Protocol of the Session on September 23, 2015

Es ist wichtig, die Förderung des Ehrenamts zum Staatsziel zu erheben. Wir erleben – darüber haben wir heute Morgen diskutiert – gerade in diesen Tagen, wie wichtig und unver zichtbar ehrenamtliche Betätigung von Bürgerinnen und Bür gern insbesondere dann wird, wenn der Staat mit seinen haupt amtlichen Kräften und mit seinen Strukturen an Grenzen stößt und es unbedingt der Ergänzung durch die Bürgerschaft be darf. Aber Baden-Württemberg braucht sich auch insgesamt in seiner Geschichte nicht zu verstecken. Baden-Württemberg ist in Deutschland d a s Land der Bürgerbeteiligung. Das hat uns immer ausgezeichnet.

Deswegen ist es ebenso richtig, die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse zum Staatsziel zu erheben. Wir sind uns über alle unterschiedlichen politischen Ansätze hinweg, was die Bedeutung des ländlichen Raums oder das Verhältnis von Metropolen und ländlichem Raum betrifft, doch im Grunde einig, dass es sich lohnt, gemeinsam in einer Demokratie und in einem Parlament für das Erreichen des Ziels gleichwerti

ger Lebensverhältnisse überall, an jedem Fleck in BadenWürttemberg zu kämpfen.

Der dritte Teil der Verfassungsänderung, die Umbenennung des Staatsgerichtshofs, ist, glaube ich, eine logische Folge aus der Aufgabenerweiterung und der Einführung des Instruments der Landesverfassungsbeschwerde.

In der Summe ist das für uns, wie gesagt, ein stimmiges Pa ket.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden die ser Verfassungsänderung zustimmen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Binder.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Dass heute Gesetze zur Änderung der Lan desverfassung vorliegen, bedeutet, dass wir unsere Verfassung heute fortentwickeln. Wenn wir die Verfassung ändern, müs sen wir aber immer auch darauf achten, dass wir die Verfas sung nicht ausufern lassen, sondern dass wir die Verfassung als das weiterentwickeln, was sie für uns bedeutet: Sie ist nämlich ein Rechtsrahmen, auf dessen Grundlage wir hier Ge setze machen, Politik machen und auf den sich die Menschen in Baden-Württemberg berufen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Deshalb brauchen wir zur Änderung der Landesverfassung ei ne Zweidrittelanwesenheit und eine Zweidrittelmehrheit, und deshalb war es auch notwendig – ich möchte nicht nur sagen notwendig, sondern auch sinnvoll –, dass aufgrund dieses ho hen Abstimmungsquorums alle vier Fraktionen zusammensa ßen und gemeinsam die Aufgabe, diese Verfassung weiterzu entwickeln, angenommen haben und in großer Einheit am En de einen Vorschlag unterbreiten, der diesem Land und dieser Verfassung gerecht wird.

Klar ist: Man diskutiert zu Beginn über Staatsziele. Ich glau be, es hat uns alle vier, die wir am Ende verhandelt haben, ge leitet, dass aus dieser Verfassung nicht ein Roman wird, son dern dass diese Verfassung weiterhin das ist, was sie sein soll, nämlich ein rechtlicher Rahmen ohne große Prosa, sondern mit klaren Formulierungen, auf die sich die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg berufen können.

Wir haben mit dem Vorschlag, die Kinderrechte als Staatsziel aufzunehmen, ganz konkret den Willen verbunden, auch das Kindeswohl mit in die Frage einzubeziehen, wann Hilfemaß nahmen bei jungen Menschen zum Tragen kommen. Wir ken nen diese Debatten und teilweise auch manche schwierigen Fälle, die in den letzten Wochen und Monaten immer wieder an die Öffentlichkeit geraten sind.

Eines ist klar – da gebe ich dem Kollegen Schebesta ausdrück lich recht –: Damit sind andere verfassungsrechtliche Rege lungen wie das Recht der Familie nicht infrage zu stellen. Es geht darum, in einer schwierigen Abwägung denjenigen ein zusätzliches Argument an die Hand zu geben, die am Ende über Hilfemaßnahmen für junge Menschen entscheiden müs sen, die sich nicht selbst helfen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben in Artikel 59 eine Änderung vor, die die eigentli che Neuigkeit ist: die Beteiligung der Bürgerinnen und Bür ger bei der Gesetzgebung des Landes Baden-Württemberg. In Artikel 50 Absatz 1 der Verfassung schreiben wir:

Gesetzesvorlagen werden von der Regierung, von Abge ordneten oder vom Volk durch Volksantrag oder Volksbe gehren eingebracht.

Mit dem Volksantrag haben wir ein neues, niederschwelliges Mittel, mit dem es mit ca. 40 000 Bürgern – der Kollege Schebesta hat vorhin die genaue Zahl vorgetragen – möglich ist, Themen auf die Tagesordnung dieses Landtags zu setzen, mit denen wir als gewählte Mitglieder dieses Landtags uns befassen müssen und zu denen wir uns hier in diesem Hohen Haus eine Meinung bilden müssen. Es ist richtig, dies auch an eine erkleckliche Zahl von Unterschriften zu koppeln, um der Bedeutung dieses Themas auch die notwendige Unterstützung geben zu können, damit die Abgeordneten des Landtags wis sen, dass es nicht nur um irgendetwas geht, sondern durchaus um ein Thema, das die Bürgerinnen und Bürger draußen tat sächlich interessiert.

Ich habe in einer der Besprechungen gesagt: Vielleicht ist es auch nicht schlecht, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger ein bisschen an der Auswahl der Themen für die Tagesord nung des Landtags beteiligen; denn nicht alle Debatten, die wir selbst beantragen, gehen auch wirklich die Bürgerinnen und Bürger draußen an. Deshalb bin ich gespannt, was uns die Bürgerinnen und Bürger auf die Tagesordnung setzen werden. Sie werden uns sicherlich nicht andauernd – da gebe ich dem Kollegen Sckerl recht – in die Tagesordnung hineinreden. Aber wenn das eine oder andere Thema aus der Mitte der Bür gerschaft kommt, dann ist das zu begrüßen und kann das die sen Landtag nur bereichern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Mit der Herabsetzung der Quoren kommen wir dem nach, was viele andere Bundesländer nicht nur gemacht haben, sondern womit sie auch gute Erfahrungen gemacht haben. Wir haben uns sehr gut in der Mitte getroffen und mit einem vernünfti gen Quorum keinen Angriff auf die parlamentarische Demo kratie gefahren, die ein Grundwert unserer Verfassung ist und die wir auch nach wie vor, wenn wir die Verfassung ernst neh men, wahrnehmen, sondern verstehen die direkte Demokra tie als Bereicherung und als Ergänzung der indirekten Demo kratie. Deshalb sind die Regelungen, wie wir sie vorschlagen, auch so gewählt.

Für diese Verfassungsänderung – es wird, wenn überhaupt, immer nur eine Änderung in einer Legislaturperiode geben – gibt es weitere Vorschläge, die wir beraten haben, weitere Staatsziele, die wir in großer Einigkeit befürworten, einen Vor schlag, den Staatsgerichtshof umzubenennen, eine Formalie, die wir mit aufnehmen. Ich glaube, dass wir dann am Ende sagen können: Wir haben in dieser Legislaturperiode diese Verfassung für unser Bundesland Baden-Württemberg gut fortentwickelt, ohne die Verfassung infrage zu stellen, ohne die Verfassung mit großer Prosa zu verlängern; wir haben sie vielmehr um konkrete Regelungen ergänzt, auf die sich die Bürgerschaft in unserem Land berufen und verlassen kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich Herrn Abg. Dr. Goll das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wir verhandeln heute ein Paket aus mehreren Teilen, alle zusammenhängend mit dem Thema Ver fassungsänderung, wozu inhaltlich von den Vorrednern schon einiges gesagt wurde, was dazugehört, was vereinbart worden ist und was geregelt werden soll. Das werde ich natürlich ein beziehen und nicht alles wiederholen.

Auf der anderen Seite gibt es Punkte, die aus liberaler Sicht wichtig sind und die wir noch einmal betonen wollen. Erstens ist erwähnenswert, dass wir die unter den Tagesordnungspunk ten 3 a und 3 c aufgeführten Gesetzentwürfe in einem sehr konstruktiven Prozess erarbeitet haben. Das muss man auch einmal sagen. Das war aus meiner Sicht ein gutes Stück par lamentarischer Arbeit, und dafür ist auch allen zu danken. Die jenigen, die das organisiert und sich daran beteiligt haben, ha ben das, glaube ich, gern getan. Es war eine gute Atmosphä re, und deswegen ist dabei auch etwas herausgekommen.

Wenn ich darüber rede, dass etwas herausgekommen ist, dann werde ich feststellen müssen, dass es Teile gibt, denen wir be sonders gern zustimmen, und Teile gibt, denen wir nicht so gern zustimmen. Aber das ist natürlich das Wesen aller Kom promisse.

Besonders gern stimmen wir natürlich dem ersten Teil, der Änderung der Quoren, zu. Das hat einen simplen Grund. Es ist vorhin angesprochen worden, dass der Entwurf einen Mit telweg geht. Es ist kein Geheimnis, dass sich die liberale Pro grammatik seit Jahren genau auf diesem Mittelweg – bis auf die Zahl genau auf diesem Mittelweg – bewegt. Es wird im Grunde genommen – ob wir es aus Ihrer Sicht nun verdient haben oder nicht – genau das beschlossen, was wir immer wollten. Das kann man feststellen. Deswegen fällt die Zustim mung dazu ganz besonders leicht.

Beim zweiten Teil, der Umbenennung des Staatsgerichtshofs, verhalten wir uns ein bisschen zurückhaltend, und zwar kon sequent aus folgendem Grund: Wir waren – das ist kein Ge heimnis – nicht für die Einführung der Landesverfassungsbe schwerde. Wir halten sie in unserem heutigen System eines stark ausgebauten individuellen Rechtsschutzes nicht für er forderlich. Das hätte man eigentlich nicht gebraucht. Da die Namensänderung letzten Endes auch etwas mit dem neuen Aufgabenzuschnitt zu tun hat, hätten wir sagen können, wir seien jetzt auch gegen die Umbenennung. Doch wir wollen an dieser Stelle – ich sage offen: wegen eines solchen Streitwerts – die allgemeine Verfassungsänderungsharmonie nicht stören und werden auch diesem Teil zustimmen. Das kann man schon jetzt ankündigen.

Bei dem Thema Staatszielbestimmungen haben wir es uns in der Diskussion nicht leicht gemacht. Herr Kollege Binder hat es angedeutet, und gerade wir waren uns immer einig. Man muss dem Thema „Neue Staatszielbestimmung“ zunächst et was skeptisch gegenübertreten, und zwar aus dem einfachen Grund: Je mehr Staatszielbestimmungen man in eine Verfas sung hineinschreibt, desto weniger ist jeder hervorgehobene Punkt wert.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dieter Hil lebrand CDU)

Wenn ich alles gleich betone und hervorhebe, ist alles gleich viel wert. Deswegen muss man sich vorsichtig bewegen und muss vernünftige Kompromisse finden. Doch ich glaube, das ist gelungen. Denn wer wollte sich ernsthaft gegen die Beto nung der Kinderrechte und des Kinderschutzes stellen?

Gerade beim Ehrenamt liegt es auf der Hand. Sie, Herr Sckerl, haben es hervorgehoben. Gerade dem Ehrenamt haben wir heute mit gutem Grund in der ersten Debatte sozusagen wie der auf die Schulter geklopft und im eigenen Interesse hervor gehoben, wie sehr wir das Ehrenamt brauchen. Keine Frage, es passt deshalb sehr gut dazu, das Ehrenamt in der Verfas sung zu nennen.

Was für uns, die Liberalen, bekanntlich wichtig war: Wir woll ten in der Verfassung – und genau dort – verankert haben, dass auch eine angemessene technische Infrastruktur landauf, land ab zur Verfügung steht. Jetzt könnte man im ersten Moment meinen, das sei eine eher technische Frage. Man kann zuerst spontan die Frage stellen: Gehört so etwas eigentlich in eine Verfassung? Wir haben eine Formulierung mit einer übergrei fenden Infrastruktur gefunden, die genau auf Themen wie ent sprechende Internetzugänge zielt.

Wenn man in die Geschichte schaut – nehmen wir den Buch druck als schlagendes Beispiel –, dann sieht man: Immer ha ben bestimmte neue Techniken in der Vergangenheit den All tag gravierend beeinflusst und verändert und sich übrigens auch gravierend auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten aus gewirkt. Weil die Lebensverhältnisse aller mit einer ordentli chen technischen Ausstattung zusammenhängen, ist uns die ser Punkt Infrastruktur so wichtig. Vor wenigen Monaten noch wurde das von Michael Theurer oder von Uli Rülke ganz stark hervorgehoben, und deshalb freuen wir uns natürlich jetzt, dass dieser Punkt auch in der Verfassung Berücksichtigung findet.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir werden im Ausschuss sicher noch über Feinheiten spre chen, aber wir werden diesen jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschlägen letztlich zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Die Aussprache ist damit beendet.

Ich schlage vor, die drei Gesetzentwürfe Drucksachen 15/7178, 15/7378 und 15/7412 zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Es erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist es so beschlossen und Punkt 3 der Tages ordnung beendet.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Wahl der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums

Meine Damen und Herren, der Landtag hat in seiner 134. Sit zung am 15. Juli 2015 das Gesetz zur Stärkung der parlamen tarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes beschlossen.

Nach diesem Gesetz ist ein Parlamentarisches Kontrollgremi um einzurichten, dem die Kontrolle der Landesregierung ge mäß § 15 Absatz 1 des Landesverfassungsschutzgesetzes hin sichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz obliegt.

Nach § 15 a Absatz 1 Satz 1 des Landesverfassungsschutzge setzes wird das Parlamentarische Kontrollgremium aus der Mitte des Landtags gewählt. Der Landtag bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Die Fraktionen sind übereinkommen, dass sich das Parlamen tarische Kontrollgremium bis zum Ende der 15. Wahlperiode und zur Neuwahl des Gremiums für die 16. Wahlperiode aus elf Mitgliedern zusammensetzt. Nach § 15 a Absatz 1 Satz 4 des Landesverfassungsschutzgesetzes wird für jedes Mitglied ein stellvertretendes Mitglied gewählt.

Ein gemeinsamer Wahlvorschlag der im Landtag vertretenen Fraktionen liegt auf Ihren Tischen (Anlage). Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint.

Ich schlage vor, über diesen Wahlvorschlag offen abzustim men. – Sie sind damit einverstanden.

Wer diesem Wahlvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dem Wahlvorschlag einstimmig zugestimmt.

Ich gratuliere ganz herzlich zu der Wahl und wünsche den Mit gliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Parlamentari schen Kontrollgremiums viel Erfolg bei der verantwortungs vollen Aufgabe.

Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass das Parlamentarische Kontrollgremium künftig das Gremium nach Artikel 10 GG ersetzen wird. Den ausscheidenden Mitgliedern des Gremi ums nach Artikel 10 GG danke ich für ihre geleistete Arbeit.