Protocol of the Session on December 17, 2014

Die bisherigen Behindertenbeauftragten der Stadt- und Land kreise haben keine Akteneinsichts- oder Mitwirkungsrechte; sie sind nicht unabhängig, sondern häufig Verlegenheitslösun gen. Eine Sachbearbeiterin in der Eingliederungshilfe oder der Pressesprecher eines Landrats können guten Willens sein – sie sind aber abhängig von Weisungen und Strukturen und al lein schon deshalb keine zuverlässigen Mittler zwischen Be troffenen und der öffentlichen Verwaltung. Darum geht es aber.

(Lachen der Abg. Jutta Schiller CDU)

Das alles verändert der vorliegende Gesetzentwurf nun kon sequent und zum Besseren. Dabei haben wir das getan, was sinnvollerweise zu tun ist, wenn Nachholbedarf besteht: Wir haben die Gesetze anderer Bundesländer angeschaut, die Über tragbarkeit auf Baden-Württemberg geprüft, mit fachkundi gen Betroffenen diskutiert und dabei ein „Best of“ der Geset ze anderer Länder entwickelt. Dabei entstand – das haben uns zahlreiche Fachleute bestätigt – das bundesweit beste LandesBehindertengleichstellungsgesetz.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Der Landes-Behindertenbeauftragte bekommt damit verbrief te Beteiligungsrechte und Akteneinsicht.

Das Gleiche gilt für die neuen regionalen Behindertenbeauf tragten der Stadt- und Landkreise: Sie werden unabhängig und weisungsungebunden, wobei wir es den Strukturen vor Ort überlassen, ob die Funktion haupt- oder ehrenamtlich wahr genommen wird. Entscheidend ist, dass die Stellen innerhalb eines Jahres eingerichtet werden und dass es immer eine pro fessionelle ombudschaftliche Struktur gibt, die vom Land fi nanziert wird.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Poreski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schiller?

Ja, gern.

Jetzt muss ich schnell eine Zwi schenfrage stellen. Ich bin die Behindertenbeauftragte des Landkreises Göppingen, und ich erfülle diese Aufgabe ehren amtlich. Ich würde gern von Ihnen wissen, wieso Sie glauben, dass ich als Behindertenbeauftragte Weisungen befolge. Wir, die Behindertenbeauftragten, sind völlig autark. Es gibt noch etliche andere, die genauso autark sind und ohne Weisungen handeln.

Ich spreche sicher im Namen aller ehrenamtlich Tätigen, die diese Aufgabe bisher erfüllt haben, wenn ich sage, dass man unser Engagement nicht als weisungsgerichtet hinstellen soll te, sondern wir uns sehr, sehr engagieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jo chen Haußmann FDP/DVP)

Das habe ich gar nicht in Ab rede gestellt, Frau Kollegin Schiller. Darum geht es auch gar nicht. Dass die Personen individuell unabhängig sein und ih re Aufgaben auch gut ausführen können, steht gar nicht infra ge. Infrage steht aber, ob Sie als Behindertenbeauftragte über eine entsprechende Struktur verfügen, auch Pflichtaufgaben zu erfüllen, z. B. ombudschaftlich tätig zu werden, Mittler zu werden, wenn Sie Menschen ansprechen, ob Sie überhaupt die Möglichkeit und die Kapazität dazu haben.

Man kann ehrenamtlich Tätige ohne eine professionelle Struk tur nicht auf Aufgaben verpflichten. Das heißt, wenn Sie wei terhin ehrenamtlich tätig bleiben wollen, wenn die regionale Struktur Sie dazu bestimmt, dann haben Sie zukünftig mehr Zuarbeit. Das ist doch genau das, was wir wollen, und ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum Sie mit zustimmen.

Wenn Sie von der Opposition dem Grundgedanken widerspre chen würden – wovon ich jetzt einmal nicht ausgehe –, wür den Sie ja den Grundgedanken der UN-Konvention nicht ver stehen.

(Zuruf der Abg. Jutta Schiller CDU)

Davon gehe ich nun wirklich nicht aus.

Was die Finanzierung angeht: Herr Kollege Raab, Sie haben die 2,8 Millionen € beklagt. Diese sind Teil eines 5-Millionen-€Pakets, das wir zusätzlich – das gab es vor Grün-Rot nicht – für Inklusion im Haushalt implementiert haben. Das war von vornherein mit eingeplant. Auch da sollten wir also korrekt bleiben.

(Beifall des Abg. Manfred Lucha GRÜNE – Zuruf des Abg. Werner Raab CDU)

Bei Benachteiligungen gibt es künftig eine Beweislastumkehr. Wenn Tatsachen eine Benachteiligung plausibel erscheinen lassen, muss eine Behörde nachweisen, warum es eventuell doch keine Benachteiligung war.

Bundesweit anerkannte Verbände haben künftig ein Klage recht. Das gibt es bei allen öffentlichen Planungen, soweit Menschen mit Behinderungen besonders betroffen sind. Das wird dazu führen, dass Belange wie die Barrierefreiheit von vornherein berücksichtigt werden. Bisher wurde Barrierefrei heit bei Bauplanungen häufig vorgesehen, bei der Ausführung dann aber stillschweigend wieder eingespart. Das gibt es künf tig nicht mehr.

Über das Gesetz haben wir in den vergangenen Monaten im Sozialausschuss und im Rahmen einer öffentlichen Aus schussanhörung intensiv und konstruktiv beraten. Das bestä tige ich gern. Die Resonanz war auch überwältigend positiv, auch wenn am Ende nicht sämtliche Wünsche erfüllt wurden – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Einige der gewünsch ten Änderungen fallen ganz klar in die Zuständigkeit des Bun desgesetzgebers und sind von diesem zu regeln. Andere sind in ihren Wirkungen nicht hinreichend überprüfbar, und man che Kritik ist längst durch die Wirklichkeit anderswo wider legt. Das Paket überzeugt also offensichtlich auch die Kolle ginnen und Kollegen der CDU, und dagegen haben wir natür lich überhaupt nichts.

Selbstverständlich markiert auch dieses Gesetz nicht das En de der Geschichte, sondern „nur“ einen Meilenstein in dem langfristigen Prozess der Inklusion. Wir, die grüne Landtags fraktion, freuen uns gemeinsam mit vielen Menschen in un serem Land darauf, diesen Prozess auch künftig ebenso be sonnen wie engagiert und dialogisch zu gestalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht die Kol legin Wölfle.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer weiß schon, wie es sich anfühlt, mit einem Rollstuhl vor einer Treppe zu stehen, nicht an einen Geldau tomaten heranzukommen, keinen Bewegungsradius in der Wohnung zu haben, um sich auch mit einem Rollstuhl bewe gen zu können, mit einem langen Blindenstock durch eine gro ße Menschenmenge gehen zu müssen und ständig an Hinder nisse zu stoßen, oder ohne Gehör über eine stark befahrene Straße gehen zu müssen?

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist seit 2009 geltendes Recht in Deutschland, aber die Umsetzung ist sehr schwierig. Sie scheitert an den Kosten, aber auch an den Barrieren in unser aller Köpfe und an der begrenzten Vor stellung, die wir Nichtbehinderten von der Lebenswirklich keit von Menschen mit Handicap haben. Dabei geht es nicht darum, dass sich Menschen mit Behinderungen an unsere Vor stellung anpassen müssen, sondern es geht um echte Inklusi on, also darum, dass sich die Gesellschaft öffnet und ihnen in höchstmöglichem Maß eine selbstbestimmte Lebensführung und echte Teilhabe ermöglicht.

Der Grundsatz der Konvention „Nicht ohne uns über uns“ ist hier der entscheidende Satz, und genau dies muss Leitziel un serer Politik sein.

Die Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit der Menschen muss geschützt und vor allem respektiert werden. Jeder Mensch muss gleich viel wert sein, gleiche Chancen haben und Un terstützung bekommen, um dies auch zu erreichen. Dafür ist die Gesellschaft, dafür ist die Politik verantwortlich, und ge nau dies wollen wir mit dem Landes-Behindertengleichstel lungsgesetz auch erreichen.

Um diese Rechte und Freiheiten auch durchzusetzen, brau chen die Menschen mit Behinderungen kompetente Ansprech partner, Unterstützer, und zwar solche, die – mit klaren Be fugnissen ausgestattet – ihre Anliegen vertreten und auch durchsetzen können. Die nun gesetzlich vorgesehenen Behin dertenbeauftragten auf Stadt- und Landkreisebene sind eine Art Bindeglied zwischen den Belangen behinderter Menschen und der Verwaltung.

Mit unserem Gesetz ist die Freiwilligkeit vorbei. Behinder tenbeauftragte ohne Einsichtsrecht, ohne Anhörungsmöglich keit und ohne Befugnisse haben uns überhaupt nicht weiter gebracht. Kollegin Schiller, natürlich gab es viele engagierte Behindertenbeauftragte. Das ist keine Frage. Aber es war eben nicht gesetzlich vorgeschrieben, in welchem Radius sie sich bewegen können.

Ich möchte an dieser Stelle den Behindertenbeauftragten dan ken, die trotz erschwerter und oftmals unklarer Bedingungen versucht haben, ihre Aufgaben bestmöglich wahrzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Gerade durch die Verwaltungsreform und die damit verbun dene Verlagerung vieler Aufgaben und Zuständigkeiten auf die Ebene der Kommune hätte man damals schon die ver pflichtende Einführung von Behindertenbeauftragten gesetz lich vorschreiben müssen. Diese Ebene wurde aber ausge klammert, und man setzte auf Freiwilligkeit. Vor allem die un klare Doppelfunktion von Mitarbeitern der Verwaltung, die gleichzeitig die Belange behinderter Menschen zu vertreten hatten, konnte nicht funktionieren, weil es hier zu ständigen Entscheidungskonflikten kam. Zudem war es auch zu wenig bekannt, wo eigentlich Ansprechpartner zu finden sind. Viele behinderte Menschen fanden gar nicht erst den Weg dorthin.

Das Gesetz wird nun die Stadt- und Landkreise verpflichten, die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger mit Behinderun gen wahrzunehmen, sie anzuhören und zu handeln.

Ein Kernstück dabei ist die Beweislastumkehr. Damit haben behinderte Menschen deutlich mehr Möglichkeiten, sich ge gen Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Vor allem gibt es nun klare Regeln, da jetzt Anhörung, Stellungnahmen und Auskunftsrecht gesetzlich verankert sind und es endlich kla re Strukturen gibt. Wir werden nach Inkrafttreten des Geset zes endlich ein gutes Stück vorankommen.

Erfreulich waren auch die Ergebnisse der Anhörung. Zu 99 % gab es hier eine klare Zustimmung. Allerdings gab es natür lich Änderungswünsche, aber diese betrafen überwiegend das Leistungsrecht, und das Leistungsrecht können wir in diesem Gesetz nicht regeln.

Vielen Dank an die Ministerin und an das Ministerium, aber auch Dank an alle Kollegen im Sozialausschuss. Wir haben wieder einmal gemeinsam versucht, ein gutes Gesetz zu for mulieren und auf den Weg zu bringen. Ich denke, wir tun das mit einer wirklich guten Absicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht der Kollege Haußmann.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht erst seit der UN-Behindertenrechtskonvention ist die gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen mit Behinderungen ein gesell schaftliches Anliegen und für alle in der Politik Tätigen auch eine Verpflichtung. Baden-Württemberg hat deshalb bereits zum 1. Juni 2005 das Landes-Behindertengleichstellungsge setz in Kraft gesetzt, um die besonderen Belange zur Gleich stellung der Menschen mit Behinderungen gesetzlich zu do kumentieren.

Eine erste Zwischenbilanz im Jahr 2009 durch den damaligen Staatssekretär im Sozialministerium, Dieter Hillebrand, hat gezeigt, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Instrumente zur Förderung der gleichberechtigten Teilhabe

von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesell schaft bewährt haben.

Die vorliegende Novellierung will im Sinne der Inklusion die möglichst weitgehende Teilhabe in der Gesellschaft ermögli chen. Diese Zielsetzung trägt auch die FDP/DVP-Landtags fraktion mit. Bis auf einen Punkt tragen wir auch die Neure gelungen des Landesgesetzes zur Gleichstellung von Men schen mit Behinderungen mit.

Bereits im Vorfeld hatte Ministerpräsident Kretschmann zu nächst sein Veto eingelegt, hauptamtliche Behindertenbeauf tragte in Stadt- und Landkreisen verpflichtend zu bestellen. In der Zwischenbilanz 2009 wurde positiv vermerkt, dass in al len Stadt- und Landkreisen entsprechende Beauftragte benannt werden konnten. Somit war es ohne gesetzliche Regelung möglich, flächendeckend das Beratungsangebot für Menschen mit Behinderungen weiter zu verbessern. Die Weiterentwick lung – so heißt es in dem Bericht – auf freiwilliger Basis sei letztendlich zielführender als ein gesetzlicher Zwang. Es ist also insofern auch für alle, die mit zu entscheiden haben, ein Abwägungsprozess.

In keinster Weise ist es aber für uns verständlich, dass die ge planten 2,8 Millionen € Kostenerstattung für die hauptamtli chen und auch die möglicherweise teilweise ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten aus dem Haushaltstitel „Zuschüsse für Projekte und Maßnahmen an sonstige Träger“ finanziert werden sollen.

Aufgrund der Beratungen im Finanz- und Wirtschaftsaus schuss am 26. November 2014 wurde klar, dass die Mittel hierfür aus Kapitel 0905 Titel 684 76 – Zuschüsse für Projek te und Maßnahmen an sonstige Träger – entnommen werden. Die Erläuterung zur dazugehörigen Titelgruppe 76 – Maßnah men zur Umsetzung der Inklusion – weist aus:

Veranschlagt sind Mittel zur Umsetzung der VN-Behin dertenrechtskonvention. Dabei geht es z. B. um die Er stellung des Umsetzungsplans, die Förderung von ge meinnützigen Projekten zur Verwirklichung der Inklusi on, entsprechenden Modellprojekten und Forschungsvor haben...

Der Ansatz von 4,82 Millionen € wird also um die Kosten der Behindertenbeauftragten bei den Stadt- und Landkreisen ge kürzt.