Protocol of the Session on November 26, 2015

Herr Kollege Wolf, Sie haben gefragt: „Was sind schon 16 Richter?“ Dann hat Edith Sitzmann gesagt, dass noch zehn Richter dazukommen. Daraufhin hat die halbe CDU gelacht.

Gehen Sie einmal dorthin, wo entschieden wird. Dort gibt es keine „Halde“ bei den Asylverfahren. Die Asylrichter warten vielmehr auf die vom BAMF abgeschlossenen Verfahren. Beim BAMF ist der Stau. Dort hängen die Verfahren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wenn Sie also über Handlungsdefizite sprechen, dann schrei ben Sie doch einmal Herrn de Maizière,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Genau!)

damit endlich das Personal – –

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Warum gibt es dann neue Verwaltungsrichterstellen, wenn es kei nen Stau gibt?)

Das kann ich Ihnen sagen: Wir erwarten natürlich, dass der jetzt noch vorhandene Stau abgebaut wird und dass dann das, was die Ministerpräsidenten verabredet haben, zum Zuge kommt. Dafür sind dann mehr Stellen erforderlich. Diese stampft man doch nicht von einer Woche auf die andere ein fach aus dem Boden.

Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.

(Der Redner hält ein Schriftstück hoch.)

Sehr häufig werden Jahresvergleiche angestellt. Was kam in diesem Jahr? Was kam im vergangenen Jahr? Das ist die Kur ve für dieses Jahr.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Genau!)

Dort sehen Sie, dass es eine sehr gleichbleibende Entwick lung bis in den Juni hinein gibt. Dann explodieren die Zahlen. Für den Monat Oktober wird eine Größenordnung erreicht, die fast der Größenordnung des ganzen letzten Jahres ent spricht.

Herr Kollege Wolf, dort können Sie übrigens erkennen, dass 70 % der Flüchtlinge aus Syrien, aus dem Irak und aus Afgha

nistan kommen. Das sind ganz sicher keine sicheren Her kunftsländer.

(Zuruf des Abg. Matthias Pröfrock CDU)

Es gibt immer noch sehr viele aus sicheren Herkunftsländern. Deshalb muss man sich darum kümmern. Man darf jedoch nicht glauben, dass die Herausforderungen wesentlich schrump fen, wenn das BAMF endlich in die Gänge kommt und wenn wir die erforderlichen Abwicklungsstrukturen haben. Die He rausforderungen reduzieren sich dann nur ein bisschen. Aber wir müssen auf absehbare Zeit mit einer großen Zahl von Flüchtlingen in unserem Land umgehen.

Nicht erwähnt haben Sie – deshalb erwähne ich es jetzt; es ist nämlich ein Beispiel für eine sehr vorausschauende Politik; hier kann nicht von Defizit die Rede sein – die Ausstattung mit Sprachunterricht in den vorschulischen Einrichtungen und die Ausstattung mit Vorbereitungsklassen in den Schulen. Dies ist erforderlich, damit eine Chance besteht, die Schüler so schnell wie möglich in den Regelunterricht einzubeziehen und vor allem den Regelunterricht nicht dadurch zu belasten, dass ein großer Anteil nicht deutsch sprechender Kinder und Ju gendlicher unterwegs ist.

Nicht erwähnt haben Sie übrigens auch die Herausforderun gen für ältere Flüchtlinge, die vorübergehend oder auf Dauer bei uns bleiben, die sich im Deutschunterricht ergeben. Die Arbeitsagentur stellt fest, dass ungefähr zwei Drittel derjeni gen, die nach einem abgeschlossenen Verfahren bei der Ar beitsagentur anklopfen, kein Deutsch sprechen. Das bezieht sich jedoch auf eine Zeit, in der wir es mit aus heutiger Sicht bescheidenen Flüchtlingszahlen zu tun hatten. Das heißt, es stellt sich eine riesengroße Herausforderung.

Nun komme ich auf das Verhältnis zwischen Land und Kom munen zu sprechen. Die Kommunen sind unsere Partner in diesem Geschäft.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Auf Augenhöhe!)

Natürlich auf Augenhöhe. Wie denn sonst? – Bei der Erst unterbringung betrifft das aber natürlich eine untere Verwal tungsbehörde. Im Übrigen leitet sich daraus der 100-prozen tige Erstattungsanspruch ab, weil wir nicht wollen, dass kom munales Geld dafür eingesetzt wird.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Anschluss!)

Wenn es dann aber an die Nachfolgeunterbringung geht, dann sind das Bürger der Kommune. Dabei dreht es sich genau um diese zwei Drittel der Menschen. Ich habe wirklich nicht die Erwartung, dass die Arbeitsagentur alle Probleme im Zusam menhang mit der Sprachförderung löst.

Es ist Bestandteil des Kompromisses, dass es eine große Ak tion der Arbeitsagentur gibt. Das ist auch gut so. Aber bei den vielen Zehntausenden, mit denen wir es in den nächsten Mo naten zu tun haben werden, die in diese Arbeitsaufnahmever fahren kommen und von denen zwei Drittel kein Deutsch spre chen, sind wir natürlich auf die partnerschaftliche Unterstüt zung der Kommunen angewiesen.

Mein Landkreis praktiziert das heute schon beispielsweise mit seiner Volkshochschule, ohne dass er beim Land anklopft und Geld fordert. Vielmehr nimmt man die Unterstützung des Lan

des und der Bundesagentur zwar an, setzt aber auch eigenes Geld ein, weil man weiß, dass es am Ende zulasten der Kom munen geht, wenn sich die Arbeitsaufnahme verzögert, weil deutsche Sprachkenntnisse fehlen. Deshalb ist das eine Inves tition, die sich rechnet und sich bezahlt macht und die zudem natürlich auch aus humanitären Gründen angezeigt ist.

Deshalb sage ich an dieser Stelle: Ausbildung und Beruf sind neben dem Wohnen für die Integration das Allerwichtigste.

Jetzt muss ich noch ein kritisches Wort zum Wohnen sagen, weil ich allmählich wirklich enttäuscht bin. Neben der zu leis tenden Unterbringung Zehntausender zusätzlicher Bürgerin nen und Bürger aus dem Flüchtlingsbereich gibt es eine dau erhafte zusätzliche Einwanderung von Menschen aus EU-Län dern. Schauen Sie einmal in die Integrationskurse und in die Vorbereitungsklassen. Darin sitzen zuhauf griechische, itali enische und spanische Kinder. Die Bevölkerung in BadenWürttemberg wächst also nicht nur aufgrund der Flüchtlinge, sondern auch aufgrund der Zuwanderung aus der EU. Insge samt geht es um zusätzliche Zehntausende von Menschen. Das heißt, wir brauchen Wohnbaufläche.

(Beifall des Abg. Andreas Deuschle CDU)

Jetzt nenne ich einmal Ross und Reiter. In der vergangenen Woche war ich in Möglingen. Das ist eine Gemeinde in mei nem Wahlkreis, die rund 11 000 Einwohner zählt. Ich habe dort der neu gewählten Bürgermeisterin einen Antrittsbesuch gemacht. Dieser habe ich gesagt, dass sie sich darauf einstel len muss, dass ihre Bevölkerung in den nächsten Jahren um 1,5 % bis 2 % jährlich wachsen wird.

Daraufhin sagte sie zu mir, dass sie das auch so sehe. Sie hat jetzt schon 100 Flüchtlinge und rechnet mit weiteren 100 Flüchtlingen, die der Gemeinde zugewiesen werden. Mit Blick auf die Anschlussunterbringung ist sie dafür verantwortlich, dass es anständigen Wohnraum für die gewachsene Bevölke rung gibt.

Deshalb war sie im Mai beim Regierungspräsidium, beim Re gionalverband und beim Landratsamt. Diesen drei Institutio nen hat sie mitgeteilt, dass sie neue Flächen braucht. Die Ant wort lautete: „Sie kriegen nichts.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das ist klar!)

Sie sind eine Gemeinde mit Eigenentwicklung. Und über haupt: Wenn Sie jetzt die Fortschreibung des Flächennut zungsplans beantragen, dann wären die 3 ha, die Sie, wie wir festgestellt haben, jetzt noch in Reserve haben, weg, weil das zu viel für Ihren Eigenbedarf ist.“

Daraufhin hat sie den Deckel zugemacht und ist nach Hause gegangen. Jetzt wartet sie, was passiert.

(Abg. Manfred Hollenbach CDU: Sie wartet auf den Regionalverband!)

Deshalb sage ich: Wir müssen dieser Krise auch in dieser Hin sicht gerecht werden. Wir brauchen bei der Regionalplanung, bei den Landkreisen einen anderen Umgang mit dem Flächen anspruch der Gemeinden, der unweigerlich kommen wird.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wenn ein Zentralort, der mehr Fläche hat, als für den Eigen bedarf nötig ist, wie z. B. Besigheim im Kreis Ludwigsburg, noch Zuwachs hat, dann liegt das ja nicht einfach so herum. Vielmehr sagt mir Bürgermeister Bühler: „Das habe ich na türlich schon längst in der Planung, und zwar mit konkret vor gesehenen Bauprojekten.“ Der soziale Wohnungsbau ist bis her aber noch nicht berücksichtigt. Auch die Flüchtlingsun terbringung ist noch nicht berücksichtigt worden.

Er sagt natürlich: „Nie im Leben kann ich kommunal durch setzen,“ – das wünschen wir ja auch nicht – „dass konkret vor handenes, zu bebauendes Gebiet abgeräumt wird. Ich kann doch nicht sagen: ,Liebe Bürgerinnen und Bürger, keine Häu ser für euch. Das können wir jetzt nicht machen. Dort bauen wir jetzt Wohnungen für Zuwanderer und Flüchtlinge.‘“

Wohin soll das denn führen? Also brauchen auch die zentra len Orte noch verstärkte Möglichkeiten, zu wachsen. Deshalb ist meine herzliche Bitte an die Landesregierung, an dieser Stelle Nägel mit Köpfen zu machen. Wir müssen uns darauf einstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP/ DVP)

Was für das Land gilt, nämlich ein jährlicher Zuwachs von 1,5 % bis 2 % in den nächsten Jahren, das kann nur in den Kommunen bewältigt werden. Wir haben doch keine eigenen Landesflächen, die wir bebauen.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Wer hat es denn in der Hand? Die Regierung!)

Also müssen wir den Kommunen die Möglichkeit eines sol chen Wachstums eröffnen. Das heißt ganz konkret, dass man die Plausibilisierungsprüfung für die nächsten Jahre aussetzt. Der Bund hat das vorgemacht. Entsprechende Passagen soll ten nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt werden, sodass die Kommunen die Möglichkeit und die Freiheit haben, Wohnun gen bereitzustellen.

Wohnen, Ausbildung und Arbeit, das ist das Allerwichtigste für die spannungsfreie Integration in den nächsten Jahren. Meine Erwartung ist, dass wir jetzt endlich handeln.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Meine Damen und Herren, es lie gen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Frau Ministerin, Sie wünschen das Wort? – Das Wort hat Frau Integrationsministerin Öney.

Ich fasse mich auch wirklich kurz. Denn die Konzentration lässt nach.