Protocol of the Session on October 1, 2015

Und wenn sie die Spitzabrechnung wollen, dann sollen sie sie von mir aus haben; das ist mir gerade egal. Wir suchen die Kooperation. Wenn wir uns gemeinsam anstrengen, den Streit im Kleinkarierten möglichst auf die Seite zu legen, dann kann man auch einmal miteinander sprechen und fragen, ob man es nicht auch anders organisieren könnte. Aber wenn die Bevöl kerung, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht den Eindruck haben, die Akteure stehen bei dieser großen He rausforderung zusammen, dann werden sie erst richtig Ängs te haben und möglicherweise die Schlussfolgerung ziehen: Die werden damit nicht fertig.

Ich bin überzeugt – wie ich es auch in der letzten Woche sag te –: Mit Zuversicht, aber auch mit Realismus werden wir das schaffen, aber nur, wenn man sich gegenseitig unterhakt und nicht noch versucht, an der einen oder anderen Stelle dem an deren ein Bein zu stellen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Ministerpräsident Kretschmann.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter normalen Umständen lösen Flüchtlinge für ein so reiches und gut organisiertes Land wie Baden-Württemberg oder Deutschland natürlich keine Krise aus, sondern es sind die schiere große Zahl und das un glaubliche Tempo, mit dem diese Zahl steigt, die daraus eine Krise und eine große Herausforderung machen.

Ich wiederhole, was ich in der Regierungserklärung bereits sagte:

In Zeiten der Krise... ist ein Geist der Kompromissbereit schaft unerlässlich, in Zeiten der Krise muss gemeinsa mes Handeln vor politischer Profilierung stehen. Konsensorientierung und weniger Konfliktbereitschaft ist hier an gesagt.

Dies gilt besonders in der Flüchtlingsfrage, denn damit haben wir Erfahrungen. Wir haben Erfahrungen damit, wie es vor 20 Jahren war, als die Parteien auseinandergelaufen sind. Das Er gebnis ist bekannt: Hier saßen die Republikaner mit einem Stimmenanteil von 11 % im Landtag.

(Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Das ist die Erfahrung, die ich persönlich gemacht habe, auf grund der ich in dieser Frage so strikt auf Konsens und Zu sammenbleiben der demokratischen Parteien poche und alles dafür tue.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Mit diesem Geist bin ich in den Gipfel gegangen. Da andere ebenfalls mit diesem Geist hineingegangen sind, ist der Gip fel erfolgreich gewesen und hat gemeinsame Beschlüsse in al len wichtigen Fragen gefasst. Ich darf mich deshalb bei den Regierungsfraktionen für die volle Unterstützung bedanken und bei den Oppositionsfraktionen für die Unterstützung im Großen und Ganzen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wenn ich jetzt einmal einige Töne von der Opposition, die auch dazugehören, wonach alles nicht schnell genug, nicht gut genug, nicht entschlossen genug gehe, abziehe, dann kann ich doch im Großen und Ganzen Zustimmung feststellen. Auch dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Winfried Mack CDU: Dann haben Sie nicht zugehört! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Geht so die Wirklichkeit an Ihnen vorbei, Herr Minister präsident?)

Vielleicht darf ich noch einmal eine Bitte an Sie richten, Herr Fraktionsvorsitzender Wolf.

(Abg. Winfried Mack CDU: Hochmut kommt vor dem Fall!)

Ich weiß, dass es der CDU-Fraktion sehr, sehr schwerfallen wird, der Gesundheitskarte zuzustimmen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Sie war da strikt dagegen. Das ist auch im Beschluss der Gro ßen Koalition nicht mehr aufgetaucht, obwohl es ja schon ver handelt war. Für die ablehnende Haltung wurden Gründe auf geführt, z. B. dadurch würden Pull-Effekte ausgelöst. Aber, Herr Wolf, ich käme nie auf die Idee, Sie als Umfaller zu be zeichnen, wenn Sie dem jetzt zustimmen, weil es ein Kom promiss ist. Ich denke, wenn wir auf Kompromisse zielen wol len, dann sind das jetzt nicht gerade die günstigsten Formu lierungen; denn das macht es dem anderen ja nur schwer, sol chen Kompromissen zuzustimmen. Denken Sie also noch ein mal darüber nach, ob es richtig ist, Kompromisse als Umfal lerei zu bezeichnen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Erfahrungen mit der Gesundheitskarte sind vorhanden. Die Stadtstaaten Bremen und Hamburg machen das schon. Das hat bei Bremen zu Einsparungen von etwa 1,6 Millionen € ge führt. Pull-Effekte sind dabei jedenfalls nicht nachweisbar. Deshalb kann man, glaube ich, dem Kompromiss nun wirk lich zustimmen. Wir werden selbst noch einmal schauen. Wir haben Ihnen gesagt, was wir mit dem Modell, das die Kassen ärztliche Vereinigung vorgeschlagen hat, in den Erstaufnah meeinrichtungen zu machen versuchen. Dann werden wir schauen, wie es handelbar ist. Da geht es um ambulante Ver sorgung. Wenn es machbar ist, werden wir schauen, dass es die Gesundheitskarte erst nach der Zeit in der Erstaufnahme einrichtung gibt. Das werden wir jetzt einfach untersuchen und schauen, ob wir eine praktikable Lösung in dieser Rich tung hinbekommen.

Ich darf noch ein paar Sätze zum Taschengeld sagen, weil Sie das so umtreibt. Ich meine, wir sollten nicht weiter die Schlachten von gestern schlagen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Wenn Sie sich die Flüchtlingsströme jetzt anschauen, stellen Sie fest, dass diejenigen aus dem Balkan inzwischen eine ganz kleine Minderheit sind.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Woher wissen Sie das?)

Das heißt, die Flüchtlinge, die jetzt kommen, kommen aus ganz anderen Gründen, und der Großteil von ihnen wird eine Bleibeperspektive haben. Die kommen nicht hierher, damit sie Taschengeld bekommen. Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt vor anderen Herausforderungen. Wir können nicht immer die Schlachten weiter schlagen, die noch vor Monaten vielleicht sinnhaft waren.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Die man vor Mo naten hätte schlagen können!)

Ich muss Ihnen klar sagen: Wenn wir Kompromisse eingehen, werden diese auch nach Inhalt und Geist umgesetzt. Es hat keinen Wert, Kompromisse einzugehen, die man hinterher zu unterlaufen versucht. Das werden wir nicht machen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Darum geht es ja auch gar nicht!)

Der Vorbehalt, dass die Regelung zum Sachleistungsprinzip nur bei vertretbarem Verwaltungsaufwand umgesetzt wird, steht da nämlich nicht umsonst. Herr Wolf und Herr Rülke, stellen Sie sich doch einfach einmal plastisch vor: eine Erst aufnahmeeinrichtung, überbelegt, Tausende von Menschen, die dauernd wechseln. Wie wollen Sie das mit einem Sach leistungsprinzip einfach machen?

(Zuruf des Abg. Thaddäus Kunzmann CDU)

Da bräuchten Sie Dutzende, ja Hunderte von Menschen, die das organisieren, jedem einzeln zu sagen, was er persönlich braucht.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Das werden wir natürlich überprüfen. Wir werden so etwas jedenfalls nicht einführen,

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Sie wollen es doch gar nicht einführen!)

wenn es dazu führt, dass wir dann ein Chaos in den Erstauf nahmeeinrichtungen bekommen. Das werden wir nicht ma chen.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Peter Hauk: Das ha ben wir schon!)

Nein, es herrscht kein Chaos in unseren Erstaufnahmeein richtungen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, natürlich!)

Auch in den schwer überfüllten Einrichtungen herrscht kein Chaos. Davon konnte ich mich persönlich überzeugen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nicht einmal eine Essensausgabe ist geordnet möglich!)

Ich wäre vorsichtig mit solchen Behauptungen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Es ist ganz einfach: Wenn wir eine Lösung finden, z. B. eine elektronische Kreditkarte, mit der der Asylbewerber dieses Taschengeld abrufen kann, was quasi einen bargeldlosen Ver kehr darstellt, dann werden wir das einführen. Denn das wä re problemlos und führte nicht zu dem, wovor Sie Angst ha ben, nämlich einem Pull-Effekt. Wenn also so etwas ohne ei nen erheblichen Verwaltungsaufwand möglich ist, werden wir das machen. Da brauchen Sie einmal ganz unbesorgt zu sein. Wir halten uns an das, was beschlossen ist. Wir werden also überprüfen, ob solche Lösungen möglich sind.

Ich will Ihnen noch einmal etwas zu den Herkunftsländern sa gen. Zum einen habe ich schon einmal einer Erklärung von Ländern zu sicheren Herkunftsstaaten zugestimmt. Da jetzt groß auf mir herumzureiten finde ich etwas komisch.

(Abg. Guido Wolf CDU: Majestätsbeleidigung!)

Ich habe klipp und klar gesagt: Wir können denen nicht nur Steine geben, wir müssen ihnen auch Brot geben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Glauben Sie mir: Beim Balkan geht es noch um mehr als nur um eine flüchtlingspolitische Frage. Da geht es auch um wich tige geopolitische Fragen.

(Zuruf: Genau!)