Protocol of the Session on November 23, 2011

genauso wie wir beispielsweise auch die Erhöhung des Grund erwerbsteuersatzes akzeptieren, obwohl wir nicht dafür sind. In der Demokratie besteht die Gelegenheit, weiterhin anderer Meinung zu sein, auch wenn man überstimmt wird – etwas, was ich mir von Ihnen in der Vergangenheit, was dieses The ma anbelangt, gewünscht hätte, meine Damen und Herren. Sie haben nämlich bestehende Beschlüsse nie akzeptiert und nie respektiert.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Das ist doch wirk lich unterirdisch!)

Aber wir werden das Ergebnis akzeptieren und respektieren.

Aber Kollege Hauk hat natürlich recht: Herr Ministerpräsi dent, es würde uns schon interessieren, wo die Kündigungs rechte eigentlich sind, die in diesem Gesetz drinstehen, und wie Sie diese durchsetzen wollen. Mit Verlaub: Wir können auch nicht für die Bahn reden. Wenn dieses Gesetz von der Bevölkerung gemäß der Verfassung angenommen wird, ak zeptieren wir, die Fraktionen von CDU und FDP/DVP, dieses Gesetz; das ist klar. Aber es stellt sich doch immerhin die Fra ge, wie die Bahn damit umgeht. Ihr Vertragspartner, Herr Mi nisterpräsident, ist doch die Bahn und sind nicht unsere Frak tionen. Deshalb werden Sie dann diese rechtliche Auseinan dersetzung haben. Daher wird sich natürlich auch die Frage stellen, wie sich gegebenenfalls die Entschädigungskosten verteilen.

Im Übrigen, Herr Ministerpräsident, waren Sie an dieser Stel le dann doch nicht so eindeutig, wie wir uns das gewünscht hätten. Sie haben davon gesprochen, dass Sie ein Scheitern dieses Gesetzes akzeptieren und dann das Baurecht der Bahn durchsetzen. Daraus müsste man doch eigentlich schließen, dass Sie dann auch die geschlossenen Verträge akzeptieren. In den geschlossenen Verträgen ist aber zum Thema Kosten eine Sprechklausel enthalten. Wenn Sie den bestehenden Ver trag akzeptieren, dann können Sie nicht einfach sagen, die Mehrkosten trage im Fall des Falles die Bahn, sondern Sie müssen doch akzeptieren, dass dann die Sprechklausel gilt. Sie können nicht zur Hälfte erklären, dass bestehende Geset

ze gelten – ein Kündigungsgesetz scheitert, oder es scheitert nicht –, und dann gleichzeitig bei der Kostenentwicklung wie der die zweite Front aufmachen.

Sie, Herr Ministerpräsident, haben gesagt, das ganze Verfah ren habe zerstörtes Vertrauen wiederhergestellt.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: In der Tat!)

Ich habe – um es deutlich zu sagen – erhebliche Zweifel, dass dem so ist.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sie waren an der Zerstörung beteiligt!)

Nein, Herr Kollege Sckerl. – Offensichtlich haben manche versucht, dieses „zerstörte Vertrauen“ so zu instrumentalisie ren, dass es ihren eigenen politischen Zwecken und einem be stimmten Wahltermin dient.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sie haben nie verstanden, was da passiert ist!)

Wir haben sehr wohl verstanden, dass dieses Verfahren sei nen rechtsstaatlichen Verlauf genommen hat. Wir haben sehr wohl verstanden, dass das Projekt Stuttgart 21 in allen Parla menten immer wieder mit breiter Mehrheit beschlossen wor den ist. Und wir haben sehr wohl verstanden, dass Sie bei je dem Gericht, vor das Sie gegen dieses Projekt gezogen sind, gescheitert sind. Das haben wir sehr wohl verstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Diejenigen, die versucht haben, das Vertrauen in den Rechts staat und in die repräsentative Demokratie zu erschüttern, wa ren doch Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! – Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Herr Ministerpräsident, Sie haben erklärt, diese Volksabstim mung sei ein Verdienst von Grün-Rot.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Richtig!)

Sie haben dann das Bild von der Entwicklung vom Entwick lungsland über das Schwellenland, das entwickelte Land, die Industrienation, bis quasi zu der Nation mit der Volksabstim mung entwickelt. Sie haben dann erklärt: „Wir waren dieje nigen, die direkte Demokratie vorangebracht haben.“ Herr Mi nisterpräsident, haben Sie schon vergessen, wie Ihre Haltung im vergangenen Jahr zu unserem Vorschlag, das Gültigkeits quorum für Volksabstimmungen abzusenken, gewesen ist?

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Das war unser Vorschlag. Er ist an Ihnen gescheitert.

(Zuruf von der CDU: Aha! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Als Sie dann unerwartet in die Regierungsverantwortung ka men

(Abg. Thomas Marwein GRÜNE: Nicht unerwartet!)

und diese Volksabstimmung dann zur Brücke auf dem Weg zu Ihrer Konfliktkoalition wurde, haben Sie plötzlich erkannt: „Da haben wir einen Fehler gemacht. Da hätten wir doch zu stimmen sollen.“

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Herzlichen Glückwunsch zu dieser Einsicht. Wenn man aber diese Einsicht hat, kann man doch nicht erklären: „Wir sind diejenigen, die das Land vom Entwicklungsland zum Schwel lenland führen.“ Das ist doch die blanke Heuchelei.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Dasselbe gilt für das Verfahren, das Sie in diesem Jahr entwi ckelt haben. Nichts war verräterischer als dieses Verfahren. Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie über Jahre hinweg aus der Op position heraus immer wieder verlangt haben, Volksabstim mungen in Baden-Württemberg zu vereinfachen. Ihre Haupt zielrichtung war dabei aber immer das Eingangsquorum. Sie haben immer erklärt, das Eingangsquorum sei die wichtigste Hürde, und dieses müsse in erster Linie angegangen werden.

Als Sie aber in diesem Jahr, als es um Stuttgart 21 und um die Möglichkeit ging, Ihre Konfliktkoalition zu bilden, plötzlich auf das Thema Volksabstimmung als Formelkompromiss ka men, war vom Eingangsquorum keine Rede mehr. Auch bei Ihrem Gesetzentwurf für eine Verfassungsänderung, den Sie in den Landtag eingebracht haben, war keine Rede vom Ein gangsquorum. Es war lediglich vom Gültigkeitsquorum die Rede, weil Sie nicht einen Schritt in Richtung mehr Demo kratie gehen wollten, sondern weil Sie nur den Weg, mithilfe des Landtags zu einer Volksabstimmung zu kommen, im Au ge gehabt haben. Nichts ist verräterischer als das. Das Gere de vom Entwicklungsland und vom Schwellenland ist pure Heuchelei.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Herr Ministerpräsident, außerdem haben Sie den Papst be schworen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Zitiert!)

Herr Ministerpräsident, ich kann Ihnen nur sagen: Nicht im mer, wenn man vom Papst zur Brust genommen wird, ist das ein gutes Zeichen.

(Heiterkeit bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das ist jetzt sehr unver schämt!)

Auch an dieser Stelle ist das nicht unbedingt ein gutes Zei chen. Wenn Sie erklären, über Stuttgart 21 habe die Republik gewonnen, habe ich so meine Zweifel, ob der Papst Ihnen er klärt hat: „Das ist aber toll, was da passiert ist. Es ist toll, dass die Leute vor dem Bahnhof demonstrieren. Es ist toll, dass man sich auf das, was in Baden-Württemberg beschlossen wird, nicht mehr verlassen kann.“

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Dem Papst ist es wahrscheinlich genauso gegangen wie den Leuten in Südamerika oder sonst wo auf der Welt. Der Papst hat sich wahrscheinlich gefragt: „Was ist denn bei denen los?

Da bedarf es wohl meines apostolischen Eingreifens, damit das Land Baden-Württemberg wieder in Ordnung kommt.“ Das war wahrscheinlich die Motivation des Papstes.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Hans- Ulrich Sckerl GRÜNE: Peinlich! Peinlich!)

Das Experiment Grün-Rot sei gelungen, haben Sie erklärt, Herr Ministerpräsident. Sie haben versucht, dies vor dem Hin tergrund von Stuttgart 21 deutlich zu machen. Dies kann man derzeit noch mit einem deutlichen Fragezeichen versehen; denn es ist noch nicht klar, was am Sonntag passiert. Es ist noch nicht klar, wie Ihre Koalition mit diesem Abstimmungs ergebnis umgehen wird.

(Unruhe)

Mit Verlaub: Es ist noch nicht klar – –

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Der Ministerpräsident. Ich habe aber in aller Deutlichkeit gesagt, dass ich dieses Bekenntnis auch von allen seinen Mi nistern erwarte. Wenn nachher Minister Hermann das Wort ergreift und erklärt, dass er es genauso wie der Ministerpräsi dent sieht, dann ist mir schon wesentlich wohler. Wenn das dann auch noch der Oberbürgermeister von Tübingen tut, dann könnte man fast anfangen, die Grünen zu lieben.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Das wollen wir nicht!)

Das Experiment Grün-Rot sei gelungen, sagten Sie. Als ein Beispiel dafür haben Sie den Haushaltsentwurf aufgeführt, den Sie vorgelegt haben, Herr Ministerpräsident. Das ist schon eine bemerkenswerte Aussage.

Herr Ministerpräsident, Sie haben sich gestern zusammen mit Ihrem Finanzminister selbst gelobt: „Wir schaffen das ohne neue Schulden.“ Das ist auch keine Kunst bei zusätzlichen Steuereinnahmen von 2 Milliarden €, die Sie allein in diesem Jahr erzielt haben.

(Unruhe)

Hinzu kommt, dass für strukturelle Veränderungen in diesem Haushaltsentwurf gilt: Fehlanzeige.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Stimmt doch gar nicht!)