Protocol of the Session on December 7, 2011

Das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Rede zeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

In der Allgemeinen Aussprache erteile ich Herrn Kollegen Kunzmann für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Das Gesetz trägt die Überschrift „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Bu ches Sozialgesetzbuch und des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da wird einem ja schwindelig! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Kurz und schmerzlos! – Abg. Winfried Mack CDU: Super! Akzentfrei!)

Ich denke, dass sich dem einen oder anderen vielleicht nicht auf Anhieb erschließt, was sich dahinter verbirgt. Kurz gesagt: Es verbirgt sich viel Geld dahinter, und zwar erstens für die Grundsicherung. Der Bund wird bis 2014 die Nettoausgaben für die Grundsicherung in voller Höhe übernehmen, und das Land schafft mit diesem Gesetzentwurf jetzt die rechtliche Grundlage dafür. Im Ergebnis bedeutet das eine erhebliche Entlastung für die Landkreise und damit auch für die Städte und Gemeinden.

Zweitens geht es um die Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder. Hier gibt das Land seine Kompetenzen an die Land kreise und Stadtkreise weiter, und mit der Kompetenz werden auch die entsprechenden Mittel weitergeleitet – das ist im Üb rigen eine Selbstverständlichkeit. Das Geld kommt, wenn ich das noch anmerken darf, vom Bund.

Wir vertrauen den Städten und Gemeinden sowie den Land kreisen, dass sie diese finanziellen Mittel im Sinne derjenigen verwenden, denen die Mittel nutzen sollen.

Die CDU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht nun Herr Kollege Poreski.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir wollen zum Mittagessen!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist in erster Linie – das hat mein Vorredner be reits gesagt – eine Anpassung an veränderte Bundesgesetze. Im Plenum und im Ausschuss haben wir festgestellt, dass die Lösung der Landesregierung gelungen ist. Die Anpassungen erfolgen mit einem denkbaren Minimum an Bürokratie – al lerdings nur, soweit die Bundesgesetzgebung dies zulässt. Kommunen und Sozialverbände sprechen nicht ohne Grund von einem bürokratischen Monstrum, das uns Schwarz-Gelb auf Bundesebene präsentiert hat.

Wir sollten uns erinnern: Eine Neufestsetzung der Grundsi cherung für Langzeiterwerbslose – umgangssprachlich HartzIV-Empfänger – war nach einem Urteil des Bundesverfas sungsgerichts notwendig geworden. Dabei hatte das Gericht festgestellt, dass das gängige Verfahren weder dem Gebot der Transparenz genüge, noch dass damit nachvollziehbar das so genannte soziokulturelle Existenzminimum gewährleistet worden wäre. Das war eine schallende Ohrfeige, aus der dann allerdings nur unzureichende Konsequenzen gezogen wurden.

(Beifall bei den Grünen)

Im Februar 2010 wurde dann unter Beteiligung des Bundes rats ein neues Verfahren zur Ermittlung des Existenzmini mums beschlossen, das von den Sozialverbänden wiederum als nicht verfassungsgemäß kritisiert wird. Diese Einschät zung teilten die Grünen mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Die Zustimmung einiger A-Länder erfolgte dann auch nur mangels Alternative, weil ansonsten jede Verbesserung blockiert worden wäre.

Wesentliche Inhalte sind neben der Neuregelung der Grund sicherung für Ältere, die der Kollege angesprochen hat, ein neuer Berechnungsmodus, eine Erhöhung der Regelleistung für alleinstehende Erwachsene um 5 € auf 364 € sowie das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder.

Kritikwürdig bei der neuen Regelleistung ist, dass gegenüber früheren Berechnungen nicht mehr die untersten 20 %, son dern nur noch die untersten 15 % der Einkommen als statisti sche Grundlage dienen. Darüber hinaus werden die sogenann ten Aufstocker, also Menschen, deren Einkommen schon jetzt unter der bisherigen Regelleistung liegt – das sind viele –, nicht abgegrenzt; das heißt, sie fließen beim Maßstab für die Neufestlegung vollständig in die Berechnung ein. So wurde der bisherige, von Sozialverbänden und Armutsforschern als zu niedrig bewertete Regelsatz zum wesentlichen Faktor für die Neuberechnung.

Das Bildungs- und Teilhabepaket wird nun bereits in vielen Kommunen umgesetzt. Die abgerufenen Leistungen umfas sen insbesondere das Schulmittagessen, die jährliche Ausstat tung mit Schulbedarf und Kosten für Klassenausflüge. Für vie le Kinder ändert sich dadurch nichts; denn diese Leistungen gab es häufig auch schon vorher, oft aus kommunalen Mitteln. Die Kommunen werden also entlastet – wogegen sicher nichts einzuwenden ist –, die Kinder aber haben davon häufig kei

nen Gewinn. In Einzelfällen, etwa bei der Schülerbeförderung, gibt es sogar Nachteile. Hinzu kommt, dass etwa ein Drittel aller Kinder, ob mit oder ohne Bildungs- und Teilhabepaket, überhaupt kein Mittagessen in der Schule bekommen können. In all diesen Fällen verfehlt das Bundesgesetz klar seinen Zweck.

Was schließen wir daraus? Das Land hat mit der heute zu be schließenden Vorlage alles richtig gemacht – im Rahmen der Vorgaben des Bundes, aber durchaus mit eigenen Akzenten. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Kinder von Asylbewer bern ebenfalls Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabe paket erhalten können. Der Gesamtrahmen, der vom Bund vorgegeben wurde, ist allerdings höchst mangelhaft.

Die grün-rote Mehrheit im Landtag ist sich dessen sehr be wusst. Deshalb werden wir uns nicht darauf beschränken, das Bundesrecht ordentlich, möglichst unbürokratisch und für die Bürgerinnen und Bürger erträglich umzusetzen. Wir werden darüber hinaus in der sozialpolitischen Debatte in unserem Land eigene Schwerpunkte setzen. Ein wichtiges Instrument hierfür ist ein handlungsorientierter Armuts- und Reichtums bericht auch für Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich sehr, dass wir dazu in den kommenden Wo chen nach sehr ertragreichen Gesprächen mit Wohlfahrtsver bänden und Armutsforschern einen Antrag der Koalitionsfrak tionen vorlegen können.

Die grün-rote Mehrheit hat den Ehrgeiz, nicht nur richtig zu analysieren, sondern auch etwas zu verändern und zu verbes sern. Wir laden alle – ausdrücklich auch die Opposition – da zu ein, sich daran zu beteiligen – übrigens gern „kritisch-kon struktiv“, um einen Begriff aus der öffentlichen Debatte die ser Tage aufzugreifen.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Abg. Hinderer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die am Montag dieser Woche veröffentlichte OECD-Studie bestätigt erneut, was wir bereits wissen und was uns Sozialdemokraten heftig bedrückt: Der Unterschied zwi schen Arm und Reich wird größer, die Einkommenskluft in Deutschland ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheb lich stärker gewachsen als in den meisten anderen Industrie nationen. Die 10 % der Menschen mit den höchsten Einkom men verdienen durchschnittlich achtmal so viel wie die unte ren 10 %.

Ich teile die Einschätzung des OECD-Generalsekretärs Gur ria, der die Studie folgendermaßen interpretiert:

Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschaftskraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusammenhalt und schafft politische Instabilität.

Angesichts der Dimension der Auseinanderentwicklung bei Einkommen und Vermögen in unserem Land ist das Bildungs- und Teilhabepaket, um dessen Umsetzung es bei dem uns vor

liegenden Gesetzentwurf im Wesentlichen geht, allenfalls ein Wundverband – ich sage: Wundverband und nicht Heilbe handlung. Eine Heilbehandlung wäre eine grundlegende Steu erreform mit angemessener Besteuerung hoher Einkommen und Kapitalerträge.

Heilbehandlung wäre eine deutliche Entlastung unterer und mittlerer Einkommen und die Einführung eines Mindestlohns. Heilbehandlung wäre eine Kindergrundsicherung mit eigen ständigem Regelsatz für Kinder im ALG-II-Bezug oder aber gemäß dem aktuellen SPD-Parteitagsbeschluss eine Begren zung der Kinderfreibeträge in den oberen Einkommensgrup pen und ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Eine solche Heilbehandlung setzt eine andere, eine sozialere Politik auf Bundesebene voraus. Bis es so weit ist, gibt es mit dem Bildungs- und Teilhabepaket wenigstens eine Linderung der größten Not. Dieses Paket setzt dem Grunde nach an der richtigen Stelle an: bei der Bildung und der gesellschaftlichen Teilhabe von Kindern und jungen Menschen. Bildung und Teilhabe schaffen Zugang zu beruflicher Integration und Chancengleichheit. Die Landesregierung passt mit diesem Än derungsgesetz die Landesregelungen an das Bundesrecht an. Viel Gestaltungsspielraum gibt es dabei nicht.

Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets erfolgt in den Stadt- und Landkreisen. Deshalb ist es richtig, die Bun desmittel vollständig dorthin weiterzuleiten, und mit den Mit teln auch die Kompetenzen.

Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs verbinden wir die Erwartung, dass die Mittel auf kommunaler Ebene wirk lich einen Mehrwert für die betroffenen Kinder und Familien generieren. Das Paket darf nicht zum Anlass genommen wer den, bisherige kommunale Förderangebote durch Bundesmit tel zu kompensieren. Wir hoffen, dass angesichts der doch er heblichen bürokratischen Hürden, die das Bildungs- und Teil habepaket beinhaltet, vor Ort eine flexible und einfach hand habbare Praxis der Hilfeleistung entwickelt wird, sodass die Geldmittel und Leistungen wirklich bei den Betroffenen an kommen.

Die SPD unterstützt ausdrücklich die Initiative unserer Inte grationsministerin Öney, dass auch Leistungsberechtigte nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes von den Angeboten des Bildungs- und Teilhabepakets profitieren können. Wir be dauern, dass der Bundesgesetzgeber die Zielgruppe der Kin der von Asylbewerbern oder geduldeten Personen ausgenom men hat. Die Ärmsten der Armen sollen, wenn es nach Schwarz-Gelb geht, nicht profitieren. Wir gehen allerdings da von aus, dass vor Ort praktikable Lösungen gefunden werden, um diese kleine Zahl von Betroffenen in das Leistungsange bot einzubeziehen.

Es ist gut, dass wir dieses Gesetz noch in diesem Jahr, pas send zur Adventszeit, verabschieden. Es hat die Linderung der Not von armen Kindern und Familien in unserem Land und zugleich die Schaffung von Rechts- und Planungssicherheit für die Stadt- und Landkreise zum Ziel.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Herr Kollege Haußmann.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem im Entwurf vorliegenden Ge setz werden im Wesentlichen Anpassungen an das geänderte Bundesgesetz vorgenommen. Mehrkosten für das Land Ba den-Württemberg entstehen dadurch nicht. Im Gegenteil: Viel mehr hat der Bund den Stadt- und Landkreisen mit den Än derungen einen wesentlich weiter gehenden Kostenausgleich unter den Gabentisch gelegt.

Da ist zum einen die vollständige Übernahme der Grundsi cherung im Alter ab dem Jahr 2014; im nächsten Jahr trägt der Bund 45 %, im Jahr 2013 dann 75 % der Nettoausgaben. Wenn man die demografische Entwicklung in den nächsten Jahren sieht, weiß man, dass hier erhebliche Kosten für die Grundsi cherung im Alter entstehen. Hier stehen 4 Milliarden € im Raum.

Die Mittelbereitstellung erfolgt dabei aus Umschichtungen im Bundeshaushalt. Im Gegensatz zu dem aus reiner Steuererhö hung finanzierten Pakt der Landesregierung mit den Kommu nen zur Kleinkindbetreuung ist dies ein richtiger Meilenstein, bei dem man ohne Steuererhöhungen auskommt. Mit Steuer erhöhungen lässt sich das immer machen. Aber, lieber Kolle ge Hinderer, da muss ich schon auch einmal sagen: Sozial sind eben nicht nur die, die das Geld anderer Leute verteilen, son dern sozial sind auch die, die überhaupt dazu beitragen, dass es etwas zum Verteilen gibt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Aus der Stellungnahme zu unserem Antrag „Angebotsent wicklung in der Pflege“ vom 27. Juli 2011 liegen uns bereits heute deutliche Zahlen vor. Bereits von 1999 bis 2009 ist die Zahl der über 80-Jährigen in Baden-Württemberg um über 45 % auf rund 532 000 Personen gestiegen. Diese Entwick lung wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen und zu er heblichen Mehrausgaben für die Grundsicherung im Alter füh ren. Die Zuständigkeit für neu geschaffene Leistungen für Bil dung und Teilhabe für Grundsicherungsempfänger oder Be zieher von Kinderzuschlag oder Wohngeld wird einheitlich den Stadt- und Landkreisen übertragen.

Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich das Bildungs- und Teil habepaket in der Praxis bewährt. Als Ausgleich für die Teil habe- und Bildungsleistungen wird die Bundesbeteiligung an den Ausgaben für Unterkunft und Heizung um 6,6 Prozent punkte erhöht.

Laut Zeitungsmeldungen will das Land im kommenden Jahr 15 Millionen € für die Schulsozialarbeit bereitstellen. Unklar ist, inwieweit hierin die genannten Bundesmittel enthalten sind. Auch ist die Verteilung konkret zu klären, damit auch die Städte und Gemeinden in den Landkreisen in den Genuss der Bundesmittel kommen können. Städte- und Gemeindetag ha ben eine Klarstellung angeregt.

Die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg hat auf die Bedeutung der Schulsozialarbeit für die Teilhabe chancen von Kindern und Jugendlichen hingewiesen. Sie for dert eine aktive Rolle des Landes und hat sich bereit erklärt,