Protocol of the Session on December 14, 2011

Das ist die eine Seite, meine sehr verehrten Damen und Her ren: Eine Volksabstimmung stand am Beginn unseres Bundes lands. Aber auf der anderen Seite stehen natürlich auch die Fakten.

Fakt ist: Baden-Württemberg ist ein erfolgreiches Bundesland, aber Volksabstimmungen und Volksbegehren haben dazu mit Sicherheit keinen großen Beitrag geleistet, um nicht zu sagen, gar keinen Beitrag geleistet. Es gab in Baden-Württemberg insgesamt vier Volksabstimmungen bzw. Volksbegehren – ich möchte es replizieren –: Das Volksbegehren und die Volksab stimmung im Jahr 1971 zur Verwaltungsreform waren erfolg los, das Volksbegehren zu den ABC-Waffen im Jahr 1985 war unzulässig und ebenfalls erfolglos, und das Volksbegehren zur unmittelbaren Demokratie bei den Gemeinden und Landkrei sen im Jahr 2000 war auch erfolglos.

(Zuruf von den Grünen)

Jetzt hatten wir die Volksabstimmung am 27. November 2011. Das Ergebnis war, dass das, was wir von der CDU-Fraktion immer vertreten haben, was in den Parlamenten entschieden worden ist und was die Gerichte bestätigt haben, auch vom Volk so entschieden worden ist. Deswegen war es natürlich in allererster Linie eine politische Niederlage für die Fraktion GRÜNE, aber natürlich auch für die Landesregierung insge samt. Das wollen wir am heutigen Tag nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU)

Ob es für die SPD ein so großer Erfolg war, Herr Kollege Stoch, dass Sie sagen können: „Wir, die SPD, haben diese Volksabstimmung initiiert“, das wage ich auch zu bezweifeln. Wenn über 50 % der Stimmberechtigten an der Volksabstim mung gar nicht teilnehmen, dann ist das sehr, sehr mager.

(Unruhe bei der SPD – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: So ein Quatsch!)

Trotz dieses großen medialen Spektakels, das da gemacht wor den ist, ist die Beteiligung relativ gering. Und ob die Befrie dungsfunktion eintritt, das werden wir erst noch sehen. Die Parkschützer haben es ja schon abgelehnt, dieses Ergebnis zu akzeptieren. Deswegen wage ich auch zu bezweifeln, dass es für die SPD ein großer Erfolg war.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 27. November 2011 haben auch andere Wutbürger abgestimmt, die für den Weiterbau von Stuttgart 21 sind, die gesagt haben: „Wir wol len im Schlossgarten keine Demonstrationen mehr und kein Campen mehr. Wir wollen keine Demonstrationen mehr auf den Straßen.“ Meines Erachtens sollte man auf diese Men schen hören. Die direkte Demokratie ist nicht automatisch eine bessere Demokratie, sondern repräsentative und direkte Demokratie können sich allenfalls ergänzen. Darum meine ich, dass die von Ihnen initiierte Debatte in manchen Dingen vom Thema wegführt.

Sie sagen, man solle den Schwung der Volksabstimmung für mehr direkte Demokratie nutzen. Aber ich glaube, im Ergeb nis wollen Sie mehr davon ablenken, dass Rot und Grün die Volksabstimmung verloren haben.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Sie wollen das Ergebnis schönreden, und Sie wollen über den eigenen Abschwung hinwegtäuschen.

(Widerspruch bei der SPD – Zurufe von der SPD: Nein, nein! – Da klatscht niemand bei Ihnen! – Das glaubt Ihnen auch niemand!)

Ist die direkte Demokratie wirklich die bessere Demokratie? Ein Blick über den Tellerrand hilft vielleicht, um das zu be trachten. In Frankfurt wurde eine neue Landebahn gebaut, in München wird eine neue Landebahn gebaut, in Berlin wird ein neuer Großflughafen entstehen. Überall, wohin wir schauen, gibt es Proteste: vor dem Bau, während des Baus und nach dem Bau. Dazu stellt sich die Frage: Wer trägt eigentlich die Mehrkosten dafür, die juristischen Kosten, die Polizei kosten, die Kosten für die Bauverzögerungen? Das alles sind Konflikte, die bewältigt werden müssen und die Sie nach träglich durch eine Volksabstimmung nicht bewältigen kön nen.

Die entscheidende Frage an die Politik, an die Gesellschaft und auch an uns, an die Parteien, ist: Wollen wir die zusätzli chen Kosten, die durch Volksabstimmungen entstehen – 16 Millionen € sind es in diesem Fall –, immer tragen? Wol len wir, die Gesellschaft, dass zusätzliche Kosten durch die Bauverzögerungen und durch die ganzen Begleiterscheinun gen dazukommen? Wollen wir diese Form der Bewältigung des Konflikts und der zusätzlichen Kosten haben? Ich sage für die CDU-Fraktion: So wollen wir das nicht haben.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD)

Sie haben durchaus die Kurve bekommen, Herr Kollege, in dem Sie festgestellt haben, dass es entscheidend darauf an kommt, Beteiligungsverfahren zu entwickeln, die zeitlich vor einer Volksabstimmung ansetzen, mit denen sich Menschen im Vorfeld beteiligen. So sieht das auch die Bundestagsfrak tion der SPD, wie den gestrigen Veröffentlichungen in der Presse zu entnehmen war:

Bürgerbeteiligung dürfe nicht nur als Mittel angesehen werden, um nachträglich Akzeptanz zu schaffen. Eine Ein beziehung sei daher schon in Vorplanungen nötig, „also bereits bei der Frage, ob ein Projekt überhaupt gebaut wird“.

Mit dieser Fragestellung, mit dieser Thematik können wir uns einverstanden erklären. Aber dann müssen Sie gleichzeitig die Frage erlauben, was Sie in der Zwischenzeit hierzu getan ha ben, außer einige Erörterungstermine durchzuführen. Wir ha ben ganz konkrete Vorschläge hierzu gemacht. Die vorherige Landesregierung hat es auf den Weg gebracht. Sie hat auch eine Bundesratsinitiative in diesem Sinn gestartet. Sie haben sie im Grunde nur mit leeren Worten begleitet. Es käme da rauf an, dass Sie diese Fragen gut beantworten und eine gute Politik daraus entwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen lassen Sie mich abschließend sagen: Die CDUFraktion ist durchaus für mehr Bürgerbeteiligung. Die CDU ist aber für ein schlüssiges Gesamtkonzept, das unsere Gesell schaft trägt, das auch Akzeptanz findet, damit die Menschen, wenn sie dann einbezogen sind, am Schluss der Debatte auch sagen: „Das gefundene Ergebnis akzeptiere ich, trage ich mit,

und ich protestiere nicht nachträglich noch weiter.“ Allein da rauf, Herr Kollege Stoch, kommt es an.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol lege Sckerl.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Botschaft geht schon einmal von der heutigen Aktuellen De batte aus: Die CDU sitzt weiter im Bremserhäuschen in Baden-Württemberg, was direkte Demokratie anbetrifft. Das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei den Grünen)

Sie sind offensichtlich weder willens noch bereit, die richti gen Lehren aus dem 27. November 2011 zu ziehen. Jetzt las sen Sie es sich noch einmal sagen: Die Gewinnerinnen und Gewinner des 27. November sind die Bürgerinnen und Bür ger des Landes Baden-Württemberg, weil sie die Chance er griffen haben, mit einer erstaunlich hohen Abstimmungsbe teiligung, Herr Kollege Dr. Scheffold, diesen Konflikt um Stuttgart 21 zu entscheiden. Das ist für die Demokratie ein guter Tag gewesen.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn Sie sich Abstimmungsbeteiligungen anschauen, dann machen Sie zwei Feststellungen. Es gibt Volksabstimmungen im Zusammenhang mit allgemeinen Wahlen; da gibt es im mer eine höhere Abstimmungsbeteiligung. Und es gibt iso lierte Volksabstimmungen; da liegt die Beteiligung der Ab stimmungsberechtigten im Bundesdurchschnitt in den letzten Jahren – unabhängig von Quoren; diese sind in Baden-Würt temberg besonders hoch – bei durchschnittlich 38 %. Vor die sem Hintergrund ist die Beteiligungsquote von 48 % – also zehn Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt – bei der Volksabstimmung in Baden-Württemberg erstaunlich hoch.

Das Niveau der Debatte in der Bürgerschaft im Vorfeld der Volksabstimmung war sehr hoch. Die Bürgerschaft hat sich qualifiziert über das Pro und Kontra auseinandergesetzt, und sie hat bewiesen, dass sie mit hohem Sachverstand auch kom plizierten Sachverhalten folgen kann. Unter dem Strich ist es also ein Gewinn für die Demokratie, und dieses Ergebnis ak zeptieren wir. Man kann jetzt nachkarten oder kann sich freuen. Für uns ist entscheidend, dass die Demokratie mit die sem Ereignis einen Schritt nach vorn gekommen ist. Das wol len wir am heutigen Tag noch einmal ganz deutlich festhalten.

(Beifall bei den Grünen)

Jetzt darf die Politik dieses Thema nicht auf die lange Bank schieben. In diesem Ergebnis steckt der klare Auftrag an den Landtag von Baden-Württemberg, die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung weiterzuentwickeln und dies möglichst rasch und geschlossen zu tun und keine Ebene zu vergessen. Natürlich geht es nach wie vor um die Ebene des Landes Baden-Württemberg. Herr Dr. Scheffold, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wir müssen im nächsten Jahr wirklich mit einem konstruktiven Dialog über die demo kratische Ausgestaltung von Volksbegehren und Volksabstim mungen beginnen. Das steht seit dem 27. November 2011 un widerruflich auf der Tagesordnung.

Unser Angebot heute lautet – ich sage es nochmals –: Lassen Sie uns das gemeinsam tun. Es gibt genug Schnittmengen hier im Hause. Ich bin mir sicher, dass wir mit dem Material, das wir in der 14. Wahlperiode, aber auch schon in dieser Wahl periode verhandelt haben, genug Stoff haben, um zu einer Einigung zu kommen. Gehen Sie in dieser Frage bitte endlich aus dem Bremserhäuschen heraus.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Dann kann man sich hier auch nicht hinstellen und sagen: „Die Geschichte des Landes Baden-Württemberg ist eine Er folgsgeschichte. Wir haben Volksentscheide doch gar nicht gebraucht.“

Es hatte schon etwas leicht Zynisches an sich, als politisch Verantwortliche dafür, dass es hohe Quoren gibt, in dem Wis sen, dass es für die Bürgerschaft sehr, sehr schwierig ist, sich zu organisieren, um in einem kurzen Zeitraum ein Volksbe gehren auf die Beine zu stellen, zu sagen: Das hat es nie gege ben; das haben wir auch nie gebraucht.

Wenn es vernünftige Hürden und vernünftige Spielregeln gegeben hätte, dann – da können wir sicher sein – hätte es das eine oder andere Begehren längst gegeben, auch die eine oder andere Abstimmung, wie es in Bayern oder anderen Bundes ländern in sehr strittigen Fragen durchaus üblich ist.

Wir sind uns einig, dass die direkte Demokratie die repräsen tative Demokratie, also das Parlamentsgeschehen, nicht ablöst, sondern sie in wichtigen Fragen nur ergänzt und damit zur Belebung und zur attraktiveren Gestaltung unseres gesamtde mokratischen Modells beiträgt, indem die Bürgerschaft mit genommen wird. Das ist die Aufgabenstellung, das ist der Auftrag, und dazu gehört, dass wir uns endlich zusammenfin den und die Grundsatzdebatten hier im Landtag beenden. Wir sollten im nächsten Jahr gemeinsam die Verfassung ändern. Das ist der Weihnachtswunsch der Koalition an die Opposi tion.

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Vielleicht sind Sie endlich bereit, sich da einmal zu bewegen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Begleitumstände und die ganzen Diskussionen haben deutlich gezeigt, wo es Veränderungsbedarf gibt. Wir müssen uns um das Quorum kümmern, und zwar nicht nur um das Quorum bei der Schlussabstimmung, sondern auch um die ganzen Hürden, die es im Vorfeld von Volksabstimmungen im Bereich des Volksbegehrens gibt. Da ist Baden-Württemberg nach wie vor Schlusslicht im bundesweiten Vergleich. Da besteht Reformbedarf.

Da gibt es jede Menge Vorschläge von den Grünen und von der SPD. Das ist ein großes Paket. Es gibt Vorschläge aus der Gesellschaft. Es gibt auch Maßnahmen und Gesetze, an denen sich die CDU in anderen Bundesländern beteiligt hat – auch dort, wo sie mitregiert –, in denen das Volksbegehren und die Volksabstimmung durchaus bürgerfreundlicher gestaltet sind. Es gibt also genug Stoff, um da zu einem vernünftigen Ergeb nis zu kommen.

Wir sind sehr sicher und sehr zuversichtlich, dass die Bürger schaft in Zukunft von neuen Beteiligungsmöglichkeiten Ge brauch machen wird.

Direkte Demokratie, meine Damen und Herren, ist selbstver ständlich auch auf anderen Ebenen ein Thema. Das ist auch ein Thema für die kommunale Ebene. Auch dort gibt es nach wie vor Reform- und Vereinfachungsbedarf. Dort gibt es nach wie vor den Bedarf, die Bürgerbegehren und Bürgerentscheide noch bürgerfreundlicher zu gestalten. Es gibt auch die Ebene der Landkreise, bei denen bis zum heutigen Tag solche Be teiligungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind. Das sollte uns gemeinsam ein Gespräch wert sein.

Selbstverständlich ist das Thema Bürgerbeteiligung auch bei Planungsvorhaben und wichtigen kommunalen oder landes- oder regionalpolitischen Vorhaben insgesamt von Bedeutung. Da besteht die Aufgabe darin, die Bürgerinnen und Bürger so frühzeitig zu beteiligen, dass der Prozess, um den es geht, oder das Projekt, um das es geht, eine möglichst hohe Legitima tion gewinnt. Damit können auch Verbesserungen im Sinne des Projekts erzielt werden.

Das alles steht auf der Tagesordnung. Wir werden seitens der Koalition durch unsere verehrte Staatsrätin im Laufe des ers ten Halbjahrs 2012 in diesem Haus konkrete Vorschläge un terbreiten, wie die Bürgerbeteiligung in Planungsverfahren auf unterschiedlichen Ebenen verbessert und optimiert werden kann. Wir sind gespannt, wie Sie darauf reagieren werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Brauchen wir dann ein Schlichtungsverfahren, Herr Sckerl?)

Das ist unser zweites Angebot, gemeinsam als Landtag von Baden-Württemberg auch in diesem Bereich Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

Sie sehen also: Das nächste Jahr bietet für die CDU glänzende Perspektiven, endlich bürgerfreundlich zu werden.

Vielen Dank.