Nicht ohne Grund wird beispielsweise im Rems-Murr-Kreis – Frau Ministerin Altpeter weiß das – schon seit Längerem gefordert, 14 teilstationäre Plätze zu installieren. Wir haben dort die Schwierigkeit, dass sich kein Kinder- und Jugendpsy chiater dort niederlassen möchte, wenn diese Hilfeeinrichtun gen fehlen. Daher erhoffen wir uns Antworten darauf. Wenn die Debatte das erbringen sollte, würden wir uns darüber freu en.
Aber wir bitten Sie: Führen Sie nicht nur eine Ankündigungs debatte, sondern nennen Sie konkrete Punkte, damit wir über den Gesetzentwurf diskutieren können.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Psychische Erkrankungen, vor allem Angsterkran kungen, Depressionen, Alkohol- und andere Suchterkrankun gen zählen mittlerweile zu den häufigsten Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Wir müssen feststellen, dass ihre Zahl der Tendenz nach leider noch immer zunimmt.
Die Gründe für die Zunahme der Zahl psychischer Erkran kungen sind sicherlich sehr vielfältig. Ich glaube, man kann sie auch nicht nur mit Schlagworten abtun. Ich kann diese Gründe hier nur umreißen: Stress am Arbeitsplatz, Angst vor Jobverlust, vor allem Angst um die Sicherheit des Arbeitsplat zes, Probleme in Partnerschaft und Familie, Umbruchsituati onen im Leben oder auch Einsamkeit im Alter sind nur eini ge Gründe.
Jeder kranke Mensch braucht nicht nur eine medizinische Be handlung, sondern auch soziale Unterstützung und Hilfen bei der Lebensbewältigung. Ich denke, wir alle in diesem Haus sind uns darüber einig, dass dies für psychisch kranke Men schen in einem ganz besonderen Maß gilt.
Vor diesem Hintergrund sind die Sozialpsychiatrischen Diens te in unserem Land ein wichtiges Hilfeangebot. Sie erbringen für chronisch psychisch kranke und seelisch behinderte Men schen unverzichtbare Betreuungsleistungen. Sie leisten Kri seninterventionen und vermitteln soziale Hilfe. Sie erfüllen außerdem wichtige Aufgaben im Rahmen der trägerübergrei fenden und klientenbezogenen Kooperation und Koordinati on auf Kreisebene im gemeindepsychiatrischen Verbund.
Ich möchte noch ein Argument für die Arbeit der Sozialpsy chiatrischen Dienste anführen: Sie helfen dabei, Drehtüref fekte in der stationären Psychiatrie zu vermeiden, weil sie die Kranken in ihrer Alltagskompetenz so stärken können, dass eine Wiedereinweisung in eine stationäre psychiatrische Ein richtung oft verhindert werden kann.
Auch ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mit arbeiterinnen und Mitarbeitern der Sozialpsychiatrischen Dienste sowie für den Bericht zu bedanken. Diese Mitarbei terinnen und Mitarbeiter haben in den letzten Jahren unter schwierigen Rahmenbedingungen vieles geleistet, was oft auch über ihre Kräfte ging. Denn der aktuelle Jahresbericht zeigt auf, dass fast 23 700 Menschen in Baden-Württemberg im letzten Jahr die Hilfe der Sozialpsychiatrischen Dienste in Anspruch genommen haben. Davon entfielen 90 % der Fälle auf die Dienste der Grundversorgung. In nur 10 % der Fälle war es möglich, einzelfallfinanzierte Hilfen wie z. B. in der Soziotherapie zur Verfügung zu stellen. Ich finde, dies macht sehr deutlich, wie wichtig die Förderung der Sozialpsychiat rischen Dienste durch Land und Kommunen ist.
Der Bericht zeigt auch sehr eindrucksvoll auf, dass bei der Förderung der Sozialpsychiatrischen Dienste im Land Hand lungsbedarf besteht. Ich darf aus dem Jahresbericht zitieren:
Das Land und die Kommunen beteiligen sich jeweils mit einer Pauschale von 9 700 € an der Finanzierung eines Leistungskontingents. Die Höhe der Pauschale hat sich seit 2006 nicht verändert, trotz jährlich steigender Fall zahlen.... Von den Gesamtpersonalkosten der Fachkräf te trägt somit die öffentliche Hand nur noch ca. ein Drit tel oder 37 % der realen Personalkosten einer Fachkraft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe mich vor hin, als ich dieser Debatte lauschen durfte, doch etwas gewun dert. Im Jahr 2003 hat die frühere, von CDU und FDP/DVP geführte Landesregierung die Zuschüsse für die Sozialpsych iatrischen Dienste halbiert. Zurzeit stehen im Haushalt rund 2,1 Millionen € für die Förderung der Dienste zur Verfügung. Die Halbierung der Landeszuschüsse im Jahr 2003 – das müs sen wir heute sagen; wir haben es schon damals gesagt, es hat sich aber nichts geändert – war psychiatriepolitisch falsch; dies wurde schon damals von uns abgelehnt und wird auch heute abgelehnt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Abgeordnete der damaligen Regierungsfraktionen die Kür zungen mit dem Argument verteidigt haben, dass den Diens ten die neue Krankenkassenleistung Soziotherapie als Finan zierungsquelle zur Verfügung stehen würde. Heute wissen wir, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat.
zu Beginn als vielversprechender einzelfallfinanzierter Baustein und spezifisches Instrument der Unterstützung von psychisch kranken Menschen außerordentlich be grüßt, zeigt sich in 2010 nunmehr ein Rückgang der Neu anträge auf lediglich 1 000 Maßnahmen in ganz BadenWürttemberg. Analog hierzu reduzierten sich die positiv beschiedenen Anträge auf 906 und damit um 214 inner halb der letzten fünf Jahre.
Ich denke, hier wird erneut deutlich, dass die ambulante So ziotherapie nicht die ambulante Begleitung und Unterstützung durch die Sozialpsychiatrischen Dienste im Land ersetzen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Koalitionsver trag haben sich die Regierungsfraktionen darauf verständigt, die Entwicklung des psychiatrischen Hilfesystems so zu ge stalten, dass ein verlässliches, strukturell und inhaltlich auf einander abgestimmtes System der komplementären ambu lanten, teilstationären und stationären Versorgung entsteht. Ei ne zentrale Bedeutung hat dabei die Grundversorgungsver pflichtung der Sozialpsychiatrischen Dienste. Ich freue mich, dass es uns nun gelungen ist, uns darauf zu verständigen, als einen ersten Schritt der Weiterentwicklung des Hilfesystems die Halbierung der Zuschüsse für die Sozialpsychiatrischen Dienste zurückzunehmen, sie wieder rückgängig zu machen, und die Zuschüsse wieder in alter Höhe zur Verfügung stellen zu können.
Die Rücknahme der psychiatriepolitisch falschen Kürzungen ist aber nur ein erster Schritt und kann auch nur ein erster Schritt sein. Denn wir wollen mit einem Gesetz für die Hilfen für psychisch kranke Menschen die bestehenden Strukturen verbessern. Die psychisch kranken Menschen im Land brau chen ein zeitgemäßes, ein an den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen ausgerichtetes, vor allem aber ein verlässliches Hilfesystem, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht.
Deshalb haben wir – damit beantworte ich gern Ihre Frage, Herr Haußmann – am vergangenen Montag im Rahmen der Sitzung des Landesarbeitskreises Psychiatrie eine Arbeits gruppe „Landespsychiatriegesetz“ ins Leben gerufen, die Eck punkte für ein Gesetz für die Hilfen für psychisch kranke Menschen erarbeiten soll. Unser Ziel ist es, in einem offenen, fairen und vertrauensvollen Dialog mit allen an der psychia trischen Versorgung Beteiligten Eckpunkte für ein solches Ge setz zu erarbeiten. Jetzt sind aus unserer Sicht die Fachleute gefragt, Eckpunkte zu erarbeiten, damit wir dann in eine wei tere Diskussion gehen können.
Mein Wunsch ist es, dass innerhalb der Arbeitsgruppe auch der Bericht der Sozialpsychiatrischen Dienste und die darin aufgezeigten Probleme erörtert werden. Ziel ist es, die Aus gestaltung sowie die Förderung der Sozialpsychiatrischen Dienste in das Gesetz für die Hilfen für psychisch Kranke auf zunehmen.
Wenn Ihnen das zu langsam geht, sei an dieser Stelle gesagt: Wir machen lieber etwas, was gut und fundiert ist, etwas, was auf die Zukunft ausgerichtet ist und Perspektiven bietet, und wir beteiligen diejenigen, die hinterher damit zu tun haben, schon sehr früh daran, damit wir gemeinsam etwas Gutes auf den Weg bringen können. So wird uns der Welttag für seeli sche Gesundheit in Baden-Württemberg eines Tages vielleicht nicht mehr mahnen müssen, sondern sagen können: „Hier habt ihr etwas Gutes für die Menschen getan, die am Rande der Gesellschaft stehen, die durch viele der Hilfesysteme häufig nicht mehr erreicht werden können.“ Wenn uns das gelingt, dann, glaube ich, ist es wirklich ein guter Welttag für seeli sche Gesundheit.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Teufel, was Sie gesagt haben, war inhaltlich Balsam.
Jetzt geht es wirklich darum, dass wir auch Ihre aktive Mit wirkung brauchen. Sie hätten in der Tat viele Jahre Zeit ge habt, die Entwicklung zu korrigieren. Sie haben sie nicht kor rigiert.
(Lachen des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Da haben wir aber kei ne 2 Milliarden € mehr an Steuereinnahmen gehabt!)
Sie haben auch in dieser Zeit, liebe Frau Gurr-Hirsch, Pha sen mit sehr hohen Steuereinnahmen gehabt.
Es besteht immer die Frage der Gewichtung. Ich möchte bei dieser Debatte wirklich nicht polemisch sein. Aber eine „schräge“ Bemerkung: Mit den Honoraren für die Anwälte, die beim EnBW-Deal beteiligt waren, könnten wir zehn Jah re lang Sozialpsychiatrische Dienste finanzieren.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Oh-Rufe von der CDU und FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt sind Sie da angekommen!)
Es ist wirklich eine Frage der Gewichtung. Ich wollte mir die sen Hinweis heute eigentlich sparen, aber ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie die entsprechende Kürzung zustande gekommen ist. Damals wurde geschaut, in welchem Bereich die Lobby am kleinsten war. Die Sozialpolitik hatte in der damaligen Koalition keine Lobby. Die Sozialpolitik war immer überproportional von Sparmaßnahmen betroffen. Da für braucht man sich doch lediglich die früheren Haushalte und Vorschläge anzuschauen; das war doch die Realität. In diesem Bereich wurde immer überproportional gekürzt.
Was die Soziotherapie betrifft, werden Sie mir sicherlich Glauben schenken: Ich bin einer der Mitinitiatoren des Bun desmodellprogramms; ein anderer sitzt hier ebenfalls im Saal. Ich habe das Programm mit erfunden. Die positiven Ansätze, die bei diesem Modell entwickelt wurden, konnten wir später nicht umsetzen, weil die Restriktionen bei den Kassen so stark waren, dass die Indikation unglaublich eingegrenzt wurde.
Noch ein zweiter Punkt kommt hinzu: Die Krankenkassen sind dabei schon lange vorher aus der Finanzierung ausgestie gen. Ein paar wenige Veteraninnen und Veteranen erinnern sich vielleicht noch daran, dass bei der Gründung im Jahr 1988 zu 36 % das Land, zu 36 % die Kommunen und zu 20 % die Kassen beteiligt waren; die Trägerbeteiligung betrug 8 %. Mittlerweile sorgen die Träger bekanntlich für ihre eigene Fi nanzierung.
Sobald die Soziotherapie eingeführt war, waren die Kassen weg; sie wollten sofort wieder heraus. Die Kassen haben sich damals lediglich daran beteiligt, weil die Psychiatrischen Lan deskrankenhäuser bei dem alten Kuhhandel seinerzeit gesagt haben: „Wir machen keine Institutsambulanz.“ Das war ei gentlich der Hintergrund. Tatsächlich haben sie es nie gewollt. Da waren wir bei der Entwicklung im Bundesvergleich im mer sehr weit zurück.
Jetzt haben wir folgende Situation: Die Soziotherapie hätte den Anteil der Kassen von 20 % kompensieren sollen. Sie konnte es nicht. Am Anfang gab es etwas mehr, aber dann wa ren die Indikationsbeschränkungen zeitlich limitiert. Es gab keine dauerhafte Unterstützung, weil nach drei Jahren Schluss sein musste. Wir wissen: Die Menschen brauchen eine dauer hafte Unterstützung.
Dann kam das Land mit Kürzungen. Das hat u. a. zur Folge gehabt, dass eine Verlagerung hin zur Eingliederungshilfe, z. B. beim betreuten Wohnen, stattgefunden hat. Das kann doch gar nicht in unserem Interesse sein. Wir haben doch das gesellschaftspolitische Interesse, dass wir die intensiven Hil fen denjenigen vorbehalten, die diese tatsächlich brauchen. Ein großer Fortschritt ist, dass heute durch unsere ambulan ten Dienste – es wurden gesellschaftliche Netzwerke gegrün det – Menschen betreut werden, die noch vor 20 Jahren in ge schlossenen Einrichtungen behandelt worden wären. Wir ha ben Gott sei Dank erreicht, dass sich die Achsen verschoben haben: Menschen können mit ihrer Störung, mit ihrer Behin derung mitten unter uns leben und werden nicht weggesperrt, wie dies vor 20, vor 25 Jahren noch die Realität war.
Jetzt befinden wir uns in einer neuen Zeitenwende. Wir müs sen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen, Freiheitsrechte respektieren und re spektieren, dass Menschen, die ihre Symptome nicht behan deln lassen können oder wollen, trotzdem einen Anspruch auf Teilhabe in unserer Gesellschaft haben. Dafür brauchen wir unsere Dienste, die diese Teilhabe in den gemeindepsychiat rischen Verbünden managen, die die richtige Hilfe für die je weilige Person zur Verfügung stellen, und zwar nicht nach dem Motto „Viel hilft viel“, sondern nach dem Motto „Rich tig hilft viel“.
Wenn Sie uns bei den Haushaltsberatungen positiv unterstüt zen und damit unterstreichen, dass das das richtige Signal ist, dann haben Sie heute nicht nur schön gesprochen – ich glau be Ihnen das; ich weiß das –, sondern dann haben Sie auch richtig gehandelt; denn wir brauchen Ihre Unterstützung bei den kommunalen Landesverbänden, damit diese Dynamik weitergeht.