Protocol of the Session on November 26, 2014

Aber das ist die amtliche Mitteilung. Dann hat sich die Ein schätzung verändert, weil es eine anonyme Anzeige gab. Die Oberstaatsanwaltschaft wurde tätig. Daraufhin wurde der Jus tizminister informiert, und er hat umgehend gehandelt, indem er den Leiter der Vollzugsanstalt von seiner Arbeit

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: „Entbun den“ heißt das!)

entbunden hat – danke. Das ist auch richtig. Denn am Freitag, 8. August, hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt genau die se Fehleinschätzung vertreten.

Insofern kann man dem Justizminister überhaupt nicht vor werfen, er ducke sich weg. Es ist übrigens einmalig, dass ein Leiter einer Justizvollzugsanstalt wegen – möglicherweise strafrechtlich relevanter – Fehleinschätzungen massiven Ge halts suspendiert worden ist.

Wenn der Justizminister angesichts der Einmaligkeit, dass sich jemand in einer Haftanstalt zu Tode hungert, diese Sache auf sich beruhen lassen hätte, dann hätten Sie recht mit Ihrem Vor wurf. Er hat aber gehandelt, und zwar erstens was die Be richtspflichten anbelangt, zweitens was die Verschärfung der Aufsichtspflichten anbelangt und drittens was die inhaltliche Ausgestaltung anbelangt. Darüber hinaus ist es angesichts der Fülle von psychischen Problemen, die es in den Haftanstalten gibt, sehr wichtig, die Kompetenzen der Bediensteten zu ver bessern. Es geht um mehr Einsätze von externen Psychologen und Psychiatern in den Haftanstalten.

Sie haben bemängelt, für die Kommission gebe es noch gar keinen Haushaltstitel. Für den Fall, dass die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass es nicht vertretbare Lücken beim Strafvollzug gibt, sage ich für die Koalition zu, dass wir die se Lücken dann natürlich schließen werden. Dazu brauchen wir aber erst das Ergebnis der Kommission. Uns stehen alle Möglichkeiten offen, in einem Nachtrag den Herausforderun gen gerecht zu werden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deshalb stelle ich für die SPD-Fraktion fest: Der Justizminis ter hat unser volles Vertrauen. Die Vorwürfe sind konstruiert.

(Lachen des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Sie sind nicht haltbar. Der Justizminister wird den Herausfor derungen gerecht, die durch diesen schrecklichen Hungertod noch einmal drastisch deutlich geworden sind. Er handelt.

Ich möchte Sie bitten, dass wir nach dem heutigen Tag mitei nander konstruktiv darüber reden, was sich in den Haftanstal ten weiterentwickeln muss, damit ein solches schreckliches

Ereignis, aber auch andere Selbstbeschädigungen in unseren Gefängnissen zurückgedrängt und wenn möglich verhindert werden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie des Mi nisterpräsidenten Winfried Kretschmann und des Mi nisters Dr. Nils Schmid)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Professor Dr. Goll das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Wir wissen mittlerweile viel über Pan nen, Versäumnisse, Regelverstöße und Fehler, die sich im Zu sammenhang mit den Vorfällen in Bruchsal ereignet haben. Meine Damen und Herren, wir stellen aber auch fest, dass we sentliche Fragen nicht abschließend geklärt sind.

Ich nenne vor allem folgende Fragen: Handelte der Gefange ne, um den es geht, nach seinem freien Willen, oder hätte man ihm helfen müssen? Hätte man ihn zwangsernähren müssen? Wie sahen seine letzten Tage aus? Hat man ihn seinem Schick sal überlassen und ihn achtlos verhungern lassen? Das sind die zentralen Fragen, die aber erst dann abschließend geklärt werden können, wenn uns das Ermittlungsergebnis der Staats anwaltschaft vorliegt.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Beate Böh len und Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE – Zuruf: Richtig!)

Dann stellt sich allerdings nicht nur die Frage der Schuld, son dern auch die Frage der politischen Verantwortung. Dann muss diese Frage gestellt und abschließend geklärt werden.

Lieber Herr Schmiedel, noch einmal zur Kontur dieses Fal les. Sie wissen natürlich, warum Sie vorhin versucht haben, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Außenstehende wissen das aber vielleicht nicht. Deswegen möchte ich drei Sätze dazu sagen: Hier geht es nicht um einen Suizid, sondern darum, ob ein Gefangener durch Unterlassen zu Tode gekommen ist. Das ist etwas anderes.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ge nau so ist es!)

Der Suizid in der Vollzugsanstalt ist eine traurige Realität. In den Vollzugsanstalten sind Tausende von Menschen, die in ei ner schwierigen Situation sind und die für sich keine Perspek tive mehr sehen. Die Zahl, die Sie genannt haben, bedeutet auf eine lange Amtszeit berechnet etwa sechs Suizide pro Jahr in den über 20 Anstalten und zahlreichen Außenstellen. Ba den-Württemberg ist halt ein großes Flächenland. Es ist lei der traurige Realität, dass diese Rate – da können wir machen, was wir wollen – nicht auf null zu drücken ist. Angesichts der Probleme und Belastungen, die diese Menschen mitbringen, und deren Perspektiven würde einen auch wundern, wenn dies gelänge. Darum geht es jetzt aber nicht.

Es geht darum, ob in einer baden-württembergischen Voll zugsanstalt zum ersten Mal ein Häftling durch Unterlassen zu Tode gekommen ist. Das ist die Frage. Diese Frage können wir aber erst dann abschließend behandeln, wenn das Ergeb nis der Staatsanwaltschaft vorliegt.

Natürlich gibt es eine Menge von Fehlern auf sämtlichen Ebe nen. Das ist ganz klar. In der Anstalt ist manches schiefgelau fen, ist manches aus dem Ruder gelaufen. Wir wissen mittler weile auch, dass in der Abteilung nicht alles richtig gelaufen ist. Aber auch die Hausspitze steht alles andere als gut da. In sofern hat es in diesem Fall wohl nicht nur unten geklemmt, sondern auch ganz oben.

Wenn jetzt aktuell Konsequenzen gezogen werden, auch in personeller Hinsicht – die ich übrigens in Bezug auf Herrn Futter für falsch halte –, tritt für mich die Frage in den Raum: Warum hat es eigentlich vor der Regierungsübernahme 15 Jahre lang – also in der Zeit, die ich überblicke – mit größten teils denselben Leuten doch ganz ordentlich funktioniert?

Ich registriere mit Erstaunen, dass in der Zeitung auf einmal die Rede davon ist, es habe auch schon früher eine lasche Handhabung gegeben. Dagegen möchte ich mich verwahren. Dafür möchte ich zumindest einen Beleg sehen. Es gibt aber keinen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das wäre so, als ob wir jetzt auch sagen würden: „Der Justiz minister müsste zurücktreten, weil wir bestimmt noch etwas finden werden.“ Das muss aber belegt werden.

Ich glaube, dass da gerade in letzter Zeit etwas nicht richtig gelaufen ist. Ich finde es auch nicht gut, dass man einen Sün denbock finden möchte, an dem man es dann festmacht. Ich glaube, in diesem Fall sind wir uns völlig einig: Der Beamte, um den es geht, gilt als einer der fähigsten Experten des Straf vollzugs überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland. Das wird niemand bestreiten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl Zimmermann CDU: Absolut!)

Dem Mann können Sie vorwerfen, dass er einen Fehler ge macht hat. Wir stellen aber auch fest, dass er über die Länder grenzen hinweg sehr großes Ansehen genießt. Ich befürchte, dass die Amtsenthebung dieses Mannes kaum für Vertrauen im baden-württembergischen Strafvollzug sorgen wird, son dern eher für das Gegenteil. Ich möchte an dieser Stelle deut lich machen: Diesen ausgezeichneten Beamten begleitet mei ne bleibende Anerkennung in den Ruhestand. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich machen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wenn im Ministerium einige Leute zu weit weg vom Ball standen, macht es meiner Meinung nach wenig Sinn, den er fahrensten Spieler vom Feld zu schicken.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich komme zum Schluss. Die jüngste Vergangenheit war kei ne Erfolgsgeschichte für den Justizminister.

Ich komme zurück zum Anfang. Der Antrag auf Entlassung ist naheliegend, aus unserer Sicht aber nicht spruchreif, weil wesentliche abschließende Klärungen noch ausstehen. Des

wegen werden wir uns bei der Abstimmung über diesen An trag der Stimme enthalten.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Justizminister Stickelberger das Wort.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf als betroffe ner Minister zunächst zum Ausdruck bringen, dass mich der Tod des Häftlings in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal be wegt hat wie kein anderer Vorgang in den vergangenen drei einhalb Jahren meiner Amtszeit und dass mein ganzes Bestre ben dahin geht, dass ein solcher schrecklicher Vorfall in Zu kunft verhindert wird. Das betone ich vorweg.

Zweite Vorbemerkung: Im Zusammenhang mit diesem schreck lichen Fall sind viele Vorwürfe diskutiert worden, die sich an die Justizvollzugsanstalten richten. Manche Berichterstattung hat zu einer gewaltigen Verunsicherung in den Haftanstalten geführt, weil viele Vorgänge in Haftanstalten mit diesem schreck lichen Fall in Zusammenhang gebracht wurden, obwohl sie damit nichts zu tun haben. Das gilt für durchaus gegebene Ver stöße von Bediensteten in der Vergangenheit. Das gilt für die Rechtspraxis, wie sie auch zu einer Zeit vor der Regierungs übernahme dieser Landesregierung in den Haftanstalten ge handhabt wurde. Das möchte ich vorwegschicken.

Deshalb habe ich in der letzten Woche die Justizvollzugsan stalt Bruchsal noch einmal besucht und mit den Bediensteten gesprochen, die über die Vorgänge sehr betroffen sind. Mir ist dabei deutlich geworden, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug Unterstützung und den Rückhalt der Politik und damit des ganzen Hauses, des Landtags, brauchen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe in der letzten Sitzung des Ständigen Ausschusses am vergangenen Montag sechs Stun den lang die Fragen beantwortet, die sich um diesen Vorgang in Bruchsal ergeben haben und die auch zu weiteren Schluss folgerungen geführt haben, inwieweit man hätte erkennen können, dass Zustände in Bruchsal es erforderten, dass man eingreifen müsste. Dazu habe ich ausführlich Stellung genom men. Umso mehr bedaure ich, dass sich in dem Entlassungs antrag der CDU-Fraktion eigentlich wenig wiederfindet von den umfassenden Auskünften, die ich gegeben habe und die wir auch in unseren schriftlichen Stellungnahmen bereits dar gelegt haben. Ich habe den Eindruck, bestimmte Informatio nen und bestimmte Zusammenhänge wollen Sie vielleicht nicht wahrnehmen, weil sie nicht in Ihre Strategie passen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ihre Kernvorwürfe an mich persönlich konzentrieren sich da rauf, ich hätte nicht rechtzeitig gehandelt, ich sei nicht recht zeitig informiert worden, ich hätte die falschen oder unzurei chende Schlussfolgerungen aus den Ereignissen gezogen. Dann lohnt es sich natürlich schon, auch einmal etwas in die Einzelheiten zu gehen.

Wie Sie wissen – vorhin wurde darauf hingewiesen –, sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlos sen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen am Todes

tag aufgenommen. Sie sind noch nicht abgeschlossen. Der der zeitige Ermittlungsstand ist, dass ein Gutachten in Auftrag ge geben wurde, das klären soll, ob der betreffende Häftling zum damaligen Zeitpunkt willens und in der Lage war, frei zu äu ßern, welchen Maßnahmen er sich aussetzt. Es soll geklärt werden, ob dies der Fall war und, wenn dies nicht der Fall war, welche Schlussfolgerungen das Personal dann vor Ort hätte ziehen müssen. Das ist Gegenstand der staatsanwaltschaftli chen Ermittlungen. Diese werden noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.

Die Betroffenen, der Anstaltsleiter und die damals verantwort liche Ärztin, haben verfahrensmäßige Rechte, die sie wahr nehmen können. Deshalb wird es noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Diese Kernfrage gilt es zu beantworten. Das ist ganz wichtig für die Beurteilung des Vorgangs insgesamt. Da soll ten wir auch keine Vorverurteilungen vornehmen, und zwar in keine Richtung.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Mi nisters Dr. Nils Schmid)

Hat der Justizminister zügig und adäquat reagiert bzw. gehan delt? Ich darf daran erinnern, dass ich, sobald mir die proble matischen Umstände des Todes bekannt wurden, gehandelt habe, und zwar in einer Weise, wie dies in dieser Form zuvor noch nicht in diesem Land geschehen ist. Ich habe nämlich umgehend die Suspendierung des Anstaltsleiters veranlasst und disziplinarische Maßnahmen gegen zwei im Vollzug tä tige verantwortliche Beamte eingeleitet. Dies ist eine Maß nahme, die nach meiner Kenntnis in den 60 Jahren der Exis tenz des Landes Baden-Württemberg so noch nicht vorgekom men ist. Das habe ich als unmittelbare Reaktion angeordnet und durch mein Haus vollziehen lassen.

Meine Damen und Herren, auch das Verfahren zur disziplina rischen Ermittlung ist noch nicht abgeschlossen. Auch inso weit möchte ich also kein abschließendes Fazit ziehen.