Vorgestern hat der designierte Bundespräsident Joachim Gauck, als er in diesem Haus zu Besuch war, alle anwesen den Zuhörerinnen und Zuhörer in seinen Bann gezogen. Sein Lob des Südwestens war nicht zu überhören, ebenso wenig wie sein Bekenntnis, dass er als Alternative zu unserem Sozi al- und Wirtschaftssystem – auch wenn es sicherlich nicht al len Idealen entspricht – auf internationaler Ebene keine bes seren Lösungen gefunden hat.
Während es an Gerechtigkeits- und Neiddebatten nicht man gele, scheine die Freiheitsdebatte als Grundlage unseres De mokratieverständnisses, der zufolge Menschen Verantwortung trügen, zu gering ausgeprägt. – Besser hätte ich es als Libera ler gar nicht sagen können.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Walter Heiler SPD: Es ist schon ein biss chen eifrig, was Sie hier sagen!)
Wir brauchen, Herr Kollege Heiler, eine Verantwortungs kultur, in der der Einzelne seine Freiheit als persönliche Chan ce nutzt, das Gemeinwesen voranzubringen. Dies müssen wir einfordern, damit wir die Ressourcen aufbringen, um den Menschen in unserer Gesellschaft zu helfen, die zeitweise oder auf Dauer auf Hilfe angewiesen sind.
Nun zum Antrag der Grünen und der SPD: Das ist ein Antrag aus der Bürokratieschublade, der uns nicht wirklich weiter bringen wird. Wie in der Stellungnahme zum Antrag ausge führt wird, greift der auf Landesebene geplante Bericht im Wesentlichen auf bereits vorhandene Daten zurück. Dank der bestehenden Grundsicherungssysteme – Herr Kollege Hinde rer hat es bereits angesprochen – gibt es bei uns keine abso lute Armut. Die relative Armut liegt, je nachdem, welche Grundlagen man heranzieht, in Baden-Württemberg zwischen 11 und 14 %.
Nicht nur der DGB, sondern auch zahlreiche andere Organi sationen untersuchen seit vielen Jahren sehr intensiv die Ein kommensentwicklung im nationalen und im internationalen Vergleich, auch unter Berücksichtigung der Globalisierung und der Wiedervereinigung und vor allem der Situation seit der Einführung der Hartz-IV-Reformen im Jahr 2005, durch die es nochmals einen Schub gegeben hat. Seit 2007 ist der Anteil des Niedriglohnsektors in etwa gleich geblieben.
Auch die Kinderarmut wurde und wird intensiv analysiert. 2009 war die Kinderarmut in Deutschland übrigens tatsäch lich deutlich niedriger, als im Vorfeld der Bundestagswahl im Jahr 2009 angegeben worden war. Der von der OECD ermit telte Wert von 16,3 % wurde vom DIW nochmals intensiv ana lysiert und auf einen Wert von 10 % korrigiert; aktuell beträgt dieser Anteil 8,3 %. Ich glaube, wir sind uns einig: Das sind 8,3 % zu viel.
Dieses Beispiel zeigt aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir aufgrund der Vielzahl der Berichte schon von einer Berichtsbürokratie sprechen können. Der von Grün-Rot ge forderte Bericht soll Ergebnisse liefern, die dann – so steht es in der Stellungnahme – „Grundlage von Vergleichen mit Be richtssystemen anderer Länder, des Bundes oder anderer EUMitgliedsstaaten bilden können“. Ich fürchte, dass solche Ver
gleiche wiederum zu neuen Berichten führen und wir die da rin veröffentlichten Ergebnisse dann nochmals neu zu bewer ten haben.
Unklar bleibt, inwieweit die im März gegründete Landesar mutskonferenz oder auch die vielen kreisweiten und kommu nalen Kinderarmutskonferenzen in dieses Konstrukt, in diese Struktur eingebunden werden.
Ganz generell ist festzuhalten, dass alle Daten in unterschied licher Form schon vorliegen. Wir dürfen das Pferd nicht von hinten aufzäumen.
In der letzten Woche haben wir über den Antrag der CDU „Frauen als Ernährerinnen“ gesprochen. Dort wurde ausge führt: Um das Niveau zu halten, brauchen wir in Baden-Würt temberg ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 %. Damit wer den wir auch weiterhin enorme Transferleistungen erbringen können, vor allem für andere Bundesländer, im Bereich des Finanzausgleichs, im Bereich der Sozialsysteme oder auch im Bereich der Umsatzsteuer.
Die Hauptursachen für Armut – das steht ebenfalls in der Stel lungnahme – sind Erwerbslosigkeit sowie fehlende Bildungs abschlüsse und berufliche Qualifikationen. Genau dort müs sen wir ansetzen. Wir brauchen mehr Engagement im Bereich der Qualifizierung, gerade auch von Migrantinnen und Mig ranten, wir brauchen mehr wirtschaftspolitisches Engagement für die kleinen und mittleren Unternehmen, und wir brauchen mehr Engagement für die Existenzgründerinnen und Existenz gründer.
Wenn wir der Kinderarmut vorbeugen wollen, müssen wir we sentlich stärker auf die kommunale Ebene setzen. Die Bertels mann Stiftung hat alle 412 Kreise – Landkreise, Stadtkreise und kreisfreie Städte – untersucht. Die Quoten weichen inner halb der Bundesländer, innerhalb der Kreise und auch inner halb der Städte massiv voneinander ab.
Die Studie zeigt auch, dass bei den Kindern die unter Drei jährigen das höchste Armutsrisiko tragen. Es bedarf deshalb einer Betreuungskette von der Schwangerschaftsbegleitung bis zum Übergang in den Beruf. Hier müssen wir den Kom munen Unterstützung geben, indem wir vor Ort ehrenamtlich und professionell unterstützende Angebote bereitstellen. Da gibt es vorbildliche lokale Angebote, beispielsweise „Roter Faden Prävention“, ein Angebot, das hier auch schon landes weit ausgezeichnet ist.
Auch im Hinblick darauf – damit komme ich zum Schluss –, dass die grün-rote Landesregierung angekündigt hat, in den nächsten Jahren 15 000 Stellen abzubauen, müssen wir so of fen sein zu sagen: Wenn wir die Stellen abbauen wollen – Sie müssen noch sagen, wo Sie das machen wollen –, dann dür fen wir nicht gleichzeitig immer mehr Bürokratie aufbauen. Dann müssen wir mit dem Abbau von Bürokratie anfangen. Mit diesem Bericht tragen Sie jedoch dazu bei, dass noch mehr Bürokratie aufgebaut wird. Wir müssen an die Ursachen herangehen.
Sehr geehrter Herr Präsi dent, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Armut ist ein Problem, und Armut bei Kin dern ist mehr als das. Armut bei Kindern ist ein besonders be drückendes Problem. Leider gibt es auch in Baden-Württem berg Kinder, die in Armut aufwachsen. Für Kinder bedeutet Armut, dass sie in ihrer ersten Lebensphase von vielem aus geschlossen sind.
Damit Armut Kinder nicht dauerhaft in ihrer Entwicklung be hindert, müssen wir bei diesem Thema sehr genau hinschau en. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass Kinder aus ar men Familien alle Entwicklungschancen bekommen, die sie für eine gute Zukunft benötigen.
Die frühere Landesregierung hat dieses Thema leider immer nur mit sehr spitzen Fingern angefasst, und Ihre heutigen Aus lassungen dazu haben das noch einmal bestätigt.
Die berechtigten Forderungen von Kirchen und Wohlfahrts verbänden nach einer Bestandsaufnahme in Baden-Württem berg haben Sie, als Sie noch an der Regierung waren, unver ständlicherweise abgelehnt.
Ich bin den Regierungsfraktionen deshalb sehr dankbar, dass sie mit dem vorliegenden Antrag dieses überaus wichtige The ma aufgegriffen haben. Denn die Einführung einer Armuts- und Reichtumsberichterstattung in Baden-Württemberg ist überfällig.
Man kann dieses Thema nicht mit dem Hinweis wegschieben, Armut sei – angeblich – bei uns kein großes Problem. Denn tatsächlich existieren Armutsgefährdung und soziale Ausgren zungen auch in unserem Land. Insofern darf ich über die Aus führungen der Opposition zu diesem Thema doch einigerma ßen verwundert sein. Man hat das eine oder andere Mal den Eindruck bekommen können, da sprechen die Blinden von der Farbe.
Ich möchte es noch einmal konkretisieren. Die Hauptursachen für Armut wurden angesprochen: Arbeitslosigkeit, fehlende Berufsqualifikation, mangelnde Bildung und die Tatsache, al leinerziehend zu sein.
Es wurde gesagt, wir sollten lieber etwas tun, anstatt einen Bericht zu verfassen. Ich frage Sie ganz ehrlich: Wo waren Sie eigentlich, als wir unser Landesarbeitsmarktprogramm vorgestellt haben, das sich an Alleinerziehende mit einer Teil zeitausbildung wendet,
an Jugendliche mit mangelnder Bildungsqualifikation, an vom Arbeitsmarkt Benachteiligte mit mehreren Vermittlungs hemmnissen, um sie wieder für den Arbeitsmarkt zu befähi gen, damit sie wieder von ihrer Arbeit leben können? Wo wa ren Sie, als Herr Haußmann in diesem Haus gesagt hat, ein Arbeitsmarktprogramm sei unnötig?
Heute fordern Sie beim Thema Armut- und Reichtumsbericht erstattung mehr Qualifizierungen. Entschuldigung, aber wi dersprüchlicher kann es doch wirklich nicht mehr sein.
Ich möchte der Frage nachgehen, was ein Armuts- und Reich tumsbericht leisten kann. Zum einen kann er umfassende und verlässliche Daten für das Land Baden-Württemberg vorle gen. Sie haben recht: Es gibt Datenquellen wie etwa die vier teljährlichen Reports der FamilienForschung Baden-Württem berg. Aber diese Untersuchungen zeigen nur einzelne Aus schnitte. Sie sind schlaglichtartig. Wir aber wollen eine ge naue Untersuchung. Wir wollen wissen, wo die Armut in un serem Land steckt, und vor allem, wo sie sich versteckt.
Zwar erscheinen die in unserer Stellungnahme dargelegten Zahlen zu den Armutsgefährdeten in Baden-Württemberg im Bundesvergleich Gott sei Dank nicht so dramatisch wie die Zahlen in anderen Bundesländern. Aber für die einzelnen Be troffenen ist die Situation deswegen nicht weniger belastend. Die Auffassung, nur weil es hier weniger Betroffene gibt, dür fe dies kein Thema sein, müssen Sie einem Betroffenen ein mal erklären.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Sie müssen kon kreter helfen!)
Armut ist, wenn sie ringsum von einem hohen Einkommens niveau und einem relativen Wohlstand umgeben ist, vielleicht noch schwerer zu ertragen. Deswegen wollen wir auch da ge nau hinschauen. Wir werden auch beim Reichtum in unserem Land genau hinschauen. Wir werden deshalb den Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen.
(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Was heißt das kon kret? – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Das heißt: Reiche aufgepasst!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden den Ar muts- und Reichtumsbericht nicht nur als reine Datensamm lung vorlegen, sondern wir wollen – das ist das Entscheiden de – auch handlungsorientiert vorgehen. Denn unser Bericht wird zugleich konkrete Handlungsempfehlungen für die Be kämpfung und Vermeidung von Kinderarmut geben.
Eine Maßnahme haben wir schon jetzt eingeleitet: Entspre chend dem Koalitionsvertrag wird es eine Novellierung beim Landeserziehungsgeld geben.