Protocol of the Session on April 16, 2015

der sich viel um sich selbst und zu wenig um die Sache küm mert. Im Gegensatz zu Ihnen kümmern wir uns um die Sache und um die Fakten.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das ist der Witz des Tages!)

Wie sehen die Fakten aus? Nur ganz kurz: zum einen die Ver schonungsregelung.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Freie Rede in der Aktuellen Debatte!)

Bisher werden Unternehmen unabhängig von ihrer Größe zu 85 bzw. 100 % von der Erbschaftsteuer befreit, wenn sie den Betrieb fünf oder sieben Jahre fortführen und die Arbeitsplät ze erhalten.

Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Anteil des Verwal tungsvermögens am Gesamtvermögen nicht mehr als 50 % bzw. 10 % beträgt.

Eine dritte, ganz wesentliche Verschonungsregelung gilt für Kleinbetriebe. Bei Betrieben, die bis zu 20 Beschäftigte ha ben, wird der Erbe im Erbfall ganz von der Steuer freigestellt, und zwar ohne den Nachweis vorlegen zu müssen, dass er auch die Arbeitsplätze erhält.

So weit zu den Fakten.

Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember ent schieden, dass diese Regelungen nicht mit der Verfassung in Einklang stehen. Dennoch hat es dem Bundesgesetzgeber ei nen Entscheidungsspielraum gegeben, und das ist auch gut so und erfreulich.

Das heißt, Verschonungsregelungen in Bezug auf das Be triebsvermögen bei der Erbschaftsteuer sind grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar, nur müssen sie verhältnismäßig sein.

Das Bundesverfassungsgericht stellt ganz klar dar, dass die Privilegien, die es bisher gibt, gegen eine der fundamentalen Grundlagen unseres Grundgesetzes, nämlich gegen Artikel 3 Absatz 1, verstoßen. Jetzt stellt sich die Frage: Was ist unse re Aufgabe? Was müssen wir tun?

Der Bundesgesetzgeber hat bis Juni 2016 Zeit, neue Regelun gen zu finden, die mit unserer Verfassung vereinbar sind. Wie gesagt: Einen Gestaltungsspielraum haben wir. Wir müssen – das ist die Aufgabe der Politik – diesen Zeitraum nutzen, um diesen Gestaltungsspielraum so auszuschöpfen, dass wir zum einen natürlich die Interessen unserer Wirtschaft schützen – Sicherung des Wirtschaftsstandorts und der Arbeitsplätze – und zum anderen sicherstellen, dass die Regelungen verfas sungskonform sind.

Es geht also nicht um die Abwägung „Null Steuer oder Stand ortkatastrophe“, sondern es geht um eine vernünftige Abwä gung, um die Wirtschaftsinteressen und das Grundgesetz in Einklang zu bringen. Das ist sehr wohl komplex, lieber Kol lege Rülke. So einfach kann man das nicht machen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Dann nehmen Sie doch die Abwägung vor!)

Wenn es nicht so komplex wäre, dann wäre die Erbschaftsteu er nicht schon dreimal vor dem Bundesverfassungsgericht ge scheitert. Das vierte Mal steht nämlich an, wenn man die Re gelungen nicht vernünftig macht. Aber wenn man sich mit der Materie inhaltlich nicht beschäftigt, dann kann man sich na türlich hinstellen und locker-flockig sagen: „Nehmen Sie doch einmal 100 Millionen € als Grenze oder was auch immer.“ Al so, so einfach ist es nicht.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn Sie sich tatsächlich mit der Materie befasst hätten und wirklich die Interessen unserer Wirtschaft vertreten würden, dann müssten Sie sich nämlich genau mit folgenden Frage stellungen beschäftigen: Was ist sinnvoller, ein Freibetrag oder eine Freigrenze? Was bringt mehr Vor- oder Nachteile, und was ist mit dem Grundgesetz vereinbar? Was ist sinnvoller, die Grenze von 100 Millionen € oder die von 20 Millionen €? Das wird ja alles durcheinandergeworfen. Die einen gehen vom Unternehmenswert aus, die anderen gehen vom Freibe trag oder der Freigrenze je Erbe aus. Das sind ja völlig ver schiedene Sachverhalte.

(Abg. Winfried Mack CDU: Wovon gehen Sie denn aus?)

Es geht darum, wann ein Betrieb als groß gilt – da geht es um eine Definition, um eine vernünftige Regelung –, es geht da rum, wie die Kriterien der Bedürfnisprüfung aussehen sollen, wie Großbetriebe, die bisher über das Maß hinaus befreit sind, zukünftig behandelt werden sollen. Weiter geht es um die Fra ge: Soll man das Privatvermögen des Erben bei der Zahlung der Erbschaftsteuer heranziehen und, wenn ja, in welcher Hö he, oder soll man das Privatvermögen insgesamt heranziehen?

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Haben Sie auch eine Position?)

Das sind wichtige Fragestellungen, die man erörtern muss. Am Schluss muss man zu einer vernünftigen Lösung kom men, die beides in Einklang bringt: Grundgesetz und Interes sen der Wirtschaft.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Dann komme ich zu den Kleinbetrieben. Wir haben ein gro ßes Interesse daran, dass unsere Wirtschaft geschützt wird. Das gilt vor allem für die kleinen und mittleren Betriebe in unserem Land. Wenn man sich hier die Zahlen genau an schaut, dann sieht man, dass weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ganz neue Erkenntnis!)

Das heißt, weit über 90 % aller Betriebe sind quasi flächen deckend von der Erbschaftsteuer befreit. Deshalb hat das Bun desverfassungsgericht uns, der Politik, gesagt: „Es ist grund sätzlich richtig, kleine Betriebe zu schonen, aber die Frage ist, ob es immer noch verhältnismäßig ist, wenn weit über 90 % der Betriebe von der Erbschaftsteuer befreit sind.“ Das ist es eben nicht, weil die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefähr det ist. Darum geht es. Es geht darum, ob die Grenze von 20 Mitarbeitern gelten soll oder ob man diese Grenze herunter setzen muss.

Dann spielt in diesem Zusammenhang noch ein Kriterium ei ne Rolle: Die Kleinbetriebe müssen nämlich im Erbfall nicht einmal nachweisen, dass sie die Arbeitsplätze erhalten.

Das sind also ganz komplexe, schwierige Fragen. Ich würde Ihnen raten, wenn Sie wirklich die Interessen unserer Wirt schaft vertreten und wenn Sie wirklich die Interessen unseres Landes vertreten: Beteiligen Sie sich ernsthaft an der Debat

te! Handeln Sie so wie unser Finanzminister, der als zustän diger Ressortchef – –

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Dann unter stützen Sie ihn doch!)

Moment! Wir unterstützen unseren Finanzminister fachlich. Er bemüht sich im Gegensatz zu Ihnen und zur CDU darum, indem er bei Herrn Schäuble ernsthafte Vorschläge einbringt. Herr Schäuble hat auch zugesichert, dass er für ernsthafte De batten offen ist, aber an Getöse hat er zum Glück kein Inter esse, und das ist auch gut so.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Noch einen Satz zu Ihnen, Herr Mack: Sie, die CDU, tun mir fast schon leid. Sie haben hier 40 % der Wählerinnen und Wähler hinter sich – noch! –, aber haben absolut keinen Draht nach Berlin, wo Ihre Partei im Bund regiert. Wissen Sie, was? An Ihrer Stelle wäre es mir fast peinlich, wenn Sie als Mit glieder der Volkspartei CDU keinen Draht nach Berlin haben, wenn Sie zu Herrn Schäuble keinen Draht haben, sondern auf uns angewiesen sind. Aber wir sind ja offen. Wir sind froh, wenn Sie sich an der ernsthaften Debatte beteiligen und die Interessen unseres Landes vertreten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das war ein Ge töse! – Abg. Peter Hauk CDU: Was wollen die Grü nen denn jetzt?)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen Maier das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem 17. Dezember 2014 steht es fest: Das Erbschaftsteuerrecht wurde vom Bundesverfas sungsgericht teilweise für verfassungswidrig erklärt. Aufgrund der weitgehenden Verschonung von Unternehmensvermögen ohne Differenzierung nach Größe des Betriebs und aufgrund sonstiger Umgehungsmöglichkeiten verstößt die Steuerbe messungsgrundlage gegen die Verfassung. Bis Mitte 2016 müssen also die Verschonungsregeln, die Regeln für Kleinbe triebe und für die Höhe des Verwaltungsvermögens neu ge fasst werden.

Bei der Erbschaftsteuer ist sehr positiv zu vermerken, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Verschonungskon zept insgesamt für Betriebsvermögen grundsätzlich bestätigt hat. Denn dadurch wird ermöglicht, dass Betriebe unter be stimmten Voraussetzungen auch künftig bis zu 100 % von der Erbschaftsteuer befreit werden. Das ist gut und wichtig für Baden-Württemberg. Denn gäbe es diese Möglichkeit nicht, könnte es in vielen Fällen dazu führen, dass ein Erbe den ge erbten Familienbetrieb an anonyme Investoren veräußern muss, weil er einfach nicht liquide ist, um ihn weiterzuführen. Damit würde die Erbschaft oder die Erbschaftsteuer der Fa milie nicht nur die Lebensgrundlage entziehen, sondern es wä ren auch Arbeitsplätze gefährdet.

Ich habe es in den Neunzigerjahren – also noch zu Zeiten der Regierung Kohl – sogar einmal erlebt, dass die Eigentümer eines Betriebs, bei dem die Erbschaftsteuer nicht aus Barver mögen bezahlt werden konnte, in ein Nachbarland ausgewan

dert sind. Das ist ja auch nicht Sinn und Zweck von Steuerge setzen. Da war es schon sehr gut, dass diese neuen Verscho nungsregeln erfunden worden sind.

Zu befürchten wäre natürlich ein schleichender Wandel – das haben wir jetzt mehrfach gehört – der baden-württembergi schen Wirtschaft. Wir haben eine Wirtschaft, die sehr erfolg reich ist. Sie beruht auf dem Mittelstand, und sie beruht vor allem auf Familienbetrieben, die über Generationen hinweg weitergeführt werden.

In der heutigen Debatte geht es um die Frage, wie sich die Landesregierung positioniert. Diese Frage hat die FDP/DVP gestellt – natürlich auch noch mit einem kleinen Unterton. Aber das sind wir ja gewohnt.

Ich habe mir zu dieser Frage auch schon Gedanken gemacht

(Abg. Guido Wolf CDU: Sehr gut!)

und am 26. Februar 2015 einen Antrag an die Landesregie rung gestellt. Darauf gibt es eine Stellungnahme, und zwar zur Position der ganzen Landesregierung.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Damals noch! – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Damals kam die klare Aussage: Die Landesregierung begrüßt, dass das Bundesverfassungsgericht die Verschonung des Be triebsvermögens im Grundsatz als mit der Verfassung verein bar sieht. Weiter sollen die kritischen Punkte innerhalb des Verschonungskonzepts nachgebessert werden. Und – das ist wichtig – ein Paradigmenwechsel wird nicht angestrebt.

Die Nachbesserung soll sich an den Vorgaben des Bundesver fassungsgerichts orientieren. Die Administrierbarkeit des je weiligen Ansatzes soll berücksichtigt werden, und – jetzt kommt das Entscheidende – bei der Verschonung des Be triebsvermögens ohne Bedürfnisprüfung hält das Finanz- und Wirtschaftsministerium eine unternehmensbezogene Größen ordnung von 100 Millionen € für geeignet – da wären wir wie der bei den 100 Millionen € von damals unter der Regierung Schröder. Die Befreiung von Betrieben von der Lohnsummen regel – das wären die kleinen Betriebe – könnte ab einer Grö ße von fünf Arbeitnehmern greifen, und jedem Unternehmen könnte ein prozentualer Sockel beim Verwaltungsvermögen zugestanden werden.

Ich meine, das ist eine klare, mittelstandsfreundliche Rechts auffassung. Familienbetriebe werden nach wie vor geschützt. Die erfolgreiche Wirtschaftsstruktur in Baden-Württemberg wird gestärkt. Wir von der SPD-Fraktion sehen diese Aussa gen als richtig an. Ich sage hier der FDP/DVP-Fraktion im Namen der SPD-Fraktion auch ganz klar: Wir stärken unse ren Wirtschaftsminister.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wir auch!)

Wir stehen da hinter ihm.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen sowie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)