Herr Ministerpräsident, Sie haben auch dem Prinzip „Sach leistungen statt Taschengeld“ zugestimmt. Allerdings haben Sie sich eine Hintertür geöffnet. Sie haben hier über Wochen und Monate lang anhaltenden Widerstand geleistet. Noch am vergangenen Mittwoch haben wir in derselben Debatte gehört – beispielsweise von der Kollegin Sitzmann –: Das geht gar nicht, das ist alles verfassungswidrig.
(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Sehr verkürzt! – Ge genruf von der CDU: So kennen Sie die Verfassung, Frau Sitzmann!)
Am nächsten Tag hat der Ministerpräsident dann dem zuge stimmt, was am Tag zuvor laut Frau Sitzmann noch verfas sungswidrig gewesen ist, nämlich dem Prinzip „Sachleistun gen statt Taschengeld“.
Nur haben Sie sich die Hintertür offengelassen: „wenn der Verwaltungsaufwand vertretbar ist“. Ich sehe jetzt schon vo raus, was am Ende herauskommt. Dann erklärt die Landesre gierung: „Das haben wir geprüft,
und der Verwaltungsaufwand ist nicht vertretbar, deshalb set zen wir es nicht um.“ Das Entscheidende ist, eben auch das Signal zu setzen.
Ich habe es in der vergangenen Woche schon erklärt: Der ser bische Ministerpräsident hat uns dazu aufgerufen, von Ta schengeldleistungen abzusehen, weil es in Serbien Arbeits kräfte gibt, die sich sagen: Ich bekomme in Deutschland mehr, wenn ich auf mein Asylverfahren warte, als wenn ich in Ser bien arbeite. „Diese Arbeitskräfte fehlen uns“, sagt der serbi sche Ministerpräsident, „hört auf damit!“
Das ist der Grund, warum wir mit Geldleistungen aufhören und auf Sachleistungen umstellen müssen. Verstecken Sie sich bitte nicht hinter irgendwelchen bürokratischen Argumenten, Herr Ministerpräsident.
Sie sprachen davon, dass man die Polizei stärken müsse. Das sehen auch wir so. Aber dann muss man sich die Frage stel len, ob es klug ist, zu sagen: Künftig blitzt die Polizei nicht mehr, sondern kümmert sich stattdessen um die Flüchtlings problematik. Wir, die FDP/DVP-Fraktion, wünschen uns und fordern wiederholt mehr Stellen bei der Polizei. Setzen Sie das von uns geforderte 1 000-Stellen-Programm um.
Im Übrigen haben Sie sich in Ihrer Regierungserklärung selbst gelobt für 16 neue Verwaltungsrichterstellen. Herr Minister Stickelberger ist gerade kurz hinausgegangen. Vielleicht fragt er gerade bei den Verwaltungsgerichten nach, wie es mit dem Antragsstau aussieht. Nach all dem, was man aus den Verwal tungsgerichten hört, ist dieser Antragsstau enorm. Ich habe ihn beim Flüchtlingsgipfel gefragt: „Reichen die 16 Verwal tungsrichterstellen?“ Darauf erwiderte er: „Ja.“ Mein Eindruck ist: Sie reichen eben nicht aus. Wenn man – siehe die Zahlen von vorhin – feststellt, es gebe bezogen auf die Zahl der Flüchtlinge nur etwa 1,5 % Abschiebungen, und dann sagt, es gebe ja diese und jene Probleme, dann ist der Antragsstau bei den Verwaltungsgerichten natürlich auch ein Teil des Prob lems. Deshalb reichen aus unserer Sicht diese 16 Verwaltungs richterstellen nicht.
Die Einführung der Gesundheitskarte war eine alte Forderung, die Sie, Herr Ministerpräsident, immer wieder vor sich herge tragen haben.
Ja, ja, Frau Sitzmann. Ich komme gleich auf die grüne Frak tion zu sprechen. – Da ist allerdings zu klären, was gemeint ist bzw. wer jetzt für die Grünen redet, ob der Ministerpräsi dent oder die grüne Fraktion spricht. Herr Ministerpräsident, ich zitiere aus Ihrer gerade gehaltenen Regierungserklärung: „Keine Ausweitung des Leistungskatalogs“, haben Sie gesagt. Noch am 16. März 2015, also vor Kurzem,
ist in einer Publikation der Grünen, die mit „Im Grünen da heim“ überschrieben ist, folgende Aussage des Kollegen Lucha zu lesen. Manne Lucha, Vorsitzender einer Projektgrup pe, die sich in der Landtagsfraktion der Grünen mit Themen für Flüchtlinge beschäftigt
Die Grünen wollen erreichen, dass der Leistungsumfang ähnlich ist wie bei allen gesetzlich Versicherten.
Was gilt denn jetzt? Gilt das, was die grüne Fraktion sagt, oder gilt das, was der Ministerpräsident sagt, dass es eben keine Ausweitung an Leistungen gibt? Diese Gesundheitskarte darf nämlich nicht zu einem zusätzlichen Pull-Faktor werden.
Deshalb ist es auch falsch, diese Gesundheitskarte, wie es ges tern Staatssekretär Murawski in unserem Gespräch angekün digt hat, bereits in den Erstaufnahmestellen auszugeben.
Wir halten es für richtig, wenn die Menschen, die auf die Kommunen verteilt werden, diese Gesundheitskarte bekom men, aber nicht die Menschen in den Erstaufnahmestellen und schon gar nicht so, wie es sich die grüne Fraktion so vorstellt, mit denselben Leistungen, die alle gesetzlich Versicherten in Anspruch nehmen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Herr Rülke, den Umfang legt die Bundesregierung fest!)
Sie sprechen von „früh“. Sie haben eine Reihe von Entwick lungen verschlafen. Sie haben erst reagiert, als der Flücht lingsstrom angeschwollen ist. Sie haben wesentliche Entschei dungen, die notwendig sind, noch in der vergangenen Woche hier im Landtag von Baden-Württemberg blockiert.
Sie haben sich in einer Abstimmung gegen die Erklärung wei terer Länder zu sicheren Herkunftsländern ausgesprochen.
Dann haben Sie von „koordiniert“ gesprochen. Dazu braucht Ihnen gar nicht einmal die Opposition etwas zu sagen. Da reicht, was Ihr Parteifreund, der grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Herr Salomon, sagt.
Der spricht von Organisationsversagen. Es wird Ihnen also in Ihrer eigenen Partei nicht bestätigt, dass Sie koordiniert vor gingen.
Und Sie sprechen von „kraftvoll“. Der Oberbürgermeister von Heidelberg hat davon, dass in Heidelberg ein Drehkreuz ein gerichtet werden soll, aus der Zeitung erfahren, weil sich die dortige Abgeordnete und Ministerin bei einem Termin ver plappert hat.
Dies wird zunächst einmal bestritten; es wird gesagt, da sei nichts dran. Dann erfährt er wiederum aus der Presse, es wird jetzt doch dieses Drehkreuz mit einer Vervielfachung der Flüchtlingszahlen für Heidelberg durchgesetzt. Das ist alles andere als kraftvoll. Das ist Regierungschaos, Herr Minister präsident. Ihre Regierung ist in dieser Krise heillos überfor dert.
Sie wollten gestern in der Runde im Neuen Schloss einen Konsens herstellen. Ich habe deutlich gesagt, an einigen Punk ten – ich habe diese auch benannt – gibt es diesen Konsens. Es gibt diesen Konsens aber nicht, wenn Sie die Gesundheits karte bereits in den Erstaufnahmestellen einführen wollen. Es gibt diesen Konsens nicht, wenn Sie das Prinzip „Sach- statt Geldleistungen“ dadurch unterminieren, dass Sie sagen: „Da prüfen wir mal den Verwaltungsaufwand und stellen dann hin terher fest, der ist zu groß, deshalb setzen wir dieses Prinzip nicht um.“
Vor allem gibt es diesen Konsens nicht, Herr Ministerpräsi dent, wenn Sie sich jetzt zurücklehnen wollen und erklären: „Wir haben jetzt alle notwendigen Maßnahmen umgesetzt. Wir haben gehandelt.