Protocol of the Session on November 23, 2011

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der SPD)

Wir müssen dem Rechtsextremismus mit allen gesellschaftli chen und staatlichen Mitteln entschlossen entgegentreten. Die frühere Landesregierung hat der Extremismusprävention ei nen hohen Stellenwert eingeräumt. Ich erinnere beispielswei se an das Projekt „Team meX“, das die Landeszentrale für po litische Bildung mit Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung zusammen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2009 ins Leben gerufen hat. Hier brauchen wir eine Projektverlängerung und mehr Mittel für die Landeszentrale für politische Bildung.

Wenn ich den grün-roten Koalitionsvertrag richtig gelesen ha be, wollen Sie bei der Landeszentrale für politische Bildung für diesen Bereich mehr Mittel einstellen. Das wäre der rich tige Weg. Ich meine, dass gerade das Projekt „Team meX“ in Anbetracht der aktuellen Ereignisse fortgeführt werden muss.

Unseren Schulen sowie unseren Lehrerinnen und Lehrern fällt bei der Extremismusprävention neben den Elternhäusern ei ne gewichtige Rolle zu. Sie müssen im Unterricht das demo kratische Verständnis ihrer Schülerinnen und Schüler wecken und ihre Reife zu verantwortungsvollen und selbstbewussten Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern behutsam und doch ziel gerichtet begleiten. Gerade der Erwerb sozialer Kompetenz und eines gesunden Selbstbewusstseins ist der beste Schutz gegen extremistische Ideologien.

Wohin Extremismus und Totalitarismus führen können, zei gen anschaulich die 62 Gedenkstätten in unserem Land, die an die schrecklichen Verbrechen des Nationalsozialismus er innern. Hier begrüßen wir es, dass die Landesregierung dem entsprechenden interfraktionellen Antrag gefolgt ist und für die Gedenkstättenarbeit ebenfalls mehr Mittel ausweist.

Nicht vergessen und nicht gering schätzen dürfen wir das zi vilgesellschaftliche Engagement gegen den Extremismus in unserem Land. Es ist ein Ausdruck einer lebendigen Demo kratie, wenn Bürgerinnen und Bürger sich zusammenschlie ßen, um extremistischen Umtrieben den rechtstreuen Wider stand in diesem Land entgegenzusetzen.

Ein Wort zu den Sicherheitsbehörden in unserem Land: Wir können im Kampf gegen den Extremismus nicht ohne eine gut ausgestattete Polizei und einen kompetenten und wirksa men Verfassungsschutz bestehen. Deswegen stehen wir hin ter unserer Polizei. Wir stehen auch hinter unserem Verfas sungsschutz, und wir bitten die Landesregierung, eine einheit liche Haltung zu wichtigen Fragen einzunehmen, auch und gerade dann, wenn es um V-Leute geht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Im aktuellen Fall ist viel Kritik an den Ermittlungsbehörden geübt worden. Wir können uns heute noch nicht über Konse quenzen und Schlussfolgerungen unterhalten, da wir noch nicht alle Fakten kennen.

Herr Kollege Sckerl, ich bin der festen Überzeugung, dass un ser Staatswesen willens und in der Lage ist, eine restlose Auf klärung der Taten zu vollbringen. Das ist, meine ich, aus un serem Staatsverständnis heraus eine Selbstverständlichkeit.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg ist eine gut aufgestellte Behörde mit motivierten Mitarbeitern. Wenn wir jetzt auf Bundesebene Forderungen nach einer Zu sammenlegung von Landesbehörden hören, dann handelt es sich in der Tat um blinden Aktionismus. Dem sollten wir nicht folgen. Wir haben großes Vertrauen in die Arbeit unseres Ver fassungsschutzes.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ein Wort zu dem NPD-Verbot, über das jetzt wieder diskutiert wird. Entscheidend ist doch: Schaffen wir am Ende die hohen Hürden, die es für ein solches NPD-Verbot gibt? Was hat das Land Baden-Württemberg an Material in diesem Verfahren beizutragen? Wenn man diese Fragen geklärt hat, kann man weiter darüber nachdenken. Im Moment würde ich sagen: Wir prüfen dieses NPD-Verbotsverfahren, aber wir wissen nicht, ob wir ein solches anstreben sollen oder nicht. Ein erneutes Scheitern eines Verbotsverfahrens wäre eine Niederlage für alle Demokraten in diesem Land und ein Triumph für die brau nen Rattenfänger.

Auch im Hinblick auf die polizeiliche Bekämpfung des Rechtsextremismus sind wir in Baden-Württemberg in der Vergangenheit einen guten Weg gegangen. So wurde schon im Jahr 2001 das Programm „Ausstiegshilfen Rechtsextremis mus“ des Innenministeriums etabliert. Seither sind über 1 900 potenzielle Aussteiger aus der rechten Szene angesprochen worden.

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist eine gesamtge sellschaftliche Aufgabe mit höchster Priorität. Das gilt insbe sondere mit Blick auf die hier lebenden Menschen mit Mig rationshintergrund. Deren Selbstverständnis als Teil unserer Gesellschaft wird durch rechtsextremistische Untaten immer wieder schwer erschüttert. Wir können uns als hier Geborene kaum vorstellen, welche Gefühle die Nachrichten von solchen Gewalttaten bei denjenigen auslösen, die sich wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Hautfarbe geradezu als bevorzugte Opfer dieser Gewalt sehen müssen.

All diesen Menschen müssen wir zurufen: Sie sind ein wert voller Teil unserer Gesellschaft. Sie haben unsere vorbehalt lose Unterstützung und Solidarität.

Die Taten von Rechtsextremisten richten sich immer gegen unsere gesamte Gesellschaft, ihre Grundlagen und ihre Wer te. Deshalb werden wir ihnen als Gesellschaft entschlossen entgegentreten.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir alle sind uns, glaube ich, bewusst, dass unsere heutige Debatte sowie alle Vorkehrungen, die wir gegen Rechtsextre mismus treffen können und getroffen haben, den Überleben den der Anschläge und den Angehörigen der Opfer kein Trost sein können. Ich hoffe aber, dass wir mit unserer heutigen Re solution, die durch unseren Präsidenten Guido Wolf angeregt wurde, eine Resolution aller Fraktionen dieses Hauses, ein stärkendes Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität aller Baden-Württemberger senden können.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die SPD-Fraktion hat Kollege Wahl das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Eine demokratische Offensive gegen extremistische Gewalt muss deshalb mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme begin nen. Wir brauchen eine offene Auseinandersetzung damit, wie Staat und Gesellschaft bisher mit Rechtsextremismus umge gangen sind.

Wir stehen noch am Anfang der Aufklärung dieser schreckli chen Mordserie. Aber eines ist bereits klar: Rechtsextremis mus, Rechtsterrorismus und rechte Gewalt wurden in diesem Land bisher sträflich unterschätzt, sie wurden teilweise her untergespielt, mit gänzlich anderen Phänomenen gleichgesetzt und damit relativiert, und sie wurden leider zu oft und in vie len Fällen nicht mit der notwendigen Konsequenz und Härte des Rechtsstaats verfolgt. Es ist schwer fassbar – auch für mich als jungen Menschen –, dass eine braune Terrorzelle jah relang ungestört in ganz Deutschland morden konnte. Diese Taten und ihre Hintergründe müssen schnellstmöglich aufge klärt werden.

Viele Menschen fragen sich, warum brauner Terror als Ursa che oftmals so schnell ausgeschlossen wurde. Die Opfer wa ren ehrliche Steuerzahler, es gab kein mafiöses Umfeld oder Drogenkriminalität. Die Bezeichnung „Döner-Morde“, die gleich auch zum Erklärungsmuster für diese Verbrechen wur de, muss für die Angehörigen der Opfer umso zynischer klin gen. Vor allem aber muss dieses Thema dauerhaft im Bewusst sein der Öffentlichkeit verankert sein. Es darf nicht sein, dass wir uns nur dann mit Rechtsextremismus beschäftigen, wenn wieder ein türkisches Geschäft in Flammen aufgeht. Wir ste hen vor einer Herausforderung, die an den Grundwerten un seres Rechtsstaats rüttelt.

Wir müssen uns aber auch fragen, warum so grobe Fehlein schätzungen getroffen wurden. Es geht darum, aus bisherigen Versäumnissen zu lernen. Deswegen kommen wir nicht dar

um herum, uns auch damit zu beschäftigen, wie die Politik in den letzten Jahren mit Rechtsextremismus umgegangen ist. An dieser Stelle möchte ich an alle im Hause appellieren – auch an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, aber auch an die Regierung –, zu überprüfen, wie wir in den letz ten Jahren mit diesem Thema umgegangen sind. Da gab es auf verschiedenen Ebenen grundsätzliche Probleme. So wurden z. B. auf Bundesebene von Bundesministerin Christina Schrö der auch Programme gefahren, die in gewisser Form leider ein Inbegriff von Verharmlosung und Relativierung in Sachen Rechtsextremismus waren.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ha no, ha no!)

Ich möchte Ihnen – mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten – deswegen ein Zitat aus der „Tagesschau“ von letzter Woche vortragen:

Erfolgreiche Projekte für Demokratie wurden behindert, ideologische Debatten über Demokratieklauseln initiiert und Geld für sinnlose Projekte verbrannt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wer sagt das? – Unruhe)

Patrick Gensing, 16. November 2011, Kommentar in der „Tagesschau“. – Ich zitiere weiter:

Höhepunkt dieses grotesken Schauspiels: Der Jungen Union Köln wurden Bundesmittel bewilligt, um eine Fahrt gegen Linksextremismus nach Berlin zu veranstalten, mit einem „gemeinsamen Ausflug ins Nachtleben“....

(Zuruf von der CDU: Das ist ja unglaublich!)

Das Geld gegen Rechts wurde hingegen gekürzt.

Das kommt nicht von uns, das kommt nicht aus einer ideolo gischen Debatte. Das kommt aus der „Tagesschau“ und stammt von einem angesehenen Journalisten.

Wir müssen uns an dieser Stelle aber auch die Frage stellen, wie wir auch im Land auf die Gefahr von rechts reagiert ha ben. Mein Vorgänger Stephan Braun hat beispielsweise im September 2009 die Kleine Anfrage Drucksache 14/5056 ge stellt, und in der Antwort hat ihm der damalige Innenminister Rech mitgeteilt:

Es gibt derzeit... keine Anhaltspunkte dafür, dass inner halb der rechtsextremistischen Szene terroristische Be strebungen entstehen.

(Zuruf von der CDU: Und wenn es so ist?)

Das war zwei Jahre nach dem Mord an der Polizistin Kiese wetter. Das kann man zwar niemandem vorwerfen, aber es ist eine Tragik. Wir müssen aber eines sehen: Im Jahr 2007 hat das Land die Sachmittelzuschüsse für die Landeszentrale für politische Bildung um rund die Hälfte gekürzt. Wir müssen an dieser Stelle darauf achten, dass wir in Zukunft die ideo logischen Debatten, die wir über dieses Thema teilweise ge führt haben, nicht mehr führen,

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Helmut Walter Rüeck: Das sagt der Richtige!)

dass wir keine Anfragen mehr danach stellen, ob bei den Ju sos oder der Grünen Jugend linksextremistische Strömungen bestehen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Bei linksextremisti schem Terror ist das wichtig!)

An dieser Stelle müssen wir eines sehen – das ist doch der Punkt –: Wir dürfen den Rechtsextremismus nicht weiter re lativieren, indem wir ihn mit linken Strömungen und Links extremismus gleichsetzen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Beides! – Weitere Zu rufe von der CDU)

Beides muss bekämpft werden. Aber es ist nicht das Glei che.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte nicht in Abrede stel len, dass wir alle dazulernen müssen und dass wir dazulernen. Das ist das Recht eines jeden Menschen, das Recht einer De mokratie. Aber auch dies muss in allen Teilen der Gesellschaft jetzt passieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Unsere Aufgabe ist es, das Vertrauen der Menschen in den Staat wiederherzustellen, gerade auch der Menschen mit aus ländischen Wurzeln.

(Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Dieser Staat hat die Verpflichtung, seine Bürgerinnen und Bür ger zu schützen. Dies darf uns nicht zu teuer sein, dies darf uns nicht zu umständlich sein, und dies darf auch nicht an fö deralistischen Fragen scheitern.