so gleichmäßig gut wie bei uns in Baden-Württemberg. Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, hierfür auch dankbar zu sein und die se Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Bei uns gibt es kei ne zurückgebliebenen, abgehängten Gebiete und schon gar keine, die vor sich hinsiechen.
Unsere harmonische und Harmonie stiftende Landesentwick lung ist das Ergebnis einer engagierten, ganzheitlichen Struk turpolitik. Sie nachdrücklich fortzusetzen, das sollten wir uns an unserem 60-Jahr-Landesjubiläum gegenseitig politisch ver sprechen, speziell in Anbetracht des demografischen Wandels und des technischen Fortschritts.
Allgemeiner gesprochen: Durch die Gründung Baden-Würt tembergs haben wir – bewusst auf einer verfassungsrechtli chen Abkürzung – erstrebt und verwirklicht, was vom Grund gesetz im Artikel 29, der eigentlichen Neugliederungsvor schrift, verlangt wird, nämlich dass die Länder „nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirk sam erfüllen können“.
Wir im deutschen Südwesten wollten e i n starker Glied staat der Bundesrepublik sein, und wir sind es geworden. Wir haben damit nicht nur unser eigenes Wohl gemehrt, sondern das nationale Wohl insgesamt – Stichwort Länderfinanzaus gleich. Ich bin heute noch nicht zur Sichtung meines Postein gangs gekommen, aber ich bin mir sicher, dass heute auch vie le Glückwunschbriefe aus all den Nehmerländern BadenWürttemberg erreichen werden.
Meine Damen und Herren, wir haben die Voraussetzungen da für geschaffen, dass wir eine kraftvolle Region in Europa wer den konnten: führend bei den zentralen Kennziffern und po litisch anerkannt als Verfechter des Subsidiaritätsprinzips und eines föderativen Europas, also eines Europas der Regionen. Wohlgemerkt: Das war schon vor sechs Jahrzehnten politi sches Programm. Für den Zusammenschluss wurde nicht zu letzt geworben mit der Losung: „VEREINIGTES EUROPA? – Der erste Schritt SÜDWESTSTAAT“.
Uns war Europa nicht zu anstrengend. Und vor allem: Uns ist Europa nicht zu anstrengend. Damals wie heute lesen wir auch hier die Zeichen der Zeit. Damals wie heute vertrauen wir auch hier auf unsere Potenziale.
Wir wollen als Baden-Württemberger das Innenleben der EU direkt mitgestalten. Deshalb haben wir diese Festsitzung ei nem Thema gewidmet, das vielleicht akademisch-trocken an mutet, bei dem es aber tatsächlich um den Kern unserer Ei genstaatlichkeit und um einen Angelpunkt unserer Identität
geht. Das Thema lautet: „Die Rolle der Länderparlamente im europäischen Integrationsprozess“ – ein Zukunftsaspekt an der Nahtstelle von Staatsrecht und Verfassungspolitik. Nie mand ist besser berufen, darüber zu sprechen, als der Präsi dent des Bundesverfassungsgerichts. Lieber Herr Präsident Professor Dr. Voßkuhle, Sie machen uns mit Ihrem Besuch und Ihrer Rede ein besonderes Geburtstagsgeschenk. Ich möchte Sie auf das Herzlichste willkommen heißen.
Selbstverständlich erinnere ich gern daran: Das Bundesver fassungsgericht residiert nicht nur in Karlsruhe, sondern es zählte auch zu den „Geburtshelfern“ unseres Südweststaats. Der Weg zur Landesgründung führte bekanntlich über Karls ruhe: Angerufen aus Südbaden bestätigte das Bundesverfas sungsgericht am 23. Oktober 1951 gottlob das Zweite Neu gliederungsgesetz in allen wesentlichen Teilen. Wobei ich mit „gottlob“ nicht insinuieren wollte, dass man sich vor dem höchsten deutschen Gericht, Herr Präsident, in Gottes Hand befinde.
Ja, wir feiern in unsere Zukunft rein, aber nicht ganz so leicht lebig, wie es vielleicht klingt. Wir reflektieren, wie sich Ba den-Württemberg entwickeln soll, mit welchem Lebensge fühl, mit welchem Impetus, mit welchen Zielen.
Nach der unverändert jungen „Zukunft des Baujahrs 1952“ soll deshalb auch die junge „Zukunft des Baujahrs 2012“ im Originalton zu Wort kommen, und zwar durch drei junge Ba den-Württembergerinnen und Baden-Württemberger, die an baden-württembergischen Hochschulen ganz unterschiedli che Fächer studieren. Ich begrüße herzlich: Lisa Schell, künf tige Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin, Chris toph Wiest, künftiger Mediziner, und Julian Rapp, künftiger Jurist. Es war mir wichtig, dass heute junge Menschen, denen die Zukunft gehört, hier bei dieser Veranstaltung, bei dieser Geburtstagsfeier das Wort bekommen. Herzlichen Dank für Ihr Kommen!
Alle drei sind ehemalige Förderpreisträger des Schülerwett bewerbs zur politischen Bildung, den der Landtag seit 55 Jah ren veranstaltet. Wir sollten erfreut vermerken, dass die drei ihr politisches Interesse nicht verloren haben, sondern dass sie wieder bereit gewesen sind, sich eingehend mit einem politi schen Thema zu beschäftigen und ihre Meinung auch zu sa gen.
Unser neuer Bundespräsident – er ist heute, meine Herren Bi schöfe, auch im Gottesdienst mehrfach zitiert worden – hat in der vergangenen Woche gewissermaßen das Landesjubiläum eingeläutet. Er hat an dieser Stelle viele denkwürdige Sätze gesagt. Vor allem hat er Baden-Württemberg auch als ein „ge segnetes Land“ bezeichnet. Das ist uns zu Herzen gegangen.
Täuschen wir uns freilich nicht selbst: Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen, und am siebten Tag ruhte er. Wir aber dürfen auch nach 60 erfolgreichen Jahren in der siebten De kade nicht abschalten und uns ausruhen. Wir müssen das „Ge meinschaftswerk Baden-Württemberg“ miteinander fortset zen.