Protocol of the Session on October 29, 2015

und ich sage Ihnen im Gegenzug zu, dass ich Sie am Redner pult auch ruhig aussprechen lasse.

Deutschland fühlt sich überrannt – diesen Eindruck kann man schon gewinnen, wenn man den Fernseher einschaltet oder in die Zeitungen schaut. Ganz besonders markant sieht es manch mal in den sozialen Medien aus.

So wie wahrscheinlich Sie alle habe auch ich in der Vergan genheit Anrufe von Leuten bekommen, die mir gesagt haben, in der Asylfrage könne es so nicht weitergehen. Was mich be sonders betroffen gemacht hat, war, dass das nicht irgendwel che rechten Spinner waren, die bei mir angerufen haben, son dern teilweise sogar Leute, die selbst im Asylkreis aktiv sind und die jetzt sagen: „So kann es nicht mehr weitergehen; die Strukturen vertragen es nicht.“

Das Ehrenamt ist in Baden-Württemberg sehr stark ausge prägt. Den Ehrenamtlichen, den Freiwilligen, die sich um Flüchtlinge kümmern, gebührt natürlich unser Dank. Aber man kann im Umkehrschluss auch nicht alles, bei dem die staatliche Struktur mittlerweile überfordert ist und versagt, auf dem Rücken des Ehrenamts austragen. Das geht nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Politik versagt in den Augen vieler Menschen. Schauen wir nach Berlin, schauen wir in die Bundesregierung. Von dort aus gibt man den Menschen ab und zu einmal das Gefühl, dass sie ihre Sorgen nicht mehr frei äußern dürfen. Da wird dann damit gedroht: „Das ist dann nicht mehr mein Land.“ Oder es gibt einen Zickzackkurs, in dem man im einen Augenblick ei ne öffentliche Einladung für Syrer ausspricht und im nächs ten Augenblick Grenzen schließt, was dann überhaupt nichts bringt. In einer Woche zerstört man das Dublin-Abkommen und beschädigt das Schengen-Abkommen – und das Ganze auch noch verbunden mit einer Tschaka-Rhetorik: „Wir pa cken das.“ Mit Verlaub: Da fühlen sich die Menschen drau ßen veräppelt, wenn da nicht mehr Fleisch an den Aussagen ist.

Und wie sieht es im Land aus? Jeder wundert sich, warum wir hier eigentlich schlecht vorbereitet sind.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Was?)

Schon vor anderthalb Jahren – das kann ich hier sagen –, als klar war, dass mehr Flüchtlinge kommen würden, habe ich immer wieder die Frage gestellt, ob wir vorbereitet sind. Wie viele mehr es denn tatsächlich wurden, wusste man damals nicht, aber man wusste, es würden mehr. Damals habe ich im mer wieder die Frage gestellt: Sind wir gut vorbereitet? Und immer wieder kam von der Ministerin die Antwort: Ja, wir sind gut vorbereitet.

Aber jetzt stelle ich mir die Frage: Wie kommt es denn, dass man jetzt so Hals über Kopf z. B. Wohnraum und Hallen sucht?

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Wieso haben Sie nicht gewusst, wie viele kommen?)

Wie kommt es denn, dass man nicht schon von vornherein ei ne Liste geschaffen hat, auf der verzeichnet ist, welche geeig neten Immobilien es gibt? Warum muss denn jetzt in den Krei sen herumtelefoniert werden, und der MD muss betteln, dass man irgendwie an Wohnraum kommt?

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wollen Sie das ein Jahr vorher machen?)

Das ist doch ein Zeichen Ihrer schlechten Vorbereitung. Das ist doch völlig klar.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Unruhe)

Ich stelle auch die Frage: Wo ist denn der Masterplan?

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE – Un ruhe – Glocke des Präsidenten – Abg. Walter Heiler SPD: Sie sind der größte Hellseher!)

Noch einmal: Bereits vor einem Jahr war klar, dass viele Flüchtlinge kommen, und die Frage muss doch gestattet sein: Warum sind wir jetzt nicht vorbereitet?

Dann kommt aus Stuttgart eine Aussage des Ministerpräsi denten: „Das Boot ist nie voll.“ Herr Ministerpräsident, das Boot ist spätestens dann voll, wenn die Bereitschaft unserer Bevölkerung flöten geht, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Durch solche Reden möglicherweise!)

Das ist der begrenzende Faktor.

Dann gibt es im Land auch noch die Diskussionen darüber, ob man Wohnraum beschlagnahmen will.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist doch Wasser auf die Mühlen derer,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ihre Rede ist es!)

deren Gesinnung wir hier in diesem Parlament nicht sehen wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Minister Dr. Nils Schmid: Ich habe gedacht, die FDP/DVP redet und nicht die FPÖ! – Weitere Zu rufe)

Jetzt hören Sie doch bitte einfach einmal zu.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Es geht mir doch gar nicht darum, den anderen Parteien jetzt Vorwürfe zu machen.

(Minister Dr. Nils Schmid: Nein, überhaupt nicht! – Minister Reinhold Gall: Dann lassen Sie es einfach!)

Um was es mir geht, ist: Die Politik muss Antworten und Ta ten parat haben für die Menschen, die in Sorge sind.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die Leute schaf fen Tag und Nacht! – Weitere Zurufe)

Der Asylkompromiss hat in vielen Bereichen zu lange gedau ert. Das hat die Diskussion verwässert, z. B. die Diskussion um eine Gesundheitskarte.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD – Glocke des Prä sidenten)

Herr Kollege, fahren Sie fort.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Vielen Dank. – Der Asyl kompromiss hat viel zu lange gedauert. Es wurde viel zu lan ge z. B. eine Diskussion um die Gesundheitskarte verwässert: Will man jetzt die volle Leistung? Will man sie nicht? Will man sie schon in der Erstaufnahme? Will man eingeschränk te Leistungen, oder will man sie nicht haben? Und jetzt stellt man auf einmal fest, dass Sie das technisch überhaupt nicht umsetzen können, dass Sie eine beschränkte Leistung auf ei ner Gesundheitskarte überhaupt nicht vermerken können. Das geht allein datenschutzrechtlich zumindest nur mit Problemen.

Nächstes Beispiel: Die Asylbewerber sollen nun länger in Erstaufnahmestellen verbleiben können. Aber jetzt sind die 30 000 Erstaufnahmeplätze, die wir im Land haben, mit 40 000 Flüchtlingen belegt. Es fehlen also ohnehin schon ein mal 10 000 Plätze regulär. Jetzt wollen wir aber die Flüchtlin ge noch länger in Stellen der Landeserstaufnahme lassen. Jetzt müssen wir weitere Stellen schaffen. Da reicht eben nicht nur das Bett, sondern dazu gehört z. B. auch die Gesundheitsun tersuchung. Wo sind denn Ihre Ansätze, dass man für die Aus schreibung eines Röntgengeräts nicht das normale Verfahren abarbeiten muss?

(Minister Reinhold Gall: Das ist doch alles schon längst erledigt, was Sie hier vorbringen! – Abg. Gui do Wolf CDU: Herr Präsident, das geht gar nicht!)

Wie viele Landeserstaufnahmestellen haben ein Röntgenge rät, Herr Gall? Vielleicht können Sie nachher dazu etwas sa gen. Die Tatsache, dass Meßstetten ein Röntgengerät hat, liegt bloß daran, dass da unkonventionell vorgegangen wird

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Wer war das?)

und Leute halt irgendwann einmal die Sache in die Hand neh men, aber doch nicht, weil Sie da irgendwelche Vereinfachun gen in den Regeln vorgenommen hätten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Was? Können Sie das erklären? – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, über den eigentli chen Asylkompromiss hinaus müssen wir auch noch manch andere Dinge andenken – zumindest, Herr Sckerl, darüber nachzudenken muss erlaubt sein –, z. B. Transitzonen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wie und wo?)

Natürlich – Herr Sakellariou, weil Sie das vorhin angespro chen haben – ist es gerechtfertigt, dass die EU ihre Außen grenze sichert. Deswegen kann, wenn eine Transitzone einge

richtet wird, diese natürlich nicht zwischen Deutschland und Österreich sein,

(Zurufe von der SPD: Aha!)

sondern es ist völlig klar, dass sie an der Außengrenze sein muss.

Das Nächste ist – –