Protocol of the Session on September 28, 2011

Irgendjemand lügt hier.

(Zurufe von den Grünen – Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch CDU: Wer?)

Sie sagen einerseits: „In Kenntnis der inzwischen bekannten Kostensteigerungen...“ Andererseits sagen Sie: „Der Landes regierung liegen keine Kostenberechnungen vor“ und verwei sen auf die Wirtschaftsgutachten, die keine Anhaltspunkte ge ben. Sie sollten den Widerspruch einfach aufklären, auch den Widerspruch bezüglich des zeitlichen Zusammenhangs. Das ist eine ganz entscheidende Frage.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir fragen natürlich, welchen Sinn das Kündigungsgesetz der neuen Landesregierung noch hat.

Die Stellungnahme des Verkehrsministeriums zur Einhaltung des Kostenrahmens ist zwischenzeitlich aber auch durch Fak ten abgesichert worden, denn die Bahn AG hat inzwischen über ein Viertel der Vergaben – bis Ende 2011 werden es so

gar über die Hälfte der Vergaben sein – durchgeführt. Darun ter fallen dann auch die großen Tunnelbauwerke. Besonders sie wären im Hinblick auf Kostensteigerungen eher risiko reich gewesen.

Wo ist jetzt die Kostensteigerung? Es gibt sie nicht.

(Lachen bei den Grünen)

Es gibt sie nicht. Das wird nur behauptet. Die aktuelle Pres semitteilung des Verkehrsministers behauptet erneut, dass es sie gibt. Es gibt hierfür derzeit keine Anhaltspunkte. Diese Aussage stimmt. Die Aussage stimmte am 8. August, und sie stimmt auch heute, am 28. September. Ich kann natürlich gut verstehen, dass das dem grünen Teil der Landesregierung überhaupt nicht passt, denn das Argumentationsgebäude bricht zusammen. Zurück bleiben die Trümmer, die der Minister nachher wahrscheinlich wieder wortreich kaschieren wird. Ich bin gespannt, welches Märchen Sie uns heute wieder erzäh len.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf von den Grünen)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Fantasie zu S 21 und zur Verdrehung der Fakten scheint grenzenlos zu sein. Aktuelles Beispiel: Sie erzählen der Presse, die Bahn pla ne ihren Ausstieg und berechne im Hintergrund schon mögli che Ausstiegskosten ein. Dass es sich in Wirklichkeit aber um die Schadensersatzsumme handelt, die unsere Bürgerinnen und Bürger bezahlen müssten, wenn das Land vertragsbrüchig wird, das passt natürlich nicht in Ihr Weltbild. Deshalb wird flugs eine neue Geschichte erfunden.

Es passt deshalb nicht in Ihr Weltbild, Herr Minister Hermann, weil Sie dadurch Ihr einzig verbleibendes Schreckgespenst begraben müssten. Ausgangspunkt Ihrer Gesetzesbegründung sind nämlich immer die sogenannten vermeintlichen Kosten steigerungen bei S 21. Sie dienen aus Ihrer Sicht als Vorwand, überhaupt ein Kündigungsgesetz, das rechtlich bar jeder Mög lichkeit ist, zu rechtfertigen. Angesichts der nun bekannten Fakten müssten Sie eigentlich Ihren Begründungstext in we sentlichen Teilen ändern.

Um es den Menschen in Baden-Württemberg noch einmal deutlich zu sagen: Es geht bei der geplanten Volksabstimmung nicht um eine Grundsatzentscheidung für oder gegen Stutt gart 21. Es geht am 27. November darum, ob das Land ver tragsbrüchig wird und eine Kündigung anstrebt, wo es über haupt kein Kündigungsrecht gibt. Es geht darum, ob es in die sem Land noch Verlässlichkeit und eine Basis für Vertrauen in bestehende Verträge im Baurecht und in Gerichtsurteile gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Es geht am Ende darum, ob wir 1,7 Milliarden € – manche sprechen sogar schon von 2,5 Milliarden € – für nichts bezah len wollen. 824 Millionen € kostet der Bau von Stuttgart 21 das Land Baden-Württemberg. Bis zu 2,5 Milliarden € an Steuergeldern würden wir für den Ausstieg des Landes aus Stuttgart 21 bezahlen müssen, und wir hätten nichts.

(Abg. Daniel Renkonen GRÜNE: Woher wissen Sie denn das?)

Wir hätten einen alten Bahnhof, wir hätten alte Gleise, wir wären international abgehängt. Die Regionalverkehre wären auch abgehängt. Wir hätten nichts. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von den Grünen)

In Ihrer Gesetzesbegründung sprechen Sie davon, dass sich die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis neu stelle. Viel leicht sollten Sie sich weniger die Frage nach dem KostenNutzen-Verhältnis von Stuttgart 21 stellen als vielmehr nach dem von Ihnen, Herr Hermann, als Verkehrsminister.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf von der CDU: Bravo!)

Nur betretenes Schweigen dazu, mit welchen Mitteln mögli che Alternativtrassen an welchen Stellen überhaupt gebaut werden sollen. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen über mögliche Alternativen, zu denen keine Pläne, schon gar keine Machbarkeitsstudien und keine Planfeststellungsverfah ren,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schon gar keine Kosten!)

geschweige denn eine Finanzierung vorliegen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! – Abg. Muhte rem Aras GRÜNE: Ich sage nur: Flughafenanbin dung!)

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben aber, wenn sie in dieser Frage entscheiden sollen, ein Anrecht darauf, zu wissen, worum es eigentlich geht und welche Folgen das Gan ze für sie hat. Sie müssen wissen, welche Kosten zusätzlich zu den Schadensersatzsummen von bisher wohl 2,5 Milliar den € aus dem Projekt noch hinzukommen, etwa Kosten für die Gleissanierung, Kosten für die Sanierung des Bahnhofs gebäudes, Kosten für mögliche oberirdische Alternativstre cken, Kosten für neue Tunnel, Kosten für den dann völlig un geklärten Anschluss der Neubaustrecke.

Die Menschen müssen wissen, mit welchen Verzögerungen sie rechnen müssen, wenn das Projekt nicht kommt. Sie müs sen wissen, dass es mindestens fünf, sieben, acht Jahre bis zur Planung dauert, dass die Finanzierung einer Alternative längst nicht gesichert ist und wahrscheinlich nie gesichert wird, weil die Alternativstrecke schon steht. Das war ja der Grund, wes halb wir uns überhaupt an der Neubaustrecke beteiligen: weil die Alternativstrecke Frankfurt–Würzburg–Nürnberg–Mün chen bereits steht.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Das ist doch der ganz entscheidende Punkt.

Die Bahnreisenden, auch die Pendler, müssen wissen, was es für sie bedeutet, wenn in mehrjähriger Arbeit das Gleisvor feld des Stuttgarter Hauptbahnhofs im laufenden Betrieb sa niert würde. Die Menschen im Neckartal müssen wissen, dass nach dem Willen der Grünen eine dort geplante Eisenbahn brücke über ihre Köpfe hinweggeht

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: So ein Quatsch!)

und die Züge darüberdonnern.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist die neue Kultur! – Gegenruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist die Kultur des Überfahrens! – Gegen ruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, irgendwo werden Sie bauen müssen. Ob überirdisch oder unterirdisch – irgend wo werden die Bauarbeiten stattfinden müssen, wenn Sie sich zur Neubaustrecke bekennen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

All diese Fragen und viele andere lassen Sie aber ganz be wusst offen. Sie versäumen es, den Menschen alle wirklich notwendigen Fakten zu liefern. Sie reden immer nur von Zu hören und von Transparenz.

Wir haben ein klares Ja zur Volksabstimmung gegeben, weil wir der Meinung sind, dass kein Gericht über die Kündigung von Stuttgart 21 entscheiden kann, dass kein Gericht über die Heimlichkeiten entscheiden kann,

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

die der grüne Verkehrsminister und der grüne Teil der Lan desregierung rund um dieses Gesetz machen, dass kein Ge richt über Ihr Rechtsverständnis – auch über Ihr Verfassungs verständnis – und kein Gericht über Ihren Umgang mit den Menschen im Land, Herr Minister, entscheiden kann. Diese Entscheidung können nur die Menschen in diesem Land tref fen. Wir werden alles dafür tun, dass die Menschen tatsäch lich erfahren, worum es bei dieser Volksabstimmung geht.

Jetzt sind auch Sie, Herr Ministerpräsident, am Zug. Sagen wenigstens Sie den Menschen, worum es bei der Volksabstim mung geht. Machen wenigstens Sie die Folgen deutlich. Sa gen Sie, dass ihnen bei einem Ausstieg des Landes tief in die Taschen gegriffen wird. Sagen Sie den Menschen, dass Ba den-Württemberg verkehrstechnisch abgehängt wird, wenn S 21 nicht kommt,

(Oh-Rufe von den Grünen)

und dass hier vermutlich die nächsten 25 Jahre gar nichts pas sieren wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie auf der Zuhörertribüne)

Sagen Sie den Menschen, dass wir bei einem Ausstieg bis zu 2,5 Milliarden € bezahlen und die Projektpartner vielleicht auch ohne uns weiterbauen; rechtlich besteht diese Möglich keit ja.

Sagen Sie den Menschen, dass sich die Regionalverkehre von Tübingen, von Reutlingen, von Singen, von Heilbronn, von Ulm, von Aalen etc. eben nicht beschleunigen, dass das Land nicht enger zusammenrückt, sondern weiter abgehängt bleibt.

(Lachen bei Abgeordneten der Grünen)

Sagen Sie den Menschen, dass sie nach Ihren Vorstellungen nur deshalb zu Wort kommen, weil die Regierung am Ende

nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Das ist doch der wahre Grund für diese Volksabstimmung.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: So ist es! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Sagen Sie den Menschen, dass es eine Erfindung der Sozial demokraten war, die wegen ihrer Entscheidungsunfähigkeit einen Weg zur Volksabstimmung gesucht haben. Sagen Sie den Menschen, wie selbst in Ihren eigenen Anträgen und den Stellungnahmen der Landesregierung zu lesen ist, dass es ei nen offenen Dissens in dieser Koalition gibt und dass Sie, wenn man so will, als Ausweg das Volk ein Stück weit miss brauchen wollen, um diesen Dissens am Ende zu lösen. Ge nau das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. An dreas Schwarz GRÜNE: Falsch! – Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE meldet sich. – Glocke des Präsi denten)