Ich, ein Mensch mit Migrationshintergrund in der zweiten Ge neration – in der Schweiz gibt es dafür den schönen Begriff „Secondo“ –, danke der Landesregierung, stellvertretend Frau Ministerin Öney, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitar beitern des Hauses für diesen Entwurf. Da ich den Entste hungsprozess dieses Gesetzes mitverfolgt habe, danke ich auch den Menschen aus den Verwaltungen und der Zivilge sellschaft, die durch ihr Engagement und ihre Mitarbeit mit zu diesem Gesetzentwurf beigetragen haben. Stellvertretend danke ich an dieser Stelle ganz besonders dem Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen, LAKA, und dem Landesarbeitskreis Integration, LAKI.
Wir behandeln heute den Gesetzentwurf. Herr Lasotta hat schon verschiedene seiner Ansichten zur Kenntnis gegeben. Auch deswegen haben wir noch eine öffentliche Anhörung im Ausschuss anberaumt. Ich denke, das ist der richtige Ort, um zunächst einmal darüber zu diskutieren. Wir werden über das Gesetzesvorhaben auch hier noch weiter diskutieren.
Wir, die Fraktion GRÜNE, unterstützen ausdrücklich die Ziel setzungen dieses Entwurfs, beispielsweise die interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung, die Stärkung der Integrati onsstrukturen auf der Landesebene und auf der kommunalen Ebene, die gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Mi
grationshintergrund am gesellschaftlichen Leben, die Förde rung von Mitsprachemöglichkeiten, auch die Arbeitsfreistel lungen sowie die Angleichung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in der Landesverwaltung an den allgemeinen Anteil der Erwerbstätigen mit Migrationshinter grund in Baden-Württemberg insgesamt. Wir unterstützen die Aus- und Fortbildung der beim Land Beschäftigten zur Stär kung interkultureller Kompetenzen. Wir unterstützen aus drücklich auch die Stärkung der Einflussmöglichkeiten von Migrantenselbstorganisationen.
Das Gesetzesvorhaben umfasst verschiedene programmati sche Ziele und Grundsätze in Bezug auf die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund. Es enthält konkrete Re gelungen hinsichtlich der Aufgaben des Landes, auch mit Blick auf die interkulturelle Öffnung der Gremien, den Lan desbeirat für Integration, den Landesverband der kommuna len Migrantenvertretungen sowie die Integrationsausschüsse und -räte in den Kommunen.
Wir halten dieses Gesetzesvorhaben für notwendig. Ich glau be, es bewirkt insgesamt auch eine Stärkung der Integrations arbeit auf der kommunalen Ebene, eine Stärkung von Betei ligung, von Teilhabe, auch von Identifikation mit dem Land und seinen Institutionen, die sich hier den Menschen mit Mi grationshintergrund bieten.
Für wichtig halte ich auch – ich glaube auch nicht, dass es zielführend ist, das so herunterzureden, Herr Lasotta – die Aufgabenzuweisungen an das Land, aber auch an die öffent lichen Verwaltungen, Maßnahmen zur Bekämpfung von Dis kriminierung, Rassismus und anderen Formen von gruppen bezogener Menschenfeindlichkeit zu etablieren. Ich glaube, da haben wir in Baden-Württemberg gemessen an dem, was in allen anderen Bundesländern gelaufen ist, ausdrücklich noch Nachholbedarf. Ich bin sehr froh, dass wir diese Frage hier jetzt auch angehen.
Sie haben die Leitbilder auf kommunaler Ebene angespro chen. Die sind teilweise vor Ort entstanden. Ich glaube, es ist auch hilfreich, dort, wo sie noch nicht existieren – das sind doch weite Teile des Landes –, ein Leitbild zu geben. Das ent hebt aber niemanden der Möglichkeit, selbst vor Ort in dieser Frage tätig zu werden.
Ich glaube, auch mit der Zielsetzung, dass wir einen wesent lichen Beitrag zur Integrationsförderung hier im Land leisten, indem wir bei Menschen mit Migrationshintergrund stark da rauf setzen, das Erlernen der deutschen Sprache zu fördern, ist das eine starke Aussage. Auch in der Diskussion und in der gesellschaftlichen Situation, in der wir uns momentan befin den – mit Tausenden von Menschen, die aktuell zu uns kom men, über deren Integration wir uns auch in den nächsten Mo naten dringend Gedanken machen müssen, wo wir gemein sam mit dem Bund und den Kolleginnen und Kollegen in an deren Bundesländern an Konzepten arbeiten müssen –, ist es ein wichtiges Signal. Ich danke nochmals ausdrücklich dafür.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Es gibt Gesetze, die noch nie so wichtig waren wie heute.
Das Partizipations- und Integrationsgesetz – das ist ja ein Kernstück des Gesetzes zur Verbesserung von Chancenge rechtigkeit und Teilhabe – kommt zur richtigen Zeit, nämlich genau jetzt, da wir auch durch die Flüchtlinge, die zu uns kom men, sicherlich noch einmal einen höheren Anteil an Men schen mit Migrationshintergrund haben werden. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir all diese Menschen gut in die Gesellschaft, in das Arbeitsleben, ins Bildungssystem usw. hi neinführen können.
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstam mung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politi schen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt wer den.
Genau dieser wichtige Artikel unseres Grundgesetzes muss auch gelebt werden. Das braucht klare Rahmenbedingungen, und die werden mit dem vorliegenden Gesetz auch ergänzend geschaffen.
Worum geht es? Von den über 10,6 Millionen Einwohnern Ba den-Württembergs haben rund 2,8 Millionen Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund. Das sind 27 %. Damit liegen wir über dem bundesweiten Durchschnitt von 19,7 %. Wir sind also damit gemeinsam mit Hessen das Bundesland, welches den größten Anteil an Migrantinnen und Migranten hat. Wir dürfen davon ausgehen, dass sich die Zahl weiter nach oben bewegen wird, und wir reden hier über Menschen, die bei uns dauerhaft leben, arbeiten und sich in vielfältiger Art und Weise ehrenamtlich oder vielleicht auch politisch be teiligen werden.
Für das Gesetz hat sich das Integrationsministerium die Ex pertise durch ein Rechtsgutachten geholt und hat nach ver gleichbaren Regelungen auch in anderen Bundesländern ge schaut. Die Frau Ministerin hat es schon gesagt: Es gibt be reits in zwei Bundesländern eine solche Regelung. In Bayern gab es einen Entwurf, der allerdings von der CSU abgelehnt wurde.
Dieses Gutachten zeigt explizit auf, wo bzw. an welcher Stel le Handlungsbedarf für uns besteht. Die CDU hier im Land tag hat im Vorfeld nicht nur dieses Gutachten infrage gestellt, nein – das haben wir gerade leider vom Kollegen Lasotta ge hört –, auch das Gesetz selbst wird als unnötig erachtet. Man schoss sich auf diese Expertise ein, statt sich mit der Notwen digkeit des Gesetzes tatsächlich zu befassen. Das zeigt doch sehr deutlich, wie wenig Sie, die CDU, das Thema Integrati on wirklich interessiert.
Sie haben jahrelang ausgeblendet, dass man den politischen Rahmen für Teilhabechancen, für einen gerechten Zugang zum Arbeitsmarkt und auch in unser Bildungssystem schaf
fen muss. Als Placebo hat man das Thema Integration in ei nem Ministerium versteckt, wo es als Querschnittsaufgabe wahrgenommen werden sollte.
Wir reden hier von einem Viertel unserer Bevölkerung, und für diese Menschen war und ist das ein Thema. Zu sagen, das solle man bitte schön vor Ort regeln, kann ja wohl nicht die Lösung sein. Wir haben dem Thema endlich die Bedeutung gegeben, die es verdient, nämlich durch ein eigenes Ministe rium, welches nicht nur die Integration und Teilhabe politisch umzusetzen hat, sondern ganz aktuell bis an die Grenze der Belastbarkeit mit dem Thema „Aufnahme der Flüchtlinge“ zu tun hat. Von dieser Stelle an die Ministerin und an ihre Mitar beiter und Mitarbeiterinnen im Ministerium unseren herzli chen Dank für das große Engagement.
Wir haben gerade schon gehört, was das Gesetz im Einzelnen regelt. Ich will es kurz wiederholen. Die interkulturelle Öff nung als Aufgabe des Landes wird benannt. Besonders sen sible Bereiche wie Unterbringung, Justiz und Maßregelvoll zug werden besonders berücksichtigt. Menschen mit Migra tionshintergrund sollen in Gremien, auf deren Zusammenset zung das Land auch Einfluss hat, besser vertreten werden. El tern mit Migrationshintergrund sollen bei der Wahrnehmung ihrer Elternrechte durch die Schulen unterstützt werden. Das Thema „Freistellung an religiösen Feiertagen“ hat die Frau Ministerin schon dargelegt.
Das sind nur einige wenige Punkte. Das Gesetz zieht Ände rungen und Ergänzungen in Gesetzen und Verordnungen in den Bereichen Schulgesetz, Landeshochschulgesetz, Justiz vollzugsgesetzbuch sowie Ausbildungs- und Prüfungsverord nungen nach sich. Man sieht also: Es geht um eine richtige Querschnittsaufgabe in viele Bereiche hinein mit klar defi nierten Zielen und einem echten Recht auf Teilhabe.
Wir schaffen mit diesem Gesetz eine Leitbildfunktion für kommunale Integrationsausschüsse und -räte sowie Integra tionsbeauftragte. Zudem ist ein Landesbeirat für Integration vorgesehen. Auch die Zusammenarbeit mit dem Landesver band der kommunalen Migrantenvertretungen wird geregelt.
Frau Präsidentin, ich möchte an dieser Stelle den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zitieren. Er sagte 2006, Deutschland habe die Integration „verschlafen“. Es sei zu lan ge geglaubt worden, das regle sich von allein.
Frau Präsidentin, werte Kol leginnen und Kollegen! Frau Wölfle, wir waren die ganze Zeit wach und haben natürlich zugehört.
Wir haben sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass wir einen Gesetzentwurf vor uns liegen haben, der die Zielsetzung hat, den Migrantenanteil in Verwaltungen, in Gremien und in Hoch schulen zu erhöhen. Diese Ziele halten wir, die FDP/DVPFraktion, auch absolut für ehrenwert. Übrigens: Der Migran tenanteil in der öffentlichen Verwaltung hat sich schon seit ei niger Zeit deutlich erhöht, und zwar abseits jeglicher gesetz licher Festschreibungen. Das ist auch gut so. Angesichts des sen stellt sich natürlich die Frage, ob man so ein Gesetz über haupt braucht. Aber gut.
So gut die Zielsetzung sein mag, die Frage ist, ob der Weg, wie Sie ihn mit einem Gesetz, das Quoten festschreibt, ein schlagen, richtig ist. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass wir von der FDP/DVP-Fraktion nicht unbe dingt ein großer Freund von irgendwelchen Gesetzen sind, die starre Quoten festlegen. Denn wenn Sie für alles eine Quote festschreiben, dann besteht das Risiko, dass individuelle Kom petenzen irgendwann einmal durch Quoten zurückgedrängt werden.
Vielleicht sollte man sich einmal überlegen, ob man nicht ein fach weniger Quoten schafft und sich vielmehr darauf kon zentriert, Kompetenzen zu schaffen.
Wir halten auch die berufliche Freistellung aus religiösen Gründen, die im Gesetzentwurf aufgeführt ist, für kritisch. Wir wollen eine weitere Bevormundung der Arbeitgeber ver meiden. Die wissen nämlich sehr wohl, was sie an ihren Mit arbeiterinnen und Mitarbeitern haben. Wenn sie einen guten Mitarbeiter oder eine gute Mitarbeiterin haben und er oder sie möchte aus religiösen Gründen einen bestimmten Tag frei ha ben, dann wird er oder sie ihn aller Wahrscheinlichkeit nach bekommen. Oder aber es ist betrieblich nicht möglich wie z. B. im Krankenhaus, wo auch an Feiertagen gearbeitet wer den muss. Dann wird es aber auch mit Ihrem Gesetz so nicht möglich sein.
Frau Wölfle, weil gerade der Vorwurf in Richtung CDU kam – ich habe irgendwie den Eindruck gehabt, Sie haben auch ein bisschen in unsere Richtung gesprochen –, Integration würde uns nicht interessieren: Ich glaube – wir sind Mitglied im glei chen Ausschuss –, diesen Vorwurf kann ich zurückweisen. Ich denke, Sie wissen selbst, dass das, was Sie eben gesagt haben, nicht stimmt. Der Ansatz ist ein anderer.
Ich komme zum Schluss – diese Aussage wird vielleicht Herrn Minister Stoch freuen –: Chancengleichheit braucht keine Quote. Chancengleichheit kommt durch Bildung, indem man jeden dort abholt, wo er gerade steht.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Völlig neue Erkenntnis! – Abg. Gerhard Kleinböck SPD: Plädoyer für die Gemeinschaftsschule!)
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/7555 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Integration zu über weisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so be schlossen.