Also: Integration fordern und Integration fördern, das ist – auf eine Formel gebracht – unsere Leitlinie. Ich bin mir sicher, mit einer solchen Haltung, wenn wir sie immer klar benennen und leben, können wir Zuwanderung zu einer Erfolgsge schichte machen.
Zunächst zur Frage des Forderns: Grundlage unseres Zusam menlebens ist das Grundgesetz. Ich will noch einmal daran erinnern, dass eine Verfassung staatstheoretisch und staatsphi losophisch einen Gesellschaftsvertrag bedeutet, auf den sich alle stellen. Das kommt im englischen Wort „constitution“ sehr gut zum Ausdruck. Die Verfassungsordnung ist also die Ordnung, auf die wir alle uns stellen.
Wir haben ein hervorragendes Grundgesetz. Wir sind zu Recht stolz darauf. Es enthält die Werte, die uns in den vergangenen Jahrzehnten ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglicht ha ben. Unsere Verfassungsordnung hat sich bewährt – politisch, kulturell, aber auch wirtschaftlich. Das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialstaatsprinzip sind in ihr fest verankert. Aber das Grundgesetz ist auch Grundlage einer wirtschaftspolitischen Ordnung, der sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland auch zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Land werden ließ.
Weil wir diese Normen und Werte leben und pflegen und auch eine prosperierende Wirtschaft haben, sind wir überhaupt erst in der Lage, die Flüchtlinge, die zu uns kommen, aufzuneh men. Deswegen gelten sie für uns, und sie gelten natürlich auch für die, die zu uns kommen. Dazu gehören z. B. die Re ligionsfreiheit oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese Werte zu respektieren, zu leben, das fordern wir, und da gibt es keine Rabatte.
(Beifall bei den Grünen und der SPD, Abgeordneten der FDP/DVP sowie der Abg. Thomas Blenke, Klaus Herrmann und Dr. Patrick Rapp CDU)
Wir dürfen dabei durchaus geduldig sein, aber wir müssen im mer klar dabei sein. Um die Flüchtlinge mit unserer Verfas sungsordnung vertraut zu machen, ihnen das Hineinfinden in unsere Gesellschaft und in unsere Regeln zu erleichtern, da für sind Integrationskurse ein ganz wichtiger Baustein. Der Gipfelbeschluss, die Integrationskurse für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive zu öffnen und hierfür die Mittel auf zustocken, ist deshalb ein sehr guter Schritt.
Das zweite Problem ist nach der Integration in die Rechts kultur die Integration in unsere Bildung. Die Schülerzahlen in unserem Land gehen zurück. Die vielen jungen Flüchtlin ge, die zu uns kommen, sind daher eine große Chance für unser Land, aber auch eine gewaltige Herausforderung für die Lehrerinnen und Lehrer, auch für die Erzieherinnen und Erzieher. Wir müssen die Kinder der Flüchtlinge sofort in tegrieren. Sprache ist der Schlüssel für Integration. Jeder hier investierte Euro wird sich dreimal auszahlen. Kinder lernen sehr schnell, Kinder können die Pioniere der Integration wer den und auch ihren Eltern helfen, sich bei uns zurechtzufin den.
Deshalb haben wir, die Landesregierung, rechtzeitig reagiert und sind unterstützt durch die Beschlüsse der Fraktionen gut aufgestellt. Wir haben Vorbereitungsklassen für die Flüchtlin ge an den allgemeinbildenden und den beruflichen Schulen eingerichtet und dafür 562 Lehrerstellen bereitgestellt.
Auch im vorschulischen Bereich sind wir aktiv: In Sprachför derung und Eltern-Kind-Programme für Flüchtlingskinder und ihre Familien investieren wir in diesem Jahr 2 Millionen € und im kommenden Jahr 2,8 Millionen €. Gerade bei der Integra tion der Flüchtlinge wird es sich auszahlen, dass wir unser Bil dungssystem leistungsfähiger und gerechter aufgestellt haben, und zwar vom Ausbau der Kita-Plätze als einer der allerers ten Maßnahmen dieser Regierung überhaupt und einer besse ren Sprachförderung im Kindergarten über die neue Gemein schaftsschule, den Ausbau der Ganztagsschulen und zusätzli che Lehrerstellen für die individuelle Förderung bis hin zur Abschaffung der Studiengebühren. All das sind gute Voraus setzungen, die wir geschaffen haben.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Mi nisters Andreas Stoch und des Staatssekretärs Jürgen Walter)
Wir müssen sie nicht nur in unsere Rechtskultur, in unser Bil dungswesen, sondern auch in den Arbeitsmarkt integrieren. Der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche sagte, die mehr als 800 000 Menschen, die nach Deutschland kommen, aufzunehmen sei eine Herkulesaufgabe. Da hat er recht, aber er hat auch recht mit der Aussage – ich zitiere –:
Aber im besten Fall kann es auch eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder werden – so wie die Millionen von Gastarbeitern in den 50er- und 60er-Jah ren ganz wesentlich zum Aufschwung der Bundesrepub lik beigetragen haben.
Wir werden älter und weniger. Die Menschen, die zu uns kom men, sind daher eine Chance, den demografischen Wandel ab zufedern, die Rente zu stabilisieren, den Fachkräftemangel zu mildern, die deutsche Wirtschaft leistungsstark zu halten. Nicht wenige, die zu uns kommen und zu uns kommen wol len, sind exzellent ausgebildet. Lassen wir sie bitte bei uns ar beiten; denn Arbeit ist der Integrationsmotor schlechthin.
Dass die Integration von Migrantinnen und Migranten in Ba den-Württemberg so gut gelungen ist, hat vor allem mit der Integration durch Arbeit zu tun. Deswegen haben wir ein Ge setz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse verabschie det. Wir haben mit dem Asylkompromiss im vergangenen Jahr auf Bundesebene durchgesetzt, dass das absolute Beschäfti gungsverbot gelockert wird. Beim Gipfel in der letzten Wo che haben wir erreicht, dass es zukünftig eine Möglichkeit für legale Arbeitsmigration für Personen vom Westbalkan geben wird. Das alles sind wichtige Fortschritte, um die fatale Fehl steuerung, dass Leute nicht arbeiten können, die arbeiten wol len, ihre Arbeitskraft gebraucht wird, sie aber dennoch nicht arbeiten dürfen, zu beenden.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie der Abg. Dr. Friedrich Bullinger und Andreas Glück FDP/ DVP)
Klar ist aber auch: Viele Flüchtlinge erfüllen nicht die Anfor derungen des deutschen Arbeitsmarkts. Doch die meisten sind hoch motiviert. Ich erlebe immer wieder, dass mich Flücht linge händeringend darum bitten, endlich etwas tun zu dürfen. Sie wollen nicht nutzlos herumsitzen. Bei meinem Besuch in einer Unterkunft für Asylbewerber in Weingarten sprach mich ein Flüchtling aus Nigeria an. Er bat mich inständig, zu er möglichen, dass er uns durch – seine Worte – „harte Arbeit“ seine Dankbarkeit erweisen könne. Er wolle Deutschland für die große Hilfsbereitschaft etwas zurückgeben. Deshalb müs sen wir diese Menschen möglichst schnell qualifizieren.
Deswegen haben wir durchgesetzt, dass die Duldung von Ju gendlichen in Ausbildung erleichtert wird, haben ein Pro gramm zur Förderung von „Kümmerern“, die Flüchtlinge in Beschäftigung und Ausbildung bringen, aufgelegt, ein Pro gramm zur Sprachförderung und Arbeitsintegration in Höhe von 10 Millionen € aufgelegt, ein bundesweit einmaliges Sti pendienprogramm für Flüchtlinge aus Syrien aufgelegt und den Hochschulzugang erleichtert.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie der Mi nisterin Theresia Bauer, des Ministers Andreas Stoch und des Staatssekretärs Jürgen Walter)
Ich komme nun zu einem weiteren sehr wichtigen Thema, der Frage der Integration in den Wohnungsmarkt. Auch die Schaf fung von Wohnraum ist für die Integration eine Frage von gro ßer Wichtigkeit. Wir haben schon heute im Land zu wenig be
zahlbare Wohnungen in den großen Städten. Wenn wir hier nicht massiv investieren, dann laufen wir in eine hochproble matische Konkurrenzsituation zwischen denen, die nur einen kleinen Geldbeutel haben und schon heute Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden, und denen, die wir aufgrund der Zuwanderung zusätzlich unterbringen müssen, hinein. Das gilt es zu verhindern.
Deshalb unterstützen wir die Kommunen schon heute mit ei nem speziellen Bauprogramm in Höhe von 30 Millionen € beim Bau von Flüchtlingsunterkünften. Dieses führen wir fort und stellen 2016 weitere 30 Millionen € zur Verfügung. Au ßerdem zahlt es sich auch angesichts der aktuellen Flücht lingssituation aus, dass wir die Wohnraumförderung des Lan des gegenüber der Vorgängerregierung um über 60 % erhöht haben und dass die Förderung von Mietwohnraum in den Mit telpunkt gestellt wurde.
Das sind wichtige Beiträge, aber sie reichen bei Weitem nicht aus. Der Beschluss auf dem Gipfel von letzter Woche, in den kommenden Jahren die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um jährlich 500 Millionen € vonseiten des Bundes aufzusto cken, ist deswegen ein ganz wichtiger Schritt.
Es geht aber nicht nur um Geld. Wir wollen ja keine Gettos auf der grünen Wiese errichten. Deswegen müssen wir klein teilig, integriert und nachhaltig bauen. Das macht es am An fang nicht einfacher, zahlt sich aber langfristig aus. Denn kurz lebige Billigbauten, die dann dauerhaft zu Provisorien wer den, sind keine sinnvolle Lösung. Deswegen unterstützen wir die Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und bau en bürokratische Hemmnisse dabei ab. Wir werden unsere In strumente zur Verhinderung von Flächenfraß lockern müssen, um neue Flächen auf dem Land und in den Ballungsräumen zu gewinnen.
Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur ist dabei, da für zu sorgen, dass die Instrumente entsprechend angepasst werden. Darüber hinaus haben wir eine Arbeitsgruppe der zu ständigen Ministerien auf Ebene der Amtschefs eingerichtet und werden hier auch die Kommunen mit einbeziehen.
Wir werden im Oktober einen Wohnungsbaugipfel mit allen relevanten Akteuren im Land unter Leitung meines Stellver treters Nils Schmid veranstalten, um eine Offensive für be zahlbaren Wohnraum zu starten.
Und – das möchte ich noch einmal sagen; das ist ganz wich tig – es besteht die Aussicht, dass sich Bund und Länder dies mal bei den steuerlichen Abschreibungen einigen.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie der Abg. Jutta Schiller CDU und Andreas Glück FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Gut! Höchs te Zeit! Das hätte man schon lange haben können! – Minister Franz Untersteller zu CDU und FDP/DVP: Was regt ihr euch denn auf?)
Denn es ist klar: Ohne privates Kapital zu investieren, kön nen wir diese gewaltige Aufgabe nicht stemmen.
Herr Abg. Röhm, das ist leider falsch, was Sie sagen: Nein, wir haben drei Kompromissvorschläge eingebracht, um die, die das nicht wollten, dahin zu bekommen. Das ist uns leider nicht gelungen. Also: An uns lag es zuallerletzt.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Beim Erneuerbare-Wärme-Ge setz war es auch so!)
Also: Wir gehen auch die Beschaffung von Wohnraum ent schlossen und umfassend an, und wir werden jedenfalls die Kommunen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, so gut es überhaupt geht, unterstützen.
Also: Pragmatisch, unbürokratisch, nachhaltig und lösungs orientiert – so müssen wir gemeinsam mit unseren Kommu nen und dem Bund für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen.
Meine Damen und Herren, meine Eltern waren selbst Flücht linge. Mein älterer Bruder ist auf der Flucht als Säugling ge storben. Meine Eltern waren lange in Dänemark interniert. Baden-Württemberg ist meine Heimat geworden – durch und durch.
Aus dieser persönlichen Erfahrung weiß ich um die Schwie rigkeiten, die auf uns zukommen, aber eben auch um die Chancen.
Wir wollen die Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben, in tegrieren. Das verlangt viel von uns ab; es verlangt aber auch viel von den Flüchtlingen ab. Denn klar ist: Integration kann nur auf der Basis unserer Verfassungsordnung stattfinden, nicht neben, hinter oder gar über ihr. Das Grundgesetz eröff net auch das Recht auf Asyl, was den Flüchtlingen die Mög lichkeit gibt, zu uns zu kommen.
Baden-Württemberg war schon immer ein Einwanderungs land und hat bereits bewiesen, dass es Menschen erfolgreich integrieren kann: Vertriebene, Gastarbeiter, Balkanflüchtlin ge.
Ich will, dass diejenigen, die zu uns kommen, in einigen Jah ren sagen können: „Ja, wir wurden freundlich aufgenommen. Ja, wir sind dankbar dafür, etwas zurückgeben zu können. Ja, Baden-Württemberg ist unsere Heimat geworden. Ja, Deutsch land ist unser Land. Ja, Europa ist unsere Zukunft.“
(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Grünen und der SPD sowie auf der Regierungsbank – Beifall der Abg. Klaus Burger CDU und Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)
Meine Damen und Herren, für die Aussprache über die Regierungserklärung hat das Präsi dium freie Redezeit vereinbart.